Rattenplage im Eichwäldli

Stadt holt den Kammerjäger

Anstrengend: Der bestmögliche Ort für die Frassköder ist manchmal schwer zu erreichen. (Bild: dvm)

Vor den Toren Luzerns tobt die Rattenplage. Jetzt rückt die Stadt den unerwünschten Nagern zu Leibe – mit Hilfe professioneller Schädlingsbekämpfer. Deren Methode hat es in sich. Gefordert sind aber auch die städtischen Behörden.

Freitagmorgen beim Depot des Strasseninspektorats der Stadt Luzern im Eichwäldli: Es stinkt nach Abfall, irgendwo scheppert ein Rollcontainer. Beim Leeren der Grüngut- und Kompostsammelstellen des Quartiers huschen die Ratten davon. Hunderte sollen es mittlerweile sein. Die Nager sind zur Plage geworden und haben jegliche Scheu vor den Menschen verloren (zentral+ berichtete).

Nun wird gehandelt. Die Kammerjäger von der Firma «Rentokil – die Schädlingsexperten» sind schon da. Stefan Egli, Serviceleiter, ist gleich mit zwei Servicetechnikern angerückt. «Wir sind keine Rattenfänger», machte Egli vorgängig am Telefon klar. «Wir bringen sie um.»

Ratten werden vergiftet

Rund 30 Köderboxen platzieren die Rattenjäger rund um das Depot. Die Köderauslegung erfolgt nicht zufällig. «In den vergangenen Wochen waren wir mehrmals vor Ort und haben die Tiere beobachtet. Es ist wichtig, zu wissen, wo die Ratten ihre Nester und ihre Futterstellen haben», erklärt Egli. Ratten seien sehr intelligent und würden ihr Verhalten perfekt an ihren Lebensraum anpassen. Die Köderbox dürfe deshalb nicht zu nah am Rattennest sein. «Sonst werden die Nager misstrauisch.»

«Die Ratte verblutet innerlich.»

Jean-Martin Fierz, Biologe und Schädlingsbekämpfer

Der ebenfalls anwesende Biologe und technische Leiter von Rentokil, Jean-Martin Fierz, erklärt, wie das Gift wirkt. «Der Köder auf Weizenbasis enthält einen Wirkstoff, der die Blutgerinnung hemmt. Die Ratte verblutet innerlich.» Das klinge sehr brutal, für die Tiere sei das aber schmerzlos, so Fierz. «Die Ratte wird durch den allmählichen Blutverlust immer schwächer, zieht sich in ihren Bau zurück und schläft schliesslich ein.» Es handle sich dabei um eine anerkannte und erlaubte Methode. «Aber klar, fragen können wir Tiere die leider nicht.» Es sei halt einfach die schnellste und wirksamste Art der Beseitigung. «Ratten sind hartnäckig, anders bekommt man die Plage nicht in den Griff.»

Abfallproblematik verschärft Rattenplage

Dass Luzern von Ratten heimgesucht wird, ist nicht neu. Immer wieder werden die schlauen Nager mitten in der Stadt gesichtet. Es lockt ein reichliches Nahrungsangebot: Hausabfälle, Lebensmittelverpackungen und Speisereste sind tierisch gute Futterquellen.

Ratten gibt es auch in der städtischen Kanalisation. Wegen über die Toilette entsorgte Essensresten finden die hartnäckigen Nager auch dort viel Nahrung. Überdies ist die Temperatur das ganze Jahr über sehr konstant. Über die Kanalisation und nicht ganz dichte Stellen in der Fassade können die beweglichen Tiere in Hauskeller eindringen.

Ratten stellen indes nicht nur ein hygienisches, sondern auch ein gesundheitliches Problem dar. Sie sind als Wirt verschiedenster Krankheitserreger bekannt und an deren Verbreitung beteiligt. 

Für Menschen ungefährlich

Auf einem Gepäckwagen rollen die Kammerjäger nun die Frassköder und die Behälter an. Während die Schädlingsexperten die Köderboxen füllen und mit Schrauben fix an den vorbestimmten Stellen montieren, nähern sich die ersten neugierigen Spaziergänger. «Vor allem die Hündeler sind sehr kritisch», klagt Einsatzleiter Stefan Egli. «Sie haben wegen dem Rattengift oft Angst um das Wohl ihrer Vierbeiner.» Dabei seien die nur für Ratten und Mäuse zugänglichen und speziell gekennzeichneten Köderboxen abgeschlossen und manipulationssicher.

Biologe Fierz schiebt nach: «Und es braucht viel, bis die Köder bei grösseren Tieren akut wirken, von der Menge her rund zehn Prozent des eigenen Körpergewichts.» Die Präparatemengen würden präzise auf Schadnager, wie Ratten und Mäuse von Schädlingsbekämpfern auch genannt werden, abgestimmt.

Ausserdem seien die Fressköder auffällig blau eingefärbt, damit sie besser von Tierfutter und  Lebensmitteln unterscheidbar blieben. Zusätzlich seien die toxischen Präparate übrigens mit «Bitrex» vergällt, einer für Menschen extrem bitteren Substanz, welche die Ratten jedoch nicht schmecken würden. «Wer versehentlich Rattengift in den Mund nimmt, spuckt das schnell wieder aus».

«Wir machen das nicht zum Vergnügen.»

Jean-Martin Fierz, Schädlingsbekämpfer

Die Angst sei daher in den meisten Fällen unbegründet. «Das Gift ist sehr sicher in der Anwendung.» Für Haustiere und Kinder bestehe keine Gefahr, so Fierz. «Das muss man den Leuten halt einfach erklären.»

Kollateralschaden möglich

Ein Nachteil hat das Rattengift jedoch. Es wirkt auch auf Mäuse und alle anderen Nagetiere, die durch das kleine Loch in der Box passen. «Das ist leider nicht zu vermeiden», räumt Fierz ein. Allerdings würde es nur sehr selten zu «Kollateralschäden» kommen. Man nehme auf andere Arten und deren Lebensräume Rücksicht. Die meisten Mäusearten seien sowieso Insektenfresser und könnten mit den Ködern nichts anfangen. Überhaupt belaste man die Natur so wenig wie möglich. «Bei allem, was wir tun, hat die Umwelt höchste Priorität.»

Trotzdem sehen sich die Kammerjäger regelmässig mit Vorwürfen konfrontiert. Diese seien bisweilen sehr heftig, weiss Stefan Egli aus eigener Erfahrung: «Viele zeigen mit dem Finger auf uns. Manchmal verunglimpft man uns als Mörder.» Es sei auch schon vorgekommen, dass man ihn und seine Mitarbeiter bedroht habe. «Ich kann das nicht verstehen», klagt Egli, der sich selbst als Tierfreund bezeichnet. «Ich habe zuhause selber eine Katze, einen Hund und sogar zwei Ratten.» Das Vergiften der unerwünschten kleinen Nager sei halt einfach Teil der Arbeit, so Egli. «Wir machen das nicht zum Vergnügen.» 

«Manchmal verunglimpft man uns als Mörder.»

Stefan Egli, Schädlingsbekämpfer

Ins gleiche Horn stösst Jean-Martin Fierz. «Die Ratten sind nicht per se unerwünscht.» In kleinen Populationen sei ihr Dasein neben dem Menschen problemlos. «Ab einer gewissen Menge und in bestimmten Situationen sind die Schadnager einfach zur falschen Zeit am falschen Ort», so Fierz. Und darum müsse man sich eben schon fragen, ob nicht der Mensch das wirkliche Problem sei, hält der Biologe nachdenklich fest. «Schliesslich ist er es, der den Tieren Nahrung und Nistplätze bietet, sodass diese sich überhaupt erst extrem vermehren können.» Zudem habe der Mensch die Ratten im 18. Jahrhundert selbst aus der Mongolei nach Europa eingeschleppt.

Siedlungsabfälle sind problematisch 

Herumliegende Abfallreste und die vielen Nistmöglichkeiten sind denn auch die Gründe für die Explosion der Rattenpopulation im Eichwäldli. «Ratten sind Allesfresser», erklärt Fierz. «Ist genügend Nahrung da, wird so eine Stadt-Ratte bis zu 40 Zentimeter lang und 300 Gramm schwer.» Die Stadt böte den Tieren mit ihren Unmengen an Siedlungsabfällen paradiesische Lebensbedingungen (siehe Box). «Wegen den quasi unerschöpflichen Futterquellen in der Stadt können sich die Tiere unbesorgt der Fortpflanzung widmen», so Fierz. Ein Rattenweibchen könne unter idealen Bedingungen jeden Monat bis zu zwölf Junge gebären.

Deshalb sei es besonders wichtig, dass im Eichwäldli ein Reinigungskonzept erarbeitet werde, damit für die Ratten möglichst wenig Futter übrig bleibt. «Nur so bekommen wir die Rattenplage in den Griff», betont Stefan Egli.

Bis dahin gibt es für die Rattenfänger noch einige Arbeit. In den nächsten Tagen und Monaten werde er regelmässig vorbeischauen und beobachten, welche Köder angefressen worden seien und wie sich die Tiere verhielten, erzählt Egli. «Bei Bedarf werden die Frassköder erneuert.»

Bilder vom Einsatz der Schädlingsbekämpfer sehen Sie in unserer Bildergalerie:

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