Stadtluzernerinnen entfliehen an Wochenenden gerne dem Betondschungel und ziehen sich in die Natur zurück. Doch das, was vor ihren Haustüren herumschleicht, kann locker mit ein paar «Mormeli» irgendwo in den Alpen mithalten.
Obwohl Presslufthammer und Strassenlärm für die Beschallung, Strassenlaternen und Scheinwerfer für die Beleuchtung sorgen und Asphalt und Beton die Natur zu bändigen versuchen, hat die Stadt Luzern auch etliche Bewohner, die weder Steuern zahlen noch sonst irgendwelchen menschengemachten Gesetzen Folge leisten.
zentralplus hat sich mit Samuel Ehrenbold, dem stellvertretenden Geschäftsführer von Pro Natura Luzern, über Wildtiere in der Stadt unterhalten. So unwirtlich, wie es oft angenommen wird, ist Luzern gar nicht. «Es gibt sogar Stimmen, die sagen, dass die Stadtlebensräume je länger, je mehr Ersatzlebensraum für gewisse Artengruppen werden», sagt Ehrenbold. Die Aussage lässt aufhorchen.
«Dies, weil sich die Bedingungen ausserhalb des Siedlungsgebiets sehr zu Ungunsten der Artenvielfalt entwickelt haben», erklärt Ehrenbold. So bedrohten etwa Landwirtschaftsbetriebe mit eintönigen Kulturen, starkem Pestizideinsatz oder intensiver Nutzung die bestehende Fauna und Flora.
So arbeitest du für den Stadtluzerner Zoo
Potenzial sieht Ehrenbold in der Ansiedlung von Insekten wie Wildbienen oder Tagfaltern: «Viele Arten kommen mit kleinen Lebensräumen, etwa einer artenreichen Wiese in einem Garten, zurecht und können sich dort ansiedeln.»
Wildbienen fördert die Stadt Luzern aktiv. Schon mit einem Blumentopf oder einem Strauch Salbei auf dem Balkon sei den Tieren gedient, heisst es auf der Projektwebseite. Ehrenbold nennt weitere Möglichkeiten, um Lebensräume für Wildtiere zu schaffen. Er empfiehlt einheimische Wildpflanzen statt Zierpflanzen und Neophyten, keinen Gift- und Düngereinsatz, möglichst wenig versiegelte Flächen und blütenreiche Wiesen statt täglich getrimmten Kunstrasen.
Wichtig sei auch das Zulassen von «Unordnung», etwa das Stehenlassen eines Laubhaufens.
Diese Tiere wohnen in deiner Nachbarschaft
Genauso vielfältig, wie die Möglichkeiten, im eigenen Garten oder auf dem Balkon das Leben von Wildtieren zu vereinfachen, sind die Arten in der Stadt Luzern vertreten. Ehrenbold setzt zu einer selbstredend nicht abschliessenden Aufzählung an und nennt Gänsesäger, Turmdohlen, Saatkrähen, Alpensegler, Füchse, Dachse, Rehe, Biber, Steinmarder, Igel, Fledermäuse, Zauneidechsen, Mauereidechsen, Bergmolche, Erdkröten, Grasfrösche, Blindschleichen, Tagfalter und Wildbienen.
Allen schon einmal begegnet? Wenn nicht, helfen die interaktiven Karten des Projekts Stadtwildtiere. Sie zeigen auf, wo in Luzern welche Tiere gesichtet wurden – basierend auf Meldungen aus der Bevölkerung.
Politisch motiviert sein dürfte es, dass Wolfssichtungen nicht angezeigt werden. Stattdessen leuchtet auf der Webseite eine Fehlermeldung rot auf. Der Wolf, der durch Littau gestreift sein soll (zentralplus berichtete), findet sich auf der interaktiven Karte darum nicht.
Littauer Wolf – gekommen, um weiterzuziehen
Spaziert der Wolf bald über die Kapellbrücke? Samuel Ehrenbold von Pro Natura Luzern beruhigt. «Diese Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, auch wenn gerade im Spätwinter und Frühjahr die Wanderaktivität der Jungtiere sehr gross ist und sie so theoretisch im ganzen Land auftauchen können.»
In der Regel handle es sich aber um Einzelbeobachtungen. Die Tiere wanderten auf der Suche nach einem Revier oder einem Partner rasch weiter und hielten sich nicht länger an einem Ort auf.
Zwischen Katzenvideos und Rattenplage
Vielen Luzerner würden beim Anblick eines Wolfs mitten in der Stadt wohl erschaudern. Auf Katzenvideos folgt hingegen meist ein «Jöö». Und eine Begegnung mit einem Dachs ist am nächsten Morgen Gesprächsthema in der Kaffeepause. Richten Wildtiere aber Schaden an, reagieren Stadtbewohnerinnen oft genervt bis empört. Wie erklärt Ehrenbold diese Ambivalenz?
«Es scheint ein menschlicher Zug zu sein», antwortet er. Junge oder generell «sympathische» Tiere weckten Freude. Solange etwas unbekannt oder nur selten zu sehen sei, werde es positiver bewertet. Wenn aber ein Fuchs Turnschuhe klaue, ein Steinmarder Autos demoliere oder die Saatkrähen während der Brutzeit von morgens bis abends krächzten, sei es mit der Sympathie bald vorbei.
Beweise gefällig? Zuletzt gaben in der Stadt Luzern Dachse zu reden, die Tulpenknollen gefressen haben sollen (zentralplus berichtete). «Wir sind keine Rattenfänger – wir bringen sie um», liess sich ein Kammerjäger an dieser Stelle zitieren (zentralplus berichtete). Und in der Agglo tobten die Biber so sehr, dass ein ganzer Weg gesperrt werden musste (zentralplus berichtete).
Biber meidet Vierwaldstättersee weiterhin
Apropos: Ist der Biber, der vor gut einem Jahr das Reusswehr beim Mühleplatz umgangen hatte (zentralplus berichtete), inzwischen am Vierwaldstättersee sesshaft geworden? Nach aktuellstem Wissensstand nicht, sagt Ehrenbold. Da der Biber aber mehrheitlich nachts unterwegs sei, sehe man ihn eher selten. «Es würde mich nicht überraschen, wenn am Würzenbach plötzlich Spuren gefunden würden.»
Ebenfalls nachtaktiv ist der Iltis. «Er hat etwas höhere Ansprüche an Lebensraum und Nahrung als etwa ein Fuchs, der häufiger im Siedlungsgebiet anzutreffen ist», sagt Ehrenbold. Weil der Iltis «sehr heimlich» lebe, würde er eher selten beobachtet.
Einem Luzerner Jäger ist es gelungen, einen Iltis mitte in der Stadt in die Fotofalle zu locken (zentralplus berichtete). Das ist aber ein paar Jahre her. Von der interaktiven Karte des Projekts Stadtwildtiere ist der Iltis darum verschwunden. Aber vielleicht sorgst ja du für die nächste Meldung?
Einst Moderator und Redaktor beim Radio 3FACH und bei Jam On Radio, schreibt Joel Dittli seit 2023 bei zentralplus. Um auch den künftigen Herausforderungen im Medienalltag gewachsen zu sein, absolviert er die «Diplomausbildung Journalismus» am MAZ Luzern. Als Reggae-Musiker und FCL-Fan ist er am Wochenende oft in Kulturlokalen oder Fussballstadien anzutreffen.
Marder, die ich beim Rundgang mit Hund oft unter Autos hervorkommen sehe, fehlen auf Ihrer Aufzählung der Wildtiere
Hegard, 05.05.2024, 09:11 Uhr
Ich wurde vor 40 Jahren ausgelacht, als ich ein Fuchs in der Stadt kurz sah. Nach dem St. Anna musste ich schon wegen einem Reh auf der Strasse scharf bremsen, oder wie ein Marder vor dem Auto den Kreisel benutzte! usw. auch schon im Lido hörte ich Nachts den Balzruf eines Luchses. Im Lido tummeln sich auch Käuze, die mit ihren Balzrufen erschrecken. Wie berichtet sieht man sehr viele Waldbewohner in der Stadt, wenn mann nicht mit dem Handy Schlafwandelt. Es gäbe auch mehr Falken, wenn man Sie nicht vorweg vergiftet hätte, die die Tauben und Krähenpopulation reguliert hätte. Aber nein, man setzt Hausratten und Meersäuli aus. Übrigens, die Hauskatzen wildern auch ohne Steuern zu zahlen! Da haben die Wildtiere das Vorrecht, hier zu leben, wenn man Sie lässt.
Ihr werdet euch richtig ärgern, wenn die Waschbären die Stadt erobern. Wenn die Schafe richtig geschützt würden, gäbe es dort auch kaum Risse! Aber dekadente Bauern jammern lieber und holen sich schiesswütige Jäger, nur um zu ballern! Mit Tierschutz hat das nichts zu tun. Rösti ist anscheinend kein natürlicher Tierfreund. Goldschakale werden keine Schäden anrichten, weil Sie auf Kleingetier jagd machen. Es wäre schön, wenn die intelligenten Menschen das Natur Kreislaufsystem nicht immer unterbrechen würden.
Licá, 05.05.2024, 12:31 Uhr
Anfang der Nullerjahren sass ich auf der ehemaligen langen Drahtsitzbank beim Bahnhofsplatz und wartete auf den ersten 22er Bus (heute 19er Bussperron). Plötzlich tauchte 2m von mir ein wunderschöner Rotfuchs auf und inspizierte eine leere Burger Verpackung.
Die Begegnung und den langen Augenkontakt mit diesem Wildtier, werde ich nie vergessen. Auch ich wurde ausgelacht (téma la vache)
Roli Greter, 05.05.2024, 20:40 Uhr
Dass man wegen solcher fast alltäglichen Geschichten ausgelacht wird kann ich irgendwie nicht so recht glauben.
Hegard, 10.05.2024, 03:14 Uhr
Genau, ich soll zum Optiker, das sei sicher ein Hund gewesen. Heute weiss man, dads Stadt Füchse in der Stadt leben!