Bilanz zu Gewalt rund um FCL-Heimspiele

Ylfete Fanaj im Kreuzfeuer zwischen Ultras und Politik

Ylfete Fanaj, Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements (SP) (Bild: jdi)

Der FC Luzern beendete am Dienstagabend eine sportlich durchzogene Saison. Doch auch abseits des Rasens lief sicherheitstechnisch nicht immer alles nach Plan. zentralplus zieht mit Regierungsrätin Ylfete Fanaj Bilanz.

Etwas überraschend übernahm Ylfete Fanaj (SP) vergangenen Sommer das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Luzern (zentralplus berichtete). Sie beerbte im bürgerlich dominierten Kanton Regierungsrat Paul Winiker (SVP) – und darf sich seither auch mit gewalttätigen Fussballfans und Massnahmen gegen Ausschreitungen rund um die Heimspiele des FC Luzern befassen.

Nun, da sie ihre erste Saison als Luzerner Sicherheitsdirektorin absolviert hat, spricht sie mit zentralplus über Kollektivstrafen und das Kaskadenmodell der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) (zentralplus berichtete), über Pyros, Gummischrot und die Fans der Kurve.

zentralplus: Sie liessen als Kantonsratspräsidentin den Kantonsrat im Vorfeld des Cupfinals 2021 (zentralplus berichtete) darüber abstimmen, ob der FCL den Pokal holt – und gratulierten den Spielern danach zum Erfolg. Würden Sie sich selbst als FCL-Fan bezeichnen?

Ylfete Fanaj: Ich bin gerne am Match, mag die Atmosphäre und Choreos der Kurve. Auf der Allmend treffe ich Menschen, denen ich im Alltag nur selten begegne. Das Stadion ist ein Ort, wo ich niederschwellig Kontakte pflegen kann.

Choreos wie solche kommen bei so gut wie allen Matchbesucherinnen – auch bei Regierungsrätin Ylfete Fanaj – gut an. (Bild: Marc Schumacher/freshfocus)

zentralplus: Wie zufrieden sind Sie mit der nun beendeten Saison des FC Luzern?

Fanaj: Sportlich hätte es besser laufen können. Ich hoffe, der FCL ist nächste Saison erfolgreicher. Neben dem Platz gilt: Je weniger die Polizei eingreifen muss, desto besser. Im Fokus soll der Fussball als Sport stehen – und nicht die Gewalt.

zentralplus: Eine ihrer ersten Massnahmen zur Eindämmung dieser Gewalt war die Reaktivierung der Dialogplattform «Runder Tisch Fussball», wobei sie Vertreter des Kantons, der Stadt, der Polizei, der Transportunternehmen, des FC Luzern, der Fanarbeit und der Fans zusammenführten (zentralplus berichtete). Hat ihr Vorgänger, Alt-Regierungsrat Paul Winiker, die Plattform zu Unrecht vernachlässigt?

Fanaj: Die Arbeit meines Vorgängers kann und will ich nicht beurteilen. Vor meinem Amtsantritt war ich da zu wenig nah dran. Als ich dann meine Arbeit im Regierungsrat aufnahm, war es mein Ziel, mir einen umfassenden Überblick zu verschaffen. Im Kontext des Fussballs bedeutete dies für mich, dass ich möglichst alle Perspektiven kennen und verstehen wollte. Bis im September 2023 habe ich denn auch mit Vertretern aller Beteiligten Gespräche führen können.

zentralplus: Die Reaktivierung des «Runden Tischs Fussball» kam durchs Band gut an.

Fanaj: Absolut. Das Bedürfnis nach Dialog teilten damals alle. Dafür war auch die Offenheit aller erforderlich. Beim «Runden Tisch Fussball» geht es um mehr als um das Formulieren von Forderungen, die die Gegenseite dann hinnehmen soll. Vielmehr nahmen wir uns gemeinsam die Zeit, Dinge auszudiskutieren – ohne zwingend einen umfassenden Konsens finden zu müssen. Dabei müssen aber auch die Anspruchshaltungen realistisch sein.

zentralplus: Welcher Anspruch war denn unrealistisch?

Fanaj: Dass nie mehr etwas vorfallen soll. Das würde ich mir natürlich auch wünschen. Darum sind wir auch bemüht, die Grundlage zu schaffen, um möglichst sichere Fussballspiele durchzuführen. Im Rahmen der Cluballianzen wird mit allen Involvierten, auch mit dem Gastclub und dessen Fanarbeit, im Vorfeld das konkrete Vorgehen am Matchtag besprochen. Welche Bewilligungen sind einzuholen, marschieren die Gästefans zum Stadion, wie verläuft die Route, was ist der Zeitplan, welche Auflagen hat der FCL als Gastgeber zu erfüllen und so weiter.

zentralplus: Was passiert, wenn es trotzdem knallt?

Fanaj: Unabhängig davon, ob ein Matchtag ruhig verläuft oder es zu Ausschreitungen kommt, gibt es nicht nur eine Vorbesprechung, sondern auch eine Nachbesprechung. Die Schlüsse, die gezogen werden, fliessen dann in die künftige Planung der Matchtage ein.

«Wir brauchen die USL als Partnerin, brauchen ihre Perspektive insbesondere dann, wenns um Mobilität, um Fanmärsche geht. Denn die meisten Probleme entstehen ausserhalb des Stadions.»

Ylfete Fanaj

zentralplus: Anfang März hat sich die kurvennahe FCL-Fanorganisation USL vom «Runden Tisch Fussball» verabschiedet – weil Sie sich für das auf Kollektivstrafen basierende Kaskadenmodell ausgesprochen haben (zentralplus berichtete). Für Sie ein Rückschlag?

Fanaj: Der Ausstieg der USL ist für mich unverständlich. Nicht zuletzt auch die Fans betonen gerne die Wichtigkeit des Dialogs. Das ist ein Widerspruch, wenn man dann selbst den Dialog beendet. Dabei ist und war immer klar, dass wir nicht alle dieselbe Meinung haben können und müssen. Dennoch glaube ich an den Dialog und hoffe, dass die nächste Ausgabe des «Runden Tischs Fussball» im September mit der USL stattfindet. Ich werde sie sicherlich einladen. Zur Teilnahme zwingen kann ich sie aber nicht.

zentralplus: Hatten Sie denn seit Anfang März Kontakt mit der USL?

Fanaj: Ich wohne im Tribschenquartier, bin immer wieder im Stadion oder beobachte am Bundesplatz den Rückmarsch der Gästefans zum Bahnhof. Dabei treffe ich auch auf Fans, die ich vom «Runden Tisch Fussball» kenne. Von diesem hat sich die USL zwar verabschiedet. Doch entspricht dies keinem kompletten Kontaktabbruch.

Am Bundesplatz kam es vor einem Jahr zu schweren Ausschreitungen. Seither scheint sich die Lage beruhigt zu haben. (Bild: Leserreporter)

zentralplus: Wieso wollen Sie die USL überhaupt an den «Runden Tisch Fussball» zurückholen?

Fanaj: Wir brauchen die USL als Partnerin, brauchen ihre Perspektive insbesondere dann, wenns um Mobilität, um Fanmärsche geht. Denn die meisten Probleme entstehen ausserhalb des Stadions.

«Schlussendlich hängt der Einsatz von Gummischrot mit dem schweizweit herrschenden Personalmangel in den Polizeikorps zusammen.»

Ylfete Fanaj

zentralplus: Haben Fussballfans ein Gewaltproblem?

Fanaj: Es gibt eine kleine Minderheit, die ihren Emotionen auf destruktive und strafrechtlich problematische Weise Ausdruck verleiht. Ich verstehe nicht, was Sachbeschädigungen und Gewalt mit Fussball zu tun haben sollen. Viele Fussballfans regen sich denn auch über die Gewalttäter auf.

zentralplus: Wünschen Sie sich von der Kurve eine bessere Selbstregulierung?

Fanaj: Die Selbstregulierung funktioniert immer wieder ganz gut. Die Kurve ist für den Fussball, für den FCL wichtig. Sie leistet auf ihre eigene Art ehrenamtliche Jugendarbeit, stiftet Identifikation, gibt jungen Menschen Halt und ermöglicht ihnen, sich in der Freizeit für etwas einzusetzen, das sie gut finden. Dabei passiert viel Gutes, was von aussen nicht einsehbar ist. Wenn Einzelne davon abgehalten werden, einen Blödsinn zu machen, kriegt das naturgemäss niemand mit.

zentralplus: Bräuchte es seitens der Kurve mehr Selbstkritik?

Fanaj: Ich weiss, dass nicht nur die Polizei nach ihren Einsätzen, sondern auch die Fans nach den Spielen miteinander reden. Sie sind intern sehr gut organisiert. Wenns «chlöpft», wünschte ich mir seitens der Kurve auch mal selbstkritische Stellungnahmen.

zentralplus: Fussballfans, vor allem auch aus anderen Städten, empfinden die Luzerner Polizei im schweizweiten Vergleich als besonders aggressiv. Hat die Polizei ein Gewaltproblem?

Fanaj: Von entsprechenden Beschwerden habe ich keine Kenntnis. Dass Polizistinnen und Polizisten in Vollmontur bedrohlich wirken können, verstehe ich. Doch erfüllen diese vor allem eine Schutzfunktion. Ich kann Ihnen versichern, dass unsere Einsatzkräfte am Sonntagnachmittag lieber zu Hause bei der Familie wären, als am Bundesplatz Überstunden im Ordnungsdienst zu schieben. Sie sind froh, wenn der Spieltag friedlich verläuft.

«Wenn politische Exponentinnen und Exponenten zu wissen glauben, dass dem Problem der Fangewalt simpel beizukommen sei, werden sie der Komplexität der Problematik nicht gerecht.»

Ylfete Fanaj

zentralplus: Das war vor allem zu Beginn der Saison nicht immer der Fall. Rund um die Europapokal-Qualifikationsspiele gegen Djurgårdens IF und Hibernians FC kam es zu Gummischroteinsätzen. Dabei erblindete ein unbeteiligter FCL-Fan (zentralplus berichtete). Prüfen Sie ein Gummischrotverbot?

Fanaj: Gummischrot schafft Distanz zu gewalttätigen Fans, schützt somit auch die Einsatzkräfte. Schlussendlich hängt der Einsatz von Gummischrot mit dem schweizweit herrschenden Personalmangel in den Polizeikorps zusammen. Wir können nicht Hunderte Einsatzkräfte aufbieten und so grössere Gruppen gewaltbereiter Personen ohne Gummischrot oder auch Wasserwerfer in Schach halten.

Weil bei Gummischroteinsätzen auch Verletzungen entstehen können, setzt die Luzerner Polizei Gummischrot im Rahmen der Verhältnismässigkeit nur als Ultima Ratio ein, also dann, wenn mildere Mittel nicht aussichtsreich sind – und wertet die Einsätze immer auch aus. So gab sie im Nachgang des Spiels gegen Hibernian FC auch zu, Fehler gemacht zu haben, war selbstkritisch.

Die Luzerner Polizei am Paulusplatz im Einsatz beim FCL-Heimspiel gegen Hibernian FC, wo es zu einem Gummischroteinsatz kam. (Bild: jdi)

zentralplus: Seit diesen beiden Vorfällen blieb es rund um die FCL-Heimspiele mehrheitlich ruhig. Dennoch sorgt das Thema Fangewalt weiterhin für Gesprächsstoff. Was denken Sie, warum?

Fanaj: Fussball hat gesellschaftlich einen hohen Stellenwert. Es ist kein Sport wie jeder andere. Dabei ist Gewalt rund um Fussballspiele für die allermeisten Menschen ein grosses Ärgernis. Und auch die Medien spielen eine Rolle.

zentralplus: Inwiefern?

Fanaj: Das Ausmass der Berichterstattung erstaunt mich manchmal schon. Das Thema sorgt wohl auch für gute Klickzahlen.

zentralplus: Und Wählerstimmen. Fans werfen der Politik vor, das Thema zur Selbstprofilierung zu nutzen.

Fanaj: Das sehe ich anders. Politikerinnen und Politiker haben nun mal Themen, für die sie brennen. Dass sie dabei Klartext sprechen, ist legitim. Wenn aber politische Exponentinnen und Exponenten zu wissen glauben, dass dem Problem der Fangewalt simpel mit «Durchgreifen» oder «Dialog» beizukommen sei, werden sie der Komplexität der Problematik nicht gerecht. Es gibt keine Massnahme, die alles löst. Am Schluss braucht es einen Mix aus Prävention und Repression. Und: Man muss ständig dranbleiben.

FCL-Fans protestierten im Dezember beim Heimspiel gegen den FC Basel mit massenhaft schwarzem Rauch gegen Kollektivstrafen. (Bild: fcl.fan-fotos.ch)

zentralpus: Ende Februar sprachen Sie sich im Namen des Regierungsrats für das Kaskadenmodell aus. Die Swiss Football League (SFL), die Clubs, Fanarbeiten und Fans stehen diesem äusserst kritisch gegenüber.

Fanaj: Das Kaskadenmodell wird verschrien, obwohl es erst ab nächster Saison in Kraft tritt. Auch beim Kaskadenmodell gilt: Sollten die Behörden zum Schluss kommen, dass es nicht wirkt, werden wir die Massnahmen kritisch hinterfragen – und allenfalls Anpassungen vornehmen. Fakt ist: Die ersten zwei Stufen des Kaskadenmodells sind rein präventiv. Erst wenn es zu schweren Ausschreitungen kommt, folgen auf dritter Stufe Sektorsperren. Damit antwortet die KKJPD auf Gewalt, die nicht akzeptiert wird.

«Am Ursprung dieser Massnahmen stehen nicht wir – sondern gewalttätige Fans. Dass nun von einer Eskalation durch die Behörden gesprochen wird, kann ich nicht nachvollziehen.»

Ylfete Fanaj

zentralplus: Geschieht dies denn nicht schon im Rahmen der Einzeltäterverfolgung?

Fanaj: Das ist korrekt, die läuft parallel dazu. Ich bin froh, dass wir in dieser Saison auf Luzerner Boden keine Vorfälle hatten, die Stufe drei ausgelöst hätten. Denn die Umsetzung der Massnahmen ist für alle Beteiligten mit grossem Aufwand verbunden.

zentralplus: Besonders unbeliebt sind bei den Fans Kollektivstrafen wie Sektorsperren. Dass viele für die Taten von wenigen bestraft werden, sorgt für grossen Unmut. Fanarbeiter und Experten warnen vor der Solidarisierung und Radikalisierung eigentlich friedlicher Fans.

Fanaj: Hier kommt es fast schon zu einer Opfer-Täter-Umkehr. Am Ursprung dieser Massnahmen stehen nicht wir, sondern gewalttätige Fans. Dass nun von einer Eskalation durch die Behörden gesprochen wird, kann ich nicht nachvollziehen.

zentralplus: Während dieser Saison sprachen die Behörden immer wieder Sektorsperren aus. Diese wurden von den Fans aber in fast allen Fällen umgangen.

Fanaj: Mit dem fertig ausgearbeiteten Kaskadenmodell wird dies nicht mehr so einfach möglich sein. Zum einen wird der Vorverkauf im ganzen Stadion gestoppt, sobald eine Sektorsperre verhängt wurde. Zum anderen werden künftig nur noch Heimsektoren gesperrt.

zentralplus: Statistiken des Bundes belegen, dass die Fangewalt zuletzt abgenommen hat. Ein merkwürdiger Zeitpunkt, um neue repressive Massnahmen einzuführen.

Fanaj: Das Kaskadenmodell und weitere Projekte sind über einen längeren Zeitraum in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten entstanden. Die Liga ist nun ausgestiegen, ohne Lösungsansätze einzubringen, mit denen die Behörden auf schwere Ausschreitungen reagieren könnten. Den Status quo beizubehalten, aber für gravierende Vorfälle keine Antworten zu haben, ist keine Option. Wichtig ist, dass wir klare Spielregeln haben, die für alle gelten. Ich befürworte ein national koordiniertes Vorgehen.

Pyros werden in Schweizer Fussballstadien Woche für Woche gezündet – obschon sie verboten wären. Für viele Fans der Kurve gehören sie zum Matcherlebnis schlicht dazu. (Bild: fcl.fan-fotos.ch)

zentralplus: Dass es jede Woche brennt in den Stadien, scheint die Gemüter – anders als Ausschreitungen und Sachbeschädigung – kaum mehr zu bewegen. Die Universität Bern empfiehlt, das Abbrennen von Pyros und Feuerwerk nicht mehr als Akt der Gewalt zu definieren. Und KKJPD-Co-Präsidentin Karin Kayser-Frutschi zieht gar eine Legalisierung in Betracht. Wie stehen Sie zu Pyros im Stadion?

Fanaj: Pyros sind gefährlich. Sie brennen mit Temperaturen von über 1000 Grad. Abgebrannt werden sie meist inmitten der Kurve, wo es relativ eng ist. Sie bergen darum ein Gefahrenpotenzial.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Treffen mit der Luzerner Regierungsrätin Ylfete Fanaj
  • Bundesstatistik «Gesamtschweizerisches Lagebild Sport»
  • Podiumsdiskussion «Fangewalt an und um Sportveranstaltungen – wie weiter?»
1 Kommentar
Apple Store IconGoogle Play Store Icon