Bei Spitälern kochen die Emotionen hoch

Hitzige Spitaldebatte: Angebot in Wolhusen kommt vors Volk

Wofür wirst du künftig im Spital Wolhusen noch behandelt? Darüber werden die Luzernerinnen voraussichtlich abstimmen können. (Bild: zvg)

Spitäler sind ein heisses Eisen. Wird das Angebot bei kleineren Standorten eingeschränkt, hagelt es Dutzende Leserbriefe und Vorstösse. Im Fall des Spitals Wolhusen könnten nun sogar die Luzernerinnen das letzte Wort haben.

«Pflästerli-Abteilung» oder «besserer Samariterposten»: So die Dystopievorstellung von Politikerinnen, wenn das Leistungsangebot «ihrer» Spitäler angepasst wird. In der Zentralschweiz sind gleich zwei Spitaldebatten entbrannt. Im Kanton Zug streicht die Regierung der Chamer Andreasklinik diverse Leistungen, darunter die Grund- und Notfallversorgung. Trotz diverser Leserbriefe, einem Brief der Zuger Ärztegesellschaft und einer Petition mit 5000 Unterschriften. Die Direktorin der Klinik zieht dagegen vors Bundesverwaltungsgericht (zentralplus berichtete).

Im Kanton Luzern ist der Streitpunkt das Spital Wolhusen. Später als geplant fahren zwar endlich die Bagger für den geplanten Neubau auf. Doch für viele Personen im Entlebuch und Luzerner Hinterland kommt das neue Spital mit einem grossen Wermutstropfen: Statt einer Intensivstation soll es lediglich eine Überwachungsstation geben, eine sogenannte Intermediate Care-Station (IMC) (zentralplus berichtete). Damit ist klar: Für schwere Unfälle und Erkrankungen müssen Luzernerinnen sich künftig in die Stadt bemühen.

Initiativen wollen Angebot beim Spital Wolhusen verankern

Nach intensiven Debatten im Parlament haben Ende November Mitte, SVP, FDP, SP und Grüne je eine Einzelinitiative gleichen Inhalts eingereicht. «An den Standorten Luzern, Sursee und Wolhusen wird ein Spital mit mindestens einer ausreichenden, allen zugänglichen ambulanten und stationären medizinischen Grund- und Notfallversorgung angeboten», so die Forderung im Wortlaut. Konkrete Leistungen werden jedoch ausdrücklich nicht gesetzlich festgelegt – was also «ausreichend» ist, wird weiterhin den Spitälern und dem Kanton überlassen.

«Es gibt eine parlamentarische Sicht und eine medizinische Sicht. Aus medizinischer Sicht braucht es eine breite, 24 Stunden verfügbare Grund- und Notfallversorgung in Wolhusen.»

Bernhard Steiner, SVP-Kantonsrat und Kinderarzt

In seiner Antwort vom Dienstag begrüsst die Regierung das Vorgehen der Initiantinnen. Heissen Regierung und Parlament das Anliegen gut, wird die Initiative der zuständigen Kommission zur Vorberatung überwiesen.

SVP-Kinderarzt kritisiert redundante Diskussion

Trotz der positiven Rückmeldung zur Einzelinitiative ist SVP-Kantonsrat Bernhard Steiner nicht zufrieden mit der Antwort. «Die Regierung schiebt alles auf die lange Bank», sagt er auf Anfrage von zentralplus. Erneut würden verschiedene Parteien ein Problem beraten, das im Rahmen der Spitalplanung 2015 ausgiebig diskutiert worden sei. Bereits da lautete der Konsen: Im Raum Wolhusen brauche es ein komplettes Grundversorgerspital.

Zudem könne sich man nicht sicher sein, ob die Mehrheit der im Frühling neu gewählten und zusammengesetzten Kommission und anschliessend das neue Parlament den Initiativtext auch gutheissen werden, so Steiner. Zumal das ganze Prozedere einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Bis ein Vorschlag der Kommission auf dem Tisch liege und wieder im Kantonsrat beraten werde, ziehen weitere Monate ins Land.

Weiter ist sich der in Wolhusen tätige Kinderarzt nicht sicher, ob das Parlament das richtige Entscheidungsorgan für die Spitalleistungen ist. «Es gibt eine parlamentarische Sicht und eine medizinische Sicht, was die Leistungen der Grundversorgung betrifft. Aus medizinischer Sicht braucht es eine breite, 24 Stunden verfügbare Grund- und Notfallversorgung in Wolhusen.» Bereits vor der Kantonsratsdebatte haben sich deshalb 29 Hausärzte der Region mit dieser Forderung in einem offenen Brief an die Kantonsräte gewandt. «Dass die Regierung und unser Rat dafür kein Gehör hat, ist unverständlich.» 

Luzerner Ärzte warnen: Zentralisierung geht nach hinten los

Auf Anfrage warnt die Luzerner Ärztegesellschaft vor der geplanten Zentralisierung des Angebots. Diese spare zwar kurzfristig Kosten und Ressourcen, «im Sinne der Gesundheitsversorgung wird es allerdings teurer». Fehle die Grundversorgung in dezentralen Spitälern, würden die Zentrumsspitäler noch mehr belastet. Ein überlastetes Zentrum, wie das in Luzern häufig der Fall sei, bedeute längere Wartezeiten.

Dies frustriere Patientinnen und Personal. «Viele Spezialisten verlassen die Spitäler wegen der fehlenden Effizienz, hinter der sie nicht mehr stehen können», schreibt die Ärztegesellschaft. Gleichzeitig sei durch die Zentralisierung und der damit verbundenen «Superspezialisierung» die Ausbildung der Ärzte gefährdet. In kleineren Spitälern gebe es deutlich mehr Basiseingriffe als in Zentren.

«Patienten sollten Spitäler primär nach ihrer Qualität und nicht nach der Wohnortnähe auswählen.»

Susanne Gedamke, Geschäftsführerin SPO Patientenorganisation

Auch dem Versprechen von Gesundheitsdirektor Guido Graf, dass es zu keinem Leistungsabbau komme, stehen die Ärzte kritisch gegenüber: «Wenn unter Leistung die Anzahl möglicher Operationen oder das Verabreichen eines Antibiotikums irgendwo im Kanton gemeint ist, wird es wahrscheinlich nicht zu einem Leistungsabbau kommen.» Wenn mit Leistung aber die zeitnahe Betreuung eines Menschen mit akuter oder chronischer Erkrankung, Gebrechen oder Verletzung gemeint sei, komme es sehr wohl zu einem «Leistungsabbau».

Für Patientenorganisation steht Qualität vor Nähe

Zuletzt betont die Ärztegesellschaft: «Es ist nicht zu unterschätzen, was Vertrautheit und Vertrauen in der Krankheitsbewältigung ausmacht.» In regionalen Spitälern fühlen sich die Patienten wohl, da sie sich auf vertrautem Terrain befinden. Auch das Luzerner Kantonsspital selbst bewirbt den Standort Wolhusen auf ihrer Website mit dessen «familiärer Atmosphäre» und der «Nähe von Ihrem Daheim».

Eine Intensivpflegestation soll es im künftigen Spital Wolhusen nicht mehr geben. (Bild: zvg)

Ob das tatsächlich so ist, kann die Stiftung SPO Patientenorganisation auf Anfrage nicht beantworten. Geschäftsführerin Susanne Gedamke könne es sich aber gut vorstellen, dass Patienten Spitäler nach Wohnortsnähe aussuchen. Sie betont jedoch: «Patienten sollten Spitäler primär nach ihrer Qualität und nicht nach der Wohnortnähe auswählen.» Deshalb könne eine Zentralisierung der Spitalversorgung durchaus Sinn machen, da so in der Regel mehr erfahrenes Personal an einem Ort sei.

SVP will Ende Januar mit Unterschriftensammlung starten

Nichtsdestotrotz hält die SVP an ihrer Forderung fest: Es brauche in Wolhusen eine Innere Medizin, Chirurgie, Notfall samt Intensivpflegestation und eine Narkoseärztin. Dieses Setup sei auch für die zugesicherte Geburtenabteilung vonnöten. «Kommt es bei einer Geburt zu Komplikationen, die beispielsweise einen Notfall-Kaiserschnitt nötig machen, braucht es innerhalb weniger Minuten einen Narkosearzt und Gynäkologen im Haus», so Kantonsrat Bernhard Steiner.

Deswegen reichen der SVP die eingereichten Einzelinitiativen nicht: An der Delegiertenversammlung haben sie die Lancierung einer Volksinitiative beschlossen. Derzeit sei man an der Detailausarbeitung des Initiativtexts, heisst es von der Partei.

Dabei stütze sie sich auf die Anforderungen an ein Spital der Grundversorgung mit Notfallstation, wie sie die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) definiert. Diesen zufolge braucht es einen Facharzt für Innere Medizin, für Chirurgie und für Anästhesie, einen Notfall, eine Intensivstation, 24/7-Labor- und -Röntgenbetrieb, eine Kooperation für eine Infektiologie und Psychiatrie sowie eine Palliative-Care-Basisversorgung. Die Unterschriftensammlung werde so bald wie möglich gestartet, frühestens aber Ende Januar. Da der Verein «Pro Spital Wolhusen» gemäss eigenen Angaben bereits über 7000 Mitglieder vereint, dürfte das Sammeln der notwendigen 4000 Unterschriften blosse Formsache sein.

Konsequenzen auf Bauarbeiten noch unklar

Ob die Initiative, wie von Guido Graf in der Ratsdebatte und in seinem persönlichen Blog angetönt, zu einem Baustopp führt, ist unklar. Sowohl die Staatskanzlei als auch das Gesundheits- und Sozialdepartement schreiben auf Anfrage, dass die konkreten Auswirkungen erst beurteilt werden können, wenn die Initiative samt genauer Formulierung vorliege.

Auch, ob die gesetzliche Verankerung wirklich die Grundversorgung in Wolhusen sicherstellen wird, muss sich zeigen. Obwohl die St. Galler SP und SVP gegen die Schliessung des Spitals Wattwil das Referendum ergriffen haben, war dieses Ende März 2022 am Ende, wie die «NZZ» berichtet. Dem Spital seien schlicht die Ärzte und das Pflegepersonal weggelaufen.

Verwendete Quellen
  • Einzelinitiative der Mitte, SVP, FDP, SP und Grüne
  • Stellungnahme der Regierung auf die Forderung
  • Telefonat mit Bernhard Steiner, SVP-Kantonsrat und Kinderarzt
  • Kantonsratsgesetz des Kantons Luzern
  • Offener Brief von Luzerner Hausärzten an die Luzerner Regierung
  • Planungsbericht zur Luzerner Gesundheitsversorgung von 2015
  • Schriftlicher Austausch mit der Luzerner Ärztegesellschaft
  • Schriftlicher Austausch mit Susanne Gedamke, Geschäftsleiterin SPO Patientenorganisation
  • Medienmitteilung SVP Kanton Luzern
  • Anforderungen an die Spital-Basisversorgung gemäss der Gesundheitsdirektorenkonferenz
  • Website Verein Pro Spital Wolhusen
  • Blog von Guido Graf zum Spital Wolhusen
  • Schriftlicher Austausch mit Andreas Töns, Kommunikationsleiter Luzerner Staatskanzlei, und der Kommunikationsstelle des Gesundheits- und Sozialdepartements
  • Artikel in der «NZZ»
  • Website Luzerner Kantonsspital
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