Onlinemeldetool «Luzern schaut hin»

Sexuelle Belästigung an Fasnacht: Stadt hält sich bedeckt

Im dichten Gedränge grabscht es sich besonders unbemerkt. Doch wie oft passieren solche Übergriffe an der Fasnacht in Luzern? (Bild: chb)

Die Stadt Luzern erhoffte sich vom Ende Januar lancierten Onlinemeldetool «Luzern schaut hin» auch Erkenntnisse zu sexueller Belästigung während der Fasnacht. Doch vorerst möchte die Stadt die Zahlen nicht kommentieren.

Mehr als 90 Belästigungen haben Privatpersonen auf der Plattform «Luzern schaut hin» online gemeldet. Fast 60 davon in der ersten Woche nach der Lancierung – was beinahe 10 Meldungen pro Tag entspricht. Für Lena Greber keine Überraschung. Die Co-Leiterin der Stadtluzerner Fachstelle für Gleichstellung prognostizierte schon bei der Präsentation des Tools an der Pressekonferenz Ende Januar, dass die Zahlen anfänglich wohl eher hoch sein würden. Höher als in Bern und Zürich, wo das Tool schon länger online ist und die Anzahl Meldungen sich zwischen zwei und zweieinhalb pro Tag eingependelt hat.

Auf «Luzern schaut hin» sind seit Anfang Februar, also in der zweiten und dritten Woche, gut 30 weitere Meldungen hinzugekommen. Die Kurve flachte also schon nach wenigen Tagen wieder ab. Obwohl im besagten Zeitraum mit der Fasnacht ein beispielloser Grossanlass über die Bühne ging. Fast 300’000 Besucherinnen sollen in der Stadt gefeiert haben, bilanzierte die Luzerner Polizei (zentralplus berichtete).

Polizei will Meldetool nutzen

Dabei kam es zu 20 Festnahmen. Wegen Streitigkeiten etwa oder wegen Trunkenheit. Mediensprecher Christian Bertschi präzisiert gegenüber zentralplus, dass es – wie schon im Vorjahr – zu keinen Anzeigen wegen sexueller oder queerfeindlicher Übergriffe gekommen sei.

Auch die Diskrepanz zwischen der Anzahl Meldungen im Onlinetool und der Anzeigen bei der Polizei kommt nicht unerwartet. Greber erklärte Ende Januar bei der Lancierung: «Strafrechtlich relevant sind die erfassten Belästigungen selten. Darum werden diese auch kaum der Polizei gemeldet und zur Anzeige gebracht.»

Das Onlinemeldetool «Luzern schaut hin» ermöglicht das Erfassen von Vorfällen sexueller Belästigung – ohne, dass diese strafrechtlich relevant sein müssen. (Bild: Screenshot der Webseite luzernschauthin.ch)

Für die Polizei könnte «Luzern schaut hin» dennoch von Nutzen sein, sagt Bertschi. «Sachdienliche Hinweise aus dem Meldetool können in die Ermittlungen oder in die polizeiliche Präsenz im öffentlichen Raum einfliessen.» Doch damit Ermittlungen gestartet würden, benötige die Polizei Anzeigen.

Stadt Luzern nimmt keine Stellung zu Zahlen

Die seit der Lancierung eingegangene Anzahl Meldungen auf «Luzern schaut hin» möchte Lena Greber erst im Mai kommentieren – mit den dann vorliegenden Daten der ersten drei Monate. «Durch die Analyse eines etwas längeren Zeitraums sind die Zahlen repräsentativer», begründet Greber.

Hingegen nimmt sie Stellung zu Vorwürfen und Befürchtungen der zentralplus-Leserschaft. In den Kommentarspalten äusserten sich diverse Leserinnen kritisch gegenüber dem neuen Onlinemeldetool (zentralplus berichtete). «Luzern schaut hin» sei ein Onlinepranger, eine Plattform zur Streuung falscher Gerüchte und irreführender Falschangaben.

«Es gibt auf der Seite Frauen, die aus unterschiedlichen Motiven ganz bewusst andere verleumden und falsche Gerüchte streuen.»

zentralplus-Leser

Greber betont: «Das Meldetool ist absolut anonym. Allfällige Kommentare in den Freitextfeldern sind nicht öffentlich einsehbar.» Aus diesem Grund könne das Tool nicht dazu genutzt werden, Mitmenschen «an den Pranger» zu stellen oder «falsche Gerüchte» zu streuen. «Zur Hypothese der Falschangaben können wir im Zuge der Datenauswertung im Mai mehr sagen», schliesst Greber.

«Wissen nicht, was im öffentlichen Raum passiert»

Christian Wandeler, Sicherheitsmanager der Stadt Luzern, sagte bei der Präsentation von «Luzern schaut hin»: «Wir wissen nicht, was im öffentlichen Raum passiert.» Was zeigt, dass Daten zu sexueller Belästigung in Luzern Mangelware sind.

Die Stadt steht damit aber nicht alleine da. In einer Studie aus dem Jahr 2022 kam das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) zusammen mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft SECO zum ernüchternden Schluss, repräsentative Studien zu sexueller Belästigung gebe es in der Schweiz bislang nicht.

Darum sind die Zahlen an der Fasnacht nicht explodiert

In Zürich, wo mit «Zürich schaut hin» bereits seit Mai 2021 Daten gesammelt werden, gibt es immerhin eine Auswertung der Zahlen bis Ende 2022. Ein Fazit der Studie: Die meistgenannten Belästigungen seien Belästigungen mit Worten und ereigneten sich tagsüber auf der Strasse oder im ÖV.

Die naheliegende Vermutung, dass sich die Belästigungen im Ausgang, im dichten Gedränge eines Stadtfests oder eben an der Fasnacht häufen könnten, lässt sich anhand der Zahlen also nicht wirklich bestätigen.

Doch Kurt Graf, ehemaliger Mediensprecher der Luzerner Polizei, hatte dafür schon vor Jahren eine plausible Erklärung. «Die Toleranz ist an der Fasnacht wohl allgemein höher», sagte er im Nachgang der Fasnacht 2016 (zentralplus berichtete). Eine Hand auf dem Hintern werde da noch eher mal toleriert. Gleichzeitig sei im fasnächtlichen Treiben auch die Hemmschwelle tiefer.

Verwendete Quellen
  • Website «Luzern schaut hin»
  • Studie des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) sowie des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO
  • Studie der Stadt Zürich zu «Zürich schaut hin»
  • Schriftlicher Austausch mit Lena Greber, Co-Leiterin der Stadtluzerner Fachstelle für Gleichstellung
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9 Kommentare
  • Profilfoto von Hanspeter Flueckiger
    Hanspeter Flueckiger, 20.02.2024, 10:12 Uhr

    Ein Augenschein am "Rüüdige Samschtig" vor Ort zeigt, wie inbrünstig sich die balzwütigen Ballermann-Fetischisten auf jedes weibliche Wesen stürzen. Noch Fragen? Wohl kaum.

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  • Profilfoto von Böög
    Böög, 18.02.2024, 08:37 Uhr

    Es ist problematisch, dass Greber suggeriert, es gebe ein grosses Spektrum an Belästigungen, die nicht strafrechtlich relevant seien! Statt unnützer Meldetools braucht es Ermutigung zur Anzeigestellung und Zivilcourage. Das Tool und die Aussagen Grebers bewirken das Gegenteil. Hier der Gesetzestext zur sexuellen Belästigung:

    Wer vor jemandem, der dies nicht erwartet, eine sexuelle Handlung vornimmt und dadurch Ärgernis erregt,

    wer jemanden tätlich oder in grober Weise durch Worte sexuell belästigt,

    wird, auf Antrag, mit Busse bestraft.

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    • Profilfoto von Yannick Hagmann
      Yannick Hagmann, 18.02.2024, 12:25 Uhr

      Das sehen Sie richtig. Gemäss dem rechtstaatlichen Legalitätsprinzip hat sich der Staat aus dem moralisch-sittlichen Verhalten seiner Bürger per Definition heraus zu halten, die Schwelle liegt bei ausdrücklich bei strafbarem Verhalten. Die Definitionshoheit über angebliche Belästigungen liegt klar nicht bei der Luzerner Stadtexekutive. Wir sind nicht im Iran.

      Strafverschärfend kommt noch hinzu, dass der Stadtrat offenkundig ohne jede gesetzliche Grundlage aus rein ideologischen Motiven handelt und Steuergelder verschleudert.

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      • Profilfoto von Setzen, sechs!
        Setzen, sechs!, 18.02.2024, 15:54 Uhr

        Der Stadtrat würde wohl aus Gründen des Zeitgeistes mit einem "Aufstand der Anständigen" argumentieren. Recht und Gesetz stehen dieser ideologisch geprägten Sichtweise wohl allzu oft – nämlich als universelles Prinzip statt selektiver Auslegung – störend im Weg.

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        • Profilfoto von Yannick Hagmann
          Yannick Hagmann, 18.02.2024, 16:32 Uhr

          Eine solche Argumentation wäre populistisch. Der Stadtrat darf nur das tun, was demokratisch so beschlossen wurde. Alles andere verletzt das öffentliche Interesse und könnte eine ungetreue Amtsführung darstellen.

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  • Profilfoto von Roli Greter
    Roli Greter, 17.02.2024, 17:45 Uhr

    Gute Sache, ich habe soeben gleich zwei Meldungen gemacht. Schade dass man anonym bleibt, das lädt ein irgendwas zu schreiben (was ich selbstverständlich niemals tun würde).

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  • Profilfoto von Yannick Hagmann
    Yannick Hagmann, 17.02.2024, 11:09 Uhr

    «Zur Hypothese der Falschangaben können wir im Zuge der Datenauswertung im Mai mehr sagen».

    Da jeder ungeprüft eine Meldung aufgeben kann, die Daten über angeblich erfolgte Belästigungen also gar nicht repräsentativ erhoben werden, ist das keine Hypothese. Eine sytematisch fehlerhafte Datenerhebung wird auch durch einen längeren Erhebungszeitraum nicht repräsentativer, wie Frau Greber behauptet. Vorliegend lässt sich bloss eine Korrelation zwischen medialer Berichterstattung und Toolnutzung ausmachen.

    Auch nicht öffentliche Kommentare in Freitextfeldern werden von Beamten zur Kenntnis genommen und können den Weg zu anderen Behörden oder in die Öffentlichkeit und finden.

    Was im Artikel fehlt, ist die einschlägige Rechtsgrundlage der Stadt Luzern für ihre Steuergeldverschwendung.

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    • Profilfoto von Joseph de Mol
      Joseph de Mol, 17.02.2024, 14:34 Uhr

      Ideologisch unterfütterte Selbstermächtigung der Behörden ausserhalb eines dafür allgemeingültig vorgesehen rechtlichen, kodifizierten Rahmens! Unfassbar problematisch. Warum wird gerade hier ein denunziatorisches Meldetool aus der Taufe gehoben und nicht auch anderswo, wo offensichtlicher Bedarf bestünde? Warum dieser Fokus? Warum gerade hier? Wo doch gerade diese Peer-group de jure sogar noch von spezifischen Minderheitenrechten profitiert und unter speziellem Schutz steht.
      Interessant wäre, was passiert, wenn jemand vor Verwaltungsgericht dagegen klagen würde!

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      • Profilfoto von Yannick Hagmann
        Yannick Hagmann, 17.02.2024, 17:37 Uhr

        Bedenken Sie doch: Die Idee, die der rote Luzerner Stadtpräsident Züsli da umsetzt, stammt aus der Feder der JUSO. Nicht er ist der Architekt!

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