Luzerner Gynäkologe im Interview

Die Geschlechtskrankheit, die jeder hat – und keiner kennt

Fast jede und jeder infiziert sich einmal in seinem Leben mit HPV. (Bild: Womanizer Toys/Unsplash)

Fast jeder steckt sich in seinem Leben einmal mit Humanen Papillomaviren – kurz HPV – an. Doch nur die wenigsten wissen davon. Wie gefährlich ist eine Infektion mit HPV? Und was tun, wenn man sich die Viren eingefangen hat? Das haben wir den Luzerner Gynäkologen Andreas Günthert gefragt.

Nein, es ist nicht gerade ein Thema, das wir als sexy bezeichnen würden. Doch auch wenn wir nicht gerne darüber sprechen – sind sie nun einmal da. Und es ist wichtig, dass wir darüber sprechen: sexuell übertragbare Infektionen.

Epidemiologin Melanie Taylor sprach im Rahmen einer Pressekonferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor zwei Jahren – einer Zeit vor Corona – von einer «stillen Epidemie». In der Schweiz sinkt seit der Jahrtausendwende zwar die Anzahl der HIV-Diagnosen. Aber andere sexuell übertragbare Infektionen sind auf dem Vormarsch, wie Gonorrhoe und Chlamydien (zentralplus berichtete).

Eine der häufigsten sexuell übertragbaren Infektionen ist HPV. Doch wie gefährlich ist die Infektion wirklich? Das haben wir Prof. Dr. Andreas Günthert gefragt. Er ist Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe und ist Leiter des gyn-zentrum in Luzern.

zentralplus: Andreas Günthert, auch bei mir wurde schon HPV festgestellt. Wie bei anderen Geschlechtskrankheiten fragt man sich da, ob man frühere Sexualpartner darüber informieren sollte. Was gilt?

Andreas Günthert: Nein, das ist bei HPV nicht nötig. Wenn eine harmlose Zellveränderung festgestellt wurde, gilt: Zunächst einmal cool bleiben. Und abwarten, was die weiteren Kontrollen bringen. HPV ist keine Erkrankung, die einer Behandlung bedarf. Die allermeisten Infektionen heilen unbemerkt aus. Sex können Infizierte weiterhin normal haben – selbst ein Kondom schützt nicht wirklich vor einer Ansteckung. Humane Papillomaviren können bereits über Hautkontakt, etwa beim Petting, übertragen werden. Aber natürlich auch beim Oralverkehr.

«HPV gehört evolutionär zum Mensch irgendwie dazu.»

zentralplus: HPV wird oft auch als Volksseuche betitelt, weil es jeder und jede einmal hat. Zu Recht?

Günthert: Der Begriff umschreibt die Verbreitung Humaner Papillomviren sehr gut für die Allgemeinbevölkerung. HPV gehört evolutionär zum Mensch irgendwie dazu. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch – vor allem in jungen Jahren zwischen 18 und 28 Jahren – einmal eine HPV-Infektion durchmacht, liegt bei 80 Prozent. Allerdings handelt es sich streng genommen um keine «Seuche», keine Krankheit, sondern um eine Infektion.

zentralplus: Bei einer normalen Kontrolle bei der Frauenärztin entnimmt diese einen Abstrich vom Gebärmutterhals. Dieser wird im Labor auf Zellveränderungen untersucht und in die sogenannten Pap-Gruppen eingeteilt. Pap I ist unauffällig, bei Pap IV und V besteht Verdacht auf Gebärmutterhalskrebs. Obwohl HPV im schlimmsten Fall zu Gebärmutterhalskrebs führen kann, wartet man zunächst bei harmlosen Zellveränderungen ab und kontrolliert in regelmässigen Abständen. Wie oft siegt das eigene Immunsystem über die Viren?

Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe Andreas Günthert. (Bild: hirslanden.ch)

Günthert: Die Selbstheilungsrate ist bei nachgewiesenen HPV-Infektionen sehr hoch. Bei jungen Frauen liegt die Chance bei 90 Prozent, dass das eigene Immunsystem die Viren innerhalb eines Jahres bekämpft. Innerhalb von zwei Jahren liegt die Selbstheilungsrate bei 95 Prozent. Wichtig ist es zu beachten, dass es unterschiedliche HP-Viren gibt: sogenannte Low-risk- und High-risk-Viren.

zentralplus: Worin unterscheiden sich diese Typen?

Günthert: Low-risk-Viren können extrem lästige und hochansteckende Feigwarzen an den äusseren Genitalen verursachen. Sie sind aber harmlos. Aus Low-risk-Viren kann nie Krebs entstehen. High-risk-Viren hingegen können zur Entstehung von Gebärmutterhalskrebs beitragen, aber auch Krebserkrankungen des Penis oder der Vulva auslösen. Bis aus HP-Viren aber Krebs entstehen kann, dauert es bis zu zehn Jahre.

zentralplus: Seit ungefähr 50 Jahren können Frauen in der Schweiz einen Pap-Abstrich machen lassen. Laut medix, einer Schweizer Vereinigung regionaler Ärztenetze, ist die Häufigkeit von Gebärmutterhalskrebs seither um über 60 Prozent zurückgegangen. Dennoch erkranken laut der Krebsliga Schweiz heute jährlich noch 250 Frauen an Gebärmutterhalskrebs, 70 Frauen sterben jährlich daran.

Günthert: Genau. Vor 100 Jahren stellte der Gebärmutterhalskrebs für Frauen die gefährlichste Krebsart dar. Heute steht die Schweiz an zweiter Stelle all derjenigen Ländern, in denen am seltensten Gebärmutterhalskrebs diagnostiziert wird. Gebärmutterhalskrebs ist eine Krebserkrankung, die durch eine Vorsorgeuntersuchung so effektiv verhindert werden kann wie keine andere Krebserkrankung.

zentralplus: Worauf ist das zurückzuführen?

Günthert: Auf das flächendeckende Screening-Programm, dass wir in der Schweiz haben. Viele junge Frauen gehen zur Vorsorge, somit haben wir viel Aufwand in der Prävention – und teilweise eine Übertherapie in den Vorstufen –, aber sehr wenige Gebärmutterhalskrebs-Fälle. Der Effekt der HPV-Impfung ist bei uns noch nicht spürbar. Anders in Australien, wo früher mit der Impfung begonnen wurde und auch deswegen inzwischen deutlich weniger Krebsfälle durch HPV verzeichnet.

«Viel zu oft wird unnötig aufgrund von Abstrichen am Gebärmutterhals von jungen Frauen manipuliert.»

zentralplus: Was aber, wenn der eigene Körper die Viren nicht alleine bekämpfen kann? Oder was, wenn eine hohe, also eine gefährliche Pap-Gruppe diagnostiziert wurde?

Günthert: Ein Zellabstrich, dessen Ergebnis einen Befund Pap IV gibt, sollte man sehr ernst nehmen. Hier kann es sich um ein unmittelbares Vorstadium von Gebärmutterhalskrebs handeln. Es braucht dann eine genauere Untersuchung mittels einer Scheidenspiegelung, einer sogenannten Kolposkopie. Damit kann eine Gynäkologin Scheide und Muttermund bis zu 40-mal vergrössern. So werden kleinste Gewebedefekte, Geschwülste und Blutungen sichtbar. Ausserdem betupft der Arzt die Oberfläche des Gebärmutterhalses mit verdünnter Essigsäure und einer Jodlösung. Je nach Färbung der Veränderungen am Muttermund erkennt man so, ob sie gesund oder krankhaft sind. Ist letzteres der Fall, wird mittels einer Biopsie ein Gewebefragment entnommen.

zentralplus: Was, wenn tatsächlich eine echte Krebsvorstufe vorliegt?

Günthert: Dann wird in der Regel eine Konisation durchgeführt. Dabei wird aus dem Muttermund ein kegelförmiges Gewebestück herausgeschnitten, also Gewebe mit bösartigen Zellen. Davor sollte aber wirklich eine sorgfältige Untersuchung stattfinden. Viel zu oft wird unnötig aufgrund von Abstrichen am Gebärmutterhals von jungen Frauen manipuliert.

zentralplus: Wie meinen Sie das?

Günthert: Eine Doktorarbeit in der Zentralschweiz, bei der ich Dissertationsleiter war, hat gezeigt: Die Hälfte aller Konisationen, die in der Schweiz durchgeführt wurden, waren nicht wirklich medizinisch indiziert. Ärzte haben also in vielen Fällen übereilt eine Konisation durchgeführt. Problematisch ist dies vor allem bei jungen Frauen. Zwar können Frauen nach einer Konisation problemlos schwanger werden. Jedoch steigt die Wahrscheinlichkeit für Früh- und Fehlgeburten.

zentralplus: Jährlich sterben in der Schweiz 70 Frauen an Gebärmutterhalskrebs. Da der Gummi ja nicht schützt vor einer HPV-Infektion: Der beste Schutz davor wäre ja sexuelle Abstinenz, was für die meisten wohl nicht in Frage kommt. Die beste Vorsorge, dass HPV nicht ausarten, sind regelmässige Kontrollen bei der Gynäkologin und Krebsabstriche. Wären die Todesfälle demnach durch Gebärmutterhalskrebs zu verhindern gewesen, wenn man regelmässig zur Kontrolle gegangen wäre?

Günthert: Nein, leider nicht. Ich hätte auch vermutet, dass die meisten, die an Gebärmutterhalskrebs sterben, nicht zur Vorsorge gehen. Das trifft aber nur etwa auf die Hälfte zu. Die andere Hälfte ging brav zur Vorsorge – doch hat das Screening versagt. Jeder Test hat leider eine Versagequote. Das heisst: Mit jedem Pap-Abstrich rutschen ein paar Fälle durch. Deswegen wäre es besser, nicht einfach «nur» einen zellenbasierten Abstrich am Gebärmutterhals zu entnehmen, sondern sich auch wirklich regelmässig auf HPV testen zu lassen. Dadurch würden Fachleute noch weniger Krebsvorstufen verpassen.

«Insbesondere Kehlkopfkrebs bei Männern wird ein zunehmendes Problem, das stark zunimmt.»

zentralplus: Bislang haben wir nur von Gebärmutterhalskrebs gesprochen. Männer können sich ja gleichermassen mit HPV infizieren. Wie gefährlich ist die Infektion für Männer?

Günthert: In der Tat können Humane Papillomviren in den schlimmsten Fällen auch zu Krebs in Mund und Rachen führen. Insbesondere Kehlkopfkrebs bei Männern wird ein zunehmendes Problem, das stark zunimmt. Vor 15 Jahren war das noch nicht so. Das liegt vermutlich daran, dass sich der Oralverkehr normalisiert hat. Generell kann man aber festhalten, dass bei Männern eine HPV-Infektion noch weniger zu Krebs führt als bei Frauen.

zentralplus: Es ist ja auch möglich, sich gegen HPV zu impfen. Wie sicher ist die Impfung?

Günthert: Die Impfung gilt als sehr sicher. Die durch HPV hervorgerufenen Probleme lassen sich durch eine Immunisierung erheblich reduzieren. Ein Beispiel ist Ruanda. Sie erreichen 93 Prozent der Zielgruppe. In der Schweiz sind seit 2006 Impfstoffe gegen HPV zugelassen. In der Zentralschweiz sind etwa 70 Prozent der Mädchen und Frauen im Alter zwischen 11 und 26 Jahren geimpft. Vor drei bis vier Jahren war es noch deutlich unter 50 Prozent. Bei jungen Männern besteht hingegen Nachholbedarf beim Impfen.

zentralplus: Jetzt haben wir lange über HPV gesprochen. Eine genitale Infektion, die ein Schattendasein fristet. Auch in meinem Umfeld merke ich, dass Menschen zwar gut aufgeklärt sind, dass sie über Chlamydien und HIV Bescheid wissen, wenn ich aber von HPV rede, mich die meisten mit fragenden Gesichtern anschauen. Sie hätten noch nie etwas davon gehört, geschweige denn, eine Infektion durchgemacht. Wie nehmen Sie das wahr?

Günthert: Ja, viele sind in der Tat zu wenig gut darüber aufgeklärt. Auch wir treffen in der Praxis immer wieder auf junge Frauen, die Mitte-Ende 20 sind und uns mit grossen Augen anschauen, wenn wir sie fragen, ob sie gegen HPV geimpft sind. Ein Defizit ist da – aber es ist Besserung in Sicht.

zentralplus: HPV, die unbekannte Geschlechtskrankheit: Woher kommt die Wissenslücke? Wird zu wenig gut darüber aufgeklärt, obwohl eine Impfung für Junge unter 26 Jahren ja kostenlos wäre?

Günthert: Problematisch scheint das Alter der Zielgruppe zu sein, denn die Impfung sollte mit 11 Jahren erfolgen. Diese jungen Menschen gehen aber inzwischen weniger zum Kinderarzt und eigentlich noch nicht in die frauenärztliche Praxis. Auch Jungs in dem Alter kommen eher nur bei Beschwerden zu einem Arzt. Gefragt sind hier die Schulen und die Medien im Sinne einer Aufklärungscampagne. Auch Negativschlagzeilen zur Impfung schaden, die sind aber glücklicherweise seltener geworden. Erfreulicherweise wird das heute offener über Genitalhygiene und Vorsorge gesprochen, das Bewusstsein ändert sich. Aufklärungen in der Schule sind heute auch offener, auch wenn noch viel Potenzial besteht.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Andreas Günthert
  • Zahlen von Krebsliga Schweiz
  • Guideline von medix zum Thema Screening auf Gebärmutterhalskrebs
  • Doktorarbeit «Incidence Trends of Cervical Cancer and Its Precancerous Lesions in Women of Central Switzerland from 2000 until 2014»
  • Diverse Medienberichte zum Thema HPV
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