Zu Besuch in der Asylunterkunft

Sicherheit in Zug, während der Sohn im Ukraine-Krieg kämpft

Gela wohnt in der Asylunterkunft im alten Kantonsspital und hat keine Hoffnungen, dass der Krieg bald vorbei ist. (Bild: wia)

Zurück auf Feld Nummer eins: So geht es vielen Ukrainerinnen, die in der Schweiz Schutz gefunden haben. Wir waren zu Besuch im Zuger Asylzentrum, haben mit den dort lebenden Ukrainern über ihre Situation und ihre Ängste gesprochen. Aber auch über Hoffnungen.

Elbrus Batsiev ist ein beschäftigter Mann. Während er auf Russisch ein Telefonat führt, klingelt bereits das zweite Handy vor ihm. Er beendet den ersten Anruf, meldet sich am zweiten Telefon auf Deutsch. Eine Person braucht seinen Rat. Währenddessen klingelt ein drittes Handy, das ebenfalls vor Batsiev auf dem Tisch liegt. Der stellvertretende Leiter des Asylzentrums im Alten Zuger Kantonsspital ist ein gefragter Mann. Zumindest so lange, bis der Leiter des Zentrums aus den Ferien zurückkehrt.

Trotzdem nimmt sich der gebürtige Tschetschene Zeit, uns durch die Asylunterkunft zu führen, die in mehrerlei Hinsicht besonders ist. So ist es die einzige Unterkunft im Kanton, in der Ukrainerinnen und andere Asylbewerber im Moment gemeinsam leben. Und: Es ist die einzige Zuger Asylunterkunft für Schutzsuchende aus der Ukraine, in der die Bewohner selber kochen.

Auch Tschernobyl-Opfer wohnen im alten Kantonsspital

Das hat seinen Grund, wie René Burkhalter, der Leiter Unterbringung und Betreuung der Zuger Asylunterkünfte, erklärt: «Hier werden mitunter Leute untergebracht, die aufgrund gesundheitlicher Beschwerden einer besonderen Diät bedürfen. Einige der ukrainischen Geflüchteten leiden etwa unter den Spätfolgen von Tschernobyl.»

Überhaupt eignet sich das alte Spital hervorragend für die Unterbringung von Menschen mit einer körperlichen Behinderung. Darunter sind auffällig viele Junge, wie wir auf unserem späteren Rundgang feststellen. Nicht zuletzt für sie steht in der Unterkunft zweimal wöchentlich eine Gesundheitssprechstunde zur Verfügung.

«Es gibt einige Opfer von Gewalt.»

Roland Schnepel, Gesundheitsbeauftragter Soziale Dienste Zug

Wir treffen den Pflegefachmann Roland Schnepel bei der Arbeit. Ein Kind verlässt gerade seine Praxis. Auf die Frage, welches denn die häufigsten Gebrechen der Bewohnerinnen seien, antwortet er: «Dass kommt stark auf ihre Herkunft an. Viele der ukrainischen Geflüchteten haben chronische Krankheiten, etwa Herzleiden oder Arthrose, oder aber Gebrechen, die den Skelettbau betreffen. Auch Strahlenopfer gibt es.»

Bei den Afghanen und Syrern, die meistens jünger seien, sehe die Sache anders aus. «Hier haben wir es etwa mit Läusen oder der Krätze zu tun, aber auch ab und zu mit Schussverletzungen. Es gibt einige Opfer von Gewalt.»

Roland Schnepel an seinem Arbeitsplatz. (Bild: wia)

Triage gegen die Überlastung des Gesundheitssystems

Die Hauptaufgabe des Pflegefachmanns: Eine erste Triage vorzunehmen, um einer Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen. «Kommt jemand wegen einer Grippe zu mir, reicht es, wenn ich ihm Medikamente mitgebe. Andere Fälle schicke ich direkt zum Notfall.» Bevor Schnepel im Asylzentrum tätig wurde, arbeitete er im Impfzentrum.

«Der Job hier ist deutlich abwechslungsreicher», sagt er lachend. Die sprachlichen Barrieren seien handhabbar. «Manchmal können die Leute Englisch oder sie bringen jemanden mit, der übersetzen kann.» Er nickt hinüber zu Elbrus Batsiev. «Oder aber wir ziehen Mitarbeitende herbei, die Russisch sprechen.»

«Wir spüren, dass seit einiger Zeit mehr vulnerable Personen aus der Ukraine kommen. Die Betreuung wurde anspruchsvoller.»

René Burkhalter, Leiter Unterbringung und Betreuung

Burkhalter gibt zu bedenken: «Wir spüren, dass seit einiger Zeit mehr vulnerable Personen aus der Ukraine kommen. Die Betreuung wurde anspruchsvoller.» Anfangs seien es insbesondere gutgebildete, wohlhabende Personen gewesen, die oftmals mit dem Auto geflüchtet seien. «Nun haben wir vermehrt auch ältere Personen hier.»

Wenn auch nicht nur. Zurück auf dem Gang begegnen wir ein paar Dreikäsehochs, die mit ihren Miniscootern durch die Gegend flitzen. Viele der ukrainischen Geflüchteten sind mit ihren Kindern geflüchtet. Doch auch den einen oder anderen Mann treffen wir an.

Enge Verhältnisse, gute Aussicht

Batsiev klopft an eine Türe, worauf eine Frau diese öffnet: Ihr Ehepartner und deren erwachsener Sohn begrüssen uns freundlich, bitten uns hinein in das kleine Zimmer, das sie sich teilen, bieten Kaffee an. Im Raum stehen ein Doppel-, daneben ein Kajütenbett, ein Regal sowie zwei kleine Schreibtische mit Computern und einer Kaffeemaschine. Auch ein kleines Badezimmer gibt es.

Wenn auch die Lebensumstände hier fernab von luxuriös sind, so ist doch zumindest die Aussicht feudal. Der Blick auf den Zugersee ist selbst an diesem garstigen Wintertag atemberaubend.

In diesem Zimmer schläft, lernt und arbeitet eine dreiköpfige Familie. (Bild: wia)

Mutter Anzhelika erzählt auf Englisch: «Wir sind seit wenigen Monaten hier. Mein Mann hat in der Werbebranche gearbeitet und versucht nun, hier wieder ein Geschäft aufzubauen.» Sohn Hlib studiert derzeit im Fernstudium an einer ukrainischen Universität, will jedoch bald an die Universität Zürich wechseln. «Dort gibt es ein besonderes Studienprogramm für Geflüchtete», erklärt er.

«Wir sind enorm froh, dass wir nun an einem Ort sind, wo es für uns Perspektiven gibt.»

Anzhelika

Die Primarlehrerin Anzhelika wiederum möchte möglichst rasch Deutsch lernen. Im Januar beginnt ihr Kurs. Zuvor stehe jedoch ein Spitalaufenthalt auf dem Programm, wie sie erklärt. «Wir sind enorm froh, dass wir nun an einem Ort sind, wo es für uns Perspektiven gibt. Gerade für unseren Sohn.»

Vom Eurovision-Songcontest-Produzenten zurück auf Null

Im Zimmer nebenan lebt Gela, der mit seiner Frau und seinem jüngstem Kind geflüchtet ist. «Mein erwachsener Sohn kämpft im Krieg», erklärt er. Er höre ungefähr einmal in der Woche von ihm. Gela war Produzent beim Eurovision Songcontest, erzählt er. «Jetzt starten wir hier von null.» Zwar lächelt Gela, als er erzählt. Seinen Schmerz über die ganze Situation kann er jedoch nur schwer verbergen.

Auch wenn er betont: «Wir haben es sehr gut hier in der Unterkunft. Überhaupt sind wir dem Kanton Zug und der Schweiz sehr dankbar, dass wir so gut behandelt werden.» Hoffnungen, dass sich die Situation in seiner Heimat bald entspanne, hat er nicht. Er geht davon aus, dass die Zukunft seiner Familie in der Schweiz liegt.

Natalijia arbeitete in ihrer Heimat als Sozialarbeiterin. (Bild: wia)

Für Natalijia, eine weitere Bewohnerin des Gebäudes, ist die aktuelle Lage schwierig auszuhalten. Sie ist mit ihrer Tochter in die Schweiz gereist. Ihr Mann und der gemeinsame Sohn mussten in der Ukraine bleiben. «Ich bin zwar dankbar, dass wir in der Schweiz sein können. Meine Seele schmerzt jedoch, wenn ich an die Situation zu Hause denke.» Die Sozialarbeiterin aus Sumy überlegt kurz und sagt dann: «Wir haben es hier so gut. Meine Verwandten und Freunde in der Ukraine haben hingegen oft nicht einmal Licht oder Strom. Diese Ungerechtigkeit ist schwer zu ertragen.»

Von Bangladesch in die Ukraine, von der Ukraine in die Schweiz

Auch für Rahaman Hamidur ist die Situation nur schwer zu fassen. «Ich bin vor 12 Jahren von Bangladesch in die Ukraine ausgewandert, habe dort studiert und ein Geschäft aufgebaut, zwischenzeitlich habe ich ausserdem die Staatsbürgerschaft erhalten.» Am 27. März floh er mit seiner Frau und der vierjährigen Tochter aus der Stadt Dnipro. «Nie hätte ich gedacht, dass so etwas möglich wäre.» Er ist einer der Glücklichen, die bereits eine Stelle in der Schweiz gefunden haben. Dies in einem Restaurant in Zürich.

Während der ganzen Führung durchs Haus spricht der stellvertretende Zentrumsleiter Elbrus Batsiev wenig. Abgesehen von ein paar Telefonaten. Erst, als er uns zum Schluss zu einem «guten Tee» in die Personalküche einlädt, erzählt er: «Vor 21 Jahren musste ich selber aus Tschetschenien flüchten. In der Schweiz wartete ich drei Jahre lang auf einen Asylentscheid. Ich habe also am eigenen Leib erfahren, was die Bewohner hier gerade durchmachen.»

«Sogar der Regierungsrat trinkt bei seinen Besuchen von diesem Tee.»

Elbrus Batsiev, stellvertretender Leiter der Asylunterkunft im Alten Kantonsspital

Dank eines Stipendiums war es ihm möglich, zu studieren. Heute hat der langjährige Kantonsangestellte vier Kinder, auf die er sehr stolz ist. Elbrus Batsiev nimmt einen Schluck Tee aus seinem Glas, hält es hoch und sagt: «Sogar der Regierungsrat trinkt bei seinen Besuchen von diesem Tee.» Lange dauert die Teepause jedoch nicht. Denn alsbald klingelt eines der drei Telefone, die vor ihm auf dem Tisch liegen.

Elbrus Batsiev ist stolz auf seine Teekreation, die sogar der Regierungsrat trinkt. (Bild: wia)
Verwendete Quellen
  • Besuch Asylunterkunft Altes Kantonsspital
  • Gespräche vor Ort
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