Nun sollen Kanton Luzern und Private einspringen

830’000 Franken Verlust: Kinderhaus geht auf Betteltour

Eine 1:2-Betreuung ist im Kinderhaus Weidmatt üblich. (Bild: zvg)

Das Kinderhaus Weidmatt in Wolhusen betreut 21 Kleinkinder mit teils schweren Behinderungen. Doch die Institution macht dieses Jahr einen Riesenverlust. Jetzt geht das Kinderhaus auf Betteltour. Wenn der Kanton Luzern zukünftig nicht mehr zahlen sollte, steht die Zukunft des über 70-jährigen Betriebes infrage.

Ein Kind stellt das ganze Leben auf den Kopf. Schlaflose Nächte, Sorgen bei jedem kleinen Schnupfen und die Angst, etwas falsch zu machen. Was frisch gebackene Eltern durchmachen, ist bekannt. Umso schwerer ist es, wenn das Kind besondere Bedürfnisse hat.

Etwa jedes zwanzigste Kind in der Schweiz hat eine Behinderung, etwa ein Prozent der Kinder ist schwer behindert. Für Eltern ist die Erziehung und Betreuung dieser Kinder eine Herkules-Aufgabe. Wer nicht weiterkommt, sucht sich Hilfe. Zum Beispiel im Heilpädagogischen Kinderhaus Weidmatt in Wolhusen.

Doch das 1952 gegründete Kinderhaus schreibt rote Zahlen. Für 2023 rechnet der Betreiber mit 830'000 Franken Betriebsverlust. Der Beitrag des Kantons reicht nicht mehr, um die Kosten zu decken. Wann und ob der Kanton seine Unterstützung aufstockt, ist unklar.

Deshalb geht das Kinderhaus nun auf Betteltour. Eine halbe Millionen Franken wollen die Betreiber von Privaten einsammeln, um die Lücke in der Jahresrechnung 2023 zu schliessen. Deswegen flatterten diese Woche ausgedruckte Spendenaufrufe im ganzen Kanton in die Briefkästen.

Verlust von bis zu tausend Franken pro Tag

Aktuell zahlt der Kanton 270 Franken für die Betreuung eines Kindes pro Tag. Doch die effektiven Betreuungskosten liegen gemäss dem Kinderhaus seit einiger Zeit weit höher. Für eine 1:2-Betreuung liegen die Kosten bei 350 Franken. Bei einer 1:1-Betreuung bei 550 Franken. Unter dem Strich macht die Einrichtung somit jeden Tag bis zu tausend Franken Verlust.

«Seit 2021 werden im Kinderhaus praktisch nur noch Kinder mit einer anspruchsvollen 1:2- oder 1:1-Betreuung betreut.»

Pius Bernet, Geschäftsführer SSBL

Und diese intensive und kostspielige Betreuung wird immer häufiger. «Seit 2021 werden im Kinderhaus praktisch nur noch Kinder mit einer anspruchsvollen 1:2- oder 1:1-Betreuung betreut», erklärt Pius Bernet, Geschäftsführer der Stiftung für selbstbestimmtes und begleitetes Leben (SSBL) auf Anfrage von zentralplus. Die Stiftung betreibt das Kinderhaus Weidmatt.

Seit 2021 nimmt die Anzahl an schweren Fällen im Kinderhaus deutlich zu. (Bild: zvg)

Die Betreuung wird immer komplizierter

Seit Anfang 2021 sei die Zahl an Kindern mit leichten Beeinträchtigungen massiv zurückgegangen. Home-Office und neue Lebensmodelle bei den Eltern würden eine Betreuung auch ohne Hilfe des Kinderhauses möglich machen. Ambulante Angebote wie die Kinderspitex und heilpädagogische Früherziehung ergänzen die neuen Möglichkeiten.

«Die intensivere Betreuung führt zu höheren Kosten pro Kind und Tag.»

Pius Bernet

Die Folge? Ins Kinderhaus Weidmatt kommen nur noch anspruchsvolle Fälle. Kinder mit schweren Behinderungen, die vielfach eine 1:1- oder 1:2-Betreuung rund um die Uhr brauchen. «Die intensivere Betreuung führt zu höheren Kosten pro Kind und Tag», erklärt Pius Bernet.

Schwere Diagnosen machen die Arbeit der Betreuerinnen nicht leichter: Wie beispielsweise künstliche Ernährung oder eine künstliche Öffnung an der Luftröhre. Die Betreuung von schwer behinderten Kleinkindern ist enorm aufwendig.

Ob der Kanton zahlen wird, ist unklar

Das Kinderhaus Weidmatt befindet sich derzeit in Gesprächen mit dem Kanton Luzern, um ab 2024 eine «tragfähige Lösung» zu finden. «Wir hoffen, dass die veränderten Rahmenbedingungen, auf welche das Kinderhaus Weidmatt keinen Einfluss hat, vom Kanton gewürdigt und die Tarife entsprechend angepasst werden», schreibt Pius Bernet.

«Die Spendeneingänge der letzten Tage sind ermutigend, aber das Spendenziel von 500’000 Franken ist ambitioniert.»

Pius Bernet

Bereits einige Tage nach Beginn der Spendenkampagne sagt Bernet: «Die Spendeneingänge der letzten Tage sind ermutigend, aber das Spendenziel von 500’000 Franken ist ambitioniert.» Bedeutet: Wenn der Kanton nicht zahlt, wird es eng. Auf Anfrage von zentralplus schreibt der Kanton, er stände diesbezüglich mit dem Kinderhaus Weidmatt in Kontakt. Die Tarife würden aber erst zu einem späteren Zeitpunkt kommuniziert.

Seltenes Betreuungsangebot

Im Kern geht es um 21 zum Teil schwer behinderte Kleinkinder. Einige von ihnen kommen für einige Stunden am Tag, andere werden tageweise betreut. Wiederum andere kommen über die Ferien oder am Wochenende ins Kinderhaus Weidmatt.

Für viele Familien ist es nicht leicht, ihre Kinder abzugeben. Doch die Erleichterung, mehr Zeit für sich oder für die Geschwisterkinder zu haben, überwiegt. In dem Haus werden Kinder ab der Geburt und bis maximal zum sechsten Lebensjahr betreut. Das Kinderhaus in Wolhusen ist eines der wenigen Institute in der Deutschschweiz, das so junge Kinder mit Behinderungen betreut.

Die Nachfrage für die Betreuung von Kindern mit schweren Diagnosen aus dem Kanton Luzern steigt. «Wir wachsen und haben viele Kinderanfragen», sagt Bernhard Brechbühl, Leiter des Kinderhauses Weidmatt. Durch die hohe Nachfrage und die steigenden Kosten musste das Haus die Betriebskosten und den Personalbestand bereits auf das Notwendige reduzieren.

Verwendete Quellen
  • Spendenaufruf des Heilpädagogischen Kinderhauses Weidmatt
  • Telefonat mit Geschäftsführer Bernhard Brechbühl
  • Schriftlicher Austausch mit Pius Bernet, Geschäftsführer der Stiftung für selbstbestimmtes und begleitetes Leben (SSBL)
  • Schriftlicher Austausch mit der Kommunikationsabteilung der Stiftung für selbstbestimmtes und begleitetes Leben
  • Beitrag des Bundesamtes für Statistik
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