Es ist «Veganuary». Grund genug für den zentralplus-Gastroredaktor, im Januar den veganen Selbstversuch zu wagen. Trotz guter Vorbereitung kommt der Autor streckenweise ins Schleudern. Und betrügt sich auch mal selbst.
Ich stehe an der Kasse, das letzte Produkt ist gescannt, und der Preis, der mir angezeigt wird, lässt mich einmal leer schlucken. «Beischlaf!», denke ich mir – allerdings in der englischen Übersetzung. Dieser Selbstversuch treibt mich noch in den Ruin. Aber von vorne.
Geht es nach gängigen Kategorisierungen, bin ich Flexitarier. Heisst: Ich esse Fleisch – aber nicht oft und wenn, dann bewusst. Einem guten Stück Filet in Restaurant Mama bin ich nicht abgeneigt. Von zweifelhaftem Billigfleisch aus noch dubioseren Herkunftsgebieten lasse ich die Finger. Losgelöst davon ist meine Ernährung bestenfalls als «zweifelhaft» zu beschreiben. Ich mag Fast-Food, Pasta, Süssgetränke und Süssigkeiten. Salat und Gemüse gammeln mir meistens davon, bevor sich mein guter Vorsatz in eine Tatsache verwandelt.
Darum die Reissleine und ein Selbstversuch: Kann ich mich einen Monat rein vegan ernähren? Sollte an sich kein Problem sein. Gemäss einer Studie gilt Luzern als eine Hochburg, wenn es um den Kauf von Fleischersatzprodukten geht (zentralplus berichtete). Ausserdem haben wir hier einige sehr gute vegane Restaurants und Take-away-Betriebe (zentralplus berichtete). Und mit der Trenderscheinung «Veganuary» ist auch gleich der passende Monat am Start. In meinem Umfeld stösst die Idee auf gemischte Reaktionen. Die reichen von «Oh, cool!» bis hin zu «Warum diese Selbstgeisselung?» und «Tja, dann gehen wir wohl einen Monat nicht zusammen essen».
Vegane Leere im Kühlschrank
Ich nehme mir vor, die Übung trotzdem durchzuziehen. Wie so oft ist eine gute Vorbereitung der Schlüssel zum Erfolg. Darum startete ich das Experiment schon im Dezember. Ein Blick in den heimischen Kühlschrank zeigte: Wirklich vegan war hier nur wenig. Etwa die Milch – Laktoseunverträglichkeit sei Dank habe ich hier auf eine Haferalternative umgesattelt. Und die Margarine. Ein offenes Glas Essiggurken vom letzten Racletteabend gehörte auch noch dazu. Und noch die Zwiebeln und der Knoblauch in der Gemüseschublade.
Beim ganzen Rest wirds kritisch. Schokoladenjoghurt, Käse, Eier. Alles ein No-Go. Also habe ich den Plunder links und rechts verschenkt. Die Dinge, die noch über den Januar hinaus haltbar sind, verschwanden in die zweite Reihe, die sonst nur Tupperwares vorbehalten sind, die vergessen gehen und gemütlich vor sich hin vegetieren.
Ein Grosseinkauf war also unvermeidlich. Der sollte aber geplant sein. Um nicht völlig unvorbereitet an die Herausforderung ranzugehen, holte ich mir vorab Tipps und Tricks von einem Profi. Also, Notizbuch eingepackt und ab zum Restaurant Mairübe am Bundesplatz. Hier wirken mit Phil und Sally Künzler zwei Gastronomen, die sich bestens mit veganer Küche und Ernährung auskennen.
Sally Künzler nannte mir zahlreiche Links und Plattformen für Rezeptideen, Läden und Onlinestores. Dazu noch ein paar grundsätzliche Informationen. Etwa, dass viele Gerichte aus der asiatischen Küche von Natur aus vegan sind. Oder auch, dass man Polenta, Reis oder Linsen als Grundlage für verschiedenste Menüs nutzen kann – ideal auch zum Vorkochen.
Ihr wichtigster Tipp war aber: Spass haben!
Lustiges Suchspiel im Einkaufstempel
Noch vor Jahresende habe ich unterschiedliche Rezepte herausgesucht, die schmackhaft und nicht zu zeitintensiv aussahen. Mein Ziel ist es, mich so abwechslungsreich durch den Monat zu futtern, wie es nur geht. Eine Mischung aus Selbstgekochtem, Fertiggerichten und Restaurantbesuchen. Mit einer entsprechenden Einkaufsliste zog ich los ins Einkaufszentrum. Viele Hersteller machen es Veganerinnen einfach und klatschen das grellgelbe Logo der European Vegetarian Union drauf. Oder kennzeichnen ihr Produkt anderweitig gut sichtbar.
Es gibt aber mindestens so viele, die darauf verzichten. Gründe dafür sind mannigfaltig. Bei manchen sind es die anfallenden Lizenzgebühren, andere wollen ihre Produkte nicht spezifisch kennzeichnen, um nicht ein allfälliges Stammpublikum zu vergraulen – obwohl das Produkt schon seit jeher vegan ist. Und bei denen heisst es dann: Etiketten lesen. Ist fast wie «Wo ist Walter?», nur halt in der Variante «Wo ist die nicht vegane Zutat?»
- Vegane Küche ist die Zukunft.
- Ohne Fleisch geht es bei mir nicht.
- Es gibt tolle vegane Rezepte.
- Vegetarisch geht, vegan wär mir zu anstrengend.
Der Spass ist teuer
An der Kasse folgte der eingangs erwähnte Schock. 120 Franken kostet der Spass. Zu meinem ergatterten Grundstock gehören unter anderem rote Linsen, Reis und Ebly. Aber auch eine bunte Mischung aus veganen Fertiggerichten, Fleischalternativen und Snacks. Letztere sind es auch, die mit besonders hohen Preisen mein Konto torpedieren. Zu Hause richte ich meine Veganbox ein, die ich mit Trockenfrüchten, Getreideriegel und den kleinen Schnausereien befülle. Für den kleinen Hunger zwischendurch. Eine gute Idee, wie sich zeigen wird.
Ebenfalls vor dem Start des Selbstversuch gehts auf die Waage. Das Ergebnis wird notiert (aber hier nicht geteilt, geht euch nämlich einen feuchten Kehricht an). Ausserdem führe ich Buch über die Einkäufe. Aus reinem Interesse.
Nach dem letzten (nicht veganen) Abendmahl an Silvester – einem Käsefondue –, gilt es ernst. Da ich die ersten Tage im neuen Jahr noch gemütlich zu Hause verbringe, fällt die Umstellung gar nicht so gross ins Gewicht. Auch, weil die Neugier über bisher unbekannte Snacks und Rezepte obsiegt.
Woche eins (fast) durchgezogen
Zurück im Büroalltag macht sich dann eine gewisse Unzufriedenheit bereit. Tabu sind die leckeren Schokobrötchen von der Bäckerei des Vertrauens. Und auch bei den vom Chef offerierten Berlinern kann ich nur neidisch über den Monitorrand hinweg zuschauen, wie meine Redaktionskolleginnen mit Puderzuckerschnauz und konfiverklebten Fingern in die Tasten hauen.
Tatsächlich merke ich schnell, dass mein grösster Feind die Gewohnheit ist. Der fast schon automatisierte Griff zu bekannten Produkten im Einkaufsgeschäft, der Gang in übliche Restaurants und Take-aways und der Konsum von favorisierten Snacks – fällt alles weg. Und nach der Arbeit bin ich manchmal zu müde, um noch in die Küche zu stehen. Da kam es auch schon mal vor, dass ich das Abendessen einfach ganz weggelassen habe, statt mich in ein neues Rezept reinzufuchsen und zu merken, dass mir die Hälfte der Zutaten fehlt.
Insgesamt empfinde ich den Selbstversuch nach rund einer Woche als spannende Sache – und Spass macht es grundsätzlich auch. Der innere Schweinehund muss in den kommenden drei Wochen zwar noch etwas an die Leine genommen werden, insgesamt bin ich aber optimistisch und weiterhin neugierig. Viele der neuen Geschmäcker sind mir (noch) fremd. Einige – wie etwa vegane Joghurts auf Sojabasis – schmecken mir gar nicht, andere (veganes Tatar) finde ich überraschend lecker.
Vegane Erkenntnis der Woche: Magenbrot ist vegan! Freude herrscht!
Veganer Abtörner der Woche: Fruchtjoghurt auf Sojabasis. Pfui Deibel!
Für die nächsten Wochen gibt es noch Verbesserungspotenzial, und eine Selbstverständlichkeit hat sich auch noch nicht eingestellt, alles in allem sind aber Rückfälle trotz «kaltem Entzug» grösstenteils ausgeblieben. Nur eine Sünde muss ich beichten: der selbstgebackene Dreikönigskuchen, der am Samstagabend im Kreise der Familie aufgetischt wird. Den echten von Mama gibts eben nur mit Butter und Milchschokolade. Als Wiedergutmachung hänge ich einfach im Februar noch einen veganen Tag an.
Woche zwei kann also kommen.
- Selbstversuch
- Persönliches Gespräch mit Sally Künzler, Restaurant Mairübe
- Website V-Label