Umstrittene Flüge von Luzerner Schule

Indienreise: Jetzt äussert sich der Rektor der Kanti Alpenquai

Der Rektor der Kanti Alpenquai spricht von einer Abwägung. (Bild: bic/zvg)

Eine Luzerner Schulklasse flog dieses Jahr für zehn Tage nach Südindien – zu einem grossen Teil gesponsert durch den Bund. Das löste Diskussionen aus, vor allem wegen der CO2-Frage. Ein bekannter Klimaforscher wendet sich gegen das Schönreden.

Es gab zu reden, als das «Regionaljournal Zentralschweiz» im Januar bekannte machte, dass eine Schulklasse der Kantonsschule Alpenquai für ein Austauschprojekt im Januar nach Indien flog. Rund zwölf Stunden dauerte der Flug, zehn Tage der Aufenthalt in Indien. Dem Indienaufenthalt war ein Besuch der indischen Gastklasse in Luzern im vergangenen Oktober vorausgegangen. Das «Regionaljournal Zentralschweiz» stellte die Frage, ob ein solches Projekt in Zeiten des Klimawandels nicht besser komplett im digitalen Raum stattfinden sollte. Oder ob nicht wenigstens ein Projekt vorzuziehen wäre, bei dem nicht eine derart lange Reise nötig wäre.

Der für die Organisation des Austauschs zuständige Gymi-Lehrer Tommi Mendel verteidigte gegenüber SRF die Wahl des fernen Reiseziels. Innerhalb der westlichen Industriestaaten sei die Denkweise sehr ähnlich. Indien hingegen habe eine ernorme religiöse, kulturelle und sprachliche Vielfalt. Nachhaltigkeit und Klimawandel seien wichtige Themen, so Mendel gegenüber SRF. Und diese Themen würden sie reflektieren.

Ein Grossteil der Kosten durch den Bund subventioniert

Der grösste Teil der Kosten dieser Reise wurde von Movetia übernommen. Movetia ist die nationale Agentur für Austausch und Mobilität, welche vom Bund finanziell getragen wird. Im Falle eines internationalen Austauschs wie bei dieser Indienreise ist es das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, welches entsprechende Unterstützungsgelder finanziert.

Auf Anfrage bestätigt Christine Keller von Movetia, dass die Reise der Luzerner Schülerinnen zehn Tage gedauert habe. «Aber das Projekt dauert ein Schuljahr – die Schülerinnen und Schüler arbeiten gemeinsam an ausgewählten Aspekten des Projektthemas ‹Soziale Ungleichheit zwischen der Schweiz und Indien› bezüglich soziale Schicht, Ethnie, Religion und Gender. Sie entwickeln Fähigkeiten zur Zusammenarbeit und Kommunikation in einem interkulturellen Umfeld.» Gemäss Angabe der Kantonsschule Alpenquai stammen die indischen Schüler in sozialer Hinsicht aus einer vergleichbaren Schicht wie ihre Kolleginnen aus Luzern.

Beiträge für die Reise und Aufenthaltspauschale

Gemäss Keller nahmen je 22 Schülerinnen aus der Schweiz und Indien sowie je zwei Lehrer teil. Die Schüler der Kantonsschule Alpenquai seien Teilnehmende des Ergänzungsfachs Religion und Ethik. Pro Schülerin aus der Schweiz habe Movetia 800 Franken für die Reise und eine Aufenthaltspauschale bezahlt, total 1100 Franken.

Aus dem eigenen Sack steuerten die Lernenden aus Luzern rund 650 Franken bei. Bei den Schülerinnen aus Indien habe der entsprechende Totalbetrag 1300 Franken betragen. Für die Lehrer aus der Schweiz habe die Unterstützung insgesamt 2240 Franken betragen, für jene aus Indien 2720 Franken. Der Gesamtbetrag der durch den Bund getragenen Unterstützung belief sich somit auf 62’720 Franken. Anzufügen gilt, dass zu diesem Betrag noch ein anteilmässiger Beitrag der Verwaltungskosten von Movetia zugerechnet werden müsste.

«Seit vielen Jahren ist unsere Schule bezüglich Reisen mit Flügen sehr restriktiv, restriktiver als viele andere Schulen, was uns auch immer wieder Kritik eingetragen hat.»

Hans Hirschi, Rektor der Kantonsschule Alpenquai

In der Kommentarspalte von SRF gab diese Reise zu reden. Nebst Zustimmung gab es auch viel Kritik. Kritisiert wurde unter anderem, dass ein beträchtlicher Teil der Kosten durch die Steuerzahlerinnen finanziert wurde. Bemängelt wurde auch, dass die Austauschstudenten aus Indien einer ebenfalls privilegierten Schicht angehören. Und dann sorgte vor allem die CO2-Frage für Gesprächsstoff. Lässt sich ein so weiter Flug für ein solches Projekt  verantworten?

Rektor spricht von Abwägung

Auf Anfrage äussert sich Hans Hirschi, Rektor der Kantonsschule Alpenquai, zur Kritik an dieser Reise und damit zur Klimafrage: «Die Frage, wie weit Flüge verantwortet werden können, wird bei uns intern natürlich ebenfalls diskutiert. Seit vielen Jahren ist unsere Schule bezüglich Reisen mit Flügen sehr restriktiv, restriktiver als viele andere Schulen, was uns auch immer wieder Kritik eingetragen hat.»

Hin und zurück: 15'438 Kilometer

Gemäss Angabe der Kantonsschule Alpenquai flog die Schülerinnengruppe von Zürich über Dubai nach Trivandrum in Südindien.

Die Distanz des Retourflugs betrug demnach 15'438 Kilometer.  Hin- und Rückflug zusammen verursachen pro Passagier 2,92 Tonnen CO2-Äquivalente in der Economy Class beziehungsweise 6,04 Tonnen in der Business Class und 9,31 Tonnen in der First Class.

Die 2,92 Tonnen CO2-Äquivalente des Economy-Flugs entsprechen zum Beispiel dem Ausstoss, der bei der durchschnittlichen Nutzung von 1,3 Personenwagen in der Schweiz in einem Jahr erzeugt wird. Für die Business Class liegt der Wert bei 2,7 Personenwagen und für die First Class bei 4,2 Personenwagen.

Dennoch gibt es Situationen, in denen es der Kantonsschule Alpenquai als legitim erscheine, eine Abwägung durchzuführen. «Den Bildungswert des Austausches mit unserer indischen Partnerschule halten wir für so hoch, dass sich unseres Erachtens ausnahmsweise Flüge rechtfertigen lassen. Der Austausch basiert auf einer intensiven Zusammenarbeit, die über den eigentlichen Besuch hinausgeht. Wir betrachten ihn auch als Beitrag zur Verständigung zwischen den Kulturen.»

Die Klimafrage sei im Übrigen an der Kantonsschule Alpenquai sehr präsent. «Sie wird in eigenen Unterrichtsgefässen behandelt. Zudem versuchen wir, die Schule möglichst klimafreundlich zu betreiben.» So werde die Schule etwa mit einer Wärmepumpe mit Seewasserfassung beheizt.

«Wir sind eine lernende Organisation»

Hätte es aber nicht Alternativen gegeben, indem man zum Beispiel den Austausch mit Personen aus dem Asylbereich oder etwa auch mit Integrationsklassen gesucht hätte? Rektor Hirschi antwortet, man pflege den Austausch mit Personen aus dem Asylbereich ebenfalls. Aber es sei bei jedem Abwägungsprozess so, dass die Gewichtung der einzelnen Faktoren je nach Hintergrundwissen variieren könne.

«Ich kann Ihnen einfach sagen, dass wir alle diese Diskussionen führen und auch aufgrund neuer Erfahrungen immer wieder prüfen, ob getroffene Entscheide auch aufgrund neuer Erfahrungen noch vertretbar sind. In diesem Sinne sind wir gerade in Bezug auf die Frage, in welchen Situationen Flüge verantwortbar sind, eine lernende Organisation. Und das bekommen auch die Schülerinnen und Schüler mit.»

Die Kanti Alpenquai. (Bild: bic)

Die Frage der Vorbildrolle

Reto Knutti ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich. Auf Anfrage sagt er: «Grundsätzlich gibt es aus meiner Sicht keine klaren Gründe, warum Bildung auf Stufe Gymnasium Flugreisen erfordert. Die wesentlichen Kompetenzen, die auf dieser Stufe vermittelt werden, können in der Schweiz oder im nahen Ausland vermittelt werden.»

Es gebe mindestens vier Gründe, warum man solche Flugreisen vermeiden sollte. «Erstens die Umwelt und das Klima: Das Fliegen verursacht 20 Prozent oder mehr des Treibhausgas-Ausstosses in der Schweiz, Tendenz vor Covid massiv steigend. Zweitens, es geht hier um die Ausbildung der nächsten Generation, die viel höhere Anstrengungen unternehmen werden muss, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Es ist wie das Lichterlöschen, das man den Kindern beibringt, nur grösser. Drittens, die öffentliche Hand hat eine Vorbildrolle. Der Bund hat sich ein CO2-Reduktionsziel von 50 Prozent bis 2030 gesetzt. Und viertens: Schulen sind finanziert durch Steuergelder und es ist fraglich, ob der Einsatz von diesen für Flugreisen den grösstmöglichen Nutzen für die Bildung liefert.»

Die vielen Flugreisen der Schweizer

Ein Sprecher des Klimastreiks Schweiz findet, dass Flüge vermieden werden sollten, wenn dies möglich sei. Er sieht aber die Hauptverantwortung bei den grossen Emittenten, also den grossen Unternehmungen. Ähnlich argumentiert Julian Gerber, Co-Präsident der Jungen Grünen Luzern. Das Zeichen, welches die Schule mit diesem Flug setze, sei nicht optimal. Gerber weist gleichzeitig aber auch auf die Umweltbelastung durch die Superreichen hin.

Der Klimatologe Reto Knutti von der ETH Zürich hält dagegen und differenziert. Er findet zwar, dass es Sinn ergebe, zu unterscheiden, ob das Individuum jeweils aus freier Entscheidung fliegt oder ob jeweils Firmen für die entsprechenden Flugreisen verantwortlich sind.

«Am Ende sind das alles Ausreden, um das eigene Verhalten zu rechtfertigen.»

Reto Knutti, Klimatologe der ETH Zürich

«Es ist mit überwältigender Mehrheit das erste; die Flugreisen in der Schweiz sind dominiert durch den Bereich Freizeit/Ferien.» Diesbezüglich könne jede Person selber entscheiden. Jeder und jeder könne seine Gewohnheiten hinterfragen und so einen Beitrag leisten. «Gleichzeitig ist auch klar, dass es ohne einen politischen Rahmen nicht reichen wird, wie das bei anderen ähnlichen Problemen – Abfall, Wasserqualität, Luft – auch der Fall war.»

Die Verteilung der Flugemissionen sei tatsächlich sehr asymmetrisch, mit einem kleinen Teil, der sehr viel fliege. Im internationalen Vergleich aber gehöre die Mehrheit der Schweizerinnen zu jenem kleinen Teil, der im Verhältnis viel fliege. Erstaunlich ist es vor diesem Hintergrund, wie unbesorgt gewisse Schweizer Promis ihre Ferienbilder jeweils auf den sozialen Medien zur Schau stellen.

«Ausreden, um das eigene Verhalten zu rechtfertigen»

Ob Erwachsene oder Jugendliche: In vielen Fällen werden Gründe gesucht und gefunden, um eine bestimmte Flugreise zu erklären. «Am Ende sind das alles Ausreden, um das eigene Verhalten zu rechtfertigen. Man versucht etwas schönzureden, indem man argumentiert, dass andere schlimmer sind oder dass es keinen Unterschied macht oder dass der andere zuerst etwas machen solle», sagt Reto Knutti dazu. Jeder finde immer einen Grund, warum der eigene Fall gerade anders sei als jener der andern.

«Man kann es drehen und wenden, wie man will, jeder Flug ist ein Flug, jede Tonne CO2 ist eine Tonne und jede gesparte Tonne ist eine näher am Ziel Netto Null. Wir müssen nicht diskutieren, ob wir den einen oder den anderen Flug eliminieren, wir müssen sie alle eliminieren, so lange es keine klimaneutralen Alternativen gibt. Die relevante Frage muss es jeweils sein, ob der Flug nötig und zielführend ist, nicht was alle anderen tun.»

Auch Pfader flogen weit

Die Exkursion der Kantonsschule Alpenquai ist nicht die einzige Gruppenflugreise, welche in letzter Zeit zu Diskussionen führte. So flogen im Sommer des letzten Jahres 1430 Mitglieder der Pfadi Schweiz an das internationale Pfaditreffen in Südkorea. Gemäss Pfadi Schweiz waren darunter beispielsweise auch 11 Teilnehmende aus dem Kanton Luzern. Auch diese Reise gab wegen der CO2-Frage zu reden.

Verwendete Quellen
  • Beitrag vom SRF-«Regionaljournal Zentralschweiz»
  • Schriftlicher Austausch mit Christine Keller, Movetia
  • Schriftlicher Austausch mit Thommy Mendel, Lehrer Kantonsschule Alpenquai Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Hans Hirschi, Rektor Kantonsschule Alpenquai Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Klimastreik Schweiz
  • Schriftlicher Austausch mit Julian Gerber, Co-Präsident Junge Grüne Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Reto Knutti, Klimatologe, ETH Zürich
  • Schriftlicher Austausch mit Bundesamt für Umwelt (Bafu)
  • Schriftlicher Austausch mit Pfadi Schweiz
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