Luzerns Kulturchef im Interview zur Fasnacht

Marco Castellaneta: «Techno hatte fast etwas Invasives»

Marco Castellaneta begeistert sich für die Kreativität rund um die Fasnacht. Auch für Wagengruppen wie Dooq aus Meggen (im Bild). (Bild: Jonas Blaser/zvg)

Wie steht der neue Luzerner Kulturbeauftragte zur Fasnacht? Marco Castellaneta spricht mit zentralplus über patriarchale Strukturen in den Zünften, Dauerbeschallung mit Techno und kulturelle Aneignung.

Marco Castellaneta hat nicht nur einen Wikipedia-Eintrag und eine eigene Webseite, die 20 Stationen seiner schwer überblickbaren Karriere zeigen. Sondern er hat im November auch seine Stelle als kantonaler Kulturbeauftragter und Leiter der Dienststelle Kultur in Luzern angetreten. Seine Zuständigkeiten reichen von der Kulturförderung über die Denkmalpflege bis hin zur Zentral- und Hochschulbibliothek.

Ein Auszug aus dem Karriereleben Marco Castellanetas. Noch nicht aufgeführt: Sein Engagement beim Kanton Luzern. (Bild: Screenshot peppermint.ch)

Im Interview stellt sich der langjährige Präsident der Vereinigten und ehemalige Tambourmajor der Guuggenmusig Altstadtkanone unseren Fragen zur Luzerner Fasnacht.

zentralplus: Das Luzerner Fasnachtskomitee (LFK) besteht aus der Wey-Zunft, der Zunft zu Safran, der Gesellschaft der Maskenliebhaber und der Fidelitas Lucernensis. Vier Altherren-Vereine bestimmen, wie die Luzerner Fasnacht abzulaufen hat. Ist dies noch zeitgemäss?

Marco Castellaneta: Diese Betrachtung ist nicht ganz korrekt. Das LFK zeichnet für die offizielle Fasnacht, also die Umzüge, die Kinder- und die Seniorenfasnacht oder die Plakette verantwortlich, was ihm hoch anzurechnen ist. Dazu bilden die Vereinigten, welche ich während vielen Jahren präsidierte, eine gute Ergänzung.

Die heutige Fasnacht wird aber auch von Kulturfasnächtlern, losen Gruppierungen und einzelnen Kreativen getragen. Dies alles zusammen macht meines Erachtens letztendlich den Reichtum der Luzerner Fasnacht aus. Sie ist also in der Summe mehr als LFK plus Vereinigte.

zentralplus: Die Zünfte, die das LFK bilden, leben das Patriarchat förmlich. In allen vier Organisationen sind Frauen als Mitglieder unerwünscht (zentralplus berichtete). Wird sich dies je ändern?

Marco Castellaneta: Ich habe damals die Zunft zur Waage mitgegründet. Die Waage stand symbolisch für ein Geschlechtergleichgewicht und war damals ein Seitenhieb mit Augenzwinkern in Richtung Zünfte. Aber viel wichtiger ist es doch, dass heute jeder und jede frei entscheiden kann, wo man mitmacht und wo nicht. An der Fasnacht kann man sich auch ohne Zunft und Guuggenmusig verwirklichen.

zentralplus: Die Fasnacht unterliegt dem ständigen Wandel. Das passt nicht allen. Vor einem Jahr brach eine Debatte darüber aus, ob der Techno aus den Gassen der Luzerner Altstadt verschwinden soll (zentralplus berichtete). Wie offen stehen Sie solchen modernen Auswüchsen der Fasnacht gegenüber?

Marco Castellaneta: Die superkorrekte Antwort lautete wohl: An der Fasnacht soll für alle und alles Platz sein. Die Fasnacht hat sich in Schüben über die Jahrhunderte hinweg weiterentwickelt. Da war einst der heidnische Brauch, die Geister vertreiben zu wollen. Später verband man die Fasnacht mit Fruchtbarkeitsritualen, dann wurde sie an den kirchlichen Kalender geknüpft.

Im 14. Jahrhundert begannen sich die Leute zu verkleiden und begehrten gegen die politische Herrscherklasse auf. Alle diese Veränderungen stiessen immer wieder auf Widerstände. Veranschaulichen lässt sich dies auch am Beispiel der Guuggenmusigen. Sie gibt es erst seit den 1940ern, als sie quasi nach Luzern importiert wurden. Das kam auch nicht nur gut an.

Mario Waldispühl, Geschäftsführer der «Jazzkantine», und Michael Peters fanden vor der Fasnacht 2023: «Solange an der Fasnacht die Musik von Helene Fischer zu hören ist, muss sich niemand für irgendwas rechtfertigen» (zentralplus berichtete). (Bild: jdi)

zentralplus: Das heisst, über die Daseinsberechtigung des Techno an der Fasnacht wird irgendwann nicht mehr diskutiert?

Marco Castellaneta: Letztlich ist es wohl eine Frage des Masses. Während im Kernbereich der Altstadt kaum mehr Techno zu hören ist, hatte die Präsenz der elektronischen Musik vor zehn Jahren fast etwas Invasives. Donnernde Musik aus lauten Boxen, die für stundenlange Dauerbeschallung sorgt und alles andere, etwa Theater oder Kleinformationen, verhindert, finde ich wenig bereichernd. Das ist aber kein neues Phänomen, sondern schon seit über 30 Jahren ein Streitpunkt.

zentralplus: Dem LFK soll der Techno auch darum ein Dorn im Ohr gewesen sein, weil es befürchtete, dass die Luzerner Fasnacht wegen der elektronischen Musik zu wenig traditionell sein könnte, um Kulturerbe der Unesco zu werden (zentralplus berichtete). Wie sehr darf eine solche Auszeichnung Veränderungen aufhalten?

Marco Castellaneta: Grundsätzlich ist es ein schöner Gedanke, dass man das Luzerner Fasnachtstreiben zum Kulturerbe machen möchte. Und ich glaube nicht, dass Technowagen dies verhindern. Das ist wohl kein Problem. Denn auch Kulturerbe lebt ja, ist facettenreich, menschengemacht und spiegelt immer auch den Zeitgeist. Auch die Unesco fasst den Kulturbegriff entsprechend sehr weit.

zentralplus: Als Präsident des Quartiervereins Altstadt dürften Sie sich über den ganzen Trubel freuen – gleichzeitig wird massenhaft Littering betrieben, an Hauswände uriniert und bestimmt auch die eine oder andere Sachbeschädigung begangen. Wie sehr beschäftigt Sie diese Kehrseite der Fasnacht?

Marco Castellaneta: Es gibt kaum Reklamationen während der Fasnacht. Wenn, dann melden sich Bewohnende der Altstadt wegen Wägen, die an fixen Standorten für Dauerbeschallung sorgen. Dafür habe ich Verständnis, denn ich lebe selbst seit Langem in der Altstadt.

Betreffend Littering geht mein Kompliment an die Mitarbeitenden des Strasseninspekorats. Es gleicht einem Wunder, dass die Gassen wenige Stunden nach der Fasnacht wieder so sauber sind, dass man kaum mehr ein Konfetti findet.

Aufräumen nach dem Umzug!
Konfetti, das nicht ohnehin von Kindern gesammelt wird, ist meist wenige Stunden nach der Fasnacht weggeputzt. (Bild: Andreas Busslinger)

zentralplus: In Luzern gibt es Fasnachtsliebhaberinnen – aber gefühlt auch mindestens so viele Fasnachtsverächter. Letztere finden, mit Kultur habe solch ein primitives Massenbesäufnis längst nichts mehr zu tun. Wie sehen Sie das als kantonaler Kulturbeauftragter?

Marco Castellaneta: Die Fasnacht gehört als Brauchtum zum immateriellen Kulturgut. Sie ist vielfältig, schöpferisch, kreativ – und entwickelt sich stetig weiter. Die Fasnacht steht auch für niederschwellige Volks- und Laienkultur. Eine Verrohung der Sitten, die das Geschehen dominiert, stelle ich nicht fest.

zentralplus: Die Fasnacht gilt auch als Hotspot für sexuelle Belästigung. Seit Freitag gibt es für diese ein städtisches Onlinemeldetool (zentralplus berichtete). Nach der Fasnacht wird man immerhin eine Ahnung davon haben, in welchem Ausmass sexuelle Belästigung stattfindet. Befürchten Sie das Schlimmste?

Marco Castellaneta: Es ist gut, dass es diese Plattform gibt, denn bei sexueller Belästigung gilt ganz klar Nulltoleranz.

zentralplus: Die Fasnacht wird getragen von riesigem ehrenamtlichem Engagement von Fasnächtlern in Guuggenmusigen oder Wagenbaugruppen. Kein Fall für die kantonale Kulturförderung?

Marco Castellaneta: Die Fasnacht wird vom Einzelnen und von Gruppen getragen. Und das ist gut so. Das Schöne an der Fasnacht ist doch, dass vieles selbstgemacht ist und damit auch ein künstlerischer Ausdruck von Individualität entsteht.

zentralplus: Nicht nur in der Stadt, sondern im ganzen Kanton Luzern geniesst die Fasnacht einen hohen Stellenwert. Wie machen Sie Städterinnen die Fasnacht auf dem Land schmackhaft?

Marco Castellaneta: Die ländliche Fasnacht ist von einer lebendigen Vorfasnacht mit Bällen und Festen, aber auch von Umzügen geprägt, wo – vielleicht noch stärker als in der Stadt – regionale und kommunale Begebenheiten und Ereignisse aufgenommen und thematisiert werden. Zudem gibt es viele starke Guuggenmusigen. Auch dank der vielen Blasmusiken. Als junger Guugger wurde ich damals manchmal schon etwas neidisch.

zentralplus: Nachdem man sich noch in den 50ern kaum verkleidete und später die «Strossegwändli» das Bild der Kostümierten prägte, kamen irgendwann mexikanische Sombreros, nordamerikanischer Federschmuck oder das sogenannte «Blackfacing» in Mode. Zuletzt spaltete sich die Luzerner Bevölkerung am Begriff der kulturellen Aneignung (zentralplus berichtete). Wo ziehen Sie persönlich die rote Linie?

Damian Surber vom Luzerner Fasnachts-Bazar stellte vor einem Jahr fest: «Kulturelle Aneignung war bei uns kein grosses Thema» (zentralplus berichtete). (Bild: jdi)

Marco Castellaneta: Dieses komplexe Thema können wir hier wohl nicht abschliessend beurteilen. Aber es braucht – auch wenn es Fasnacht ist – ein sensibles Verhalten und einen respektvollen Umgang. Wenn jemand verletzt oder diskriminiert wird, ist die rote Linie überschritten.

zentralplus: Wo fühlen Sie sich während der Fasnacht am wohlsten? Und auf welches Sujet muss man achten, um Sie in der grossen Menge zu finden?

Marco Castellaneta: Am wohlsten fühle ich mich an der Fasnacht unter meinem Grind. Und am besten ist es, wenn niemand weiss, wie der aussieht. So habe ich die Fasnacht ganz für mich.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Marco Castellaneta
  • Webseite von Marco Castellaneta
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6 Kommentare
  • Profilfoto von Ruedi Meier
    Ruedi Meier, 31.01.2024, 22:34 Uhr

    Die Fasnacht ist schon längst organisiert und hat nichts spontanes mehr….
    Beim Europaplatz stehen die Monkeys mit einem Partymobil und Bar. Es läuft Techno und es wird fleissig Wodka usw ausgeschenkt, natürlich „nur gegen spende“
    Das selbe an der Bahnhofstrasse einfach mit Schlager.

    Nur! Eigentlich dürften nach Gesetz die Wilden Gruppierungen keinen harten Alkohol ausschenken auch nicht gegen eine Spende!
    Abgerechnet wird ohne MwSt , Alterskontrolle gibt es auch nicht, Bewilligungsgelder werden auch keine verlangt.

    Gewerbe Polizei (Urs Renggli) darauf angesprochen heisst es nur man könne nicht überall kontrollieren …. Fakt ist, dass letztes Jahr keine Anzeigen wegen ilegalem Ausschank gestellt wurde (komisch )

    Bei allen Wirten und die die sich einen Bewilligung holen geht die Gewerbe Polizei und die Streifen Polizei aber hart vor und kontrolliert mehrmals. Wenn nur das kleinste Detail nicht stimmt wird eine Anzeige geschrieben.

    Habe mit der Fasnacht abgeschlossen da es nicht mehr fair ist.

    Das ganze ist ein Witz und die Polizei schaut zu …

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  • Profilfoto von Sowieso
    Sowieso, 31.01.2024, 21:40 Uhr

    Das Schöne an der Luzerner Fasnacht ist ja gerade, dass sie vielfältig ist und sich verändert. Eigentlich gibt es in Luzern mehrere ganz unterschiedliche Fasnachten gleichzeitig.

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  • Profilfoto von Urs Eggler
    Urs Eggler, 31.01.2024, 12:29 Uhr

    Meine Anmerkung zu den «losen Gruppierungen und einzelnen Kreativen». Ich bin Mitglied bei der Kleinformation Helena Stubenrein, welche seit Jahrzehnten auch immer ein Theater aufführt, wie die Moggetätschter auf dem Dach vom Stadtkeller oder wie bis letztes Jahr auch Domus, welche nun auch deswegen aufgehört haben, weil es für uns einfach überhaupt keinen Platz mehr gibt für unsere Aufführungen.

    Der Grund dafür ist, dass es mittlerweile auf allen Altstadtplätzen eine IG (Interessengemeinschaft) gibt, welche mehr oder weniger offiziell einfach den ganzen Platz mit irgendwelchen Getränkewagen besetzt. Und wenn wir (auch als steuerzahlende Stadtluzerner dann kommen, dann heissts «abfahren, das ist unser Platz».

    Die Kultürler haben dafür sogar einmal Polizeiunterstützung bekommen und das Ganze mit diesen IG’s ist einfach komplett schräg und das Gegenteil von dem, was man unter Luzerner Fasnachtstradition versteht.

    Helena Stubenrein verzichtet heuer notgedrungen auf das Theater und macht halt ein Sujet zum Umelaufe, notgedrungen.

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  • Profilfoto von Sandro
    Sandro, 31.01.2024, 10:21 Uhr

    Die konservativen Altherren des LFK und der Zünfte möchten sich wie jedes Jahr zur Fasnachtszeit einfach maximal präsentieren. Bei Schlager wippen sie dann aber plötzlich fröhlich im Takt…
    Ein Nebeneinander sollte man in der Stadt Luzern hinkriegen. Aber es ist ok, wenn in der Altstadt hauptsächlich Guggenmusiken gehören. Und sonst lieber Techno als Schlager…

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  • Profilfoto von Hanspeter Flueckiger
    Hanspeter Flueckiger, 31.01.2024, 09:41 Uhr

    Selbstverständlich ist die Fasnacht – bedingt auch durch den zünftigen und gesellschaftlichen Sauglattismus – zu einer reinen Ballermann-Gedächtnis-Veranstaltung geworden. Herr Castellaneta formuliert alles äusserst diplomatisch, was selbstverständlich auch sein gutes Recht ist. Etwas mehr Stil dürfte der Lozärner Fasnacht gut tun. Da reichen ein paar alte traditionelle Guuggenmusigen, Kulturfasnächtler und vielen Einzelmasken eben nicht mehr aus.

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  • Profilfoto von Baldo
    Baldo, 31.01.2024, 09:17 Uhr

    Da muss man aber auch sagen, dass das Schlagergesülze auch nichts mit Fasnacht zu tun hat und auch eine invasive Folter ist .

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