«Zustand unerträglich» versus «milliardenteure Blackbox»
Soll Zug die zwei Umfahrungstunnel bauen? Darüber entscheidet bald das Volk. zentralplus zeigt im Pro und Contra, worum es geht – und nimmt kein Blatt vor den Mund.
Rund zehn Tage noch bis zur Abstimmung: Am 3. März entscheidet das Zuger Stimmvolk über eine Milliarde Franken. Und darüber, ob die Stadt Zug und die Gemeinde Unterägeri ihre Umfahrungstunnel kriegen. Der Kanton ist gespalten, zeigen die Leserbrief- und Kommentarspalten. Auch in der zentralplus-Redaktion gehen die Wogen hoch.
Konstantin Kreibich, Redaktor für Mobilität, steht hinter den beiden Tunneln. Das «Klein-Klein» der Gegner verschleiere, dass Zug und Unterägeri zerschnittene Orte sind. Christian Hug, CEO von zentralplus, fehlt das Vertrauen, eine Milliarde für Bau und Planung zu sprechen. Im Pro und Contra duellieren sie sich.
Pro: Der Zustand ist unerträglich
Ja, in Zugs Zentrum fahren zehn Prozent weniger Autos als vor zehn Jahren (zentralplus berichtete). Das ist kein Skandal, sondern eine gute Neuigkeit. Doch spürbar ist die Abnahme nicht. Zug bleibt eine Stadt mit einem «durchschnittenen Herz», wie es am Dienstag der Gemeinderat David Meyer (GLP) beschrieb.
«Das Bedürfnis nach einem heilen Herzen ist gewaltig.»
Ein Tunnel will das uralte Problem lösen – und kommt am 3. März zum fünften Mal vors Volk. Für Gegner ist das ein Zeichen seiner Schwäche, zumal er beim letzten Mal 2015 abgelehnt wurde. Doch: In den Jahren 1985, 1990 und 2004 kamen Tunnels an der Urne jeweils durch, scheiterten erst später. Das zeigt: Das Bedürfnis nach einem heilen Herzen ist gewaltig. Ebenso in Unterägeri, einem intakten Dorf, das durch die Kantonsstrasse zerschnitten wird.
Pro: ÖV-Förderung und Tunnel gehen Hand in Hand
Nun sagen Gegner, die Tunnel seien nicht die richtige Lösung. Horrorprognosen vom Mehrverkehr und von jahrelangen Baustellen würzen sie mit Zweifeln an der Wirkung, der Lage und am Sinn der hohen Kosten. Dabei hat sich die Regierung breit abgestützt. Sie baut auf anerkannten Verkehrsprognosen, Vorstudien, Mitwirkungen und auf eine Bevölkerungsbefragung in der Stadt Zug (zentralplus berichtete).
Seit wann zweifeln die Linken an wissenschaftlich fundierten Prognosemodellen? Das verwundert. Ebenso, dass die Verkehrsreduktion aufgrund der Tangente als Argument gegen den Tunnel eingesetzt wird. Am stossendsten ist aber das Strohmannargument, dass Tunnelgegner ohne Ende skandieren. Die geplante Verkehrsreduktion von 75 Prozent in den beiden Zentren sei nur durch begleitende Massnahmen erreichbar. Ich frage mich: Wer hat das je angezweifelt?
«Solange Individualverkehr unterwegs ist, braucht es Strassen.»
Ohne ÖV-Förderung wird keiner der beiden Tunnel die geplante Verkehrsreduktion erreichen. Auch, weil ein Grossteils des Verkehrs in die Zentren führt und nicht durch sie. Dass sich der Kanton bei den begleitenden Massnahmen noch nicht festgelegt hat, wird der Regierung vorgehalten. Ich finde es ökonomisch.
Pro: Bitte kein «Klein-Klein»
Im Gegensatz zu anderen Projekten, die jahrelang Ressourcen schlucken, bevor sie an der Urne abgelehnt werden, will der Kanton eine Erlaubnis einholen, bevor er eine Horde von Experten beauftragt, die Wirkung jeder Ampel, jedes Busses und jedes Parkplatzes durchzurechnen. Selbst der Mobilitätsexperte Alexander Erath hat in den Medien nur Kleinigkeiten ausgesetzt. Eine geplante Velobahn im Perimeter des Nordportals des Stadttunnels sei vergessen worden. Die Vorstudien seien zwar gut, aber nicht auf der Website zu den Tunneln auffindbar (zentralplus berichtete).
Dieses «Klein-Klein» darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Zug und Unterägeri zerschnittene Orte bleiben. Solange Individualverkehr, ob mit Treibstoff oder elektrisch, unterwegs ist, braucht es Strassen. Sie sollten nicht dort liegen, wo Menschen ihre Freizeit verbringen. Ja, viele Menschen bewegen sich heute beim Metalli, wo auch das Tunnelportal entstehen soll. Vielleicht, weil sie das Zentrum meiden.
Contra: Das Vertrauen für einstufiges Verfahren fehlt
Konstantin Kreibich mag bei vielen Punkten recht haben. Es ist tatsächlich ein Unding, den Durchgangsverkehr durch ein Zentrum zu führen, wie dies in der Stadt Zug seit Jahrzehnten der Fall ist. Doch genau hier liegt die Krux des Ganzen.
Ich kann mich noch gut an meine journalistischen Anfänge erinnern, als der damalige Baudirektor Paul Twerenbold für einen Stadttunnel weibelte, einen Tunnel, der unterhalb des Loretos die Stadt umfahren hätte. Über dreissig Jahre später sind mir aus seiner Ära zwei Dinge in Erinnerung geblieben: die Sackgebühr und eine Tunnelvision, Letztere nunmehr in der Variante 5.0. Der Stadttunnel wurde immer kürzer, dafür immer teurer. Und das Zentrum verlagerte sich in dieser Zeit immer mehr in Richtung Metalli. Dahin also, wo nun der Verkehr erst hin muss, um anschliessend im Tunnel zu verschwinden.
Contra: Es mangelt an Betroffenheit für Umfahrung Unterägeri
Und der Tunnel Ägeri? Beim Portaleingang in Neuägeri verspricht man, zukünftig in 90 Sekunden am Ägerisee anzukommen. Diese Zeit habe ich bei meinen letzten Durchfahrten auch ohne Tunnel geschafft. Selbst Bekannte, deren Arbeitsweg durch Unterägeri führt, sprechen nur von gelegentlich stockendem Verkehr während des Abendverkehrs. Wenn selbst die Betroffenen kaum Leidensdruck kennen: Wie will man hier der restlichen Kantonsbevölkerung das Bedürfnis vermitteln?
«Viele Zuger haben sich mit der heutigen Verkehrssituation arrangiert.»
Den Kardinalfehler in der Tunnelabstimmung hat die Zuger Baudirektion aber begangen, als man sich für ein einstufiges Verfahren entschieden hat. Es ist kaum verständlich, weshalb der Stimmbürger über eine milliardenteure Blackbox befinden soll und nicht wie sonst üblich ein konkretes Bauprojekt vorgelegt erhält. So nimmt man bei den beiden Tunnelprojekten in Unterägeri und Zug eine demokratiepolitisch schwer zu vertretende Abkürzung, die viel Vertrauen und Transparenz voraussetzt. Manch einer mag sich nach dem Desaster um die nicht öffentlich zugänglichen Verkehrszahlen fragen, ob dieses in der Tunnelfrage berechtigt ist.
Contra: Die Zeiten haben sich geändert
Doch wie soll es im Falle einer Ablehnung eines oder gar beider Tunnel weitergehen? Einerseits haben sich viele Zuger mit der heutigen Verkehrssituation arrangiert. Nach 30 Jahren verliert ein Stau in der Vorstadt und der Neugasse wohl ein Stück weit seinen Schrecken, die Herausforderungen sind heute andere. Beispielsweise die Wohnsituation. Verbunden mit zukünftigen Mobilitätsbedürfnissen liessen sich die zur Verfügung stehenden Mittel für viele Zugerinnen und Zuger hier wohl besser investieren.
- Medienarchiv zentralplus
- Ausführungen des Stadtrats zu den vier vorherigen Abstimmungen zum Stadttunnel Zug