Zentrumsleiter: «Wir sind hier wie Mami und Papi»
Seit vergangenem August leben 30 unbegleitete minderjährige Asylbewerber auf dem Zugerberg. zentralplus hat das Asylzentrum besucht, traf auf erwachsene Jugendliche und einen optimistischen Zentrumsleiter.
«Hallo. Ich brauche Essen.» Der schlaksige, dunkelhäutige Junge lächelt freundlich. Kurz darauf erhält der Jugendliche Zutritt zu einem Raum, in dem diverse Lebensmittel zu finden sind. Äpfel, Tomaten, Zwiebeln und anderes Gemüse, daneben teils exotische Gewürze, zudem Pouletfleisch und Fisch. Besonders hoch im Kurs sind hier jedoch Hülsenfrüchte wie Linsen, Kichererbsen und Bohnen.
«Das ist unser sogenannter Shop», erklärt Werner Lehmann, nachdem sich der somalische Teenager Eier und weitere Zutaten genommen hat und – ohne zu bezahlen – in Richtung Küche verschwunden ist. Lehmann ist kein Verkäufer, sondern der Leiter der Asylunterkunft in der Sennhütte, in welcher ausschliesslich unbegleitete Minderjährige leben. Und der Shop ist kein richtiger Laden, sondern eine Vorratskammer, in welcher die Bewohner Lebensmittel beziehen können, mit denen sie ihre eigenen Mahlzeiten zubereiten.
Bald wird die zweite UMA-Unterkunft eröffnet
In der Sennhütte auf dem Zugerberg, in der bis vor wenigen Jahren Drogenabhängige therapiert wurden, leben seit vergangenem August unbegleitete minderjährige Asylbewerber, kurz UMA.
Ab 2021 hatte der Kanton Zug eine Vereinbarung mit dem Kanton Schwyz, der sich den Jugendlichen bis im vergangenen Jahr annahm. Doch die Zahlen stiegen und weil der Kanton Schwyz überlastet war, wurde die Vereinbarung aufgelöst (zentralplus berichtete).
Das Bedürfnis nach Asylplätzen für UMA ist nach wie vor gross. So gross, dass auch die Sennhütte bereits an ihre Kapazitätsgrenzen stösst. Alle 30 Betten, die meisten von ihnen auf Dreierzimmer verteilt, sind besetzt. Der Kanton Zug hat mittlerweile reagiert: In Kürze stehen im alten Zuger Kantonsspital weitere Plätze für UMA zur Verfügung. Beide Betriebe werden von der Caritas geführt.
Der Zentrumsleiter ist optimistisch
Sich 30 Kinder und Jugendlicher anzunehmen, die auf ihrer langen Reise teils traumatische Dinge erlebt haben, die kein Deutsch sprechen und oft nicht schreiben können, klingt nach einer Herkulesaufgabe. Doch Werner Lehmann ist erstaunlich positiv gestimmt.
In seinem Job blüht er regelrecht auf. «Es ist eine sehr dankbare Arbeit», sagt der langjährige Jugendarbeiter. Wie er das meint? «Die Jungen hier wollen wirklich vorwärtskommen. Die haben Lust, zu lernen und sehen eine Chance darin, in der Schweiz Fuss zu fassen.» Er ergänzt: «Es gibt keinen einzigen Menschen hier, von dem ich sagen würde, dass man nicht mit ihm zurechtkäme. Das sind super Typen. Es gibt solche, die haben nach einem Jahr in der Schweiz bereits das Deutschniveau B1 erreicht», sagt er anerkennend.
Täglich besuchen die jungen Asylsuchenden den Schulunterricht in Zug. Sie lernen nicht nur Deutsch, sondern auch Mathematik, ausserdem werden sie in handwerklichen Fächern ausgebildet und nehmen am Sportunterricht teil. «Auch wenn ein paar von ihnen lieber Deutsch büffeln würden, statt Sport zu machen.»
Einige Afghanen spielen in der ersten Liga Cricket
Andere spielen zusätzlich in ihrer Freizeit Fussball, Volleyball oder Cricket. «Sieben unserer Afghanen spielen im Cricketteam in Hedingen in der ersten Liga», sagt der Zentrumsleiter nicht ohne Stolz. «Überhaupt ist die Anbindung an einen Verein enorm wichtig für die Integration.»
Die Sennhütte liegt ziemlich im «Chrache dusse». Zu Fuss sind es 35 Minuten bis zur nächsten Bushaltestelle. «Aus diesem Grund bieten wir jede Stunde einen Shuttleservice bis nach Allenwinden an. Von dort aus müssen sie den ÖV nehmen. Das ist überhaupt kein Problem.» Und wenn jemand den Weg zurück doch nicht findet? «Dann ruft er an. Jeder hier braucht ein Handy. Und die, die über keine SIM-Karte verfügen, suchen sich einen Hotspot und rufen von dort aus an.»
Ein Shuttleservice bringt die Jugendlichen in die Zivilisation
Der tägliche Schulunterricht gibt den Jungen Struktur. «Das ist wahnsinnig wichtig. Sie müssen erst einmal wieder Boden unter die Füsse bekommen, wenn sie bei uns ankommen.» Dabei helfe auch die Abgeschiedenheit des Orts. Häufig laufe es folgendermassen ab, führt Lehmann aus: «Das Amt für Migration kündigt an, dass ein neuer Jugendlicher kommt. Wenig später steht dieser mit einer kleinen Sporttasche bei uns vor der Tür. Er bezieht sein Zimmer, wir stellen ihm das Haus und die anderen Jugendlichen vor und dann soll er erst einmal zur Ruhe kommen.» Er erzählt weiter: «Oft dauert es Wochen oder Monate, bis die Neuankömmlinge einigermassen auftauen.» Diese Zeit lasse man ihnen bewusst.
Der Sozialpädagoge orientiert sich an klaren Richtlinien. «Unsere Aufgabe ist es, den Jugendlichen Schutz und Fürsorge zu bieten. Wir möchten sie unterstützen und ihnen ihre Würde sowie ihr Selbstvertrauen zurückgeben.» Ziel sei es, den Jungen Zukunftsperspektiven zu eröffnen und ihre Selbstständigkeit zu fördern. Ebenfalls sorge man sich um ihr seelisches und körperliches Wohl.
«Bestrafungen gibt es hier nicht.»
Werner Lehmann, UMA-Zentrumsleiter
«Die Kinder und Jugendlichen bedürfen eines liebevollen, fürsorglichen, pädagogischen Ansatzes. Bestrafungen gibt es hier nicht. Dieses Betreuungskonzept, welches der Kinderrechtskonvention der UNO entspricht, funktioniert gut», sagt Lehmann.
Um dieses familiäre Umfeld überhaupt zu ermöglichen, müssen UMA sehr eng betreut werden. «In einem Asylzentrum für Erwachsene liegt der Betreuungsschlüssel etwa bei 1 zu 15. Hier ist er bei 1 zu 3. Das ist super. Wir wissen von jedem einzelnen Bewohner hier, wie es ihm geht. Die Angestellten wissen um ihre Hochs und Tiefs und auch, wer abends weint und wer nachts nicht schlafen kann. Wir sind hier ein wenig wie Mami und Papi.» Lehmann weiter: «Meine Erfahrung zeigt ausserdem, dass wir die Jugendlichen mithilfe von Dolmetschern sehr gut in Gesprächen erreichen können.»
«In ihren Herzen sind sie ganz klar Kinder.»
Werner Lehmann, UMA-Zentrumsleiter
Die Sennhütte ist verwinkelt und löst eine Mischung von Schullager- und WG-Gefühlen aus. Irgendwie heimelig, obwohl das Gebäude sehr pragmatisch eingerichtet ist. Im Esssaal sitzt der somalische Junge von vorhin mittlerweile vor einem Teller Rührei, den er sich zum Frühstück zubereitet hat. Ein Koch steht vor dem Herd und brät Poulethamburger. Zwar kocht jeder Jugendliche für sich, doch ist immer ein Mitarbeiter zur Unterstützung mit dabei.
Viele der Jungs wirken auffällig ernst für ihr Alter. Es ist schwierig zu glauben, dass sie noch minderjährig sind. Lehmann sagt dazu: «Von aussen gesehen wirken viele wie Erwachsene. In ihren Herzen sind sie jedoch ganz klar Kinder.»
- Besuch in der UMA-Unterkunft auf dem Zugerberg
- Website Kanton Zug zu neuer Unterkunft beim alten Kantonsspital