30 bis 50 Anfragen pro Tag

Die letzte Krienser Kinderarztpraxis wird überrannt

In einer ruhigen Minute zeigt Kinderärztin Carole Winiger ein freies Behandlungszimmer. (Bild: mik)

Ende September schliesst die Kinderarztpraxis im Krienser Zentrum. Übrig bleibt in der drittgrössten Luzerner Gemeinde nur noch die Praxis Luzern Süd. Deren Leitung Ivo und Carole Winiger-Candolfi finden: Nun ist die Politik gefragt.

Zwei junge Paare warten bereits mit ihren Babys beim Empfang, als ein drittes Paar mit Baby im Tragekorb in die Praxis eintritt. Umringt von Pflanzen, die an den Decken hängen, und einem aufgemalten Frosch, der einen von der Wand aus anstarrt, warten sie, bis das Team der Kinderarztpraxis Luzern Süd seine Sitzung beendet hat.

Diese war dringend nötig, wie Ivo Winiger und Carole Winiger-Candolfi später bei einem Kaffee im Büro sagen. Er und seine Frau Carole Winiger leiten die Kinderarztpraxis Luzern Süd an der Ringstrasse 37 in Kriens. Sie hat die klinische Leitung inne, er kümmert sich ums Operative und Strategische, ist aber ebenfalls ausgebildeter Chirurg.

Anschlusslösungen sind vorhanden – wenn auch mit Wartezeit

Vergangene Woche erhielten Krienser Eltern einen unschönen Flyer. Bernhard Bütler schliesst seine Kinderarztpraxis im Herzen von Kriens per Ende September. Er geht in Pension, trotz langer Suche hat er keinen Nachfolger gefunden (zentralplus berichtete).

Seitdem läutet das Telefon in der Kinderarztpraxis Luzern Süd Sturm. «Wir erhalten immer noch 30 bis 50 E-Mails und Anrufe pro Tag von Eltern, die sich einen Kinderarzt in ihrer eigenen Gemeinde für ihre Kinder wünschen», erzählt Carole Winiger-Candolfi. Eine ihrer medizinischen Praxisassistentinnen tue den ganzen Tag nichts anderes, als Anrufe und Mails beantworten. Sie hätten eigens eine Studentin angestellt, die nichts anderes tue, als Krankendossiers im System abzulegen. Momentan beantworte Winiger-Candolfi nach ihrer Arbeit noch bis zwei Uhr nachts E-Mails.

Ivo Winiger hält seiner Frau im Büro den Rücken frei – er kümmert sich ums Administrative in der Praxis. (Bild: mik)

Fast jede Person aus dem Team kenne eine Krienser Familie, die nun bald ohne Kinderarzt in der Gemeinde dastehe. Weil die Ressourcen fehlen würden, habe die Praxis eine Altersbegrenzung für die Aufnahme festgelegt. Direkt würden deshalb nur noch Kinder bis zum Alter von acht Jahren aufgenommen. Denn vor allem jüngere Kinder würden häufiger regelmässige Arzttermine benötigen, insbesondere für Vorsorgeuntersuchungen. Die restlichen Kinder müssten deshalb warten.

Carole Winiger-Candolfi betont jedoch: «Die Kinderarztsituation für die Krienser Familien ist nicht brandschwarz. Zum einen können wir viele Familien bei uns aufnehmen, zum anderen wurde den Familien die Möglichkeit angeboten, in eine Kinderarztpraxis nach Luzern zu gehen.»

Ärzte sind überall rar, nicht nur in Kriens

Von der Schliessung der Praxis von Bernhard Bütler seien sie überrascht worden, denn sie seien davon ausgegangen, dass eine Nachfolgelösung gefunden worden sei. Sie hätten zwar kurz vor der Ankündigung Hinweise durch Patientinnen gehört, die einen neuen Kinderarzt suchen würden. Die Information der Praxisschliessung hätten sie jedoch über die Medien und den Flyer erhalten.

Winiger-Candolfi macht Bütler keinen Vorwurf. Vermutlich sei plötzlich alles sehr schnell gegangen. Trotzdem waren die Winigers gewappnet. Im Frühjahr erlebten sie eine ähnliche Situation, als eine Kinderarztpraxis in Horw wegen einer fehlenden Nachfolge zwei Monate geschlossen blieb. Damals konnten sie bereits Erfahrungen sammeln mit einem plötzlichen Anstieg an Neuanmeldungen. Zudem hatte sich Winiger-Candolfi bereits vor einem Jahr entschlossen, wegen des Bevölkerungswachstums der Region ihre Praxis zu vergrössern. Seit April bietet sie nun zehn statt fünf Behandlungszimmer, womit sie noch mehr Patienten betreuen kann.

Diesen Trakt haben die Winigers vor rund einem halben Jahr angebaut. Neu haben sie zehn Behandlungszimmer. (Bild: mik)

Trotzdem hält die Kinderärztin fest: Die Situation sei alles andere als rosig. «Wir haben zwar die Räumlichkeiten, brauchen aber dringend Kinderärzte und medizinische Praxisassistentinnen. Wenn einer unserer Ärzte krank wird oder die Praxis verlässt, spitzt sich die Lage sofort wieder zu, und erneut werden Familien in Kriens und Umgebung betroffen sein.» Der Markt an Kinderärzten sei ausgetrocknet. Im November 2019 eröffneten sie ihre Praxis an der Ringstrasse 37. Trotz stetiger Suche war Carole Winiger-Candolfi bis Januar 2023 die einzige Kinderärztin darin.

Sie nimmt darum auch die Politik in die Verantwortung: «Wir können das Problem nicht allein lösen, wir löschen ständig nur Feuer.» Dabei betont sie, dass der Mangel an Kinderärzten nicht am Standort Kriens liege. Das Problem bestehe generell. Zum einen, weil junge Ärzte sich eine bessere Work-Life-Balance wünschen und nicht mehr sechs, sieben Tage die Woche bis spät abends arbeiten wollen würden, wie sie sagt. Zum anderen, weil immer weniger Ärzte eine eigene Praxis eröffnen möchten. «Mit einer eigenen Praxis geht ein unternehmerisches Risiko einher. Und den immer grösser werdenden administrativen Aufwand wollen viele verständlicherweise nicht auf sich nehmen.»

Bereits vor Jahren bei der Stadt angeregt – ohne Erfolg

Deswegen unterstützen sie das Postulat des Krienser Mitte-Einwohnerrats Davide Piras in dieser Form mit einem gewissen Vorbehalt. Eine neue Kinderarztpraxis im Zentrum anzusiedeln, sei schwer, zeitraubend und nicht unbedingt nachhaltig. Der Trend entwickle sich eher in Richtung Ärztezentren, die attraktivere Arbeitsbedingungen erlauben würden (zentralplus berichtete). Weswegen in erster Linie neue Kinderärzte gefunden werden müssten.

Hierbei beobachtet Carole Winiger ein Stadt-Land-Gefälle. Auf dem Land, wo die Situation vielerorts schon seit Jahren prekär ist, setzen einige Gemeinden inzwischen alles daran, um die medizinische Versorgung zu gewährleisten. Um die Arztpraxis Flühli Sörenberg zu erhalten, haben sich das Dorf und die Gemeinde zusammengetan und eine Genossenschaft gegründet, um einen Umbau zu finanzieren und der Nachfolgerin Starthilfe zu leisten. In der Stadt ist dies noch kaum ein Thema.

Wie Winiger-Candolfi erzählt, hätten sie und ihr Mann sich vor fünf Jahren noch vor der Praxiseröffnung bei der damaligen Krienser Stadtregierung um Cyrill Wiget gemeldet. Einerseits, um die demografische Entwicklung von Kriens und der Region für einen geeigneten Standort der Praxis zu diskutieren. Andererseits, um die Situation der künftigen Gesundheitsversorgung gemeinsam zu besprechen. «Vor fünf Jahren haben wir darauf hingewiesen, Kriens entwickle sich in eine Richtung, bei der die gesundheitliche Grundversorgung der Kinder knapp werden könnte.» Sie hätten angeboten, gemeinsam ein Konzept zu entwickeln. Doch die Stadt sei daran nicht interessiert gewesen.

Kriens spielt den Ball dem Kanton zu

Umso wichtiger sei es darum, in der jetzigen Situation gemeinsam an einem Tisch zu sitzen. «Wir müssen zusammen Lösungen suchen. Wie können wir neue Ärzte finden und die bestehenden unterstützen?» Wie Carole Winiger-Candolfi betont, würden sie nicht verlangen, dass die Stadt Kriens sich finanziell beteilige oder eine eigene Praxis zur Vermietung baue. «Wir brauchen jetzt kreative Ansätze und Lösungen und können nicht erneut Jahre vergehen lassen.» Aber sie könnte sich vorstellen, dass sich Kriens beispielsweise mit anderen Gemeinden austausche oder über ihre Kommunikationskanäle aktiv bei der Suche nach Ärzten und Praxisassistentinnen helfe.

Aufgrund des eingereichten Postulats kann die Stadt Kriens sich nicht zum Thema äussern. Wie Mediensprecher Benedikt Anderes auf Anfrage schreibt, möchte die Stadt dem politischen Prozess nicht vorgreifen. Er hält jedoch fest, dass die allgemeine ärztliche Versorgung Sache des Kantons sei und da über das Gesundheitsgesetz geregelt sei. Die Aufgaben der medizinischen Versorgung der Stadt Kriens für Kinder im Volksschulalter sei hingegen im Aufgaben- und Finanzplan geregelt. Dort ist festgehalten, dass die Stadt die Kinder während ihrer obligatorischen Schulzeit dreimal zum Schularzt schickt. Diese gesetzliche Versorgungssicherheit sei gesichert, so Anderes.

Ärztemangel war bereits Thema in Kriens

Es ist nicht das erste Mal, dass der Ärztemangel in Kriens aufs politische Tapet kommt. In einer Interpellation im Februar fragte die damalige Mitte-Einwohnerrätin Michèle Albrecht die Stadt, wie sie die Situation der Stadt Kriens beurteile. Und ob sie sich vorstellen könne, Ärzte als Jungunternehmer oder Praxen zu fördern.

Bezogen auf Hausärzte schrieb die Stadt Kriens in ihrer Antwort im Mai, das Szenario eines künftigen Hausärztemangels in der Stadt Kriens sei «durchaus realistisch». Eine finanzielle Förderung von jungen Ärztinnen, beispielsweise durch die Wirtschaftsförderung, sei jedoch nicht vorgesehen. Ebenso sehe diese es nicht als ihre Aufgabe oder habe die finanziellen Ressourcen, Gruppenpraxen zu fördern. Die Stadt könne jedoch Kontakte vermitteln, Ärzte bei der Suche nach Räumen unterstützen, Akteure zusammenbringen und wenn möglich bei Investoren die Bildung von Gruppenpraxen anregen.

Verwendete Quellen
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