Stadtrat prüft Online-Meldetool für Belästigung

Sexuelle Belästigung: Stadt Luzern will genauer hinschauen

Der Stadt Luzern und der Luzerner Polizei sind keine Hotspots bekannt, an denen vermehrt sexuelle Delikte vorkommen. (Bild: Adobe Stock)

Sprüche, Schmatzgeräusche, ein Grapscher: Sexuelle Belästigung gehört zum Alltag vieler Menschen. Die Stadt Luzern will dagegen vorgehen. Zur Diskussion steht ein Online-Tool, mit dem Betroffene Belästigungsvorfälle einfach und anonym registrieren können. Zürich hat bereits Erfahrung damit.

Der Fall sorgte in Luzern für einen Schock – und löste eine Welle der Verunsicherung aus: Vor fünf Monaten hat ein unbekannter Mann in der Luzerner Neustadt eine 35-jährige Frau vergewaltigt (zentralplus berichtete).

Grüne-Grossstadträtin Selina Frey wollte in einer Interpellation wissen, ob der Stadtverwaltung Hotspots von Vergewaltigungen bekannt sind und welche Massnahmen die Stadt ergriffen beziehungsweise geplant hat, um Vergewaltigungen im öffentlichen Raum zu minimieren (zentralplus berichtete).

Nun liegt die Antwort des Stadtrates vor. «Der Stadt Luzern und der Luzerner Polizei sind keine Hotspots bekannt, an denen vermehrt sexuelle Delikte vorkommen», schreibt der Stadtrat. Da die meisten Vergewaltigungen im privaten Umfeld stattfinden, führe die Polizei keine Statistik über die Orte.

Sexuelle Gewalt wird in der Stadt Luzern «nur selektiv verfolgt»

2020 wurden gemäss der Kriminalstatistik der Luzerner Polizei insgesamt 203 Straftaten gegen die sexuelle Integrität registriert. Das ist eine Zunahme um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Trotz gestiegener Aufklärungsrate bei der Straftat sexuelle Belästigung blieben immer noch über 34 Prozent der Fälle ungeklärt. Aus polizeilicher Sicht gebe es aktuell noch keine Erklärung, wieso im Kanton Luzern ein Anstieg dieser Delikte zu verzeichnen ist. Wie der Stadtrat ausführt, werde das Thema der sexuellen oder sexistischen Gewalt bis jetzt in der Stadt «nur selektiv verfolgt».

Das könnte sich womöglich bald ändern. Der Luzerner Stadtrat musste sich nämlich in einem zweiten Vorstoss von SP-Grossstadträtin Maria Pilotto mit Sexismus befassen. Im Postulat forderte Pilotto den Stadtrat auf, zu prüfen, inwiefern sich das Projekt «Zürich schaut hin» auf Luzern übertragen lässt.

Zürich: Online-Meldetool für sexuelle Belästigung

Seit Mai 2021 schaut die Stadt Zürich in Sachen sexuelle Belästigung nämlich genauer hin. Damals lancierte die Stadt im Rahmen eines Projektes ein Online-Meldetool gegen sexuelle Gewalt. Anonym und unkompliziert können Menschen auf diesem Tool angeben, falls sie selbst sexuell belästigt wurden – oder einen solchen Vorfall beobachtet haben.

«Belästigungserfahrungen sind kein privates Problem, sondern gehen uns alle an.»

Corine Mauch, Stadtpräsidentin Zürich

Das Tool schlug ein wie eine Bombe: Seit Mai 2021 wurden bis jetzt 997 Übergriffe gemeldet. Das sind knapp vier Meldungen täglich, wie aus einer kürzlich veröffentlichten Auswertung hervorgeht. Die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) sagte: «Das Meldetool entspricht einem Bedürfnis. Belästigungserfahrungen sind kein privates Problem, sondern gehen uns alle an.»

Die Stadt Zürich zog nach acht Monaten eine positive Bilanz. Denn in der Statistik schlägt sich nieder, wie oft Menschen im Alltag belästigt werden, was sich sonst kaum in einer Statistik niederschlägt.

«In erster Linie werden Belästigungen gemeldet, die bis heute oft als ‹Banalitäten› oder scheinbare ‹Normalitäten› angesehen werden», schreibt die Stadt Zürich. Und weiter: «Gerade bei Belästigungen mit Worten ist es oftmals schwierig, wo die Grenze zwischen strafrechtlicher Relevanz und dummem Spruch zu ziehen ist.»

Menschen haben das Bedürfnis, über sexuelle Belästigung zu erzählen

Die Auswertung zeigte, dass jede vierte Person das freie Textfeld nutzt, um das Erlebte wiederzugeben. Es scheint also ein Bedürfnis zu sein, den erlebten Fall genauer zu schildern und die gemachten Erfahrungen zu teilen.

Hier ein paar Beispiele:

  • «Ein Typ um die 40, 45, der einer ca. 16-jährigen jungen Frau, die auf den Bus wartete, immer wieder direkt auf den Po und die Brüste glotzte, sie quasi mit Blicken auszog, und sich dabei die Lippen leckte.»
  • «Ich wurde ungewollt im Schritt betatscht. Es war so grusig.»
  • «4er-Abteil 2er oder 4er Tram: Älterer Mann rückt beim Sitzen junger Frau ca. 16 unanständig nahe und legt irgendwann seine Hand auf ihr Bein - ich schaue irritiert. Die "Schülerin" reagiert nicht gross ...Ich sage (sinngemäss) was das soll, was ihm einfalle.»

In den meisten Fällen war der Täter ein Mann

Die meisten Fälle betrafen verbale sexuelle Belästigung. Also beispielsweise Schmatzgeräusche, die Frage, «wie viel man koste» oder ein «Ich will dich ficken». Gefolgt von ungewollten Berührungen und Anstarren. In 83 Prozent der Fälle, bei denen das Geschlecht genannt wurde, handelte es sich um männliche Täter.

Auf dem Tool können sich aber auch Menschen melden, die einen solchen Vorfall beobachtet haben. Und das sind eindeutig mehr Männer: Jeder vierte Fall wurde von einer Drittperson registriert. In 71 Prozent von Männern.

Im Rahmen des Zürcher Projekts geschahen die gemeldeten Belästigungen vor allem auf der Strasse und im öffentlichen Verkehr. Vor der Corona-Pandemie ereigneten sich die Taten laut Studie vor allem in Nachtclubs und in Bars sowie an Festen und Festivals.

Vielleicht gibt's das Meldetool bald schon für Luzern

Nun will also auch die Stadt Luzern genauer hinschauen. «Das Thema der sexuellen Belästigungen im öffentlichen Raum und im Bereich des Nachtlebens wurde bis jetzt in der Stadt Luzern nur selektiv verfolgt», schreibt der Stadtrat in seiner Stellungnahme auf den Vorstoss Pilottos. «Ein besonderes Augenmerk auf homo-, bi- oder pansexuellen Menschen fehlt bisher.»

Zum einen fehlen Statistiken der Luzerner Polizei, zum anderen klare Aussagen und Beobachtungen von Organisationen, wie zum Beispiel von der SIP.

Durch das Meldetool nach Zürcher Vorbild könnten Vorkommnisse quantitativ, qualitativ und bezogen auf den Ort erfasst werden, erhofft sich der Luzerner Stadtrat. Gestützt auf die daraus gewonnenen Erkenntnisse könnten zielführende Massnahmen in der Prävention und Intervention geplant werden.

Ob das Stadtparlament diesen Weg unterstützt, wird sich an der Sitzung vom 17. März zeigen.

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