Kommentar zu den Wahlen 2023

Luzerner wissen nicht mehr, wie wählen – stoppt die Listenflut!

Dicke Post: Zwei Listenblöcke sind einer zu viel. (Bild: mst)

Die Luzernerinnen haben am Wahlsonntag ihre Vertretung in Bundesbern gewählt. Dafür haben sie sich durch 387 Kandidaten auf 48 Listen gekämpft. Ein Rekord mit einem Preis: Noch nie waren so viele Wahlzettel ungültig. Daran sind die Parteien schuld. Ein Kommentar.

Der Kanton Luzern hat seine neun Nationalräte gewählt, vier davon sind neu (zentralplus berichtete). Erfreulich dabei war, dass sich die Luzerner mehr als noch vor vier Jahren für die Wahlen interessierten. Jeder Zweite ging wählen. Weniger erfreulich dagegen ist, dass auch deutlich mehr Luzernerinnen vergebens abgestimmt haben.

Zwar stieg die Stimmbeteiligung leicht – die Anzahl ungültiger Wahlzettel hat sich hingegen für diese Wahlen fast verdoppelt. Gemäss der Leiterin Abteilung Gemeinden des Kantons Luzern waren 3367 Wahlzettel ungültig. Das sind 2,35 Prozent der eingegangenen Stimmen. Sprich: Fast jeder 40. wählte umsonst. Das ist der höchste Wert der vergangenen fünf Wahlen.

Manch einer mag nun denken, «das sind ja nur 3367 Stimmen». Doch diese Stimmen hätten beim einen oder anderen Kopf-an-Kopf-Rennen vom Sonntag ausschlaggebend sein können. Vielleicht waren darunter die 265 Stimmen, die Bernhard Steiner (SVP) für den Nationalratssitz fehlten. Oder die 400 Stimmen, die dem Vitznauer Thierry Carrel (FDP) fehlten, um den Bisherigen Peter Schilliger aus dem Amt zu bugsieren. Bei der SP könnte vielleicht Sara Muff ihr Glück kaum fassen, statt der überraschend gewählte Hasan Candan.

Übersicht wird schwerer

Bei der Frage nach dem Warum bietet der Kanton nicht viel Hilfe. Dieser führe keine Statistik zu den Gründen für die ungültigen Wahlzettel. Stimmen würden aber beispielsweise ungültig erklärt, wenn die Unterschrift fehlt oder mehrere nicht gleichlautende Wahlzettel im Stimmkuvert sind. Was sich in diesem Jahr aber augenscheinlich im Vergleich zu den Vorjahren verändert hat: die Anzahl Listen.

In diesem Jahr hat die Anzahl Kandidatinnen und Listen ein solches Ausmass angenommen, dass Wählerinnen für den Nationalrat mit zwei Listenheften bedient wurden (zentralplus berichtete). Beim Ständerat, bei dem die Luzerner nur eine Auswahl an acht Kandidaten zur Verfügung hatte, gab es dementsprechend nicht mehr ungültige Wahlzettel als bei den vergangenen Wahlen.

Die Parteien mögen es noch so schönreden, mit Begründungen wie «wir möchten eine Auswahl und Vielfalt an Kandidaten präsentieren» oder «wir haben aber so viele motivierte Kandidaten» (zentralplus berichtete): Wenn es die Stimmbürger überfordert, ist es zu viel. Sie wissen inzwischen nicht mehr, wen sie im Listendschungel wählen sollen. Und wie sie den Wahlzettel korrekt ausfüllen.

In diesem Jahr haben mich so viele Bekannte wie noch nie nach möglichen Orientierungshilfen für das Kandidatenmeer gefragt. Nicht nur junge, unerfahrenere Wähler. Sondern auch Bekannte, die kaum eine Abstimmung verpassen. Eine jede Partei stellt inzwischen eine Liste für Kultur, Unternehmer oder Seniorinnen. Die Wahltaktik: Möglichst viele Mitglieder ins Rennen schicken, die alle Stimmen aus ihrem Umfeld einheimsen. Auch Kleinvieh macht Mist.

Was bringen Sympathiestimmen?

Doch was bringt es den Wählern überhaupt, ihre meist aussichtslosen Bekannten zu wählen? Die Stimme kommt nur vordergründig dem ehemaligen Lehrer, der Geschäftspartnerin oder der Kulturschaffenden zugute. Dass wie im Fall der Autorin ihre ehemalige Philosophievertretung an der Kanti überraschend gewählt wird, dürfte die Ausnahme sein.

Die meisten Kandidaten sind nur da, um mit ihren wenigen Hundert Stimmen die aussichtsreicheren Kandidaten auf der Hauptliste zu stützen. Wieso präsentieren die Parteien nicht von Anfang an nur ihre Topkandidatinnen? Ist es für sie nicht mehr möglich, Personen zu finden, die möglichst viele Luzerner repräsentieren?

Bei Wahlen der Exekutive schaffen sie es schliesslich auch, aus ihrer Mitte ein bis zwei Personen zu bestimmen, die für das Amt am ehesten infrage kommen. Wir wählen Mandatsträger, keine Trägerschaft, die sich aus vielen Einzelnen zusammensetzt. Klar sind Proporzwahlen in erster Linie Listenwahlen. Mit der Listenflut wird das System jedoch ad absurdum geführt.

Die Wähler nicht vergraulen

Zumal eine Auswertung der Universität Bern für die Nationalratswahlen der vergangenen 35 Jahre gezeigt hat, dass die Menge an Listen keinen signifikanten Einfluss auf die Sitzverteilung hat. Die Parteien legen zwar leicht an Wähleranteil zu – doch einen Sitzgewinn bewirken die Verbindungen nur in Einzelfällen.

Mehr noch: Der Schuss könnte nach hinten losgehen. «Wenn dieser Trend weitergeht und die Wählenden sich durch immer mehr Listen ‹kämpfen› müssen, könnte sich bei ihnen irgendwann ein Sättigungseffekt einstellen», sagt Politologin Martina Flick Witzig gegenüber «SRF».

Wenn wir schon erfreulicherweise wieder eine höhere Zahl Stimmbürgerinnen an der Urne haben, sollten wir sie nicht direkt wieder vergraulen. Deshalb, liebe Parteien, lichtet den Kandidatenwald. Damit Luzernerinnen wieder das Gefühl haben, dass auch tatsächlich die Person gewählt wird, der sie ihre Stimme gegeben haben. Und sie wieder verstehen, wie sie der Person ihre Stimme auch gültig geben können.

Verwendete Quellen
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11 Kommentare
  • Profilfoto von hmmmm
    hmmmm, 26.10.2023, 11:52 Uhr

    wie wärs endlich mal mit Digitalisierung? zusätzlich zur Wahl auf «Papier» – was das Couvert immer dicker macht und einfach keine Übersicht bietet?

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  • Profilfoto von Baldo
    Baldo, 25.10.2023, 10:55 Uhr

    Es ginge einfacher.

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  • Profilfoto von Hanspeter Flueckiger
    Hanspeter Flueckiger, 25.10.2023, 08:33 Uhr

    Die Anleitungen sind nun wirklich verständlich. Vermutlich liegt das Problem eben beim Textverständnis. Dazu kommt wohl auch die Tatsache, dass es unter der Bevölkerung gewisse Individuen gibt, welche mit überflüssigen Einträgen ihre Listen ungültig machen. Kindsköpfe, welche zum Beispiel Jesus oder sonstigen Nonsens aufführen. Der Prozess sollte sicher so einfach wie möglich gehalten werden. Die Flut an Listen ist parteipolitischer Nonsens, welcher wohl kaum zu signifikant anderen Ergebnissen führt. Dieser ist von den Parteien künftig zu unterlassen. Schlussendlich muss der Stimmbürger danach, sämtliches Altpapier entsorgen. Zudem sollten sich die Parteien endlich darüber im Klaren sein, dass ein Werbeflyer und andere Werbemittel keinen Einfluss auf eine Wahl haben. Einfluss hat die politische Arbeit, verbunden mit der Glaubwürdigkeit. Es gibt genügend Portale (parlament.ch, lobbywatch.ch etc.) auf welchen sich der Stimmbürger über die Kandidaten und deren Interessenbindung informieren kann.
    Wählen hat mit Verantwortung zu tun. Wer seiner Verantwortung nicht nachkommt, nimmt entweder an einer Wahl nicht teil, füllt Wahlzettel mit persönlicher Befindlichkeit aus oder ist schlicht zu blöd einer Anleitung zu folgen.

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    Michail Alexandrowitsch, 25.10.2023, 00:30 Uhr

    «…liebe Parteien, lichtet den Kandidatenwald». Ein vergeblicher Appell. Diversität ist in und wird von mächtiger Seite gefördert, wie bei LGBTQ. Ein Hoch auf die Diversitätsorientierten! – jedem sein eigenes Geschlecht und jedem seine eigene Partei. Damit lässt sich das Stimmvieh besser steuern, weil sich keine klaren Themen mehr herausbilden können.

    Die relevanten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Themen der weltweiten revolutionären Veränderungen sind aus den Mainstream-Medien verschwunden. Der Konsument dieser edlen Medien wird liebenswerterweise und vorsorglich damit verschont. Genauso der wirtschaftliche Niedergang der EU, genausowenig findet eine scharfe Analyse der dramatischen Energiekosten und Inflation statt. Dies alles im Kontext der rasanten Entwicklung hin zu einer neuen multipolaren Weltordnung.
    Warum das wichtig ist? Der Westen hat dabei nichts mehr zu melden. Und die Konsequenzen? Na ja, darüber und das koloniale Erbe sollte man nachdenken.

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    Hegard, 24.10.2023, 21:14 Uhr

    im prinzip waren diese Listen einfacher um sein Interresse Einzuordnen!Sollte zB die KMU oder Rentner usw Lobbisten Sie vertreten,waren die Listen ja angeschrieben,das heisst jene Politiker die sich für Ihr Intresse einsetzen,musste nur diese Listen zur Wahl auswählen! Ohne panaschieren usw.
    also einfacher gehts nicht mehr!
    Einzig,warum soll ich jetzt diesen Politiker/in auswählen,den ich gar nicht kenne!Vieleicht würde begleitend ein Bewerbungs Flyer des Kanditaten/innen die Wahl erleichtern!
    Zudem kommt ein altes Thema zum Abstimmungs Bild,die Faulheit der Jungen,die aber gerne Motzen,die Alten Bestimmen Alles! Das Stimmt,weil die Jungen für ihre Zukunft
    nicht an die Urne gehen!Und seit nicht so Unhöflich zu den «Alten» ihr möchtet später in diesem Alter auch nicht so behandelt werden!Also geht Stimmen für eure Zukunft und seit Stolz in der Direkten Demokratie, mitzuwierken,das gibts nur in der🇨🇭

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  • Profilfoto von James' Meinung
    James' Meinung, 24.10.2023, 20:00 Uhr

    Der grösste Teil der potentiellen Wähler weiss, dass egal ob links oder rechts, die Schweiz eine Wirtschaftsmacht ist und bleibt. Mal gewinnen die Einen, Mal die Anderen. Darum schlussfolgere ich, dass viele, einschliesslich mir, «wählfaul» sind. Viele sind genervt ab diversen extrovertierten Kandidaten, dass die Unterlagen in der Tonne oder im Altpapier landen.

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    • Profilfoto von Manfred Heini
      Manfred Heini, 25.10.2023, 00:12 Uhr

      Die typisch schweizerische Selbstgerechtigkeit. Wir sind ja sowieso eine Witschaftsmacht und das Beste der Welt. Blablabla.
      Sollen alle machen, was sie wollen, uns interessiert es nicht.
      Ist das wirklich die Haltung von James? Dann gute Nacht..

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      • Profilfoto von James' Meinung
        James' Meinung, 25.10.2023, 10:10 Uhr

        Der Wahlanteil lag bei knapp 47 % – wollen Sie mir weismachen, dass die restlichen 53 % eine «falsche» Haltung haben, da Sie Ihr Selbstbild nicht erfüllen. Mit gute Nacht verraten Sie ja schon Ihre Gesinnung…es gibt da eine Partei, die mit solchen Parolen um sich wirft…jeder darf für sich entscheiden, wann man wählt oder seiner Stimme enthaltet.

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  • Profilfoto von Kritischer Blick
    Kritischer Blick, 24.10.2023, 19:48 Uhr

    Viele Listen = Quantität / Wenige Listen = Qualität!

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  • Profilfoto von Roli Greter
    Roli Greter, 24.10.2023, 18:26 Uhr

    Vielleicht sollte schlicht nicht wählen, wer die Unterlagen nicht im Griff hat. Viele überlassen das in solchen Fällen ihren Partnern, was noch undemokratischer als nicht zu wählen ist.

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  • Profilfoto von MOSSAD-bruchstrasse
    MOSSAD-bruchstrasse, 24.10.2023, 17:37 Uhr

    Sorry, aber wählen ist echt kein Hexenwerk

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