Wahlen 2023 – Zuwanderung

10-Millionen-Schweiz: Horrorszenario – oder ist die Einwanderung gar nicht das Problem?

Immer mehr Personen zieht es in die Schweiz. Mittlerweile leben über neun Millionen im Land. (Bild: Auraonline / Emanuel Ammon)

Im fünften Teil der grossen zentralplus-Wahlserie geht es um die Zuwanderung. Wir wollten von Luzerner Nationalratskandidatinnen und -kandidaten wissen, wie sie mit der wachsenden Bevölkerungszahl umgehen.

2014 nahm die Schweizer Stimmbevölkerung die Masseneinwanderungsinitiative der SVP an. Diese hatte zum Ziel, dass das Land bessere Werkzeuge zur eigenständigen Steuerung der Zuwanderung erhält. Die Umsetzung war dann allerdings ein Hürdenlauf sondergleichen, das eidgenössische Parlament verwässerte das Anliegen. Ein Rechtsprofessor kritisierte später, von der Initiative sei «sehr wenig» übrig geblieben.

Die Einwanderungszahlen sind entsprechend seither nicht gesunken, sondern im Gegenteil gar angestiegen (zentralplus berichtete). Seit September leben erstmals neun Millionen Personen in der Schweiz. Und immer öfter ist von der 10-Millionen- oder gar 12-Millionen-Schweiz die Rede. Fakt ist: Wenn das Bevölkerungswachstum so weitergeht, wird das Land in wenigen Jahren die 10-Millionen-Marke erreichen.

Im Rahmen der grossen Wahlserie vor den eidgenössischen Wahlen vom 22. Oktober hat zentralplus die Luzerner Spitzenkandidaten für den Nationalrat deshalb nach ihrer Haltung zur Zuwanderung gefragt. Konkret lautete die Fragestellung: «Eine Schweiz mit zehn oder gar zwölf Millionen Einwohnern: Wie stehen Sie zu diesem Szenario? Generell: Wie stehen Sie zur Einwanderungspolitik?»

Die Antworten der Mitte-Kandidaten

Leo Müller (65, bisher): «Die Einwanderungspolitik ist zu überdenken. Insbesondere sind die in unser Land eingewanderten Personen besser in den Arbeitsprozess zu integrieren.»

Priska Wismer-Felder (53, bisher): «Eine 12-Millionen-Schweiz ist für mich nicht denkbar – es ist notwendig, dass unser Asylgesetz konsequent angewandt wird. Das heisst: Schutz für Menschen, die an Leib und Leben bedroht sind, Rückschaffung von reinen Wirtschaftsflüchtlingen. Das Wachstum der Wirtschaft soll nachhaltig und nicht um jeden Preis erzielt werden.»

Adrian Nussbaum (45, neu): «Die Schweiz hat nicht unendlich Platz. Wir müssen uns darum kümmern, nur diejenigen Menschen in die Schweiz einwandern zu lassen, welche wir wirklich als Arbeitskräfte brauchen. Personen, welche nur unser System ausnutzen wollen, sollen draussen bleiben – Wachstumsinitiativen, welche nur das Problem bewirtschaften, sind aber keine Lösung.»

Karin Stadelmann (38, neu): «Angst ist ein schlechter Ratgeber, und wir dürfen uns nicht von der Angst gegenüber der Migration leiten lassen. Es gilt, das wirtschaftliche Potenzial der Zuwanderung für die Schweiz und unsere Unternehmungen besser zu nutzen und die Berufsintegration voranzutreiben. Wir wissen, dass wir in zahlreichen Branchen Fachkräftemangel haben.»

Die Antworten der Grünen-Kandidaten

Michael Töngi (56, bisher): «Wer weniger Einwanderung will, muss über das wirtschaftliche Wachstum in der Schweiz reden, über Firmenansiedlungen oder zu tiefe Firmensteuern. Will man eine weiterwachsende Schweiz, so muss der Staat auch die Rahmenbedingungen schaffen, damit dieses Wachstum verkraftbar bleibt: mit einem Ausbau des öffentlichen Verkehrs, bezahlbarem Wohnraum oder Betreuungsangeboten für Kinder.»

Laura Spring (39, neu): «Die Bekämpfung der Ursachen (bewaffnete Konflikte, Klimaerhitzung, Ungleichheit der Vermögensverteilung), welche die Menschen ins Exil treiben, muss Vorrang haben. Ganz grundsätzlich ist die Schweiz schon seit geraumer Zeit ein Einwanderungsland. Ein Viertel der Wohnbevölkerung kann heute nicht mitmachen in unserer Demokratie, darum setze ich mich für ein Grundrecht auf Einbürgerung ein.»

Die Antworten der GLP-Kandidaten

Roland Fischer (58, bisher): «Die Einwanderung ist nicht das Problem, sondern die Alterung der Bevölkerung, welche zu einem zunehmenden Fachkräftemangel führt. Die Nachfrage nach Arbeitskräften kann durch die bereits ansässige Bevölkerung je länger, desto mehr nicht mehr gedeckt werden. In der Einwanderungspolitik muss der Fokus deshalb deutlich stärker auf die Integration in den Arbeitsmarkt gelegt werden – eine Schweiz mit 10 Millionen erachte ich als möglich, eine mit 12 Millionen als eher unwahrscheinlich.»

Claudia Huser (42, neu): «Eine Beschränkung auf eine bestimmte Zahl ist nicht zielführend. Wir brauchen Fach- und Arbeitskräfte in der Schweiz dringend. Zuwanderung ist daher notwendig. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir dafür klare Rahmenbedingungen brauchen, so dass das Zusammenleben mit unterschiedlichen Kulturen gut möglich ist.»

Die Antworten der FDP-Kandidaten

Peter Schilliger (64, bisher): «Ich stehe ein für eine harte, aber faire Migrationspolitik, die der langjährigen humanitären Tradition der Schweiz Rechnung trägt. Der Familiennachzug ist durch strenge Auflagen (beispielsweise Integrationsvereinbarungen) zu begrenzen, zudem darf es keine unkontrollierte Zuwanderung von Wirtschaftsflüchtlingen geben. Es gilt aber auch: Für die künftige Leistungserfüllung ist die Sicherung von genügend Arbeitskräften über den Kanal der Personenfreizügigkeit wesentlich.»

Jacqueline Theiler (42, neu): «Die aktuelle Zuwanderung in die Schweiz ist zu gross, die Schweiz ist jedoch aufgrund des Fachkräftemangels in vielen Bereichen auf eine moderate Zuwanderung angewiesen. Deshalb wird die Personenfreizügigkeit mit der EU weiterhin bedeutend bleiben. Jedoch ist auch das inländische Arbeitskräftepotenzial viel besser auszuschöpfen (zum Beispiel Vereinbarkeit von Beruf und Familie), und eine harte, aber faire Asylpolitik ist konsequent umzusetzen.»

Die Antworten der SVP-Kandidaten

Franz Grüter (60, bisher): «Ich will keine zubetonierte 10-Millionen-Schweiz, das masslose Bevölkerungswachstum ist für unser kleines Land gar nicht mehr verkraftbar. Das merkt jeder im Alltag: Staus, überfüllte Züge, Wohnungsnot, Probleme an den Schulen, steigende Kriminalität. Deshalb haben wir die Volksinitiative für eine nachhaltige Zuwanderung lanciert.»

Dieter Haller (49, neu): «Die masslose Zuwanderung in die Schweiz ist die Hauptursache vieler Probleme. Wir kämpfen mit verstopften Verkehrssystemen, welche volkswirtschaftlich einen Schaden von Milliarden generieren, einem überlasteten Gesundheitswesen, einem Verlust unserer Kaufkraft, Wohnungsnot, Schwierigkeiten in unserer Bildung, steigender Kriminalität, Integration, aber auch einem Fachkräftemangel, welcher sich akzentuiert. Mit der Nachhaltigkeitsinitiative der SVP haben wir die Möglichkeit, die Bevölkerungsentwicklung wieder nachhaltig zu gestalten, und tragen zum Schutz unserer Umwelt und der Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen bei.»

Vroni Thalmann-Bieri (54, neu): «Die Frage der 10-Millionen-Schweiz stellt sich nur, weil Bundesbern es verpasst hat, die vom Volk angenommene Masseneinwanderungsinitiative umzusetzen. Zur Einwanderungspolitik Folgendes: Wer zu uns kommt und sich eingliedern will, verdient eine Chance, wenn er sie nicht nutzt, hat er auch das Anrecht verspielt, hier zu bleiben. Die Sozialhilfe muss so gestaltet werden, dass es sich lohnt zu arbeiten.»

Die Antworten der SP-Kandidaten

Pia Engler (50, neu): «Die Schweiz ist gefordert mit der Migration: sei es durch Menschen, die mit den internationalen Unternehmen zu uns kommen, andere Wirtschaftszweige, die aufgrund des Fachkräftemangels Arbeitskräfte zu uns holen, oder auch mit der humanitären Aufnahme von Menschen, die ihr Land verlassen. Mir ist nicht so sehr die Zahl wichtig, sondern ob wir der Situation gewachsen sind. Es gibt Widerstand im Land, und den sollten wir nicht einfach übergehen und uns mehr um die Frage kümmern, was es braucht, damit diese Entwicklung für beide Seiten erfolgreich verläuft.»

David Roth (38, neu): «Die Alternative zur Nettoeinwanderung ist eine Nettoauswanderung – von Auswanderung betroffen sind Länder, die wirtschaftlich darniederliegen oder von Konflikten geprägt sind. Ich bin sehr froh, in einem Land zu leben, in dem auch andere Menschen gerne leben möchten. Wir müssen aber sicherstellen, dass Einwanderung nicht zu Lohndumping und zu Wohnungsnot führt, dazu braucht es endlich ein Engagement des Bundes im genossenschaftlichen Wohnungsbau.»

So sind wir vorgegangen

Der Kanton Luzern hat neun Nationalratssitze zu vergeben. Derzeit hat die Mitte drei davon inne, die SVP zwei und die Grünen, GLP, FDP und SP je einen. Da wir aus praktischen Gründen nicht die Antworten sämtlicher Kandidaten – es sind 387 Personen – abbilden können, haben wir uns entschieden, uns auf die Spitzenkandidaten zu fokussieren. Dabei haben wir folgendes Prinzip angewandt: Anzahl derzeitige Sitze pro Partei plus eins. So sind wir beispielsweise bei der Mitte von ihren derzeit drei Vertretern ausgegangen, plus ein weiterer Kandidat. Bei der SVP von ihren zwei Sitzen, plus eine Kandidatin, und so weiter.

zentralplus hat 15 Personen einen Fragenkatalog zugestellt. Die bisherigen Nationalräte waren dabei gesetzt, hinzu kamen die Kandidaten, die unserer Meinung nach die besten Chancen haben, gewählt zu werden. Sei es aufgrund ihrer Prominenz oder ihrer Wahlergebnisse in früheren Nationalrats- oder Kantonsratswahlen.

Bei der Wiedergabe der Antworten haben die Bisherigen Vorrang, danach kommen die neuen Kandidaten, alle alphabetisch sortiert. Die Angefragten wurden gebeten, sich auf drei Sätze pro Antwort zu beschränken. Wo dies überschritten wurde, haben wir die Antwort gekürzt.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit den Kandidaten
  • Interview mit Rechtsprofessor Andreas Glaser auf «20 Minuten»
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7 Kommentare
  • Profilfoto von LD
    LD, 13.10.2023, 17:54 Uhr

    Der Schweizer ist ein Wesen, das zwei Beine und keine Federn hat: ein gerupfter Hahn.

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  • Profilfoto von C. Bucher
    C. Bucher, 13.10.2023, 15:14 Uhr

    Schöne Auslegeordnung.
    Für die SVP ist Zuwanderung der Sündenbock für all jene Probleme, die ihre Politik mitverursacht, verschärft oder bewirtschaftet. Ihre neoliberale Vorstellung von Wirtschaft basiert auf Migration und Wachstum, darum ist es höchst widersprüchlich, wenn die SVP mit der 10-Millionen-Schweiz Wahlkampf betreibt.

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    • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
      Marie-Françoise Arouet, 13.10.2023, 18:32 Uhr

      Den Deutschen fliegen ihre einschlägigen Probleme gerade final um die Ohren. Aber bei uns ist das natürlich ganz anders.

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      • Profilfoto von C. Bucher
        C. Bucher, 14.10.2023, 11:29 Uhr

        Ja, in Bezug auf Asylsuchende.
        Bitte unterscheiden Sie die Themen Asyl und Zuwanderung.

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    Markus Rotzbeutel, 13.10.2023, 05:27 Uhr

    Angsterzeugungshirngespinst.

    Eignet sich aber gut um das Pöbel von den echten Problemen abzulenken.

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    • Profilfoto von Peter Bitterli
      Peter Bitterli, 13.10.2023, 07:58 Uhr

      Von welchen echten Problemen werden denn die Grünenwähler abgelenkt? Und wieso eignet sich das Angsterzeugungshirngespinst dazu so gut?

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    • Profilfoto von Jerome Halter
      Jerome Halter, 13.10.2023, 08:58 Uhr

      Der Dichtestress kann man sich auch wegschwurblern…

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