Kollektivstrafe: Polizei auf Schlingerkurs

Stadtpolizei St. Gallen relativiert Regeln für FCL-Fans

FCL-Fans in St. Gallen: Wie sie am Ostermontag in die Ostschweiz reisen, ist unklar. (Bild: fcl.fan-fotos.ch)

Fans des FC Luzern sind am Ostermontag beim Gastspiel gegen den FC St. Gallen nicht willkommen. Darum hat die St. Galler Stadtpolizei scharfe Auflagen zur Anreise erteilt. Und relativiert diese nun – wegen einer bisher unbekannten Sonderbewilligung.

Mit einer packenden Motivationsrede und wüsten Schmähgesängen gen Osten schickte die FCL-Fankurve Ardon Jashari und Co. nach dem letzten Heimspiel in die Länderspielpause. Dass den FC Luzern und den FC St. Gallen eine Rivalität mit Tradition verbindet, wird auch am Ostermontag hör- und spürbar sein (zentralplus berichtete).

Die Trainer der beiden Mannschaften möchten die Stimmung vor der emotionsgeladenen Affiche nicht weiter anheizen. «Für uns ist das Spiel gegen den FC Luzern genauso wichtig wie jedes andere», sagt FCSG-Trainer Peter Zeidler gegenüber zentralplus. Dies beteuert auch FCL-Trainer Mario Frick. Die Mannschaft sei sich der «speziellen Konstellation» auf den Rängen aber durchaus bewusst.

FCL-Trainer Mario Frick trifft am Ostermontag auf seinen Antipoden Peter Zeidler. (Bild: FC Luzern)

Kein Gästesektor, kein Extrazug

Weil es vor einem Jahr am Luzerner Bundesplatz vor dem FCL-Fanlokal Zone 5 zu Ausschreitungen zwischen den beiden Fanlagern und der Polizei kam, haben die Behörden für die laufende Saison Kollektivstrafen ausgesprochen. So bleiben die Gästesektoren auf Geheiss der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJDP) bei den Direktbegegnungen zwischen dem FC Luzern und dem FC St. Gallen geschlossen (zentralplus berichtete).

«Die Sicherheitsverantwortlichen des FC St. Gallen haben uns schriftlich bestätigt, dass wir mit dem Car anreisen dürfen.»

Hugo Ottiger, Pressesprecher der VFFC

Die Idee dahinter: Die Gästefans sollen zu Hause bleiben. Nur: Sämtliche Schweizer Fankurven stellen sich dezidiert gegen Kollektivstrafen. Und denken gar nicht erst daran, wegen einer Sektorsperre auf den Matchbesuch zu verzichten (zentralplus berichtete). So planen Hunderte FCL-Fans, am Montag in die Ostschweiz zu reisen, wie aus Fankreisen zu vernehmen ist.

FCL-Fans protestierten im Dezember beim Heimspiel gegen den FC Basel mit massenhaft Rauch gegen Kollektivstrafen. (Bild: fcl.fan-fotos.ch)

Zusätzlich zur Gästesektorsperre sollen weitere Massnahmen einen Luzerner Grossaufmarsch verhindern. So entfällt etwa der Extrazug, den die FCL-Fanorganisation USL jeweils organisiert. Für die St. Galler Stadtpolizei ein strategischer Nachteil. «Durch die individuelle Anreise kann es auf öffentlichem Grund zur Vermischung der beiden Fanlager kommen», gibt Dionys Widmer, stellvertretender Kommunikationsleiter der St. Galler Stadtpolizei, zu bedenken.

Erst verschärft die Polizei die Massnahmen

Weil die St. Galler Stadtpolizei den letzten Gastauftritt der FCL-Fans als «unzufriedenstellend» empfand (zentralplus berichtete), hat sie ihnen nun zusätzliche Auflagen erteilt. So sind am Montag Gruppenbildungen von mehr als zehn Personen verboten.

Die Stadtpolizei St. Gallen hat die Faninformation samt Zehn-Personen-Regel via FC Luzern und Fanarbeit den FCL-Fans zukommen lassen. (Bild: zvg)

Dabei stellt sich die Frage: Was tut die St. Galler Stadtpolizei, um die Zehn-Personen-Regel durchzusetzen? Im Fall der Vereinigten FCL-Fan-Clubs (VFFC) offenbar nichts.

Dann gibt es eine Sonderbewilligung für die VFFC

Denn gegenüber zentralplus erklärt VFFC-Pressesprecher Hugo Ottiger: «Die Sicherheitsverantwortlichen des FC St. Gallen haben uns schriftlich bestätigt, dass wir mit dem Car anreisen dürfen.» Angemeldet seien 26 Personen. Diese werde die Polizei, wie üblich, zum Stadion geleiten. Für Ottiger ist klar: «Die VFFC werden kooperieren.» Und, falls dies verlangt werde, in kleineren Grüppchen vom Car zum Stadion marschieren.

«Die Anreise liegt nicht in unserer Zuständigkeit.»

Dionys Widmer, stellvertretender Kommunikationsleiter der St. Galler Stadtpolizei

Doch auch für Ottiger ist schleierhaft, wie die St. Galler Stadtpolizei die Zehn-Personen-Regel umsetzen will. «Es besteht die Erwartung, dass die Fans die Regeln beachten», sagt Polizeisprecher Dionys Widmer. Und legt mit einer Drohung nach. Es sei im Interesse der FCL-Fans, sich an die Regeln zu halten. «Weil ansonsten weitere Massnahmen zu prüfen wären.»

«Anreise liegt nicht in unserer Zuständigkeit»

Doch wieso müssen sich einige FCL-Fans an die Regeln halten – und andere wiederum nicht? Die Antwort der St. Galler Stadtpolizei überrascht. «Die Anreise liegt nicht in unserer Zuständigkeit», erklärt Dionys Widmer.

Die FCL-Fans beim letzten Gastspiel in St. Gallen. Rechts von ihnen der leere, geperrte Gästektor. (Bild: Claudio Thoma/freshfocus)

Führt diese Erkenntnis zum Fall der Zehn-Personen-Regel? Denn zumindest zur Anreise heisst es nun seitens der St. Galler Stadtpolizei: «Wenn eine grössere Gruppierung mit dem Car oder Zug anreist, erwarten wir, dass sie sich vor Ort entsprechend der Faninformation verhält.»

Übersetzt heisst das: Anreise vogelwild, ab Ankunft in St. Gallen dann aber gefälligst der Zehn-Personen-Regel entsprechend.

Umstrittene Grundrechtseingriffe

Das ist kein Aprilscherz – was Verfechter des Rechtsstaats wiederum nicht witzig finden dürften. Ob Kollektivstrafen und Auflagen wie die Zehn-Personen-Regel überhaupt grundrechtskonform sind, ist umstritten. Mehrere Gerichte werden sich in den kommenden Monaten mit dieser Frage befassen. Auch in Zürich, wo der FCZ sich auf juristischem Weg gegen die Sperrung der Südkurve wehrt – und vor Bundesgericht einen Grundsatzentscheid erzwingen will.

Einen solchen Entscheid dürften die Richter aber frühestens im nächsten Jahr fällen. Bis dann, das hat die KKJPD jüngst verkündet, bleibt das auf Kollektivstrafen basierende Kaskadenmodell in Anwendung. Trotz breiten Widerstands aus Fankreisen, aber auch von der Swiss Football League (SFL) und den Super-League-Vereinen (zentralplus berichtete).

Zuständigkeitsbereich endet vor Stadion

Ein anderer Aspekt des Ostermontagsspiels ist die Situation im Stadion. Die St. Galler Stadtpolizei verzichtete auf Einschränkungen im Ticketvorverkauf – anders, als die Luzerner Polizei beim letzten Gastspiel des FCSG auf der Allmend (zentralplus berichtete).

Einerseits sei ohnehin nicht die Polizei, sondern der FC St. Gallen dafür verantwortlich, die Sicherheit im Stadion zu gewährleisten. So ist es auch der FC St. Gallen, der wegen der KKJPD-Gästesektorsperre verhindern muss, dass sich FCL-Fans Tickets für andere Sektoren besorgen. Denn eine allfällige Vermischung der Fanlager verkompliziert die Sicherheitslage erheblich.

Anderseits, so Polizeisprecher Widmer weiter, habe die Einschränkung des Ticketverkaufs in Luzern nicht dazu geführt, dass keine Fans des FCSG ins Stadion gelangten.

Wie viele Tickets haben sich die FCL-Fans gesichert?

Ein Selbstversuch zeigt: Als Luzerner kommt man ungehindert an Tickets für die Heimsektoren des FCSG heran. Beim Registrierungsprozess ist auch die Angabe einer falschen Adresse problemlos möglich.

Der Autor dieses Artikels wohnt nicht im Kybunpark, wo der FC St. Gallen seine Heimspiele austrägt. Im Ticketshop interessiert dies aber niemanden.

Weit schwieriger ist es, Informationen zur Stadionkapazität des Kybunparks zu erhalten. «Der FC St. Gallen gibt keine Auskünfte zu den Ticketzahlen und deren Sektorenbelegungen», ist alles, was zentralplus herausfinden konnte. Immerhin war dem Ticketshop zu entnehmen, dass die Sektoren B1–B3, allesamt hinter dem Tor und neben dem gesperrten Gästesektor, bereits seit zwei Wochen ausverkauft sind. Also seit dem letzten FCL-Heimspiel, als die Kurve nicht nur die Mannschaft auf das Spiel vom Ostermontag einschwor, sondern auch Hunderte Tickets in Umlauf brachte.

Saisonkartenbesitzer sitzen zwischen Luzernerinnen

Ob der FCSG seinen Fans mit Saisonkarten in den Sektoren B1–B3 anbietet, woanders zu sitzen, als dort, wo die FCL-Fans erwartungsgemäss stehen werden, ist unklar. In Luzern so üblich, wenn Gästefans anreisen, die erwartungsgemäss die Kapazität des Gästesektors sprengen (zentralplus berichtete). Doch gemäss einem betroffenen St. Galler Saisonkartenbesitzer tut dies der FCSG nicht. Auf Anfrage sei ihm lediglich die allgemeine Faninformation des Vereins zugeschickt worden, schreibt er im FCSG-Forum.

Wenn der FCSG in Luzern zu Gast ist, stehen die Fans aus der Ostschweiz meist auch neben dem Gästesektor. Saisonkartenbesitzerinnen können sich umplatzieren lassen, sollten sie den St. Gallern nicht zu nahe kommen wollen. (Bild: zvg)

Die entsprechende Faninformation liegt auch zentralplus vor. Darin steht etwa, dass die Schliessung des Gästesektors den FCSG vor Herausforderungen stelle. Man werde im Stadion Massnahmen ergreifen, könne aber keine Details preisgeben. Wilden Spekulationen zufolge soll neben dem geschlossenen Gästesektor ein neuer, improvisierter Gästesektor installiert werden. Eine Wende, die zum Ostermontag, 1. April, passen würde.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Hugo Ottiger, Pressesprecher der Vereinigten FCL-Fan-Clubs (VFFC)
  • Schriftlicher Austausch mit der Kommunikationsabteilung der St. Galler Stadtpolizei
  • Schriftlicher Austausch mit der Kommunikationsabteilung des FC St. Gallen
  • Faninformation der St. Galler Stadtpolizei
  • Faninformation des FC St. Gallen
  • Ticketshop des FC St. Gallen
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2 Kommentare
  • Profilfoto von hans ueli
    hans ueli, 01.04.2024, 11:05 Uhr

    Schade, vor 25 Jahren konnte man noch zusammen feiern. Heute ist die eine Partei doofer als die andere, und die Polizei scheint auch Freude daran zu haben (Routenwahl der Fanmärsche in Luzern).

    Da sind ein paar in St. Gallen und Luzern wohl richtig vom Weg abgekommen.

    Gruss aus St. Gallen

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  • Profilfoto von Remo
    Remo, 31.03.2024, 22:16 Uhr

    Spiel absagen! Nach dem Geschehen von gestern in luzern! Absagen und keine Punkte den Teams! Unglaublich!

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