Tunnelgegner im Freudentaumel

«Der Regierungsrat hat die Wähler nicht richtig gespürt»

Grosse Freude bei den Gegenkomitees aus der Stadt Zug und dem Ägerital. (Bild: kok)

Die Zuger Exekutive muss am Sonntag ordentlich einstecken. Eine politische Minderheit im Kanton hat die Mehrheit der Stimmbevölkerung überzeugt. Warum wurden die beiden Tunnel abgelehnt?

«Das Volk hat gesprochen, der Wille ist klar.» Mit diesen Worten begrüsst der Zuger Baudirektor Florian Weber (FDP) die Medien und Komitees am Sonntag im Kantonsratssaal. Neben ihm sitzen Fridolin Bossard, Gemeindepräsident von Unterägeri (FDP), und Eliane Birchmeier, Bauvorsteherin der Stadt Zug (FDP). Das Dreiergespann muss heute eine herbe Niederlage vermitteln.

Denn am Sonntag hat die Zuger Stimmbevölkerung deutlich Nein gesagt zu zwei geplanten Umfahrungstunneln in Unterägeri und Zug. Und das, obwohl alle Parteien bis auf die Linken dafür waren, ebenso wie der Kantonsrat und die Gewerbeverbände. Nun ist das Vorhaben gescheitert und bei den Gemeinden die Enttäuschung gross.

Unterägeri und Stadt Zug mit heftiger Enttäuschung

«Das ist ein gewaltiger Dämpfer für unsere Zentrumsentwicklung», sagte Fridolin Bossard. Das Problem der starken Verkehrsbelastung sei nicht gelöst. Seine Gemeinde hat für beide Tunnel ein Ja in die Urne gelegt – doch im übrigen Kanton war die Ablehnung grösser. «Wir müssen das Ergebnis jetzt analysieren und mit dem Kanton besprechen, wie wir weitermachen.»

Auch bei der Stadt Zug herrscht Katerstimmung. «Ich bedauere sehr, dass wir die Vorteile nicht aufzeigen und die Bedenken ausräumen konnten», sagte Eliane Birchmeier. Es habe «viele positive Anzeichen» vor der Abstimmung gegeben. Doch die Tunnelgegner waren überzeugend. «Hut ab für den Einsatz, den die Gegner geleistet haben. Für mich ist das Demokratie, wie sie leibt und lebt», sagte sie, bevor Christian Hegglin vom Gegenkomitee das Mikrofon übernahm.

Komitees im Gefühlstaumel

«Der Entscheid zeigt: Der Regierungsrat und der Gesamtkantonsrat hat die Wähler nicht richtig gespürt», sagte der SP-Kantonsrat. Mit einer 75-prozentigen bürgerlichen Mehrheit im Kanton Zug hätte sich die Regierung augenscheinlich zu wohlgefühlt. «Für uns ist das Ergebnis eine grosse Erleichterung.»

Kanton, Stadt Zug und Unterägeri sind vertreten und lauschen Christian Hegglin vom Gegenkomitee. (Bild: kok)

Die gegenteilige Gefühlslage brachte im Anschluss der Kantonsrat Adrian Risi (SVP) vom Stadtzuger Pro-Komitee zum Ausdruck. Das Ergebnis sei «frustrierend und schmerzhaft». Denn: «Wir waren wirklich überzeugt, dass wir gewinnen.» Auch er zollte den Gegnern Respekt für den Abstimmungskampf, schoss aber gegen die Medien. «Die Medien haben bei dieser Abstimmung einen riesigen Einfluss genommen.»

Kanton Zug: Die Projektziele waren klar

Abschliessend stellte sich Florian Weber den Fragen der Medien. Ob das einstufige Verfahren, mit dem über Bau und Planung der Tunnel in einem abgestimmt worden sei, ein Fehler gewesen sei? Nein, sagte der Baudirektor. «Wir sind immer noch überzeugt, es hätte funktioniert.» Das Projekt sei in mehreren Etappen unter Einbezug der Bevölkerung und des Parlaments erarbeitet worden.

Waren die Tunnelprojekte vielleicht zu unausgereift? Viele Zuger störten sich daran, dass die Lage der Tunnel zwar klar war, nicht aber die essenziellen Begleitmassnahmen, mit denen die Verkehrsreduktion von 75 Prozent im Zentrum erzielt werden sollte. Auch hier winkt der Baudirektor ab.

Florian Weber muss eine Niederlage einstecken. (Bild: zvg)

«Wir haben ein generelles Projekt auf den Tisch gelegt. Wir haben gesagt, wo die Portale liegen, wo das übergeordnete Strassensystem den Verkehr aufnehmen soll, wir haben Zielwerte ermittelt, Kosten definiert, über die Kasse Bescheid gewusst und den nachgelagerten Prozess festgelegt.»

Er ist überzeugt: Es habe Klarheit geherrscht. Er kündigte an, dass der Kanton den Gemeinden nun mit den Mitteln des Richtplans bei der Zentrumsentwicklung helfen wolle. Ob der Tunnel nun endgültig vom Tisch ist, beantwortete er hier.

Stadt Zug betont ihre Transparenz

Besonders schmerzlich ist der Entscheid für die Stadt Zug. Hier kam ein Stadttunnel diesen Sonntag zum fünften Mal vors Volk. Nach der Niederlage 2015 standen die Zeichen dieses Mal besser. Die gute Finanzlage des Kantons und ein kleinerer Tunnel sollten das Volk überzeugen. Dann tauchten Verkehrszahlen in den Medien auf, die den Stadtrat in ein schlechtes Licht rückten (zentralplus berichtete).

Die Daten zeigten, dass der Verkehr im Zentrum der Stadt in den vergangenen zehn Jahren um zehn Prozent abgenommen hat. Für die Tunnelgegner ein Beweis, dass es keinen Umfahrungstunnel braucht – und das Narrativ der Stadt von steigenden Verkehrsmengen hinkt. Diese versicherte: Die Zunahme des Verkehrs sei valide berechnet worden.

Am Sonntag stellte sich Eliane Birchmeier, vielleicht zum letzten Mal, der Frage der Transparenz. «Hier wurde ein Skandal heraufbeschworen. Die Gegner haben Sachen behauptet und wurden von den Medien beflügelt.» Warum also hat der Stadtrat die Verkehrsmessungen nicht transparent gemacht, als die ALG im April 2023 danach fragte (zentralplus berichtete)? «Die Verkehrsmessungen im Zentrum hatten nicht die Relevanz, um sie für die Umfahrung nutzen zu können», sagte die Stadträtin.

Zuger Linke schaut freudig nach vorn

Zeitgleich ist die Freude bei Zuger Linken gross. Luzian Franzini, Kantonsrat (ALG), sagte nach der Medienkonferenz zu zentralplus: «Das ist ein deutliches Zeichen. Die Zuger Bevölkerung will eine Verkehrspolitik, die ökologische Fortbewegung ins Zentrum stellt. Jetzt müssen wir ernsthafte Alternativen prüfen, wie wir verkehrsbefreite Zentren erreichen – ohne Milliardenkosten und jahrzehntelange Baustellen.»

Freudig, aber überrascht über das Ergebnis zeigte sich der ALG-Kantonsrat Andreas Iten. Er war im Vorfeld der Abstimmungen das Gesicht der Nein-Bewegung im Ägerital (zentralplus berichtete). Dort schien es lange so, als wäre der Tunnel mehrheitsfähig. Nun hat Oberägeri, Itens Heimatort, zweimal Nein gestimmt.

«Ich habe als einziger Kantonsrat im Ägerital gegen die Tunnel gekämpft. Es macht mich stolz, wie Oberägeri entschieden hat.» Einen Grund, warum die Regierung ihr Anliegen nicht durchsetzen konnte, sieht er in der Kommunikation. «Hätte die Exekutive Aspekte des Tunnels hinterfragt, hätte sie die Bevölkerung besser abgeholt.»

Verwendete Quellen
  • Teilnahme und Gespräche an der Medienkonferenz
  • zentralplus Medienarchiv
  • Website von umfahrungen.ch
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9 Kommentare
  • Profilfoto von andre.guntern
    andre.guntern, 04.03.2024, 22:34 Uhr

    Ich bewundere den jungen ALG-Kantonsrat Andi Iten, der sich getraut hat, als einziger Ägerer KR hinzustehen und die negativen Seiten des Ägeri-Tunnels aufzuzeigen. Er wurde belächelt oder gar eingeschüchtert. Dass nun Oberägeri den Tunnel abgelehnt hat, ist für ihn eine grosse Genugtuung.

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    Caro, 04.03.2024, 15:08 Uhr

    Null Selbstkritik aber viel Ego.
    Eine Schande für den Kanton Zug und die FDP Wähler:innen: wir haben bessere Führungskräfte verdient, die ehrlich und offen die Projekte bearbeiten und presentieren.
    Wir lassen uns nicht einlullen.

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    Chrigi Bucher, 04.03.2024, 10:09 Uhr

    Keiner der politischen Befürworter-Zugpferde in diesem Projekt wollte überhaupt irgendjemand spüren, der Fragen & Kritik, egal in welcher Form, zu ihrem Projekt hatte! Ausser purer Abgehobenheit und Arroganz kam da gar nichts entgegen. Das war wohl Karma.

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    Hans Stebel, 03.03.2024, 23:14 Uhr

    Der erste wichtige Schritt ist die Bevölkerungszahl in Unterägeri und generell im Kanton Zug zu stabilisieren und reduzieren. Unterägeri muss keine Stadt werden, weniger ist mehr.

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    Franz, 03.03.2024, 23:03 Uhr

    Jetzt wären Zeit und Geld da für Velowege, die diesen Namen verdienen. Und zwar dort, wo wirklich Velos fahren. Von Zug bis Oberwil wäre schon mal ein Anfang.

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      Hanswurst, 04.03.2024, 12:40 Uhr

      Das wäre doch mal ein guter, wichtiger Anfang für den Kanton Zug, der pro Kopf schweizweit am meisten PWs hat, 2023: 749 pro 1‘000 Einwohner/-innen!

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    Kaalro, 03.03.2024, 21:39 Uhr

    Die meisten haben es erkannt, ob politisch rechts oder links, so schlecht geplanten Tunnelprojekten erteilt man eine Abfuhr. Einer der Gründe für den Regierungsrat war, dass genügend Geld verfügbar sei, erwähnt von Weber mit einer fast nicht zu übertreffenden Arroganz – wir könnten die Tunnels zwei Mal finanzieren. Jetzt kann er es ja zwei Mal für etwas anderes ausgeben.

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    Cedric Kunz, 03.03.2024, 21:03 Uhr

    Da verliert der bürgerliche Baudirektor in einem bürgerlichen Kanton die Abstimmmung über ein bürgerliches Vorhaben (Strassenbau). Sein Fazit: Ich habe alles richtig gemacht. Unglaublich! So wenig Selbstkritik zeugt von so einer grossen Portion Blindheit, dass man sich wirklich fragen muss, ob dieser Mann seiner Aufgabe überhaupt gewachsen ist. Und das sage ich als FDP-Wähler.

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    Odermatt, 03.03.2024, 19:56 Uhr

    Baut doch bis nach Goldau den ganzen Zugerberg voll mit Immobilien und fragt euch, dann woher der Verkehr kommt. Einfach nur hyperdämlich und nicht in die Zukunft schauend seit ihr Apero-Politiker

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