Luzerner Gynäkologe über Mythen im Faktencheck

Geschlechtskrankheiten: Sorry, ein Gummi reicht nicht

Das Gummi schützt – die Frage ist nur, wie sehr. (Bild: Symbolbild: Dainis Graveris/Unsplash)

Wer Sex mit Kondom hat, kann sich keine Geschlechtskrankheiten einfangen? Mitnichten! zentralplus hat den Luzerner Gynäkologen Andreas Günthert mit gängigen Mythen konfrontiert.

«Bim Siitesprung im Minimum
ä Gummi drum»

sang Polo Hofer 1981 in seinem «Stop Aids (Dr Gummi Song)». Ein Gummi schützt – vor allen Geschlechtskrankheiten. Oder doch nicht?

Seit Jahren kursieren Mythen rund um sexuell übertragbare Infektionen (Sexually Transmitted Infections, kurz STI). Auch in den Kommentarspalten von zentralplus sind diese zu finden. So äusserten einige Unmut darüber, dass der Luzerner Stadtrat für alle unter 25 Jahren und finanziell schlechtergestellte Menschen Gratistests für STI anbieten möchte (zentralplus berichtete). Der Grosse Stadtrat hat ein entsprechendes Postulat Ende Dezember 2023 überwiesen.

So schrieb Leser Baldo: «Na ja, so muss die Allgemeinheit für rücksichtslose, egoistische Dödels zahlen, nur weil diese […] zu faul und zu egoistisch sind, eine Lümmeltüte zu benutzen.»

Doch Polo Hofers «Im Minimum en Gummi drum» reicht eben nicht, um gänzlich vor STI verschont zu bleiben. zentralplus hat Andreas Günthert mit sieben gängigen Mythen rund um Geschlechtskrankheiten konfrontiert. Günthert ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe am Gyn-Zentrum in Luzern und Cham.

1. Das Kondom schützt zu 100 Prozent vor allen sexuell übertragbaren Infektionen.

Das stimmt nicht. Kondome mindern das Risiko gewaltig, können aber keinen hundertprozentigen Schutz bieten. «Wir gehen davon aus, dass Kondome bis zu 60 Prozent vor sexuell übertragbaren Infektionen schützen», so Günthert. Bei Hepatitis B und C sowie HIV sei der Schutz höher. Vorausgesetzt, das Gummi sitzt richtig – es also weder zu gross noch zu klein ist. Ansonsten läuft man Gefahr, dass es beim Sex platzt oder abrutscht. Dann ist der Schutz nicht mehr gewährleistet.

«Weniger zuverlässig ist das Kondom bei Chlamydien, Gonokokken, Syphilis und insbesondere bei HPV», so der Gynäkologe weiter. Grund dafür sind die unterschiedlichen Übertragungswege.

So befinden sich HI-Viren in Sperma, Flüssigkeiten der Vagina und des Anus sowie im Blut. Beim ungeschützten Sex gelangen sie in den Körper. Chlamydienbakterien befinden sich auf den Schleimhäuten der Vagina, Harnröhre, des Anus, Enddarms und Rachens. Sie sind also nicht im Sperma oder in der Scheidenflüssigkeit. Das heisst: Kondome verringern das Risiko, sich mit Chlamydien zu infizieren. «Eine Ansteckung kann aber trotz Kondom erfolgen.»

2. Tripper und Chlamydien lassen sich nicht beim Küssen übertragen.

Chlamydien ist die am häufigsten diagnostizierte STI in der Schweiz. Solche Infektionen nehmen in der Schweiz seit der Jahrtausendwende deutlich zu. Für das Jahr 2022 meldet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) über 13’000 Diagnosen. Die Inzidenz liegt bei 148,8 pro 100’000 Einwohnern.

Dass STI nur beim Sex übertragen werden, ist ein gängiger Mythos. Doch das stimmt nicht. «Chlamydien können beim Küssen übertragen werden – auch wenn es eine absolute Rarität ist. Doch es ist grundsätzlich möglich», so Günthert. «Ebenfalls können Chlamydien oder auch Syphilis bereits beim Petting übertragen werden.» Auch mit Syphilis kann man sich anstecken, trotz Kondom.

Nicht zu vergessen: Oralsex. Chlamydien, Gonorrhö, Syphilis, Herpes und HPV können dabei übertragen werden. Oralsex gehört heute für viele beim Sex dazu, aber ob da immer ein Gummi getragen oder ein Lecktuch benutzt wird?

3. Alle haben einmal HPV – nur kriegen die wenigsten etwas davon mit.

Dass alle HPV haben, ist vielleicht etwas hoch gegriffen. «Aber man darf davon ausgehen, dass 80 Prozent aller jungen Menschen im Alter zwischen 18 und 28 Jahren mindestens einmal eine HPV-Infektion durchmachen», so Günthert.

«Eine Chlamydien-Infektion verläuft nicht selten absolut symptomlos.»

«Humane Papillomaviren gehören evolutionär zum Mensch irgendwie dazu», sagt er weiter. Meistens heilt eine Infektion von alleine ab. Bei sogenannten High-risk-Viren kann Krebs entstehen – jedoch sehr selten und über eine Dauer von bis zu zehn Jahren (zentralplus berichtete).

4. Die HPV-Impfung ist nur für Mädchen/junge Frauen. Männer müssen sich nicht impfen.

Vor HP-Viren kann Mann und Frau sich impfen. Nicht selten hört man, dass die Impfung nur etwas für Mädchen beziehungsweise Frauen sei. Das stimmt nicht. Gemäss dem Facharzt für Gynäkologie gibt es in der Schweiz nur einen Impfstoff gegen HPV, der zugelassen ist – sowohl für Mädchen/Frauen, als auch für Jungen/Männer. Die Impfung ist zugelassen für alle ab elf Jahren, da man sich im besten Fall vor dem ersten sexuellen Kontakt impft. Man kann sich aber auch später dagegen impfen, denn es gibt über 100 unterschiedliche HP-Viren.

5. STI «wänns brännt, biisst und stinkt» – man merkt, wenn man sich etwas eingefangen hat.

Nicht immer merkt man, wenn man sich eine Geschlechtskrankheit eingefangen hat. Zwar gibt es je nach STI unterschiedliche Symptome. Bei Chlamydien sind etwa Schmerzen beim Wasserlösen oder ein weisslicher Ausfluss aus Penis, Anus oder Vagina möglich.

«Eine Chlamydien-Infektion verläuft jedoch nicht selten absolut symptomlos», so Günthert. «Und auch ein Ausfluss deutet nicht darauf hin, dass eine Chlamydien-Infektion vorliegt.» So ist es normal, wenn eine Frau während des Menstruationszyklus einige Tage vor dem Eisprung einen Ausfluss hat. Oder es kann sich um einen banalen bakteriellen Infekt handeln.

Andreas Günthert ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. (Bild: hirslanden.ch)

6. HIV ist heute nur noch in der Schwulenszene bzw. bei Männern, die Sex mit Männern haben, Thema.

Nein. HIV betrifft alle. Wobei Männer mehr betroffen sind als Frauen, insbesondere jene zwischen 30 und 40 Jahren. Dem BAG wurden vergangenes Jahr insgesamt 371 neue HIV-Fälle gemeldet. Hinter 70 Prozent der Neudiagnosen stehen Männer. Bei einem Drittel aller Neudiagnosen handelt es sich um Männer, die Sex mit Männern hatten. Bei einem Drittel handelt es sich um heterosexuell aktive Menschen. Bei einem Drittel ist es nicht bekannt.

Die HIV-Welle ist in der Schweiz schon länger abgeflaut. In den 1990er-Jahren wurden durchschnittlich noch 1300 Fälle pro Jahr gemeldet. Seit 2002 sinkt die Anzahl der HIV-Diagnosen. Nach einem Rekordtief im Jahr 2020 aufgrund der Coronapandemie stiegen die Fallzahlen seit 2021 wieder leicht an. Dieser Trend hat sich auch im Jahr 2022 fortgesetzt.

7. Einmal Herpes – für immer und ewig.

Herpes ist laut Günthert ein «furchtbar leidiges Thema». Denn der Mythos «Einmal Herpes – für immer und ewig» stimmt leider. «Ist man einmal infiziert, bleibt das Herpesvirus ein Leben lang im Körper.» Die Infektion erfolgt nicht selten beim Küssen. Die Viren setzen sich in den sogenannten Nervenganglien ab, in der Nähe des Nervensystems. Wird das Immunsystem geschwächt oder der befallene Nerv gereizt, können die Viren reaktiviert werden. Und ein erneutes Bläschen kann sich bilden.

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6 Kommentare
  • Profilfoto von Irmgard
    Irmgard, 07.01.2024, 12:05 Uhr

    Die beste Lösung: Kein Sex

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    • Profilfoto von Hanswurst
      Hanswurst, 07.01.2024, 12:36 Uhr

      Gehe mal davon aus, dieses Statement sei scherzhaft gemeint. Aus statistischer Sicht ist es allerdings korrekt: Die Eintretenswahrscheinlichkeit eines Erfolgs (Ansteckung) steigt mit der Anzahl der Versuche (Sexualakt). Daher dürfte wohl die Zunahme sexueller Kontakte mit wechselnden Partnern mit der steigenden Anzahl von Ansteckungen stark korrelieren. Banal, aber viele checken das scheinbar nicht.

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    • Profilfoto von Andreas Bründler
      Andreas Bründler, 07.01.2024, 20:34 Uhr

      Kein Sex zu empfehlen ist einfach weltfremd.

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  • Profilfoto von Baldo
    Baldo, 06.01.2024, 18:38 Uhr

    Da stellt sich mir die Frage, wird die Aussage des Arztes bei vielen Typen nicht die Bestätigung geben, dass eine Lümmeltüte eh nicht so viel bringt?

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  • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
    Marie-Françoise Arouet, 06.01.2024, 18:18 Uhr

    Gängiger Mythos Nr. 8:
    Wir leben alle ewig und sind niemals krank.
    Falsch!

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  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 06.01.2024, 17:11 Uhr

    jedenfals schützt der gummi besser als wie ein Covid Certifikat!

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