Nicht nur ältere Passagiere ärgern sich

ZVB bauen Billettautomaten ab – und ernten Kritik

Gähnende Leere an der Bushaltestelle Oberdorf: Wo vor Kurzem ein Billettautomat stand, ist heute eine behelfsmässige Sitzbank zu finden. (Bild: wia)

Immer weniger Buspassagiere kaufen ihr Billett am Automaten. Das merken auch die Zugerland Verkehrsbetriebe. Aus diesem Grund bauen sie nun gewisse Billettautomaten ab. Das kommt aber nicht überall gut an.

Ganze 424 Haltestellen existieren auf dem Liniennetz der Zugerland Verkehrsbetriebe (ZVB). Doch längst nicht an allen besteht die Möglichkeit, sich ein Ticket zu kaufen. Nur gerade 49 Billettautomaten stehen insgesamt zur Verfügung. Und es werden weniger. Karin Fröhlich, die Mediensprecherin der ZVB, erklärt auf Anfrage: «An Standorten, wo die Kundennachfrage schon heute marginal ist, werden sie abgebaut.» Als Beispiel nennt sie die Haltestelle Baar, Oberdorf.

Tatsächlich sind die beiden Automaten an den zwei entgegengesetzten Haltestellen seit einigen Wochen verschwunden. Auch jener bei der Bushaltestelle Brauerei ist weg. Der Grund ist einfach: Der Unterhalt sei vergleichsweise intensiv, gleichzeitig sei die Kundennachfrage an gewissen Standorten bereits heute marginal, gibt die ZVB zu bedenken.

Auch weiterhin können Billette im Bus gekauft werden

«So zum Beispiel beim Automaten an der Haltestelle Baar, Oberdorf, wo zuletzt nur noch sechs Tickets pro Tag verkauft wurden. Zum Vergleich: An der Haltestelle Metalli werden täglich zwischen 20 und 40 Tickets pro Automat gelöst.» Fröhlich betont, dass auch weiterhin für Kunden die Möglichkeit bestehe, ihr Ticket bei der Busfahrerin zu erwerben. Zwei von drei Billetts würden jedoch bereits online gekauft. Tendenz steigend.

Der Trend ist also klar. Die Digitalisierung vereinfacht den Kauf von Tickets online vehement, gerade auch mit Angeboten wie SBB-Easyride oder Fairtiq. Doch: Nicht alle Zuger verfügen über ein Smartphone. Man denke da beispielsweise an ältere Passagiere.

Auch der Ticketautomat an der Bushaltestelle Brauerei in Baar wurde demontiert. (Bild: wia)

Der Generation 65+ gefällt die digitale Welt

Martin Kolb, der Geschäftsleiter von Pro Senectute Zug, weist darauf hin, dass das Thema der «Digital Seniors» regelmässig in hauseigenen Studien behandelt werde. Und er relativiert damit gleich das Bild der handylosen Senioren: «Ältere Menschen, die offline unterwegs sind, sind heute in der Minderheit und vorwiegend über 80 Jahre alt», fasst Kolb zusammen. Die Generation 65+ zeige klar Gefallen an der digitalen Welt.

«Onliner fühlen sich dank des Internets selbständiger und unabhängiger als Offliner und schätzen die Vorteile von digitalen Dienstleistungen», erklärt Kolb. Offliner würden zwar ein wachsendes Interesse an diesen Angeboten zeigen, jedoch vor den technischen Hindernissen zurückschrecken. «Sie wünschen sich mehr Unterstützung beim Erlernen und Bedienen der Anwendungen.»

«Bei uns beschweren sich immer wieder ältere Menschen über den Abbau von Dienstleistungen und die fortschreitende Digitalisierung.»

Martin Kolb, Geschäftsleiter Pro Senectute Zug

Kolb empfindet es zwar als nachvollziehbar, dass die SBB und andere Dienstleister wie Banken, Post oder Verwaltungen nur noch digitale Angebote schaffen. «Aber: Damit werden diejenigen älteren Menschen, welche aus unterschiedlichen Gründen nicht digital unterwegs sind, immer mehr ausgegrenzt und diskriminiert.»

Der Pro-Senectute-Geschäftsleiter weiter: «Bei uns beschweren sich immer wieder ältere Menschen über den Abbau von Dienstleistungen und die fortschreitende Digitalisierung. Sie fühlen sich oft hilflos, überfordert und auch nutzlos.»

Digitalkurse für Senioren nützen nicht allen

Pro Senectute versuche, diesem Umstand mit Kursen zu E-Banking, Internet, Smartphone und weiteren Themen entgegenzuwirken. «Auch kostenlose Treffs, bei welchen Jugendliche den älteren Menschen Tablets oder Smartphones erklären, bieten wir an.» Kolb relativiert: «Leider schaffen wir es nicht, alle zu diesem Schritt zu motivieren. Sie können oder wollen es nicht.»

Mit dem Abbau von Automaten sei eine Gruppe älterer Menschen «massiv negativ betroffen». Das seien oft auch jene Personen, die mit Bargeld bezahlen würden und im Gebrauch mit Debit- und Kreditkarten nicht geübt seien.

Kolb kritisiert: «Sie werden entweder bewusst ignoriert oder schlichtweg vergessen, weil es sich die Manager nicht vorstellen können, dass es noch Menschen gibt, welche weder über Internet noch über ein Smartphone verfügen.» Und weiter: «Damit trifft es meistens die über 80-Jährigen, welche bereits vulnerabel sind. Das muss zu denken geben.»

Auch «datenschutzliebende Menschen» sind betroffen

Die Partei Parat hat sich unlängst mit einer Petition zur «Digitalen Integrität» an den Zuger Kantonsrat gewandt (zentralplus berichtete). Darin fordert die Partei, dass Bürgerinnen auch ohne Internet und Smartphone Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und Einrichtungen haben. Das Recht, offline zu leben, solle garantiert sein.

Entsprechend kritisiert Parteipräsident Stefan Thöni den Abbau von ZVB-Automaten. «Aus unserer Sicht ist der aktuelle Angebotsabbau für Menschen, die gerne offline bleiben und/oder Bargeld benutzen möchten, ein grosses Problem.» Auch der Umstand, dass Tickets weiterhin beim Buschauffeur erhältlich sein werden, reicht Parat nicht.

«Das Lösen von Billetten beim Fahrer ist kein sinnvoller Ersatz für Automaten, denn dort ist nicht das gleiche Angebot verfügbar. Ich denke da an Streckenbillette mit Bahnanteil, Tageskarten und Ähnliches», sagt Thöni.* «Zudem hält das Lösen bei der Fahrerin den Bus auf und führt damit zu Verspätungen. Dies wird andernorts bereits als Argument benutzt, auch das Bezahlen beim Chauffeur abzuschaffen.»

«Es gibt immer gute Lösungen, mit welchen niemand abgehängt wird. Es braucht nur den politischen Willen.»

Stefan Thöni, Parat-Präsident

Dass der ÖV ohne Smartphone und Kreditkarte auskommt, findet Thöni nicht nur wichtig, um Kindern, Senioren und «privatsphäreliebenden Menschen» gerecht zu werden. Er weist auch auf Notsituationen hin: «Wie kommen sie sonst nach Hause, zur Polizei, zum Ausweisbüro und zu ihrer Bank, wenn ihr Smartphone und Portemonnaie gestohlen wurden?»

«Parat» hat eine Alternative zum heutigen Automaten parat

Der Parat-Präsident sieht jedoch eine Lösung fürs aktuelle Dilemma: «Der Automat könnte allenfalls dahingehend vereinfacht werden, dass er nur noch anonyme Prepaidkarten ausgibt, mit welchen auf dem gesamten ÖV-Netz der jeweils günstigste Tarif gefahren werden kann.» Stefan Thöni sieht darin eine «Digitalisierung, die für alle Menschen in allen Notlagen funktioniert sowie bequem und datensparsam ist».

Und weiter: «Ein solcher vereinfachter Automat könnte eventuell auch in die Busse eingebaut werden, statt an zahllosen Haltestellen aufgestellt werden.» Thöni ist überzeugt: «Es gibt immer gute Lösungen, mit welchen niemand abgehängt wird. Es braucht nur den politischen Willen, insbesondere um der Datensammelwut von Unternehmen Einhalt zu gebieten.»

*Nachtrag: Die ZVB reagierten nach der Publikation auf Stefan Thönis Kritik mit folgender Richtigstellung: «Im Bus können Streckenbillete mit Bahnanteil gekauft werden, zum Beispiel eine Fahrt von Oberägeri nach Luzern. Ebenfalls können Tageskarten oder Mehrfahrtenkarten erwerben werden. Nur Abos kann man im Bus nicht lösen. Wir stellen keinen Einfluss auf die Pünktlichkeit aufgrund des Ticketverkaufs fest.»

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit den ZVB
  • Schriftlicher Austausch mit Pro Senectute
  • Schriftlicher Austausch mit Parat
  • Augenschein vor Ort
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