Interview mit dem neuen Zuger SVP-Fraktionschef

Philip C. Brunner: Politischer Spätzünder, der Kritik liebt

Seit Anfang des Jahres ist Philip C. Brunner SVP-Fraktionschef im Zuger Kantonsrat. (Bild: wia)

Philip C. Brunner scheut sich nicht, den Zuger Machthabern sowie seinen Ratskollegen auf die Füsse zu treten. So hat er sich den Ruf als «Haudegen» eingehandelt. Kürzlich wurde der 66-jährige SVP-Kantonsrat zum Fraktionschef gewählt. Im Interview sagt er, was er als Regierungsrat besser machen würde.

Philip C. Brunner ist mittlerweile ein alter Hase in der Zuger Politik, sowohl auf städtischer wie auch auf kantonaler Ebene. Seit 2009 vertritt er die SVP im Stadtparlament. Im Herbst 2010 wurde Brunner zudem in den Kantonsrat gewählt. Im aktuellen Jahr ist er nun zum Chef seiner Fraktion gewählt worden. «Einstimmig», sagt er dazu nicht ohne Stolz. Wir treffen den 66-Jährigen zum Interview, um über sein neues Amt, dessen Herausforderungen und die Wichtigkeit einer kritischen Haltung gegenüber den Regierenden zu sprechen.

Die Servicefachfrau des Restaurants Brandenberg grüsst Brunner mit Namen. Dieser bestellt gleich einen doppelten Espresso, ein Getränk, das gut zu diesem neuen, energischen Fraktionschef passt.

zentralplus: Herr Brunner, sie sind in der dreissigjährigen Geschichte ihrer Partei erst der 5. Fraktionspräsident. Ehrenvolles Amt oder vor allem viel Arbeit?

Philip C. Brunner: Beides. Dass es für mich eine grosse Ehre ist, der SVP-Fraktion vorzustehen, ist kein Geheimnis. Dennoch war ich dann doch etwas überrascht über die Menge an Arbeit, die auf mich zukam. 

zentralplus: Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen dieses Amts?

Brunner: Ich sehe mich primär in einer Art Coachingfunktion. Die Niederlagen und Erfolge der Fraktion sind ebenfalls die meinen, auch wenn sie andere erbringen. Viele glauben, dass wir innerhalb der SVP-Fraktion praktisch immer gleicher Meinung sind. Die Partei und damit die Fraktion sind jedoch zum Glück viel heterogener, als man denken könnte. Wir haben Kolleginnen und Kollegen aus grossen und kleinen Gemeinden, junge aufstrebende Politiker und erfahrene ältere Mitglieder, Staatsangestellte, Vertreter aus der Privatwirtschaft, darunter auch viele Selbstständige. Die Kunst der Führung sehe ich in der Tat darin, dass daraus eine einigermassen geschlossene Meinung und Haltung entsteht, basierend auf den Werten und Überzeugungen der SVP. Noch wichtiger ist jedoch noch etwas anderes.

zentralplus: Und zwar?

Brunner: Unsere wichtigste Rolle als Fraktion ist es, Verwaltung und der Regierung «auf die Finger» zu schauen, diese bei ihrer Arbeit bestmöglichst zu begleiten und wenn nötig auch mal offen zu kritisieren. Dafür sind wir gewählt worden und so ist das System von Legislative und Exekutive aufgebaut. Und es ist ein gutes System.

zentralplus: Auf das Kritisieren kommen wir noch zu sprechen. Zuerst jedoch ein Blick ins Jahr 2022. Im kommenden Jahr wird nämlich gewählt. Was sind Ihre Ziele für den Kantonsrat?

Brunner: Ich kann nur für die SVP Stadt Zug sprechen, wo ich langjähriger Präsident war. Dort hatten wir 2018 das Pech, unseren  vierten Sitz aufgrund des Doppelten Pukelsheim abgeben zu müssen. Für mich eine grosse Enttäuschung. Diesen Sitz zurückzugewinnen bleibt deshalb sicher ein Ziel der Stadtpartei. Ich bin jetzt als neuer Fraktionschef sicher auch gefordert, gute Voraussetzungen für die Wahlen 2022 dafür zu schaffen. Und es ist wie bei allen Parteien so, dass wir unsere aktuellen Sitze in allen anderen Gemeinden natürlich behalten wollen. Dies gilt ebenso für unsere beiden Regierungsratssitze.

zentralplus: Sie sind nicht bekannt als 08/15-SVP-Politiker. Sie scheuen sich nicht davor, anzuecken. Auch passt Ihre Gesinnung nicht immer zu jener Ihrer Partei. Wie geht Ihre Fraktion mit dieser Eigenwilligkeit um?

Brunner: Das müssten Sie eigentlich die Fraktion fragen. Meine Parteikollegen wissen, dass mich viele Dinge intensiv beschäftigen und ich mir grundsätzlich viele Gedanken mache. Das dürfte nicht zuletzt mit meinem Lebenslauf zu tun haben.

«Ich habe mich in 50 Jahren wenig verändert, die bürgerliche Parteienlandschaft hingegen stark.»

zentralplus: Dieser weist etliche Stationen auf.

Brunner: Ich bin als ältester Sohn einer Ausländerin teilweise in England aufgewachsen. Bis zum Kindergarten konnte ich ja fast kein Deutsch. Allein deshalb kann ich mich gut in die Situation von Migranten einfühlen. Meine Familie war immer sehr weltoffen und ich bin es auch. Ich selber habe nach der Matura überdurchschnittlich viel Militärdienst geleistet, wollte später gar Instruktionsoffizier werden. Ich hatte dann das Glück, in Lausanne die Hotelfachschule zu besuchen, was es mit sich brachte, dass ich alle Jobs in unserer Branche durchmachte, vom Koch, Kellner bis zum Nachtrezeptionisten. Später war ich Manager auf verschiedenen Ebenen, sei es im Inland und mehrfach im Ausland. Unter anderem arbeitete ich fast fünf Jahre als angehender Hotelmanager in Südafrika. Gerade während dieser Zeit habe ich meine Heimat, die Schweiz, sehr vermisst, habe regelmässig von unserem Land geträumt, starkes Heimweh gehabt. Insgesamt habe ich rund 40 Jahre aktive Führungserfahrung in der Privatwirtschaft. In der Politik war ich ein «Spätzünder», obwohl ich schon in der Schule politisch interessiert und aktiv war.

zentralplus: Erst mit über 50 Jahren wurden Sie in der Zuger Politik aktiv. Waren Sie denn schon vorher in der SVP heimisch?

Brunner: Nein. In Zürich, wo ich aufwuchs, war ich als Mittelschüler in den 70er-Jahren bei den damaligen Jungliberalen, den Jungfreisinnigen, recht aktiv. In der Stadt Zürich war dies damals eine Sektion der FP, der Freisinnigen Partei. Die FDP gab es so noch nicht. Als ich dann nach Südafrika auswanderte, trat ich aus praktischen Gründen aus allen Vereinen aus. Als ich aus dem südlichen Afrika zurückkam, war ich jahrelang parteilos. 1995, also nach der EWR-Abstimmung, forderte die FDP im Parteiprogramm den EU-Beitritt. Das war und ist für mich ein absolutes No-Go. Später in der Stadt Zug wäre ich zudem fast der CVP beigetreten, als diese Gemeinderäte suchte. Erst 2005 kam ich zur SVP Stadt Zug und kandidierte 2006 erstmals für den Grossen Gemeinderat. Mit den Werten der SVP kann ich mich sehr gut identifizieren, vor allem bei Themen wie Staatsverständnis, Einwanderung, Selbstverantwortung und der Haltung der Schweiz zur EU. Ich habe mich in 50 Jahren wenig verändert, die bürgerliche Parteienlandschaft hingegen stark.

Der gesamte Regierungsrat wirkt in Sachen Denkmalschutz überfordert.»

zentralplus: Sie haben vorhin gesagt, dass das Kritisieren eine der wichtigsten Tugenden in der Legislative ist. Dass Sie gut kritisieren können, stellen Sie regelmässig unter Beweis. So bemängeln Sie etwa den Umstand, dass die Stelle des Abteilungsleiters für die Sozialen Dienste Asyl erst nach 17 Monaten Vakanz definitiv besetzt wurde. Ebenfalls sind Sie der Meinung, das revidierte Denkmalschutzgesetz werde nicht zufriedenstellend umgesetzt. Beide Kritikpunkte richten sich direkt an Regierungsrat Andreas Hostettler. Was würden Sie demnach von ihm erwarten?

Brunner: Meiner Meinung nach ist es ganz offensichtlich, dass er beim Denkmalschutz Unterstützung braucht. Der gesamte Regierungsrat wirkt in dieser Sache überfordert. In der Direktion des Inneren kommen einige anspruchsvolle Themen zusammen, etwa die KESB, das Asylwesen oder das Amt für Denkmalpflege und Archäologie. Es sind kreative Lösungen gefragt. Von Haus aus bin ich ja Manager, daher erlaube ich mir, das Geschehen als Externer kritisch zu begleiten. Auch weil es mittlerweile relativ gut dokumentiert ist, wie überheblich sich die Denkmalpflege teilweise gegenüber den Eigentümern verhält. Diese können sich selber kaum wehren, es herrscht viel Frustration bei den Betroffenen.

zentralplus: In einem Jahr hätten Sie die Chance, direkt Einfluss zu nehmen. Sie könnten bei den Wahlen 2022 als Regierungsrat oder Stadtrat kandidieren, wie sie es in der Vergangenheit bereits versucht haben.

Brunner: Nein. Dafür bin ich viel zu spät in die Politik gekommen. Ich wäre aus Sicht der Wählerschaft zu alt für dieses Amt. Ausserdem hätte ich mit dem aktuellen Wahlsystem kaum eine Chance, gewählt zu werden. Die Einführung der Majorzwahl war ein grosser Fehler. Sie hat nicht zur Wahl besserer Regierungsräte geführt. Ganz im Gegenteil. Ausserdem liegt es an diesem Majorzwahlsystem, dass die Linke keinen Sitz mehr in der Exekutive hat. Das bedauere ich, sind doch nun 25 bis 30 Prozent der Wähler nicht mehr politisch vertreten. Alle Kräfte müssen in der Regierung vertreten sein. In einzelnen Gemeinden, so etwa in Baar, wo die SVP die wählerstärkste Partei ist, fehlt handkehrum eindeutig ein SVP-Gemeinderat. Da stimmt doch etwas nicht, oder?

«Der Stadtrat ist etwas zu selbstgefällig und recht dünnhäutig geworden.»

zentralplus: Sie kritisieren nicht nur Regierungsräte, sondern auch den Stadtrat. Im Moment insbesondere Stadtpräsident Karl Kobelt.

Brunner: Ich habe als GPK-Präsident sehr gut mit ihm zusammengearbeitet, als er Vorsteher des Finanzdepartements war. Wir haben ihn seitens der Stadtpartei sogar im zweiten Wahlgang unterstützt. Nun war ich ehrlich gesagt doch sehr enttäuscht darüber, was seither im Kulturbereich passierte (zentralplus berichtete). Auch bin ich generell der Ansicht, dass der Stadtrat etwas zu selbstgefällig und recht dünnhäutig geworden ist. Es fehlt vor allem an der Führung der Finanz- und Handelsstadt Zug. Dies, obwohl die Stadt als Wirtschaftsstandort einige Herausforderungen zu bewältigen hätte. Wir verlieren gegenüber Baar und auch Risch-Rotkreuz zunehmend an Terrain.

«Ich bleibe weiterhin kritisch und demütig. Dies jedoch auch gegenüber uns, der SVP selber.»

zentralplus: Sie liessen sich vor drei Jahren selbst für die Wahl in den Stadtrat aufstellen. Dort erzielten Sie jedoch die wenigsten Stimmen aller Kandidierenden. Mussten Sie dafür büssen, dass Sie kein Blatt vor den Mund nehmen?

Brunner: Tatsächlich hatte ich vielleicht früher den Ruf, ein bürgerlicher Haudegen zu sein. Diese Einschätzung stammt aus der Zeit im Grossen Gemeinderat, als die SVP nicht im Stadtrat vertreten war – also vor 2011 – und wir als sehr kleine Fraktion die damaligen Zustände, vor allem im Finanzbereich, scharf kritisierten. Leider gab uns die spätere Entwicklung völlig recht – die Stadt stürzte finanziell regelrecht ab. Die Folge davon waren schwierige Jahre mit Sparvorlagen in Stadt und Kanton. Natürlich stelle ich auch heute noch gezielte kritische Fragen. Sie sind für den demokratischen Prozess wichtig und ein ständiger Auftrag jedes Parlamentariers.

zentralplus: Hand aufs Herz. Den Ruf des Haudegens haben Sie noch immer nicht abgelegt, oder?

Brunner: Vielleicht nicht. Doch verkörpere ich ja auch immer wieder andere Rollen. Im Grossen Gemeinderat agiere ich seit 2011 als Präsident der Geschäftsprüfungskommission. Nur sieht man von aussen halt kaum, wie wir in der GPK zusammenarbeiten; mit sieben Parteivertretern notabene. Ausserdem befinde ich mich ständig im regen Austausch mit verschiedenen Politikern aller Lager. Und ja, ich bleibe weiterhin kritisch und demütig. Dies jedoch auch gegenüber uns, der SVP selber.

«Man darf schon offen sagen, dass die frühere Parteileitung und ich nicht immer derselben Meinung waren.»

zentralplus: Ach?

Brunner: Ja, innerhalb der Partei bin ich oft genauso selbstkritisch wie gegen aussen. Damit machte ich mich in der Vergangenheit in den eigenen Reihen nicht nur populär. Man darf schon offen sagen, dass die frühere Parteileitung und ich nicht immer derselben Meinung waren, in den grossen Linien jedoch schon. Tempi passati. Nun bin ich als Fraktionschef Mitglied eines neuen Teams, welches meinen Vorstellungen von gemeinsamer Parteiarbeit sehr gut entspricht und einigen Erfolg verspricht. Da bin ich heute sehr optimistisch.

zentralplus: In der vergangenen Legislatur waren Sie nach Jolanda Spiess-Hegglin jener Politiker, der die meisten Vorstösse im Kantonsrat eingereicht hat. Freut Sie der Titel des Vorstosskönigs?

Brunner: (Er lacht.) Nun, ich versuche als Konservativer mit meinen Vorstössen, den Fächer zu öffnen. Ich verstehe mich als derjenige, der etwas aufmischt, um damit möglichst das beste Resultat aufzuzeigen. Es gibt einige Leute, die sagen, dass ich damit Geschäfte verzögere. Doch bin ich der dezidierten Meinung, dass der Staat und damit die Verwaltung nicht alles übernehmen sollte. Überlässt man ihm die Lösungsfindung, verläuft diese erfahrungsgemäss oft sehr uninspiriert und es wird meist teuer. Aber das ist wieder ein anderes unerschöpfliches Thema.

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