Luzerner wissen nicht mehr, wie wählen – stoppt die Listenflut!
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Die Luzernerinnen haben am Wahlsonntag ihre Vertretung in Bundesbern gewählt. Dafür haben sie sich durch 387 Kandidaten auf 48 Listen gekämpft. Ein Rekord mit einem Preis: Noch nie waren so viele Wahlzettel ungültig. Daran sind die Parteien schuld. Ein Kommentar.
Der Kanton Luzern hat seine neun Nationalräte gewählt, vier davon sind neu (zentralplus berichtete). Erfreulich dabei war, dass sich die Luzerner mehr als noch vor vier Jahren für die Wahlen interessierten. Jeder Zweite ging wählen. Weniger erfreulich dagegen ist, dass auch deutlich mehr Luzernerinnen vergebens abgestimmt haben.
Zwar stieg die Stimmbeteiligung leicht – die Anzahl ungültiger Wahlzettel hat sich hingegen für diese Wahlen fast verdoppelt. Gemäss der Leiterin Abteilung Gemeinden des Kantons Luzern waren 3367 Wahlzettel ungültig. Das sind 2,35 Prozent der eingegangenen Stimmen. Sprich: Fast jeder 40. wählte umsonst. Das ist der höchste Wert der vergangenen fünf Wahlen.
Manch einer mag nun denken, «das sind ja nur 3367 Stimmen». Doch diese Stimmen hätten beim einen oder anderen Kopf-an-Kopf-Rennen vom Sonntag ausschlaggebend sein können. Vielleicht waren darunter die 265 Stimmen, die Bernhard Steiner (SVP) für den Nationalratssitz fehlten. Oder die 400 Stimmen, die dem Vitznauer Thierry Carrel (FDP) fehlten, um den Bisherigen Peter Schilliger aus dem Amt zu bugsieren. Bei der SP könnte vielleicht Sara Muff ihr Glück kaum fassen, statt der überraschend gewählte Hasan Candan.
Übersicht wird schwerer
Bei der Frage nach dem Warum bietet der Kanton nicht viel Hilfe. Dieser führe keine Statistik zu den Gründen für die ungültigen Wahlzettel. Stimmen würden aber beispielsweise ungültig erklärt, wenn die Unterschrift fehlt oder mehrere nicht gleichlautende Wahlzettel im Stimmkuvert sind. Was sich in diesem Jahr aber augenscheinlich im Vergleich zu den Vorjahren verändert hat: die Anzahl Listen.
In diesem Jahr hat die Anzahl Kandidatinnen und Listen ein solches Ausmass angenommen, dass Wählerinnen für den Nationalrat mit zwei Listenheften bedient wurden (zentralplus berichtete). Beim Ständerat, bei dem die Luzerner nur eine Auswahl an acht Kandidaten zur Verfügung hatte, gab es dementsprechend nicht mehr ungültige Wahlzettel als bei den vergangenen Wahlen.
Die Parteien mögen es noch so schönreden, mit Begründungen wie «wir möchten eine Auswahl und Vielfalt an Kandidaten präsentieren» oder «wir haben aber so viele motivierte Kandidaten» (zentralplus berichtete): Wenn es die Stimmbürger überfordert, ist es zu viel. Sie wissen inzwischen nicht mehr, wen sie im Listendschungel wählen sollen. Und wie sie den Wahlzettel korrekt ausfüllen.
In diesem Jahr haben mich so viele Bekannte wie noch nie nach möglichen Orientierungshilfen für das Kandidatenmeer gefragt. Nicht nur junge, unerfahrenere Wähler. Sondern auch Bekannte, die kaum eine Abstimmung verpassen. Eine jede Partei stellt inzwischen eine Liste für Kultur, Unternehmer oder Seniorinnen. Die Wahltaktik: Möglichst viele Mitglieder ins Rennen schicken, die alle Stimmen aus ihrem Umfeld einheimsen. Auch Kleinvieh macht Mist.
Was bringen Sympathiestimmen?
Doch was bringt es den Wählern überhaupt, ihre meist aussichtslosen Bekannten zu wählen? Die Stimme kommt nur vordergründig dem ehemaligen Lehrer, der Geschäftspartnerin oder der Kulturschaffenden zugute. Dass wie im Fall der Autorin ihre ehemalige Philosophievertretung an der Kanti überraschend gewählt wird, dürfte die Ausnahme sein.
Die meisten Kandidaten sind nur da, um mit ihren wenigen Hundert Stimmen die aussichtsreicheren Kandidaten auf der Hauptliste zu stützen. Wieso präsentieren die Parteien nicht von Anfang an nur ihre Topkandidatinnen? Ist es für sie nicht mehr möglich, Personen zu finden, die möglichst viele Luzerner repräsentieren?
Bei Wahlen der Exekutive schaffen sie es schliesslich auch, aus ihrer Mitte ein bis zwei Personen zu bestimmen, die für das Amt am ehesten infrage kommen. Wir wählen Mandatsträger, keine Trägerschaft, die sich aus vielen Einzelnen zusammensetzt. Klar sind Proporzwahlen in erster Linie Listenwahlen. Mit der Listenflut wird das System jedoch ad absurdum geführt.
Die Wähler nicht vergraulen
Zumal eine Auswertung der Universität Bern für die Nationalratswahlen der vergangenen 35 Jahre gezeigt hat, dass die Menge an Listen keinen signifikanten Einfluss auf die Sitzverteilung hat. Die Parteien legen zwar leicht an Wähleranteil zu – doch einen Sitzgewinn bewirken die Verbindungen nur in Einzelfällen.
Mehr noch: Der Schuss könnte nach hinten losgehen. «Wenn dieser Trend weitergeht und die Wählenden sich durch immer mehr Listen ‹kämpfen› müssen, könnte sich bei ihnen irgendwann ein Sättigungseffekt einstellen», sagt Politologin Martina Flick Witzig gegenüber «SRF».
Wenn wir schon erfreulicherweise wieder eine höhere Zahl Stimmbürgerinnen an der Urne haben, sollten wir sie nicht direkt wieder vergraulen. Deshalb, liebe Parteien, lichtet den Kandidatenwald. Damit Luzernerinnen wieder das Gefühl haben, dass auch tatsächlich die Person gewählt wird, der sie ihre Stimme gegeben haben. Und sie wieder verstehen, wie sie der Person ihre Stimme auch gültig geben können.
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