Luzernerin und HSLU-Dozent im Gespräch

«Help, I am lost»: So lebt es sich als Expat in Luzern

Charlie Hartmann gründete vor zehn Jahren das Lili Center in Luzern – einen Treffpunkt für Menschen aus der ganzen Welt. (Bild: ida)

Immer wieder kritisieren Expats, wie verschlossen wir Schweizerinnen sind und wie schwierig es sei, neue Freundschaften zu knüpfen. Doch wie leben Expats eigentlich in Luzern – abseits des Hotspots Zug? Das haben wir Charlie Hartmann gefragt, die vor 22 Jahren hier hin gezogen ist. Und Mario Störkle, der zu Expats in Zug geforscht hat.

Der Beziehungsstatus zwischen Expats und der Schweiz: Es ist kompliziert. Zwar sind 76 Prozent der Expats in der Schweiz mit ihrem Leben hier zufrieden, wie eine neue Studie zeigt – die neunte Umfrage des «InterNations Expat Insider».

Insgesamt liegt die Schweiz auf Rang 19 von 52 Ländern. Die Schweiz ist sicher, hat eine schöne Naturlandschaft zu bieten und Schweizer Unternehmen bezahlen faire Löhne. Aber: Die Freundlichkeit der Einheimischen lässt zu wünschen übrig (Platz 44) und es sei schwierig, hier Freunde zu finden (Platz 43).

Besonders in Zürich geben Expats derzeit zu reden. Weil Expats die Mieten in die Höhe treiben würden, will die SP in Zürich die Zuwanderung von gutverdienenden Zuzüger bremsen und den jährlichen Beitrag von 250 000 Franken an die Standortförderung streichen. «Zürich darf nicht zu einer zweiten Stadt Zug werden, das sich nur noch Kader von Banken oder Google leisten können», sagte Oliver Heimgartner, der Präsident der SP Stadt Zürich, kürzlich gegenüber dem «Tages-Anzeiger».

Doch wie sieht es in Luzern aus? Wie gern gesehen sind hier Expats – und wie leben sie?

Warum Charlie Hartmann nichts mit dem Begriff «Expat» beginnen kann

Eine «von ihnen» ist Charlie Hartmann. In England geboren, in Korsika aufgewachsen, lebt Hartmann seit 22 Jahren in der Schweiz. In Luzern hat sie das Lili Center gegründet – einen Treffpunkt für Menschen aus aller Welt. Vor zehn Jahren gründete sie die Beratungsstelle «The LivingIn Association».

Mit dem Begriff «Expat» kann Hartmann nicht viel anfangen. «Es ist kein Wort, das ich gerne verwende», sagt sie. Denn der Begriff sei mit vielen Vorurteilen verbunden. Dass Expats kein Interesse hätten, sich hier zu integrieren. Sie reich seien, den Schweizerinnen die bestbezahlten Jobs und Wohnungen wegnehmen würden. «Doch das entspricht einfach nicht der Realität», sagt Hartmann am Telefon.

«Die meisten kommen der Liebe oder des Studiums wegen in die Schweiz.»

Charlie Hartmann

Per gängiger Definition versteht man unter Expats qualifizierte Fachkräfte, die von ihrem Arbeitgeber für begrenzte Zeit in eine ausländische Niederlassung geschickt werden. Viele würden denken, dass Expats mit dem bereits bestehenden Vertrag weiterarbeiten und demnach mehr verdienen, erklärt Hartmann. «Aber die meisten Expats, denen ich begegne, die haben einen lokalen Vertrag abgeschlossen. Sie verdienen also gleich viel wie Schweizer Angestellte. Und sie müssen auch alle Versicherungen und ihre Wohnung selbst bezahlen.»

Zumal die meisten nicht von ihrer Chefin in die Schweiz geschickt werden. Hartmann schätzt, dass etwa ein Viertel wegen der Arbeit in die Schweiz reist. «Die meisten kommen der Liebe oder des Studiums wegen in die Schweiz.»

Mit simplen Alltagsfragen überfordert

Im Lili Center helfen Hartmann und ihr Team Expats, sich hier zurechtzufinden. Dass sie sich wohlfühlen und ankommen. Sie lernen, wie sie sich hier sozial integrieren können.

«Als Expat kommt man in ein Land, das nicht auf einen gewartet hat.»

Charlie Hartmann

Oftmals kommen «simple Alltagsfragen» aufs Tapet. Thema Nummer 1: das Abfallsystem. Also wo kriegt man in der Stadt die blauen Real-Säcke – oder warum gehören Plastiksäcke nicht in die Petsammlung. Konkret unterstützen sie im Lili Center Expats bei der Jobbewerbung oder sie erklären ihnen, wie der Schweizer Arbeitsmarkt und das Schulsystem funktionieren.«Wir sprechen jeweils von einer sogenannte Mikro-Frustration», erzählt Hartmann. «Viele Expats sind mit kleinen Dingen des Schweizer Alltags überfordert.»

Viele fühlen sich erst verloren

Hartmann kennt die Struggles der Expats. «Help, I am lost – das sind die vier Wörter, die ich am meisten höre», erzählt die 54-Jährige. «Als Expat kommt man in ein Land, das nicht auf einen gewartet hat.» Wer umzieht, der müsse sich immer auch wieder selbst finden und seinen Platz finden am neuen Ort und in der Gesellschaft. «Das benötigt Zeit, Mut – und Flexibilität.»

Für Expats ist es auch nicht leicht. Sie verlassen ihre gewohnte Umgebung, ihre Freunde und Familie. Auch Hartmann musste sich erst eingewöhnen. Mit ihrem Mann zog sie erst ins Haus der Schwiegereltern in Engelberg. Ihr Mann war viel auf Geschäftsreisen, Hartmann war alleine. Sie spürte damals ein gewisses Misstrauen im Dorf. Ausländer in Engelberg: das war für viele ein Novum.

Hartmann wollte sich unter die Leute mischen und trat mehreren Vereinen bei. Den Kindern im Dorf gab sie Englischunterricht. «Es stimmt nicht, dass per se alle Schweizer verschlossen sind», sagt Hartmann. «Aber es ist eine Realität, dass es eher schwieriger ist, hier Freundschaften zu knüpfen.» Doch wenn man es geschafft habe, habe man dafür viel tiefere Freundschaften.

Für viele Zuzügerinnen sind lokale Vereine deswegen wichtig. Es könne helfen, über gemeinsame Hobbies neue Freundschaften zu knüpfen. «Vereine sind ein super Türöffner in der Schweizer Gesellschaft», so Hartmann.

Charlie Hartmann lebt seit 22 Jahren in der Schweiz. (Bild: ida)

Soziologe hat an der HSLU über Expats in Zug geforscht

Mehr über das Leben von Expats weiss auch Mario Störkle. Der Soziologe von der Hochschule Luzern hat über Expats und ihr freiwilliges Engagement in Zug geforscht. Wie sehr sich diese vor Ort integrieren, sei sehr individuell. Das hängt auch ein Stück weit von ihren eigenen Interessen ab, wie Störkle erklärt. Oder auch, wie sie vor Ort empfangen werden.

«Fast alle Expats wägen für sich ab, ob es sich für sie lohnt, viel Mühe, Zeit und allenfalls auch Geld zu investieren.»

Mario Störkle, Soziologe Hochschule Luzern

«Fast alle Expats wägen für sich ab, ob es sich für sie lohnt, viel Mühe, Zeit und allenfalls auch Geld zu investieren. Vor allem mit dem Wissen, den Ort in zwei, drei Jahren vielleicht wieder verlassen zu müssen. Das ist eine Art Kosten-Nutzen-Abwägung, die fast alle für sich treffen müssen. Und alle gehen damit auch unterschiedlich um.» Für jeden handle es sich jedoch um ein freiwilliges Moment. Das heisst: Niemand fühlte sich unter Druck gesetzt, neue Freundschaften vor Ort knüpfen zu müssen.

Die einen halten sich lieber in ihrer Expat-Bubble auf – andere wollen mit Locals in Kontakt kommen

Störkle hat im Rahmen seiner qualitativen Forschung vier unterschiedliche Gruppen Expats beobachtet. Die eine Gruppe hält sich eher in einer internationalen Welt der Expats auf und ist nur teilweise vor Ort integriert. Zum Teil befinden sie sich immer auf dem Sprung zur nächsten Expats-Station. Sie fühlen sich in der internationalen Bubble Zuhause. Immer wieder gibt es aber kleine Möglichkeiten, aus dieser Bubble auszubrechen – sei es etwa durch ihre Kinder, durch die sie in Kontakt mit Einheimischen kommen. «Diese Gruppe empfindet es als eher mühevoll und beschwerlich, Deutsch zu lernen – beziehungsweise Schweizerdeutsch zu verstehen – sowie Kontakt zur lokalen Bevölkerung zu pflegen.»

Störkle nennt eine weitere Gruppe: «Jene, die sich in internationalen Communities aufhält und sich in dieser Bubble wohlfühlt.» Ihr Alltagsleben findet vorwiegend in dieser Welt statt. Sie sehen keine Notwendigkeit, sich in lokalen Vereinen einzubringen. Sich in Expats-Clubs zu engagieren, ist ihnen aber sehr wichtig.

«Als Expatriate muss man also lernen, wie es hier zu und her geht.»

Mario Störkle

«Ein weiterer Typus ist beruflich stark eingebunden und definiert sich durch eine kurze Aufenthaltsdauer», so Störkle. Wegen dieser Unbeständigkeit würden sie keinen Grund sehen, sich auf die Umgebung einzulassen, in der sie leben.

Und natürlich gibt es auch noch jene Expats: Jene, die vor Ort auf die Menschen zugehen, Kontakte knüpfen und die deutsche Sprache beherrschen wollen. «Sie empfinden es als selbstverständlich und notwendig, sich vor Ort ins gesellschaftliche Leben zu integrieren.»

Mario Störkle ist Dozent und Projektleiter an der Hochschule Luzern am Departement Soziale Arbeit. (Bild: HSLU)

Die «quasi englischsprachige Komfortzone»

Für manche Expats erscheint das Einleben vor Ort vielleicht auch nicht notwendig, weil sie sich mit Englisch gut durchschlagen können. Dazu kommt die internationale Ausrichtung Zugs. Störkle schreibt in seiner Dissertation von einer «quasi englischsprachigen Komfortzone, in der man als Expatriate in Zug unter seinesgleichen leben kann, ohne den Kontakt zur lokalen Schweizer Bevölkerung zu suchen.»

Dennoch sind natürlich viele Dinge hierzulande anders geregelt, als es sich Expats gewohnt sind. Wie etwa das Zugehen auf die neuen Nachbarn. Denn in den USA ist es geläufig, dass einen die neuen Nachbarn – meistens mit einem kleinen Geschenk – willkommen heissen. In der Schweiz ist man damit zurückhaltender – und wenn, dann ist es der Neue im Wohnblock, der sich den anderen vorstellt. Das kann Expats natürlich irritieren.

«Ich glaube nicht, dass die Schweizerinnen und Schweizer per se verschlossener sind als an anderen Orten», sagt Störkle. «Aber viele Dinge sind in der Schweiz einfach anders geregelt. Als Expatriate muss man also lernen, wie es hier zu und her geht – wenn man das auch möchte.»

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Dicky Dick Lozaern
    Dicky Dick Lozaern, 28.12.2022, 18:02 Uhr

    Ich war am 1. August 50 Jahre in der Schweiz. Es war überhaupt kein Problem. Man muss nur den Anfang machen und nicht warten bis einem auf dich zu kommt. Viele erwarten da viel zu viel! Und zweitens: lernt Schwiizer Tüütsch! Die Sprache um mit den Einheimische zu kommunizieren ist sehr wichtig. Und nicht etwa Englisch oder Hoch-Deutsch. Ich bin gerne Gast im schönsten Land der Welt und lebe erst noch in der schönste Stadt der Schweiz!

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  • Profilfoto von Ruth
    Ruth, 26.12.2022, 22:14 Uhr

    Ich habe als Schweizerin 45 Jahre im Ausland gelebt (auf 5 Kontinenten in 20 Ländern) und kann sagen, dass es in der Schweiz für die Ausländer nicht einfacher ist als es für mich z.B. in London, USA, Japan, kanada, Finnland, etc. War. Wenn man allerdings einmal das Eis eines Schweizers gebrochen hat, so ist es ehrlich während es z.B. in den USA ziemlich oberflächlich in Finnland und Japan fast unmöglich war. Ich finde, es liegt vor allem am Ausländer den ersten Schritt zu machen. Ich habe zB. in Ländern wie Bangladesch, Libanon, Iran, Indien, Ghana,Pakistan, Marokko , Rumänien immer den Kontakt zur einheimischen Bevölkerung gesucht, was wirklich relativ einfach war. Dieser warxsehr herzlich und besteht z.T. bis heute noch. Beweis: ich habe mehr Weihnachtsgrüße von Moslems, Hindus, Buddhisten, Zorastrier bekommen als von Christen.

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  • Profilfoto von Guilherme
    Guilherme, 26.12.2022, 13:24 Uhr

    Was mir vorallem in Zürich aufgefallen ist, das diese Leute, sich mir einer absoluten Arrgonaz bewegen das sich vorallem in der Sprache zeigt. Es scheint für diese Leute normal zu sein in einem Restaurant oder im Supermarkt, etwas auf Englisch ,Spanisch oder Französisch zu bestellen oder zu fragen. Absolutes NO GO.

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