FC Luzern
Vorstoss im Kantonsrat

So soll Luzern Fangewalt und Polizeiressourcen reduzieren

Rahel Estermann wird im Kantonsrat einen Vorstoss zum Thema Fangewalt einreichen. (Bild: fcl.fan-fotos.ch/zvg)

Grüne-Kantonsrätin Rahel Estermann möchte die Fangewalt in Luzern minimieren und gleichzeitig die Polizeiressourcen reduzieren. Mit einem Vorstoss sollen andernorts bewährte Lösungsansätze ins Spiel gebracht werden.

«Ich wohne selbst in der Luzerner Neustadt, ganz nahe bei der Zone 5», sagt Rahel Estermann. Sie politisiert für die Grünen im Luzerner Kantonsrat und vertritt ihre Partei in der Justiz- und Sicherheitskommission (JSK). Als am 20. Mai rund um das FCL-Heimspiel gegen St. Gallen die wüsten Strassenschlachten noch im Gange waren (zentralplus berichtete), fuhr Estermann im Bahnhof Luzern ein.

Dort habe sie Detonationen gehört und Flammen am Gleis 3 gesehen – und für ihren Heimweg einen Umweg, vorbei an Polizeisperren, zerstörten Velos und aggressiven Fans, machen müssen. Das habe sie nachdenklich gestimmt. So sehr, dass sie nun mit einem Vorstoss im Kantonsrat an den Regierungsrat gelangt, wo inzwischen SP-Frau Ylfete Fanaj SVP-Mann Paul Winiker als Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements abgelöst hat. Der Vorstoss, den die Grüne noch diese Woche einreichen will, liegt zentralplus exklusiv vor.

«Mitte-Lösung ist keine Lösung»

Rahel Estermann ist nicht die erste Politikerin, die sich an der Lösungssuche rund um das Thema Fangewalt aktiv beteiligt. Mit Vorstössen und einer Volksinitiative ist die Luzerner Mitte seit Monaten intensiv am Thema dran (zentralplus berichtete). Doch setze sie dabei auf reine Repression, bemängelt Estermann. Und findet daher: «Die Mitte-Lösung ist keine wirkliche Lösung.»

Mehr Repression? Für Rahel Estermann der falsche Ansatz. (Bild: jdi)

Stattdessen bringt die Grüne mit ihrem Vorstoss die sogenannten kooperativen Ansätze, konkret das Hannover-Modell und die Stadionallianz, ins Spiel. Diese hätten – im Gegensatz zu rein repressiven Massnahmen – andernorts zu einer Reduktion der Gewalt und gleichzeitig auch zu einer Reduktion der Polizeiressourcen geführt und würden daher von Experten empfohlen.

Kooperative Ansätze

Einen solchen Experten hat zentralplus zu den genannten Modellen befragt. Bei kooperativen Ansätzen bilde der Dialog zwischen Vereinen, Fans, Polizei, SBB und anderen Akteuren die Basis, erklärt Alain Brechbühl. Er ist Projektverantwortlicher der Forschungsstelle Gewalt bei Sportveranstaltungen am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern.

«Der klassische Teufelskreis mit Aktion–Reaktion zwischen Fans und Behörden wird durchbrochen.»

Alain Brechbühl, Universität Bern

«Idealerweise werden Probleme gemeinsam besprochen und darauf bezogene Massnahmen ausgearbeitet, wodurch alle Anspruchsgruppen ihren Teil zur Umsetzung von präventiven Massnahmen beitragen. Bei Interessenkonflikten geht es in der Regel um die Ausarbeitung von Kompromissen», fährt Brechbühl fort.

In Kombination mit repressiven Ansätzen Erfolg versprechend

Kooperative Ansätze seien deeskalativ, nachhaltig und würden das Portemonnaie schonen. Im Gegensatz zu Massnahmen, die sich gegen das Kollektiv richten würden – beispielsweise personalisierte Tickets und Sektorsperren –, würden kooperative Ansätze die Entstehung einer kollektiven Dynamik unter den Fans, wie etwa Solidarisierungseffekte, vermeiden. Der klassische Teufelskreis mit Aktion–Reaktion zwischen Fans und Behörden werde, so Brechbühl, durchbrochen. Die kooperativen Ansätze würden über eine solide empirische Evidenz verfügen und würden auf langjährig erarbeiteten theoretischen Grundlagen basieren.

«Anstatt immer mehr hochgerüstete Ordnungsdiensteinheiten aufzustellen, setzte man auf Konfliktmanager in Leuchtwesten.»

Alain Brechbühl, Universität Bern

«In der Praxis haben sich solche kooperativen Ansätze in Kombination mit Exklusionsmechanismen, also Fernhaltemassnahmen wie etwa Rayonverboten, die auf das Individuum ausgerichtet sind, als sinnvoll und vielversprechend erwiesen», sagt Brechbühl.

Stadionallianz und Hannover-Modell

Im Rahmen der in Deutschland konzipierten und von Rahel Estermann genannten Stadionallianz stehe die «vertrauensvolle Zusammenarbeit von Vereinen und Sicherheitsbehörden» im Zentrum. Das Ziel: «Die Durchführung sicherer Fussballspieltage bei gleichzeitiger Reduktion des Sicherheitsaufwands.» Die Stadionallianz sei eine Ergänzung zu weiteren deutschen Vernetzungskonzepten. In der Praxis würden Vertreter der Polizei, des Klubs und der Fans zusammenkommen. Unter dem Projektnamen «Cluballianzen» werde momentan auf nationaler Ebene an einer Schweizer Adaption des Konzepts gearbeitet.

Beim ebenfalls im Vorstoss Estermanns erwähnten Hannover-Modell kämen Konfliktmanager als polizeiliche Einheit rund um Fussballspiele zum Einsatz. «Anstatt immer mehr hochgerüstete Ordnungsdiensteinheiten aufzustellen, setzte man auf Konfliktmanager in Leuchtwesten, die speziell geschult wurden und via Kommunikation und Dialog eine sehr deeskalative Herangehensweise mit den Fans pflegen», führt Brechbühl aus. Ein Professor aus Hannover habe das Projekt geprägt und damit solide Erfolge erzielt.

Nicht nur in Deutschland erfolgreich

«Ähnliche Erfolge konnten auch in England oder in Stockholm verbucht werden, wo sogenannte ‹Police Liaison Officers› eingesetzt wurden», fährt Brechbühl fort. In beiden Ländern hätten sich gute Effekte gezeigt, beispielsweise im Hinblick auf bessere Aufklärungsinformationen, verstärktes selbstregulatives Verhalten der Fans, bessere Abgrenzung der friedlichen Fans von den Gewaltsuchenden sowie eine Reduktion der Polizeieinsatzkosten und der Zwischenfälle.

«Die Mitte hat bisher im Kantonsrat und in ihrer Volksinitiative ausnahmslos repressive Massnahmen gefordert. Mein Vorstoss verfolgt einen anderen Ansatz.»

Rahel Estermann, Grüne-Kantonsrätin

Dass die Minimierung von Fangewalt und die gleichzeitige Reduktion von Polizeiressourcen mithilfe kooperativer Ansätze sinnvoll ist, finden nicht nur Alain Brechbühl und Rahel Estermann, sondern auch diverse Kantonsrätinnen fast aller Parteien inklusive der SVP, die den Vorstoss unterschrieben haben. Prominente Abwesende: die Mitte.

Darum fehlt die Mitte

Von der FDP konnte Estermann etwa Rolf Born, Präsident des Beirats der Luzerner Fanarbeit, oder Mike Hauser, ehemaliger Präsident der Fanarbeit Schweiz sowie des FC Luzern, als Mitunterzeichner gewinnen. Beide hätten jahrelange Erfahrung darin, kooperative Modelle zwischen Sicherheitsbehörden, Vereinen, Fans und der Verwaltung aufzubauen. Weiter seien Mitglieder der JSK oder SP-Kantonsrätin Melanie Setz, ebenfalls Beirätin der Fanarbeit Luzern, mit dabei.

«Kooperative Ansätze bedeuten nicht Laissez-faire, sondern viel Arbeit im Hintergrund, viel Dialog und gemeinsamen Willen, diesen Weg zu gehen.»

Rahel Estermann, Grüne-Kantonsrätin

Doch wieso fehlen Politiker der Mitte? Estermann antwortet: «Die Mitte hat bisher im Kantonsrat und in ihrer Volksinitiative ausnahmslos repressive Massnahmen gefordert. Mein Vorstoss verfolgt einen anderen Ansatz.» Deshalb sei es keine Priorität gewesen, Mitglieder der Partei anzufragen. Es gebe aber durchaus Mitte-Politiker, die der ausschliesslich repressiven Haltung ihrer eigenen Partei kritisch gegenüberstünden. Einen solchen Mitte-Politiker habe sie inzwischen zur Mitunterzeichnung des Vorstosses angefragt.

Wäre das nötige Personal vorhanden?

Den Vorstoss hat Estermann in Form einer Interpellation verfasst. Sie möchte unter anderem herausfinden, auf welcher Basis die Luzerner Regierung und die Polizei ihre Strategien zur Eindämmung von Fangewalt aufbauen. Zudem fragt sie, ob kooperative Ansätze bereits umgesetzt werden und ob die Luzerner Polizei über Fachpersonen – etwa Konfliktmanager – verfügt, die für die Umsetzung kooperativer Ansätze nötig wären.

Rahel Estermann erklärt abschliessend: «Kooperative Ansätze bedeuten nicht Laissez-faire, sondern viel Arbeit im Hintergrund, viel Dialog und gemeinsamen Willen, diesen Weg zu gehen. Dies alles scheint in Luzern in den vergangenen Jahren gelitten zu haben.» Weitere Repressalien würden die Fronten bloss verhärten und das für die Kooperation nötige Vertrauen untergraben. Dennoch ist die Grüne überzeugt, dass einige Grundsteine für kooperative Ansätze in Luzern bereits gelegt worden sind. Ob sie recht hat, wird die Antwort des Regierungsrats zeigen.

Verwendete Quellen
  • Interpellation der Luzerner Kantonsrätin Rahel Estermann, die Grünen
  • Schriftlicher Austausch mit der Luzerner Kantonsrätin Rahel Estermann, die Grünen
  • Schriftlicher Austausch mit Alain Brechbühl, Universität Bern
  • Konzept Stadionallianzen im Fussball
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.


Apple Store IconGoogle Play Store Icon