Neues Meldetool zeigt Auswirkungen in Luzern

An diesen Orten werden Frauen am meisten belästigt

Seit drei Monaten können Luzernerinnen mittels Meldetool Belästigungen melden. (Bild: Unsplash/Geronimo Giqueaux)

Ein Grapscher am Po, unangenehmes Anstarren oder deplatzierte Sprüche: Viele Luzernerinnen wurden schon belästigt. Das Ausmass zeigt nun das neue Meldetool der Stadt Luzern.

«Schreib mir, wenn du zu Hause bist»: Eine Nachricht, welche die meisten Frauen wohl in ihren Chatverläufen finden. Nachrichten, von Freunden, die besorgt sind. Weil man sich als Frau nachts, auf der Strasse, einfach nicht sicher fühlt. Weil man als Frau dunkle Gassen meidet, den Schlüssel verkrampft zwischen den Fingern hält – und sich immer wieder mit einem Blick nach hinten versichert, dass einem niemand folgt (zentralplus berichtete).

Dass solche Ängste nicht immer unbegründet sind, zeigen Zahlen zu sexueller Belästigung. Auch die Stadt Luzern will genauer hinschauen – und lancierte zu diesem Zweck Anfang Jahr das Online-Meldetool «Luzern schaut hin». Auf diesem kann die Luzerner Bevölkerung sexistische und queerfeindliche Belästigungen im öffentlichen Raum anonym und unkompliziert melden.

Das Instrument geht auf einen politischen Vorstoss der früheren SP-Grossstadträtin Maria Pilotto, die mittlerweile im Kantonsrat sitzt, zurück (zentralplus berichtete).

Luzernerinnen meldeten 140 Belästigungen

Der Auswertungsbericht der Stadt Luzern, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, zeigt: Das Meldetool wird rege genutzt (zentralplus berichtete).

Seit Ende Januar ist das Meldetool «Luzern schaut hin» im Einsatz – alleine in den ersten sechs Tagen gingen 56 Meldungen ein. In der gesamten dreimonatigen Laufzeit sind es 140 Belästigungen, die Luzernerinnen gemeldet haben. Am meisten stehen Frauen dahinter, sie machen 60 Prozent aller Meldungen aus. Ein Viertel war männlich, vereinzelt haben auch nonbinäre Personen Vorfälle gemeldet.

Auswertung zeigt: Frauen werden belästigt, Männer belästigen

Auf dem Meldetool kann man sowohl selbst erlebte als auch beobachtete Belästigungen melden. Erstere machen rund 80 Prozent aus. «Frauen melden jedoch sehr viel mehr selbst erlebte Belästigungen als Männer», führt die Stadt aus.

In den meisten Vorfällen steht gemäss der Auswertung ein Mann hinter der Belästigung: In 82 Prozent aller gemeldeten Fälle ging die Belästigung von mindestens einem Mann aus. In zehn Prozent belästigte mindestens eine Frau.

Öffentliche Plätze, Züge und Busse

Die Stadt hat auch Daten dazu gesammelt, an welchen Orten solche Vorfälle insbesondere geschehen.

Am meisten werden Frauen auf öffentlichen Plätzen belästigt. Insbesondere im öffentlichen Verkehr bleiben viele von verbalen Belästigungen, Betatschen oder Anstarren nicht verschont: In Zügen und Bussen wurden am zweithäufigsten Vorfälle geschildert. Am dritthäufigsten passieren Belästigungen auf der Strasse – viele Frauen haben wohl schon Erfahrungen mit Catcalling gemacht: dass Männer ihnen hinterherpfeifen, johlen oder brüllen.

Auch im Ausgang muss man mit Belästigungen rechnen (zentralplus berichtete). 7 Prozent aller Belästigungen geschahen in einem Club oder in einer Bar. Etwa gleich häufig wurden Betroffene am Arbeitsplatz belästigt.

Mit dem Instrument ist es auch möglich, einen konkreten Ort anzugeben. Hier wurden besonders oft stark frequentierte Orte wie der Bahnhof genannt.

Im Vorfeld interessierte insbesondere auch die Frage, wie oft Fasnächtlerinnen in Luzern sexuell belästigt werden (zentralplus berichtete). Die Auswertung zeigt, dass seit dem Schmutzigen Donnerstag zehn Vorfälle gemeldet wurden, die auf eine Belästigung während der Fasnacht schliessen lassen. Bei sechs Meldungen wird explizit auf die Fasnacht verwiesen.

Catcalling, Anstarren und ungewollte Berührungen

Am meisten melden Luzernerinnen Belästigungen mit Worten, ungewollte Berührungen und Anstarren. Seltener geht es gemäss Angaben der Stadt um Verfolgen, physische Angriffe oder Exhibitionismus.

46 Prozent der Meldungen zielen auf das Geschlecht ab, wobei Frauen am häufigsten betroffen sind. In rund 20 Prozent der Fälle können die Meldenden nicht genau benennen, worauf die Belästigung abzielte.

Als Motiv der Belästigungen werden weiter die sexuelle Orientierung (7 Prozent), Herkunft, Gewicht/Grösse und Hautfarbe genannt.

Entgegen der Annahme, dass insbesondere abends Belästigungen stattfinden, zeigen die Daten der Stadt: Betroffene werden häufig unter der Woche und tagsüber belästigt.

Diese Massnahmen trifft die Stadt

Für die Stadt ist klar: Die relativ hohe Anzahl an Meldungen zeigt, dass es einem Bedürfnis entspricht, Vorfälle zu melden. «Zudem verdeutlichen die Zahlen, dass Belästigungen für viele Einwohnerinnen und Einwohner von Luzern sowie anderer Städte eine bedauerliche Realität sind.»

Die Stadt will aus den Daten konkrete Massnahmen ableiten, um die Stadt sicherer zu machen. Doch dafür braucht es mehr als blosse Worte. Gemäss der Stadt braucht es vor allem Massnahmen im öffentlichen Raum, beispielsweise auf Strassen und Plätzen und im öffentlichen Verkehr.

Die Stadt schreibt, sie suche die Zusammenarbeit mit der städtischen SIP, die eine Art Brückenfunktion zwischen sozialer Arbeit und Ordnungsdiensten innehat, der Polizei und den Transportbetrieben. Auch mit den VBL sei man im Austausch. Auch möchte die Stadt mit einzelnen Bars und Clubs stärker zusammenspannen. Welche Massnahmen sich daraus ergeben, ist noch nicht klar.

Weiter möchte die Stadt wieder mit einer Kampagne auf das Thema und das Meldetool aufmerksam machen. Denn die Zahlen der gemeldeten Belästigungen zeigen, dass die meisten das Meldetool im Januar und Februar nutzten – während die Kampagne in der Stadt sichtbar war. So dürften etwa viele in den VBL-Bussen die Plakate «Luzern toleriert keinen Sexismus und keine Queerfeindlichkeit» entdeckt haben. Im März und April gingen nur noch vereinzelte Meldungen ein. Deswegen soll in den kommenden Tagen eine zweite Kampagnenwelle starten.

Dies reicht wohl kaum, um Belästigungen einzudämmen. Dem ist sich auch die Stadt bewusst. So schreiben Lena Greber und Anskar Roth, die gemeinsam die Fachstelle Gleichstellung leiten, auf Anfrage, dass Belästigungen dank des Tools sichtbar gemacht und thematisiert werden können. Es gehe darum, Luzerner zum Thema zu sensibilisieren. Bis zur eigentlichen «Verbannung» brauche es weitere Aufklärungsarbeit. «Dieses ultimative Ziel wird voraussichtlich nur in mehreren Schritten und als Endpunkt eines gesamtgesellschaftlichen Prozess zu erreichen sein.»

Verwendete Quellen
  • Medienmitteilung der Stadt Luzern
  • Auswertungsbericht der Stadt Luzern
  • Online-Meldetool «Luzern schaut hin»
  • Schriftlicher Austausch mit Lena Greber und Anskar Roth, Co-Leitung Fachstelle Gleichstellung
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