Zuger Geschichtsunterricht ohne Wilhelm Tell

Was Philip C. Brunner und Bob Marley gemeinsam haben

Philip C. Brunner möchte besseren Geschichtsunterricht an Zuger Volksschulen. (Bild: zvg)

In einem Vorstoss fordert SVP-Fraktionschef Philip C. Brunner den Regierungsrat dazu auf, ein Konzept zur Aufwertung des Geschichtsunterrichts auszuarbeiten – ganz ohne Wilhelm Tell.

Was haben Robert Nesta Marley, den meisten wohl besser als Bob Marley bekannt, und Philip Christian Brunner gemeinsam? zentralplus verrät es dir: Sie beide legen Wert auf Kenntnis der eigenen Geschichte. So sang Marley in «Buffalo Soldier»: «Wenn du deine Geschichte kennen würdest, wüsstest du, wo du herkommst.» Und Brunner schreibt am Ende seines Vorstosses im Namen der SVP-Fraktion: «Wer seine Vergangenheit kaum mehr kennt, ist für die Zukunft garantiert nicht gerüstet.»

Ob der charismatische Reggaesänger und der SVPler, der sich den Ruf als «Haudegen» eingehandelt hat (zentralplus berichtete), gute Freunde geworden wären, darf dennoch bezweifelt werden – trotz weiterer Gemeinsamkeiten. So kritisieren etwa beide das Bildungssystem.

«Mit seiner Fülle an allen möglichen und unmöglichen Kompetenzzielen bietet der Lehrplan 21 bedauerlicherweise keine ausreichende Orientierungshilfe für einen fundierten Geschichtsunterricht.»

Philip C. Brunner, SVP-Fraktionschef Zug

Im Fall Brunner und seiner SVP ist die Kritik gekoppelt an eine konkrete Forderung: Der Zuger Regierungsrat soll ein Konzept zur Aufwertung des Geschichtsunterrichts an der Zuger Volksschule ausarbeiten. Nicht Teil seiner Kritik sind Kantons- und Privatschulen.

Lehrplan 21 überfordert Lehrpersonen

Philip C. Brunner stört, dass der Geschichtsunterricht auf wenige Wochenstunden reduziert worden ist. Hinzu komme, dass aufgrund der vielen Lernziele, die der Lehrplan 21 mit sich bringe, die Lehrpersonen zeitlich überfordert seien. «Es ist staatspolitisch höchst bedenklich, dass sich heute viele darüber beklagen, sie könnten im Rahmen der vorhandenen Unterrichtszeit kaum noch einen aufbauenden Geschichtsunterricht gewährleisten.»

Hinzu kommt Kritik am Inhalt des Lehrplans: «Mit seiner Fülle an allen möglichen und unmöglichen Kompetenzzielen bietet er bedauerlicherweise keine ausreichende Orientierungshilfe für einen fundierten Geschichtsunterricht.»

«Das ist politisch relevant und enorm bedauerlich.»

Philip C. Brunner, SVP-Fraktionschef Zug

In seinem Vorstoss bemängelt Brunner schliesslich auch die «willkürliche» und «wenig sinnvolle» Vermischung von Geografie und Geschichte im Rahmen eines fächerübergreifenden Unterrichts – auch wenn beide Fächer einen engen Bezug zueinander hätten, wie der SVP-Fraktionschef auf Nachfrage von zentralplus zugibt. «Willkürlich» wäre auch eine Zusammenlegung von Physik und Chemie, relativiert er.

Kritik an kantonaler Bildungsdirektion

Im Resultat führe all dies dazu, dass den meisten Schulabgängerinnen der Volksschule die Grundkenntnisse der kulturellen und politischen Entwicklung der Schweiz fehlen. Brunner findet: «Das ist politisch relevant und enorm bedauerlich.»

Seit 2021 ist Philip C. Brunner nicht nur SVP-Fraktionspräsident im Zuger Kantonsrat, sondern auch Präsident der
Ad-hoc-Kommission zur «modernen Kantonsgeschichte».
(Bild: zvg)

Er vermutet zudem, dass die kantonale Bildungsdirektion «kaum darüber im Bilde ist, was an unseren Sekundarschulen im Fach Geschichte inhaltlich genau vermittelt wird». Darum sei es nun am Regierungsrat, dem Geschichtsunterricht den für eine direkte Demokratie angemessenen Stellenwert zu verleihen, fordern Brunner und seine SVP.

Kontroverse geht über Kantonsgrenzen hinaus

«Das Aufgehen von Geschichte in einem Sammelfach hat schweizweit zu Fragen geführt», sagt Stephan Schleiss, von ebendieser kantonalen Bildungsdirektion. «Auch, weil der Schritt vielerorts mit einer Reduktion der Gesamtlektionenzahl für Geografie und Geschichte verbunden war.»

Positiv formuliert gehe es darum, Raum und Zeit thematisch zu verbinden. Der Kanton Basel-Landschaft sei aber nach einer Volksabstimmung bei den Einzelfächern geblieben. Schleiss blickt in die Zukunft, wenn er sagt: «Diese Diskussion wird im Zuge der Beantwortung des Postulats zu führen sein.»

«Kein relevantes Thema der Welt- und Europageschichte sollte ausgelassen werden. Je breiter und offener, desto besser.»

Philip C. Brunner, SVP-Fraktionschef Zug

Schleiss gibt Philip C. Brunner nicht unrecht, wenn er eingesteht, dass die Stofffülle im Zuger Lehrplan mit Blick auf die Pflichtinhalte «beachtlich» sei.

Brunners Geschichtsunterricht – ohne Wilhelm Tell

zentralplus hat Brunner gefragt, welche thematischen Schwerpunkte er denn im Geschichtsunterricht an den Zuger Volksschulen setzen würde. Dem SVPler ist es wichtig zu betonen, dass sein Verständnis der Schweizer Geschichte durchaus über 1291 hinausreiche. In erster Linie solle die Schweizer Geschichte der vergangenen 200 Jahre unterrichtet werden, und zwar im internationalen Kontext. «Kein relevantes Thema der Welt- und Europageschichte sollte ausgelassen werden. Je breiter und offener, desto besser», sagt Brunner.

«Selbstverständlich kann man die Schweizer Geschichte nur im Kontext der europäischen Geschichte zurückgehend bis ins Frühmittelalter verstehen.» Doch relevant sei für das Verständnis der Gegenwart nicht etwa der Kult um Wilhelm Tell und der in Schillers gleichnamigem Drama erzählte Gründungsmythos der alten Eidgenossenschaft, die im heutigen Lehrplan enthalten wären. Sondern, so Brunner, die Schweizer Geschichte seit der Französischen Revolution inklusive des Einmarsches der Franzosen in die Schweiz, des Untergangs der alten Eidgenossenschaft, der Entstehung der nun 175 Jahre alten Bundesverfassung – und auch der humanitären Tradition.

Wie gut ist dein Wissen?

Philip C. Brunner hat 1976 die Wirtschaftsmatura gemacht. «Ich würde sagen, dass ich es mit den meisten Nichthistorikern meiner Generation ‹aufnehmen› kann – und mit einer heutigen Mittelschulklasse vermutlich auch noch», sagt er. Vor allem die Zeit ab dem Mord an John F. Kennedy vor 60 Jahren überblicke er «recht gut», inklusive der Einführung des Frauenstimmrechts.

Wie gut ist dein Wissen? Hier kannst du zum Beispiel dein Wissen über alte Zuger Restaurants testen.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Philip C. Brunner
  • Postulat Philip C. Brunners im Namen der SVP-Fraktion
  • Lehrplan des Kantons Zug
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2 Kommentare
  • Profilfoto von David L
    David L, 16.10.2023, 21:43 Uhr

    Ob Herr Brunner wohl realisiert, dass Menschen mit soliden historischen Kenntnissen in der Regel eher nicht auf die Idee kämen, seine Partei zu wählen?

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  • Profilfoto von Wöfli
    Wöfli, 16.10.2023, 14:30 Uhr

    Dann aber bitte inklusive den unangenehmen Themen wie etwa die administrative (Zwangs)versorgung und dem Umgang mit Jenischen im Zusammenhang mit dem Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse

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