Gassechuchi + Drogenkonsum in einem Haus = Gefahr?
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In der Gassenküche in Luzern können Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, essen und trinken. Und in der Kontakt- und Anlaufstelle selbst mitgebrachte Drogen konsumieren. Eine grüne Grossstadträtin sieht darin ein Problem. Doch eine Trennung der beiden Angebote wäre fatal, sagt die Geschäftsleiterin der kirchlichen Gassenarbeit.
In Luzern gibt es zahlreiche Angebote für Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Sei es für Geflüchtete, Sexarbeiterinnen, Arbeitslose, Obdachlose, Suchtkranke oder psychisch auffällige Menschen.
Die Gassenarbeit begleitet Menschen auf der Gasse. Sucht- und armutsbetroffene Menschen kriegen in der Gassechuchi am Geissensteinring ein warmes Essen. In demselben Haus befindet sich auch die Kontakt- und Anlaufstelle, kurz K+A. Hier konsumieren Suchtkranke ihre mitgebrachten Drogen in einem sauberen und ruhigen Umfeld.
Dass Gassenküche und K+A in ein- und demselben Haus sind, könnte zum Problem werden. Das findet Grossstadträtin Selina Frey namens der Grüne/Junge Grüne-Fraktion. Problematisch sei es für jene Menschen, die einen Entzug gemacht haben. Denn sie würden sich der Gefahr eines Rückfalls aussetzen. «Oft entscheiden sich die Menschen dann zwischen Einsamkeit (da sie nach dem Entzug nicht mehr in die Gassenküche gehen und ihr privates Umfeld wechseln) oder setzen sich den Gefahren eines Rückfalls aus (und gehen weiterhin in die Gassenküche, wo sie täglich mit den Drogen in Kontakt kommen)», so Frey.
So kamen die Konsumationsräume in die Gassechuchi
In einer Interpellation stellte sie dem Stadtrat eine Reihe an Fragen. Im Fokus stand die Frage, ob es an niederschwelligen Treffpunkten für Menschen am Rande der Gesellschaft fehlt. Und sie wollte wissen, was man sich damals überlegte, als man Gassenküche und Kontakt- und Anlaufstelle zusammengelegt hat. Nun liegt die Antwort des Stadtrates vor.
Wenn es um die Frage geht, warum im selben Haus Drogen konsumiert und in Ruhe gegessen wird, lohnt es sich, zurückzublicken. Die Stadt Luzern führte bereits 1992 bis 1994 einen Fixerraum. Das Projekt wurde jedoch nicht weitergeführt, weil es an der Urne scheiterte.
Im August 2007 hat die Stadt in Zusammenarbeit mit dem Kanton und dem Verein Kirchliche Gassenarbeit einen neuen Fixerraum als Kontakt- und Anlaufstelle eröffnet, im Rahmen eines Pilotprojekts. Und zwar im ehemaligen Restaurant Geissmättli im St.-Karli-Quartier.
Der Luzerner Stadtrat«Viele Personen, die einen niederschwelligen Ort ohne Konsumationszwang aufsuchen möchten, gehen nicht in die Gassechuchi, da sie sich klar von dieser Klientel distanzieren wollen.»
Nach dem damaligen politischen Willen wurde der Standort so gewählt, dass sich Institutionen der Überlebenshilfe über verschiedene Quartiere der Stadt Luzern verteilen sollten. Eine Integration der K+A bei der bestehenden Gassechuchi am Geissensteinring kam deshalb zu diesem Zeitpunkt nicht infrage, wie der Stadtrat ausführt.
Das Problem: Nur wenige fanden den Weg ins Geissmättli. Deswegen schloss die Drogenkonferenz Ende August 2008 die Pforten der K+A Geissmättli. Für die restliche Zeit der Pilotphase bis Ende Dezember 2008 richtete man eine provisorische K+A in der Gassechuchi ein.
Und siehe da: Die Konsumationsräume wurden genutzt. Da die Zahl der Konsumationen in der Gassechuchi höher war als im Geissmättli, hat man die K+A in der Gassechuchi in einen Regelbetrieb übergeführt. Zwischen 2008 und 2011 fand man die K+A in einem Provisorium im ersten Stock der Gassechuchi. Im Jahr 2011 entstand ein Erweiterungsbau auf der Gassechuchi, in den die K+A definitiv einziehen konnte. Die Gassechuchi hiess fortan Gassechuchi – K+A.
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Für die Stadt war das ein Erfolg. Der öffentliche Raum wurde entlastet, es wurden weniger Spritzen gefunden – und die Szenebildung nahm ab. Bei der Gassenarbeit steht nicht der Ausstieg aus der Drogensucht an erster Stelle, sondern die Schadensminderung. So wirkt die Gassechuchi – K+A der Bildung einer offenen Szene entgegen, indem sich Suchtbetroffene tagsüber vor allem da aufhalten (zentralplus berichtete).
Durch die Zusammenlegung den öffentlichen Raum entlasten
Um die Gassechuchi zu besuchen, muss kein Drogenkonsum vorliegen. Wer in den Konsumationsräumen mitgebrachte Drogen konsumieren will, muss sich registrieren – eine solche Pflicht besteht bei einem Besuch der Gassechuchi – K+A selbst nicht. In dieser ist Alkoholtrinken erlaubt, harte Drogen zu konsumieren, ist verboten.
Die Gassechuchi – K+A versteht sich selbst als ein Auffangnetz für sucht- und armutsbetroffene Menschen aus der Zentralschweiz. Gemäss Franziska Reist, der Geschäftsleiterin des Vereins Kirchliche Gassenarbeit Luzern, haben die meisten des Klientels einen Bezug zu Drogen. «Nur rund ein Zehntel aller Besucherinnen und Besucher der Gassechuchi – K+A konsumiert keine Drogen. Die meisten, die in der Gassechuchi – K+A ein- und ausgehen, konsumieren mindestens eine Subtanz.»
Franziska Reist, Geschäftsleiterin Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern«Die Kontakt- und Anlaufstelle an einen anderen Ort zu verlegen, wäre absolut unsinnig.»
Besteht aus ihrer Sicht die Gefahr eines Rückfalls jener Menschen, die einen Entzug gemacht haben – oder bestünde gar die Gefahr, dass Nichtkonsumierende dadurch in Kontakt mit Drogen kämen? Wäre eine noch klarere räumliche Trennung sinnvoll? Reist hat eine klare Haltung. «Nein, die Kontakt- und Anlaufstelle an einen anderen Ort zu verlegen, wäre absolut unsinnig. Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine Zusammenlegung der Gassechuchi und der Kontakt- und Anlaufstelle dazu geführt hat, dass die Konsumationsräume genutzt werden und dadurch der öffentliche Raum entlastet wird.»
Sie geht sogar davon aus, dass Besucher bei einer Trennung wahrscheinlich vermehrt in der Gassechuchi konsumieren würden, wie das früher der Fall war, als es noch keine K+A gab. «Und das wäre für alle viel verheerender, weil somit ein ungeschützter Rahmen bestünde», so Reist weiter.
Bereits jetzt sind die Gassechuchi und die K+A durch zwei separate Eingänge getrennt. Während die Gassechuchi, wo man sich aufhalten oder in Ruhe essen kann, für alle zugänglich ist, gilt bei den Konsumationsräumen eine Registrationspflicht. Nur jene, die Drogen konsumieren, haben neben dem Personal Zutritt zu den Konsumationsräumen.
Nach der Sucht niederschwellige Treffpunkte meiden
Gassechuchi-Besucher, die in ihrer Vergangenheit Drogen konsumiert haben, hätten ihre Situation soweit im Griff, dass keine Gefahr eines Rückfalls bestünde. Und Besucherinnen, die keine harten Drogen konsumieren, könnten sich genügend distanzieren. «Sie kommen in die Gassechuchi, essen ihre Mahlzeit – und gehen wieder.»
Franziska Reist«Betroffene müssen sich von ihrem vorherigen Leben verabschieden.»
Reist betont, dass Menschen, die einen Entzug machen, noch lange nicht von ihrem Suchtverhalten befreit seien. Um den Ausstieg aus der Sucht zu schaffen, brauche es eine lange Therapie, sei es ambulant oder stationär sowie eine fundierte Nachsorge.
«Betroffene müssen sich von ihrem vorherigen Leben verabschieden. Jemand, der oder die ein neues Leben beginnen will, wird sich auch nicht mehr am Bahnhof aufhalten oder einen niederschwelligen Treffpunkt aufsuchen. Sie oder er meiden alle Orte, die sie oder ihn mit dem früheren Leben in Verbindung bringen könnten. Und ja, die Integration in ein Leben ohne Konsumzwang ist hart.»
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Treffpunkt Stutzegg und Zwitscher-Bar
Der Luzerner Stadtrat teilt jedoch die Ansicht von Selina Frey, dass manche die Gassechuchi – K+A meiden. «Die Gassechuchi hat bei manchen Armutsbetroffenen und psychisch Auffälligen den Ruf, dass sich dort nur Schwerstabhängige aufhalten. Viele Personen, die einen niederschwelligen Ort ohne Konsumationszwang aufsuchen möchten, gehen nicht in die Gassechuchi, da sie sich klar von dieser Klientel distanzieren wollen.»
Zwar gibt es noch andere niederschwellige Treffpunkte für Armutsbetroffene, die klar abstinenzorientiert sind. Orte, an denen Alkohol- und Drogenkonsum also nicht geduldet wird. Gemäss dem Luzerner Stadtrat gibt es davon jedoch nur zwei: der Treffpunkt Stutzegg an der Baselstrasse und die «Zwischer-Bar» im Vögeligärtli.
Der Treffpunkt Stutzegg fungiert als «Stube der Stadt». Hier treffen sich vor allem arme und einsame Menschen. Hier können sie sich auf einen Kaffee treffen oder eine warme Mahlzeit für einen Franken bestellen – es besteht aber kein Konsumationszwang. Zudem gibt es im «Gasthaus der besonderen Art» unter anderem eine Werkstatt, in der die Gäste werkeln und etwas reparieren oder Angebote wie Yoga nutzen können (zentralplus berichtete). Im Fokus stünden hier gemäss Stadtrat vor allem ältere, psychisch beeinträchtigte Menschen.
Die Zwitscher-Bar betitelt sich selbst als ein «Café als ungezwungener Begegnungsort». Auch hier besteht kein Konsumationszwang. Und wie im Stutzegg gibt es keine Einlasskontrolle. Beide sind abstinenzorientiert. Das heisst: Wer berauscht ist, kommt nicht rein.
Angebote für Jugendliche fehlen
Gemäss der SIP (Sicherheit Intervention Prävention der Stadt Luzern) würde manchen Menschen ein Treffpunkt mit Sozialberatung in der Stadt fehlen, wo sie sich tagsüber aufhalten können. Insbesondere Jugendlichen – meist psychisch auffälligen – und Erwachsenen, mit oder ohne Alkoholproblem. Jene Personen würden sich momentan vor allem auf dem Bahnhofsgelände aufhalten.
«Dort kann es immer wieder zu Kontakten mit suchtbetroffenen Personen kommen, was das Rückfallrisiko erhöht», so der Stadtrat. Jene Menschen würden die Gassechuchi – K+A meiden, «da sie sich klar von dieser Klientel distanzieren wollen».
Gemäss Stadtrat überarbeite der Verein Kirchliche Gassenarbeit jedoch das Zutrittskonzept zur Gassechuchi – K+A. «Eventuell könnte durch eine klarere bauliche Trennung der Gassechuchi von der K+A eine Durchmischung von Nichtsüchtigen mit Schwerstsüchtigen und Dealern vermindert werden. Die Eingänge könnten weiter voneinander entfernt werden», so der Stadtrat.
Wie Franziska Reist vom Verein Kirchliche Gassenarbeit präzisiert, würden sie die Konzepte jährlich überprüfen. Angedacht sei in diesem Zusammenhang die Praxis der Registration für Menschen, die nur die Gassechuchi besuchen. Die Altersbeschränkung +18 würde aber auch bei einer angepassten Zutrittsregelung weiterhin bestehen. Sie betont erneut, dass eine klare bauliche Trennung der Gassechuchi von der K+A nicht sinnvoll sei, wie sie das oben schildert. «Wir sind jedoch daran, bedarfsgerechte Anpassungen am Betriebskonzept anzudenken hinsichtlich des zunehmenden Crack-Konsums, um auch mit dieser Thematik den öffentlichen Raum wieder mehr zu entlasten.» So sind Crack-Steine in Luzern zwar schon länger im Umlauf, finden gemäss Polizei aber den Weg zu einem immer jüngeren Publikum (zentralplus berichtete).
Nicht alles eignet sich als Treffpunkt
In Luzern gibt es weitere Angebote wie jene des «Sozial Info REX». Dieses bietet unter anderem einen Schreib- und Steuererklärungsdienst für Menschen ohne Sozialhilfe. Im Rex fanden letztes Jahr knapp 5000 Kontakte statt, bei 800 Anfragen stand die Frage im Fokus, ob ein Anspruch auf Sozialhilfe bestünde.
Von der Idee, das Rex zu einem Treffpunkt zu erweitern, hält der Stadtrat nichts. «Als Treffpunkt eignet sich das Sozial Info REX nicht, da es teilweise um sehr vertrauliche Themen geht und die Mitarbeitenden im Sozial Info REX darauf bedacht sind, die Diskretion so wie gut möglich zu wahren.»
- Interpellation 257
- Antwort auf Interpellation 257
- Telefonat mit Franziska Reist, Geschäftsleitung kirchliche Gassenarbeit Luzern
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