Warum die Gassechuchi am Geissensteinring bleiben will
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Wo früher geschuftet wurde, wird zunehmend gewohnt. Rund um die bestehende Gassechuchi – K+A im ehemaligen Luzerner Industriequartier entstehen neue Wohnblöcke. Franziska Reist, die Geschäftsleiterin der Kirchlichen Gassenarbeit, erklärt, warum die Gassechuchi weiterhin ins Quartier gehört.
Wolken und kahle Bäume spiegeln sich in der Fensterfront des Holzhauses, für einmal hat der Regen an diesem Tag ausgesetzt. Franziska Reist steht vor der Tür der Gassechuchi – K+A, um sie zu öffnen.
Hinter ihr ragen die grauen Blöcke, die Neubauten des Geissensteinrings, in die Höhe. Deren Grundstückbesitzer findet: Sie würden es begrüssen, wenn sich die Gassechuchi – K+A ein «weniger dicht besiedeltes Quartier» suchen würde (zentralplus berichtete). Das Gebiet Unterlachen befindet sich im Wandel. Dutzende finden hier ein neues Zuhause. Sei es in den bereits bezogenen Wohnungen am Geissensteinring – oder in den geplanten Neubauten der EWL Areal AG und der Kooperation Industriestrasse.
Hat die Geschäftsleiterin des Vereins Kirchliche Gassenarbeit Luzern Sorgen, dass die Akzeptanz schwindet? Franziska Reist winkt ab. «Nein, eigentlich nicht. Ich glaube auch nicht, dass eine Neuaushandlung des bestehenden Standorts nötig sein wird», sagt sie mit ruhiger Stimme. «Die Gassechuchi – K+A hat sich am heutigen Standort etabliert. Auch bei den Besuchenden. Und die Gassechuchi – K+A soll hier auch weiterhin bleiben.»
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Tage zuvor ist das Licht im Haus mit der Holzfassade abends nach 18 Uhr bereits erloschen. Urs Cattani blickt durch den Nieselregen in Richtung Haus. Der Präsident des Quartiervereins Tribschen-Langensand kann nicht viel über die Gassechuchi sagen. «Sicherlich gab es anfänglich, als die Gassechuchi hierhin gekommen ist, Widerstand. Mittlerweile hören wir aber kaum mehr etwas aus dem Quartier. Und wenn man nichts hört, ist meistens alles in Ordnung. Die Gassenküche hat sich hier etabliert.»
Seit über 20 Jahren am Geissensteinring
Franziska Reist sieht das gleich. Der Ort sei nah genug beim Zentrum und gut erreichbar. Durch die nahegelegene Bushaltestelle auch für jene, die nicht mehr so gut zu Fuss unterwegs sind. Und sie ist doch weit genug vom Stadtgeschehen entfernt. «Wir haben den Eindruck, dass die Gassechuchi – K+A gut verankert ist im Quartier und von diesem auch mitgetragen wird.»
Franziska Reist, Geschäftsleiterin Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern«Wir haben den Eindruck, dass die Gassechuchi – K+A gut verankert ist im Quartier und von diesem auch mitgetragen wird.»
Die Gassechuchi zog 2002 an ihren heutigen Standort. Zuvor war sie an der Industriestrasse einquartiert. 2008 wurde die Kontakt- und Anlaufstelle (K+A), ehemals «Fixerraum», in das Gebäude integriert. Damals wurden sogenannte «Echogruppengespräche» eingeführt. Gassechuchi-Betreiber, Polizei, Stadt, Quartiervereine und die Nachbarschaft waren eingeladen.
Diese Gespräche waren laut Reist damals sinnvoll, weil die Gassechuchi für die meisten neu war. Aufpoppende Probleme konnten konstruktiv angepackt und gelöst werden. Beispielsweise hat man bei der nächstgelegenen Bushaltestelle, bei der Gassenleute teilweise Drogen konsumierten, das Regendach abgebaut, damit es weniger einladend wirkt. «Vor ein paar Jahren wurden diese Gespräche jedoch eingestellt, weil es keine Themen mehr gab.»
Gassechuchi sorgt selten für kritische Voten im Quartier
Dass das Quartier den Standort toleriert, zeigt auch, dass nur selten Anwohnende die Gassenarbeit mit Kritik konfrontieren. Letztes Jahr sei es lediglich zu vier Beanstandungen aus dem Quartier gekommen. Etwa, weil Besuchende Drogen im öffentlichen Raum konsumierten. Von Schülerinnen oder besorgten Eltern hat Reist auch schon gehört, dass sie sich unwohl fühlten, den Geissensteinring entlangzulaufen. «Aber Angst zu haben, braucht man nicht. Kein einziger Besucher der Gassechuchi – K+A würde einem Kind etwas antun, da würde ich meine Hand ins Feuer legen. Aber ich kann verstehen, wenn man sich unwohl fühlt, eine andere Person beim Drogenkonsum oder bereits berauscht zu sehen.»
In der Vergangenheit sorgten auch weggeworfene Spritzen für Unmut. Deswegen führte die Gassenarbeit die «Spritzentour» ein, die bis heute besteht. Jeden Vormittag durchsucht ein Klient oder eine Klientin der Gassechuchi – K+A das Quartier nach Spritzen und kehrt diese zusammen. «Da diese heute kaum mehr im öffentlichen Raum gefunden werden, wird stattdessen der Abfall eingesammelt», sagt Reist.
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Gassenarbeit setzt auf Gesprächsrunden
Nun wird das Quartier, in dem früher geschuftet wurde, Stück für Stück zunehmend bewohnt. Und für viele wird die Gassechuchi – K+A neue Nachbarin. Deswegen würde es die Geschäftsleiterin des Vereins Kirchliche Gassenarbeit begrüssen, wenn die Echogruppengespräche wieder frühzeitig ins Leben gerufen werden. «Problemen vorzubeugen, ist immer besser», sagt Reist. So sei die Gassenarbeit Luzern bei der Überbauung der Kooperation Industriestrasse von Anfang an miteinbezogen worden. «Ich wurde an einer der ersten Versammlungen eingeladen, um über die Gassechuchi – K+A zu erzählen und offene Fragen zu beantworten. Das haben wir sehr geschätzt.»
Franziska Reist«Ich bin der Meinung, dass sucht- und armutsbetroffene Menschen ihren Platz hier im Quartier haben dürfen. Sie sollen nicht immer weiter an den Rand gedrängt werden.»
Was die Zukunft bringen mag, weiss niemand so genau. Die Gassechuchi – K+A arbeitet im Auftrag des Zweckverbandes für institutionelle Sozialhilfe und Gesundheitsförderung (ZiSG). Das Gebäude gehört der Stadt Luzern, die es extra für die Gassechuchi gebaut hat. «Falls der Standort künftig wider Erwarten nur Ärger für alle bedeuten würde, müsste man sich gegebenenfalls nach einem neuen Standort umsehen.»
Der städtische Sozial- und Sicherheitsdirektor Martin Merki gibt sich auf Anfrage bedeckt. Er kann sich nicht dazu äussern, inwiefern sich aus Sicht der Stadt der Standort der Gassechuchi – K+A etabliert hat, was die Stadt tun will, damit auch das wachsende Quartier den Ort mitträgt, und wie geeignet der Standort auch künftig sein wird. Grund sei ein hängiger Vorstoss, mit dem zwei grüne Grossstadträtinnen einen drogenfreien Treffpunkt in der Stadt forderten (zentralplus berichtete).
Reist ist aber zuversichtlich, dass kein neuer Standort nötig sein wird. Zumal sich die meisten vor einem Umzug in ein neues Quartier auch mit der bestehenden Umgebung auseinandersetzten. Und abwögen, ob man sich da wohlfühle – sofern man denn in der privilegierten Lage sei, auszusuchen.
Platz für Sucht- und Armutsbetroffene
Die Gassenarbeit zeigt sich also gesprächsbereit – und öffnet auch die Türen für ihre Nachbarn, die mehr über die Angebote erfahren wollen; beispielsweise bei einem Gassenrundgang.
Sie sensibilisieren die Menschen rundum, aber auch jene, die selbst in der Gassechuchi – K+A ein und aus gehen, dafür, dass sich diese an bestimmte Regeln halten und Hausfriedensbruch nicht geduldet wird. Oder dafür, dass die Crack-Pfeife an Bushaltestellen im Hosensack bleibt, weil sie die Polizei andernfalls zurechtweisen könnte.
Reist setzt sich aber auch für die Besuchenden ein. «Ich bin der Meinung, dass sucht- und armutsbetroffene Menschen ihren Platz hier im Quartier haben dürfen. Sie sollen nicht immer weiter an den Rand gedrängt werden. Der richtige Ansatz in meinen Augen lautet: Wie und unter welchen Bedingungen kann man die Gassechuchi – K+A möglichst gut im bestehenden Quartier integrieren?»
Eine Frage, die die Betreiber künftig umtreiben wird. Gefordert ist die Gassenarbeit auch durch den zunehmenden Konsum von Crack. In Luzern ist die Droge schon länger im Umlauf (zentralplus berichtete). «Dadurch, dass Crack-Steine gebrauchsfertig gehandelt werden und sie schnell und einfach zu konsumieren sind, wird der öffentliche Raum stärker belastet als vor Jahren, als der intravenöse Heroin-Konsum verbreiteter war», sagt Reist. Es fänden also nicht mehr alle Suchtkranken den Weg in die Konsumationsräume. Deswegen überlegen sie sich bei der Gassenarbeit, wie sie die Räume und das Konzept umgestalten können, damit Konsumentinnen zurückkehren und der öffentliche Raum wieder mehr entlastet wird.
- Persönlicher Austausch mit Franziska Reist, Geschäftsleiterin Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern
- Augenschein vor Ort
- Persönlicher Austausch mit Urs Cattani, Präsident Quartierverein Tribschen-Langensand
- Schriftlicher Austausch mit Martin Merki, Stadtrat und Sozial- und Sicherheitsvorsteher
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