Integrationskurse für Expats in Zug

Unterschätze nie die Macht eines Apéros

Catherine «Cathy» Newman lebt seit 20 Jahren in der Schweiz. Nicht immer war es für die Britin einfach hier. (Bild: zvg)

Es ist hart, an einen Ort zu ziehen, dessen Kultur und Sprache man nicht kennt. Wie hart, merkt man erst recht, wenn man Cathy Newman zuhört, die für die Fachstelle Migration Zug Kurse über «Dos und Don'ts» für Zugezogene leitet. Die Erkenntnisse: Die Schweizer können seltsam sein.

Nein, man möchte nicht mit den frisch zugezogenen Personen aus aller Welt tauschen, die hier im Raum sitzen und zu verstehen versuchen, wie die Menschen in Zug ticken und wie sie sich so verhalten können, damit sie sich möglichst bald in Zug daheim fühlen.

Ist man mit den hiesigen Gepflogenheiten nicht vertraut, gibt es nämlich unzählige Fettnäpfchen, in die man ahnungslos hineintreten kann. Das merkt man erst so richtig, wenn man sich in den ersten von fünf Veranstaltungen der englischen Kursreihe «New in Zug together» setzt, die von der Fachstelle für Migration gratis angeboten wird.

Gespannt lauschen die zehn Kursteilnehmer im Raum den Worten von Journalistin Cathy Newmans, welche den Kurs anbietet. Die gebürtige Britin, die selber vor 20 Jahren «ursprünglich für zwei, drei Jahre» nach Zug gezogen ist, weiss genau, wovon sie spricht. «Als wir nach Zug zogen, war es noch nicht so einfach, sich im Internet darüber zu informieren, was man wie machen muss. Ich benötigte unglaublich viel Zeit und Nerven, um herauszufinden, was die Briefe der Verwaltung zu bedeuten hatten. Mir hätte es enorm geholfen, einen solchen Kurs zu besuchen.»

Tatsächlich ist auch das Teil der Kursreihe, nämlich Antworten zu finden auf Fragen wie die folgenden: Wie entsorge ich meinen Abfall richtig? Wie läuft das mit dieser AHV-Nummer? Welche Versicherungen brauche ich?

Dos und Don'ts aus dem echten Leben

An besagtem Nachmittag jedoch geht es vielmehr um die Kultur in der Schweiz. Um Dos und Don'ts. Von denen gibt es einige. Newman betont gleich zu Beginn, dass sie sich bei ihren Beispielen auf Stereotype bezieht, die noch lange nicht für alle Schweizer gelten. «Doch, wie das halt so ist: Jedes Klischee birgt ein Quäntchen Wahrheit.»

«Nur weil jemand ‹Grüezi› sagt, ist das nicht in jedem Fall eine Einladung, ein Gespräch anzufangen.»

Cathy Newman, Kursleiterin von «New in Zug together»

Die langjährige Zugerin erzählt: «In Zug kann man sich ziemlich einsam fühlen. Als ich vor 20 Jahren hierher kam, dachte ich anfangs, dass mich nur die Sprache von den Schweizern unterscheidet. Was hatte ich mich getäuscht!» Ein Beispiel sei der Smalltalk. «Ich war es als Britin gewohnt, mit den Leuten, auch mit Fremden, zu plaudern. Im Normalfall übers Wetter. In der Schweiz erntete ich dafür oft verständnislose Blicke.» Sie stellt fest: «Nur weil jemand ‹Grüezi› sagt, ist das nicht in jedem Fall eine Einladung, ein Gespräch anzufangen. In der Schweiz wird einfach immer gegrüsst.»

Eine weitere Eigenheit vieler Schweizerinnen: Selten werde man hier direkt auf Fehler angesprochen. Vor allem, wenn man sich nicht gut kenne. «Dass man etwas nicht der hiesigen Norm entsprechend gemacht oder jemanden unwissentlich vor den Kopf gestossen hat, wird einem oft nur sehr subtil gezeigt. Was mitunter zu unangenehmen Situationen führen kann, da man ja nicht weiss, was man falsch gemacht hat.»

Zug, der grosse Schmelztiegel

Newman sagt das ganz ohne wertenden Unterton. Auch macht sie klar, dass dies bei Weitem nicht für alle Schweizerinnen gelte: «Gerade Zug ist ein grosser Schmelztiegel. Viele Einheimische sind es sich mittlerweile gewohnt, mit Menschen verschiedener Nationen in Kontakt zu treten.»

Was in der Schweiz hingegen deutlich wichtiger sei als andernorts, sei der Blickkontakt. «Während das Gegenüber spricht, zeigen wir Briten mit einem ‹Mhm›, ‹Yes› oder ‹Okay›, dass wir zuhören. In der Schweiz gibt man weniger solche Feedbacks. Umso wichtiger ist es, immer wieder Blickkontakt aufzunehmen. Das gilt auch beim Händeschütteln oder während man mit Gläsern anstösst.» Eine weitere Eigenheit sei, dass es üblich sei, mit jedem einzelnen anzustossen und erst danach zu trinken.

Wunderwaffe Apéro

Apropos anstossen: Um Kontakte zu knüpfen, gibt es für Neulinge eine Wunderwaffe, die in der perfekten Balance zwischen Treppenhausbegegnung und aufwändigem Nachtessen steht und bei Schweizern ein vertrautes, warmes Gefühl auslöst: «Ladet eure Nachbarn zu einem Apéro ein.» Als einige Kursteilnehmerinnen bei diesem Wort verständnislos um sich blicken, präzisiert Newman: «Ein Apéro bezeichnet nichts anderes als Drinks

Während sie erzählt, hören die Neuzuzügerinnen gebannt zu. Einige wirken etwas eingeschüchtert. Insbesondere, wenn Newman Dinge sagt wie: «Ich muss ehrlich zu euch sein. Irgendwann, nachdem die erste Euphorie darüber verblasst sein wird, in der schönen Schweiz zu leben, kommt die Krise. Normalerweise nach sechs bis acht Monaten.»

Sie zückt das entsprechende Diagramm, auf der eine Linie mehrere Schlangenbewegungen macht. «Am Anfang ist alles toll. Bis die Rechnungen kommen. Plötzlich spürt ihr den Kulturschock und habt das Gefühl, die Sprache niemals zu lernen.» Doch, so beschwichtigt die Kursleiterin, «wir sind hier während dieser Krisen». Gerne helfe die Fachstelle Migration Zug etwa, verschiedene Dokumente zu erklären.

Schweizerdeutsch lernen? Hochdeutsch ist besser!

Viele ausländische Neuzuzüger möchten Schweizerdeutsch lernen. «Davon rate ich ab», sagt Newman, während sie anhand einer Karte des deutschsprachigen Sprachraums zeigt, wie die «Kartoffel» in welcher Gegend genannt wird. «Häppere» im Aargau, «Gumeli» in Schwyz, «Hördöpfel» in der Ostschweiz, «Häärpfel» im Wallis. «Lernt zuerst Hochdeutsch. Irgendwann werdet ihr auch Schweizerdeutsch verstehen.»

Dass in Zug die meisten Leute Englisch sprechen, sei indes gleichwohl ein Glück als auch ein Pech. Denn so müssten sich Zuzüger kaum die Mühe machen, überhaupt Deutsch zu lernen. Gleichzeitig fällt es aber schwer, das Gelernte anzuwenden.

«Ein Mythos ist, dass man nach 22 Uhr das Klo nicht mehr spülen dürfe, weil das zu laut sei.»

Cathy Newman

Es gebe Mythen über die Schweiz, die sich in der Expat-Community hartnäckig halten, erzählt Newman weiter. «Einer davon ist, dass man nach 22 Uhr das Klo nicht mehr spülen dürfe, weil das zu laut sei. Das ist natürlich Blödsinn.» Dennoch betont sie, dass die Schweizerinnen tatsächlich Wert legen würden auf gewisse Regeln.

Etwa, dass man am Sonntag seinen Rasen nicht mähe oder die Nachtruhe einhalte. «Für viele Schweizer ist der Sonntag ein heiliger Familientag. Wenn dieser gestört wird, sorgt das für Unmut. Ich habe längst damit aufgehört, Leuten am Sonntag oder nach 20 Uhr anzurufen. Tatsächlich bin ich selber mittlerweile irritiert, wenn mich jemand um dieses Uhrzeit zu erreichen versucht.» Und weiter: «In einem so kleinen Land wie die Schweiz, wo die Menschen meist nah beieinander wohnen, machen solche Regeln durchaus Sinn.»

Das Primarschulkind mit dem Victorinox-Messer

Es sei üblich, Kinder von früh auf kleinere Fehler machen zu lassen respektive, ihnen Verantwortung zu übergeben. Auf dem Screen hinter ihr erscheint zu dieser Aussage symbolisch das Buchcover von «Werken mit dem Taschenmesser – 26 Schnitzanleitungen» auf dem verschiedene Kinder zu sehen sind, die mit einem Messer hantieren.

«Viele Jugendliche sind in gewissen Dingen deutlich verantwortungsbewusster, als es englische Teenager sind.»

Cathy Newman

«Mein Sohn war mit sieben Jahren bei den Wölfli, also in der Pfadigruppe für jüngere Kinder. Einmal verbrachten sie ein Wochenende in einem Ferienhaus auf dem Stoos. Als wir ihn zum Bahnhof brachten und uns die Gruppe ansahen, realisierten mein Mann und ich, dass gar keine Erwachsene dabei sein würden. Alle Leiter waren höchstens 18 Jahre alt.» Es sei alles tiptop gegangen. «Diesbezüglich herrscht in der Schweiz eine andere Mentalität. Viele Jugendliche sind in gewissen Dingen deutlich verantwortungsbewusster als es Englische Teenager sind.»

Ein weiterer Input, den Cathy Newman den Neuzuzügern mitgibt: «Prahlen kommt hier nicht gut an. Die Bentleys, die man hier sieht, werden meist nicht von den Schweizern gefahren. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass einem die Schweizer Milliardäre nicht auffallen, weil sie mit dem unauffälligen Mittelklassewagen unterwegs sind und sich unauffällig kleiden.»

Der erste Kurs der Reihe «New in Zug together» ist nicht nur für Expats und sonstige Einwanderer interessant. Für Einheimische kann es ebenfalls bereichernd sein, zu merken, welche Eigenheiten die Schweizer Kultur mit sich bringt und wie schwierig es für Neuzuzügerinnen sein dürfte, diese zu durchblicken und sich darin zurechtzufinden, ohne anzuecken.

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