Luzern im Bann des schnellen Rausches

Crack-Welle: So bekämpfen andere Städte das Elend

Bei Crack handelt es sich um Kokain, das mit Backpulver und Wasser in einem Löffel erhitzt wird – wie hier im Bild. Dieses Prozedere fällt bei Crack-Steinen weg. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

In vielen Schweizer Städten sorgt man sich über den wachsenden Crack-Konsum. Noch verheerender als in Luzern ist die Situation in anderen Städten. Ein Überblick.

Crack flutet die Schweiz. Auch am Luzerner Bahnhof erkennt man kleine weisse bis gelbliche Steine, die von Hand zu Hand gereicht werden. Und Pfeifen, die zu den Mündern der teilweise eingefallenen Gesichter geführt werden.

In Chur besetzten Drogenabhängige den Stadtgarten. In Genf explodierte die Anzahl Crack-Konsumentinnen. Und in Zürich verlagerte sich die Drogenszene in die Bäckeranlage, mitten im Kreis 4, neben einem Spielplatz. Bis zu 40 Leute konsumierten täglich.

Crack ist Kokain, das Konsumenten mit Backpulver und Wasser aufkochen und zu kleinen Steinen formen, die dann in der Regel geraucht werden. Köchelten früher Konsumentinnen die Substanzen selbst in einem Löffel auf, sind heute in vielen Städten fixfertige Crack-Steine im Umlauf – und das zu Spottpreisen. In Luzern zirkulieren Cracksteine seit zwei, drei Jahren (zentralplus berichtete). Immer mehr und immer sichtbarer konsumieren Menschen die Droge – etwa rund um den Luzerner Bahnhof. Seit Mai 2023 hat sich die Situation zugespitzt. Stadt und Kanton wollen das Problem eindämmen: Die Gassechuchi – Kontakt- und Anlaufstelle wird künftig ihre Pforten länger offen haben, damit Abhängige in Ruhe – und aus dem Sichtfeld vieler Luzernerinnen – dort ihre Drogen konsumieren können (zentralplus berichtete).

Auch der Bund beschäftigt sich mit dem Problem. Im vergangenen November hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zu einem Runden Tisch geladen, zu dem Städte, Kantone und Suchtexperten eingeladen waren. Der Bericht ist seit Kurzem öffentlich. Wie daraus hervorgeht, ist die Situation in anderen Städten deutlich dramatischer als in Luzern.

Genf – der Schweizer Crack-Hotspot

Sprunghaft ist die Zahl der Crack-Konsumentinnen in Genf angestiegen. Registrierte der Drogenkonsumraum Quai 9 2021 noch 6263 Besuche, bei denen Crack konsumiert wurde, waren es im Jahr 2022 bereits 17’066.

In Genf sind drastisch mehr Crack-Steine im Umlauf. Unmittelbar beim Bahnhof entwickelte sich eine offene Drogenszene – Süchtige rauchten Crack auf offener Strasse, in umliegenden Häusern oder auf dem Schulhof.

Crack-Konsumentinnen haben den Genfer Drogenkonsumraum Quai 9, der direkt hinter dem Bahnhof ist, regelrecht überrannt. Sie wollten nicht warten, bis drinnen ein Platz frei wird – und rauchten rundum möglichst schnell ihr Crack. Sie wurden aggressiv, es kam zu Schlägereien. Nachdem im Sommer 2023 die Blaulichter 33-mal innert 45 Tagen ausrücken mussten, zogen die Verantwortlichen die Reissleine. Sie schlossen den Konsumraum für eine Woche. Crack-Konsumenten sind seither tagsüber nicht mehr willkommen.

Im vergangenen Oktober hat der Genfer Stadtrat nun ein Massnahmenpaket beschlossen, mit einem Budget von nicht weniger als sechs Millionen Franken jährlich. Die Massnahmen: Das «Quai 9» wird vergrössert, das Personal aufgestockt. Die Konsumentinnen kriegen mehr Schlafplätze. Auch die Polizei soll mehr Präsenz markieren.

Zürich – Konsum in Park verlagert

In Zürich steigen laut Bericht des BAG die Zahl Crack-Konsumenten seit rund 15 Jahren konstant an. In den vergangenen drei Jahren «massiv», um jeweils rund 25 Prozent.

Rund 28’000 Konsumationen werden monatlich in den drei Kontakt- und Anlaufstellen (kurz K&A) verzeichnet. Drei Viertel davon würden Crack ausmachen – das seien rund 650 gerauchte Crack-Pfeifen pro Tag, wie der «Tages-Anzeiger» berichtete.

Die Lage spitzte sich zu, nachdem im Herbst 2022 eine K&A auf dem Zürcher Kasernenareal geschlossen wurde. Suchtkranke mieden einen provisorischen Ersatz am Stadtrand. Sie versammelten sich stattdessen in der Bäckeranlage, wo sie dealten und konsumierten – bis zu 40 Personen besuchten gleichzeitig den Park.

Als die K&A im Stadtzentrum wiedereröffnet wurde, beruhigte sich die Situation im November 2023 wieder.

Chur – eine der grössten offenen Drogenszene

«Crack City Steinhausen» steht in dicken, schwarzen Buchstaben, die jemand auf das Schild geschrieben hat, das beim Eingang der Churers Stadtgarten prangert.

Chur hat eine der grössten offenen Drogenszenen der Deutschschweiz, gegen welche die Stadt schon seit Jahren kämpft. Seit Jahren diskutiert man darüber, wo es in Chur einen Konsumraum geben soll. Chur hat zwar eine K&A, jedoch keinen Konsumraum. Das habe das Bilden einer offenen Szene begünstigt, wie das BAG bilanzierte.

Im vergangenen Herbst teilten die Churer Stadtbehörden mit, dass sie eine Liegenschaft für einen Konsumraum gefunden haben – jene an der Sägenstrasse. Dieser wird jedoch deutlich teurer. Im Januar verkündete die Stadtregierung, dass sie neu mit Kosten von 3,9 Millionen Franken rechne. Anfänglich waren es 1,1 Millionen Franken. Die Mehrkosten begründete sie damit, dass Crack gleichbleibende und längere Öffnungszeiten und mehr qualifiziertes Personal erfordere.

Gegen die Pläne regt sich Widerstand. Rund 200 Anwohnerinnen unterschrieben eine entsprechende Unterschriftensammlung dagegen. Viele haben Bedenken wegen anwesender Kinder im Wohnquartier oder der umliegenden Spielplätze. Andere verstehen nicht, wieso man den Konsumraum nicht da realisiert, wo auch die Drogenkonsumentinnen sind – nämlich in der Nähe des Stadtparks.

Ebenfalls will die Stadt Chur die Repression verstärken und eine offene Drogenszene «konsequent unterbinden», während der geplante Konsumraum die Pforten offen haben wird.

Basel, Bern, Waadt: Überall mehr Crack-Konsumentinnen

Auch in anderen Städten nimmt der Crack-Konsum zu. So etwa in Basel und Bern. Konsumenten kaufen Kokain eher in Pulverform und kochen es noch selbst zu Crack auf. In Basel werden mehr Konsumierende obdachlos.

Im Kanton Waadt nimmt der Kokain- und Crack-Konsum seit mehreren Jahren «allmählich zu» und beschleunigte sich im vergangenen Sommer. Der Konsum war öffentlich sichtbar – trotz der fünf bestehenden Anlaufstellen und des Konsumraums in Lausanne. Fertige Cracksteine gibt es in Yverdon-les-Bains, in geringen Mengen in Lausanne.

Als Massnahme wurden die Strassenteams verstärkt, Abfälle, die durch Drogenkonsum liegen bleiben, werden häufiger eingesammelt. Auch ein Krisenstab wurde eingerichtet. Im Frühjahr dieses Jahres soll Lausanne in einem anderen Stadtteil einen zweiten Konsumraum erhalten.

Auch in Kleinstädten ist Crack verbreiteter

Selbst Schweizer Kleinstädte kämpfen gegen die Crack-Flut an – wie etwa Solothurn und Olten. So berichtete «SRF» darüber, dass im Oltener Konsumraum auswärtige Süchtige wie aus dem Nachbarkanton Aargau abgewiesen werden müssten, weil der Raum so gefragt sei. Auch dort ist der Drogenkonsum öffentlich sichtbar: Täglich trifft sich bei der Stadtkirche St. Martin mitten im Zentrum eine Gruppe Süchtiger.

In Solothurn nimmt der Drogenkonsum und die Obdachlosigkeit zu. In den Konsumräumen rauchen Besucher Drogen eher, als sie zu spritzen. Man lud zu einem Runden Tisch, um zu diskutieren, wie sich keine offenen Crack-Drogenszenen bilden würden. Hätte es im Herbst spürbar mehr Konsumenten gegeben, habe sich das im Winter stabilisiert. Die Polizei sei nun präsenter, Suchthilfe und Sicherheitsdienste seien ausgebaut worden.

… und in Luzern?

In Luzern ist Crack gemäss dem Betriebsleiter der Gassechuchi – K&A seit rund 15 Jahren ein Thema. Der Anteil jener, die Drogen inhalativ – also über die Lunge –aufnehmen, hat stetig zugenommen, ist aber nicht explodiert. Auch in Luzern sind Crack-Steine im Umlauf. Und das seit drei, vier Jahren.

Die Besucherzahlen in der Gassechuchi – K+A steigen. Vergangenes Jahr wurden 546 Personen registriert. Das entspricht einer Zunahme von 14 Prozent. Die meisten, die am Geissensteinring 24 ein- und ausgehen, konsumieren mindestens eine Substanz – rund 80 Prozent von ihnen nehmen Crack.

Die Gassechuchi – K+A am Luzerner Geissensteinring: Nicht selten ist im Quartier die Polizei anzutreffen. (Bild: Jutta Vogel)

Was offene Drogenszenen begünstigt – und was entgegenwirkt

Das BAG hält fest, dass die vier Säulen der Suchtpolitik weiterhin der richtige Ansatz seien – man diese jedoch auf die neuen Herausforderungen anpassen müsse. Die vier Säulen basieren auf Prävention, Therapie, Schadensminderung und Repression.

Die Präventon kann ausgebaut werden, indem Angebote, in denen Konsumentinnen ihre Drogen testen, verstärkt werden. Therapiemöglichkeiten bei Crack sind begrenzt, Ersatzprodukte wie beim Heroin gibt es nicht. Im Bereich der Schadensminderung rät das BAG, dass es dort Konsumräume brauche, wo es keine habe. Bestehende sollten ihre Öffnungszeiten prüfen und bauliche Massnahmen vornehmen. Abhängige würden sichere Räume und Rückzugsräume brauchen. «Nur ein funktionierendes und zugängliches Betreuungsangebot kann die neue Drogenszene und deren Sogwirkung in die Städte verhindern», so das BAG. Weiter rät es, die aufsuchende Sucht- und Sozialarbeit zu verstärken. Dinge, welche Stadt und Kanton Luzern anpacken.

Nicht zuletzt ist das BAG überzeugt, dass eine erhöhte Polizeipräsenz im öffentlichen Raum helfe, eine offene Szene zu verhindern. Gemäss Suchtmedizinier Thilo Beck ist jedoch Vorsicht geboten: Staatliche Repression allein sei keine Lösung. «Es braucht ein Gleichgewicht zwischen Repression, Anlaufstellen, Beratung und Therapie, damit keine offene Drogenszene entsteht», hielt er gegenüber «watson» fest. Suchtkranke einfach zu verjagen, bringe nichts. Sie müssten stabilisiert werden.

Auch das BAG betont, dass K&As und weitere Angebote der vier Säulen nachhaltig sein müssen. «Die Erfahrungen der vergangenen Monate zeigen, dass eine Vernachlässigung der Weiterentwicklung der vier Säulen sich schnell rächen kann.» K&As müssten in einen Regelbetrieb überführt werden – viele seien derzeit als Projekte finanziert.

Crack-Steinchen: Konsum wird einfacher

Bleibt die Frage, warum eine derartige Crack-Welle über die Schweiz, aber auch andere Länder schwappt. Zu Platzspitzzeiten war insbesondere das Folienrauchen von Heroin beliebt. In Luzern wurde in den 90er-Jahren hauptsächlich auf der Eisengasse gedealt, konsumiert wurde ein paar Meter weiter unter der Egg (zentralplus berichtete).

Crack ist wohl deswegen so verbreitet, weil es günstig und schnell konsumierbar ist – und viele nicht mehr davon loskommen. Der Konsum wird durch die Steinchen einfacher und nimmt entsprechend zu. Es braucht kein Migros-Backpulver, keinen Löffel und kein ruhiges Plätzchen, an dem Konsumentinnen die Droge erst aufkochen müssen. Es braucht lediglich eine Pfeife, die Konsumenten rasch aus der Hosentasche kramen – und bei einer Bushaltestelle oder in einem Hauseingang rauchen können. Werden die Steine geraucht, hört man ein Knistern und Knacken. Deswegen der Name Crack.

So sehen Crack-Steine aus. (Bild: Adobe Stock)

Flash in Sekundenschnelle – dann kommt der Absturz

Die Droge kann schnell süchtig machen. Wer das Kokain raucht und nicht schnupft, spürt die Wirkung in Sekundenschnelle. Manche Konsumentinnen beschreiben es als einen «Schnellzug», Crack gelangt blitzschnell ins Gehirn und putscht auf. Der Flash ist intensiv. Er hält jedoch nur circa 5 bis 15 Minuten an – und endet mit einem abrupten Absturz. So kann das Verlangen nach einem erneuten Flash kommen. Es gibt Konsumenten, die immer wieder nachlegen und tagelang konsumieren. Sie vergessen zu schlafen, fühlen weder Hunger noch Durst.

Würden Konsumenten unter Stress oder staatlicher Repression leiden, werden gemäss Thilo Beck Crack-Steine attraktiver, weil die in einer halben Minute geraucht seien. Dies habe in mehreren Schweizer Städten zu einer Verlagerung des Konsums an die Öffentlichkeit geführt.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Kevin Klak
    Kevin Klak, 07.04.2024, 11:24 Uhr

    Interessanter Überblick. Danke. Ein wertender Vergleich würde ich in dieser Sache nicht machen.

    Die Berichte der letzten Tage blenden m.E. 2 wichtige Punkte aus:

    1) Verhalten
    Nur weil man an einem sicheren Ort für 10 Minuten Drogen zu sich nehmen kann, hält man sich ja den Rest nicht dort auf. Im Gegenteil, wenn man dann davon runter kommt oder voll drauf ist, sind diese dann in dem entsprechenden Zustand auf dem Spielplatz, an der Bushaltestelle, am Boden vor dem Museum, im Bus, etc.

    2) Beschaffungskriminalität
    Sagt m.E. (vorerst) alles…

    Je näher der Sommer rückt, werden diese Punkte zunehmen. Hier gilt es nun aktiv zu werden.

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    • Profilfoto von Baldo
      Baldo, 07.04.2024, 20:05 Uhr

      Stimme dem zu, es gibt einfach zu viele unrealistische Ansichten.
      Das erste ist, die Drogen werden mit Diebstählen, Überfällen und Einbrüchen finanziert und dann stellt man ihnen als dank einen sicheren Ort zum Konsumieren? Jemand, der eine Droge konsumiert, die schnell süchtig macht und ein paar Minuten wirkt, der wird sicher nicht ans andere Ende der Stadt laufen, um es zu konsumieren. Mit dieser Toleranz werden Kriminelle belohnt und ihnen als dank ein rechtsfreier Raum geboten.

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