Zuger Regierung und zentralplus vor Bundesgericht

Zug: Transparenz-Projekt wird Fall fürs Bundesgericht

Die Regierung des Kantons Zug kämpft am Bundesgericht dagegen, Sitzungsprotokolle öffentlich machen zu müssen. (Bild: Kanton Zug)

Seit über einem Jahr versucht zentralplus, an Hunderte Seiten interner Dokumente der Zuger Verwaltung zu kommen. Die Regierung sperrt, jetzt ist der Fall beim Bundesgericht. Zeit, ihn öffentlich zu machen.

«Früher bediente man sich der Folter. Heute bedient man sich der Presse. Das ist gewiss ein Fortschritt. Aber es ist auch ein grosses Übel; es schädigt und demoralisiert uns.»

Oscar Wilde war ein schlauer Mann mit Humor. Und mit dem irischen Literaten und Romantiker, dem obenstehendes Zitat zugerechnet wird, haben über die Jahre hinweg viele schlaue Menschen viele schlaue Dinge über Journalismus gesagt. Dass man sagen soll, was ist (Rudolf Augstein). Dass die Pressefreiheit für eine Demokratie ein zu hohes Gut sei, als dass sie irgendeine Seite beeinträchtigen sollte (Willy Brandt). Oder: «Es kann keinen objektiven Journalismus geben.»

Der Satz stammt aus einem Interview des «Standards» mit der deutschen Neurowissenschaftlerin Maren Urner. Mit ihren Aussagen zur unmöglichen Objektivität im Journalismus hat sie insbesondere in Deutschland eine Diskussion neu angefacht, die seit Jahren schwelt - und die auf der Annahme basiert, dass jeder redaktionellen Entscheidung eine Wertung zugrunde liegt; dass die Frage, ob ein Thema berichtenswert ist, schon subjektiv beantwortet wird. Dass also Objektivität im Journalismus von Anfang an nicht möglich ist.

Grundsatz: Recht auf Information

Die Haltung ist umstritten, dafür liegen die Vorzeichen für diesen Text umso klarer: Dieser Artikel ist nicht objektiv. Er kann es nicht sein. Denn er behandelt eine Auseinandersetzung, die seit über einem Jahr andauert, die Verwaltung und Justiz im Kanton Zug beschäftigt hat, die mittlerweile eine Sache fürs Bundesgericht ist. Und: in der zentralplus nicht neutraler Berichterstatter, sondern Partei ist.

Dennoch – und deshalb – berichten wir. Weil der Fall Urteile produziert hat, die ohnehin öffentlich werden. Weil er voraussichtlich für noch mehr Sorgen wird. Und weil er zu einem Grundsatzentscheid führen könnte, der womöglich die Arbeit Hunderter Journalisten in der Schweiz betrifft.

Vor allem aber berichten wir, weil die Öffentlichkeit ein Recht hat zu erfahren, wie ihre Regierung mit dem Ruf nach Transparenz umgeht und was sie höher gewichtet: das Recht auf Information oder eine Verwaltung, die nicht mit Arbeit belastet wird, die aus Sicht des Zuger Regierungsrats unnötig ist.

Immer wieder hilft das Öffentlichkeitsgesetz weiter

Worum geht es? Immer wieder konnten wir in Vergangenheit relevante Informationen veröffentlichen, die zentralplus Dank des Öffentlichkeitsprinzips über die Verwaltung erfuhr. Das Gesetz soll Transparenz über die Verwaltungstätigkeit garantieren und erklärt im Wesentlichen jedes amtliche Dokument für öffentlich. Es gibt Ausnahmen, im Kanton Zug fallen etwa die Klinik Zugersee oder das Zuger Kantonsspital nicht unter das Gesetz. Weiter können den Behörden den Zugang unter gewissen Voraussetzungen verwehren, etwa, wenn ein Dokument noch nicht fertig ist und daher nicht als amtlich gilt. Und: Wenn persönliche Daten wie Namen oder Adressen in einem Papier stehen, kann die Verwaltung diese schwärzen.

Dank des Öffentlichkeitsgesetzes haben wir aufgezeigt, dass der Verwaltungsrat der Zuger Gebäudeversicherung unrechtmässig Spesen bezog. Oder mit welcher Begründung die Regierung 1200 Franken Honorar aus der Staatskasse bezahlte für einen Anwalt, den sich Finanzdirektor Heinz Tännler genommen hatte, weil die Medien aus seiner Sicht rufschädigend berichtet hätten. Oder, dass Satiriker Michael Elsener über eine halbe Million Franken an Corona-Geldern erhielt (zentralplus berichtete hier, hier und hier).

Wir sind auch genügend oft gescheitert. So weigerte sich die Zuger Regierung, uns den E-Mail-Verkehr mit Vertretern der Firma Eurochem herauszugeben, als es darum ging, wie genau der Kontakt zwischen der Regierung, dem Konzern mit Verbindung zum Oligarchen Andrej Melnitschenko und der Zuger Kantonalbank vonstatten ging.

Und manchmal erregten wir auch über die Region hinweg ein wenig Aufsehen, etwa mit einem Artikel darüber, wie heimlich die Zuger Regierung die Geschäftsführung des ehemaligen Sicherheitsdirektors Beat Villiger untersuchen liess – wofür wir einen Preis erhielten.

Sitzungsprotokolle sollen ganz an die Öffentlichkeit

Diesen Text konnten wir aus einem einzigen Grund schreiben: Wir sahen die Protokolle jener Sitzungen ein, in denen die Regierung die überraschende Auszeit und den Rücktritt des damaligen Sicherheitsdirektors besprach. Spätestens damals erkannten wir, wie gute und wichtige Quellen diese Protokolle sind. Und wir kamen zum Entschluss: Diese Dokumente sind so wichtig, dass sie an die Öffentlichkeit gehören. Gesammelt, aufbereitet und durchsuchbar, sodass jede Zugerin und jeder Zuger erfahren hätte, worüber die Regierung ihres Kantons in ihren Sitzungen spricht. Und zwar regelmässig.

Zu diesem Zweck stellten wir ein Gesuch um Einsicht in sämtliche Sitzungsprotokolle der Zuger Regierung aus dem Jahr 2022. Gleichzeitig wollten wir 2023 wöchentlich das Protokoll der aktuellen Sitzung beantragen und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Wie genau das aussehen und wie die Sache technisch daher kommen wird, wissen wir bis heute nicht.

Denn bislang blieb es beim Wollen.

Regierung bewilligte Gesuch, dann lehnte sie es ab

Nachdem die Regierung unser Gesuch um Einsicht in alle Protokolle 2022 bewilligt hatte (und dafür 7300 Franken Kostenvorschuss verlangte, die wir nur leisten konnten, da wir Fördergelder des Vereins Investigativ.ch erhalten hatten), lehnte sie es nachträglich ab. Aufgrund einer «rechtlichen Neubeurteilung», wie uns die Regierung damals schrieb.

«Der Regierungsrat des Kantons Zug hat der Beschwerdeführerin Einsicht in die Protokolle der Sitzungen des Regierungsrats im Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022 zu gewähren.»

Aus dem Urteil des Zuger Verwaltungsgerichts

Im Kern argumentierte der Kanton, unser Gesuch sei zu wenig detailliert formuliert, weil wir nicht Protokolle zu bestimmten Themen, sondern alle Protokolle aus einem Jahr verlangten. Die Behörden fürchteten eine sogenannte «fishing expedition», bei der es einzig darum gehe, «aus einer Fülle von mehrheitlich unspezifischen amtlichen Dokumenten diejenigen Inhalte herauszufischen», die uns «spezifisch interessieren». Dies schrieb die Regierung im März 2023, als sie unser Gesuch nachträglich abwies – und uns so den Zugang zu 617 Seiten Sitzungsprotokollen verwehrte, für deren Bearbeitung sie 180 Stunden Aufwand veranschlagt hatte.

Zudem störte sich die Regierung am «abomässigen Charakter» jener drei Gesuche, die wir Anfang 2023 gestellt hatten, um die ersten Protokolle des Jahres zu verlangen. Deshalb sistierten die Behörden die Gesuche, bis Klarheit darüber bestand, ob wir Zugang bekommen.

Verwaltungsgericht gibt zentralplus Recht

Was folgte, war ein Verfahren am Zuger Verwaltungsgericht, das lange dauerte und uns kurz vor Weihnachten Freude machte: «Der Regierungsrat des Kantons Zug hat der Beschwerdeführerin Einsicht in die Protokolle der Sitzungen des Regierungsrats im Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022 zu gewähren», hielt das Gericht fest und sprach uns zusätzlich 3500 Franken Parteientschädigung zu – auch wenn unsere Anwaltskosten Stand jetzt deutlich über 10'000 Franken liegen.

Zusammengefasst sagte das Gericht zwei wichtige Dinge:

  • Eine Behörde kann ein Zugangsgesuch erst ablehnen, wenn der Aufwand für die Bearbeitung die Verwaltung praktisch lahmlegen würde. Indem die Verwaltung zentralplus die Protokolle in Aussicht gestellt und einen Kostenvorschuss verlangt habe, habe sie aber implizit «zum Ausdruck gebracht», dass sie den Aufwand auf sich nehmen würde, vom Gesuch also nicht vollends blockiert würde.
  • Ein Einsichtsgesuch muss lediglich so konkret bestimmt sein, dass die Behörde das verlangte Dokument ohne grössere Schwierigkeiten findet; egal, auch wenn es 617 Protokollseiten mit rund 1200 Regierungsgeschäften sind.

Punkt zwei begründet das Verwaltungsgericht mit Verweis auf das Bundesgericht, das bereits 2017 einen Fall aus Zug zu behandeln hatte: Damals hatte Stefan Thöni von der Piratenpartei 38 Sitzungsprotokolle des Gemeinderats Steinhausen mit über 500 Beschlüssen verlangt. Der Gemeinderat hatte gesperrt. Die Regierung hatte gesperrt. Das Verwaltungsgericht hatte gesperrt. Und gesagt, das Gesuch sei nicht hinreichend genau bestimmt.

Identisch wie der Fall Steinhausen – oder doch nicht?

In Lausanne sahen es die Richter anders, beurteilen das Gesuch als konkret genug und schickten das Geschäft zurück an den Gemeinderat Steinhausen – nachdem es das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben hatte.

«Es geht hier deshalb auch um die Grundsatzfrage, unter welchen Voraussetzungen ein umfangreiches Gesuch (...) als hinreichend genau formuliert gilt.»

Aus der Beschwerde des Zuger Regierungsrates ans Bundesgeircht

Fast sieben Jahre später schreibt das 2017 gerügte Verwaltungsgericht, die Fälle seien von der Ausgangslage her «praktisch identisch».

Und dennoch gibt die Regierung nicht auf, pocht stattdessen auf einen weiteren Grundsatzentscheid. Am 17. Januar dieses Jahres erhob sie Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts. Vor Bundesgericht beantragt die Regierung, das Urteil aufzuheben und unser Gesuch abzuweisen.

In der Beschwerde heisst es unter anderem, die Ausgangslage im Fall Steinhausen sei eine andere, da unser Gesuch seriellen Charakter habe und man davon augehen müsse, dass wir noch weitere umfangreiche Gesuche stellen würden, welche die Verwaltung tatsächlich lahmlegen könnten. «Es geht hier deshalb um die Grundsatzfrage», schreibt die Regierung, «unter welchen Voraussetzungen ein umfangreiches Gesuch (…) als hinreichend genau formuliert gilt.»

Zuger Regierung schweigt

Weiter sagt der Regierungsrat im Kern das gleiche, was er über weite Strecken des Verfahrens gesagt hatte: Das Gesuch sei eine Anfrage aufs Geratewohl. Und die Auslegung, wonach es reicht, ein Dokument zu benennen, verkenne den Sinn und Zweck des Öffentlichkeitsgesetzes, mit dem sich die Bürger über konkrete Themen informieren können sollen. Mit anderen Worten sagt die Regierung also genau eines: Wir wollen nicht.

Ob sie muss, wird sich zeigen. Auf Anfrage äussert sich die Regierung nicht weiter zum Fall. Das tue man bei hängigen Gerichtsverfahren grundsätzlich nicht, schreibt Frau Landammann Silvia Thalmann-Gut.

Derweil hat zentralplus Zeit bis zum 15. Februar, um eine Stellungnahme auf die Beschwerde einzugeben. Das werden wir tun. Damit wir Transparenz schaffen können, wo die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf hat. Damit wir sagen können, was ist. Und das dann auch wieder so objektiv, wie es nur geht.

Verwendete Quellen
  • Zitatsammlung zu Oscar Wilde, Rudolf Augstein und Willy Brandt
  • Artikel im «Standard»
  • Medienarchiv von zentralplus
  • Unterlagen aus dem Verfahren mit der Zuger Regierung, darunter das Urteil V 2023 38 des Zuger Verwaltungsgerichts
  • Schriftlicher Austausch mit Silvia Thalmann-Gut
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6 Kommentare
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    Hans Peter Roth, 06.02.2024, 00:28 Uhr

    Der bürgerliche Zuger Regierungsrat ist offensichtlich kein Freund von Transparenz, was vom Hüter eines Crypto Valleys auch nicht anders zu erwarten ist. Wenn man zusätzlich seine kürzliche Stellungnahme zur bundesrätlich vorgeschlagenen Reduktion der Serafe-Gebühr in Betracht zieht, wo er eine möglichst rasche Umsetzung fordert, muss man zwangsläufig den Eindruck erhalten, dass die Regierung eine erschreckend autoritäre Schlagseite hat, die für die Zukunft nichts Gutes erahnen lässt. Die Sabotage am öffentlichen Rundfunk und Fernsehen, der Niedergang der Medienvielfalt und die Erstickung des Investigativjournalismus öffnen Tor und Tür für die Manipulation der öffentlichen Meinung durch Propagandainstrumente im Stile von Fox News. Wohin diese autoritäre Entwicklung führt, können wir zeitnah in etlichen andern Ländern verfolgen.

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    Yannick Hagmann, 05.02.2024, 13:21 Uhr

    Die Mühe der Zuger Regierung mit dem Öffentlichkeitsprinzip korreliert stark mit der Anzahl an dubiosen Briefkästen im Kanton.

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    Koni, 05.02.2024, 13:00 Uhr

    Vielen Dank für eure Hartnäckigkeit! Nur alleine der Begriff der Verhinderungstaktik kommt schon sehr objektiv daher. Wer wird schon gerne getadelt?

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    Kasimir Pfyffer, 05.02.2024, 10:44 Uhr

    Unbedingt dranbleiben! Wir möchten genauer wissen, was im Waschsalon der internationalen Finanz-, Krypto- und Rohstofflobby abgeht.

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    Sven Meier, 05.02.2024, 08:42 Uhr

    Die Zuger Regierung bietet Transparenz nur auf dem Papier. Danke, dass zentralplus hier auf den Watchdog spielt, wenigstens ein Medium aus der Region, das dieser Aufgabe nachkommt.

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    Remo, 05.02.2024, 06:58 Uhr

    Spannend. Da gibt es somit sicher ganz interessante Sachen zu erfahren. Ansonsten würde zug nicht so viel geld und zeit für das nicht herausgeben ausgeben. Bleibt dran, das lohnt sich.

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