Luzerner Gymilehrer wünschen Unterstützung

«Klassenlehrpersonen sind weder Sozialarbeiter noch Psychologinnen»

Nicht nur Sek-, sondern auch Kantischüler sollen Zugang zu Schulsozialarbeiterinnen haben, findet die Mitte. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Die inzwischen abgewählte Mitte-Kantonsrätin Priska Häfliger will Schulsozialarbeit an Luzerner Gymnasien etablieren. Damit rennt sie bei Gymilehrerinnen offene Türen ein. Doch die Regierung will andere Wege gehen.

Hättest du mit deiner Mathelehrerin während deiner Schulzeit über deine Probleme gesprochen? Oder mit deinem Englischlehrer? Heutige Schülerinnen haben deswegen Anlaufstellen wie die Schulsozialarbeit, bei der sie anschliessend nicht noch zwei Stunden im Unterricht sitzen. Doch nicht alle haben sie. Im Kanton Luzern sind Schulsozialarbeiterinnen nur auf Primar- und Sekundarstufe verankert. Die mittlerweile abgewählte Mitte-Kantonsrätin Priska Häfliger wollte das mittels Postulat ändern und Schulsozialarbeit auch an Gymnasien einführen.

Den Handlungsbedarf erkennt auch die Luzerner Regierung in ihrer Antwort. Auch Kantischülerinnen leiden immer mehr an psychischen Belastungen, weshalb sie das Postulat erheblich erklären möchte. Der Regierungsrat möchte den Hebel aber lieber woanders ansetzen: statt Schulsozialarbeit an den Gymnasien einzuführen, möchte er die psychologische Beratung an der Dienststelle Berufs- und Weiterbildung (DBW) ausbauen. Dieses Angebot steht allen Berufs- und Kantischülern offen und wird immer mehr genutzt (zentralplus berichtete). Auf Wunsch der Kantonsschulen sollen entsprechende Fachpersonen des Angebots nun auch an den Schulen vor Ort präsent sein. Kosten soll das Ganze rund 480'000 Franken.

Als weitere Massnahme schlägt die Regierung vor, die Lektionen mit der Klassenlehrperson auszubauen. Diese seien «häufig auch die erste Anlaufstelle für Schülerinnen und Schüler ihrer Klasse bei Fragen, Schwierigkeiten, psychischen Problemen und auch hinsichtlich der Berufs- und Studienwahl». Nachdem die Lektionen im August 2022 bereits im Untergymnasium aufgestockt worden sind, sollen auch die Lektionen der Klassenlehrpersonen im Obergymnasium auf eine Lektion pro Woche erhöht werden. Dies würde rund 745'000 Franken jährlich kosten. Eine ähnliche Aufstockung an den Berufsschulen würde mit rund 1,24 Millionen Franken jährlich zu Buche schlagen (zentralplus berichtete).

Gymilehrer würden Schulsozialarbeit bevorzugen

Der Präsident des Verbands für Luzerner Mittelschullehrerinnen und Mittelschullehrer (VLM), Roland Scheuber, bezeichnet die Vorschläge der Regierung auf Anfrage als «Schritt in die richtige Richtung». Für den VLM ersetzen die alternativen Massnahmen jedoch nicht den Einsatz von Schulsozialarbeitern. «Klassenlehrpersonen sind weder Sozialarbeiter noch Psychologinnen», sagt Scheuber. Natürlich würden Klassenlehrer im Rahmen ihrer Ausbildung mit verschiedenen Szenarien und möglichen persönlichen Problemen der Schüler konfrontiert. «Eine fundierte Ausbildung in diesen Bereichen ist das aber offensichtlich nicht.»

Obwohl diese nötig wäre. «Klassenlehrpersonen werden je länger, je mehr auch mit persönlichen Schul- und Privatproblemen von Jugendlichen konfrontiert.» Zwar sei es positiv, dass Jugendliche offenbar hohes Vertrauen zu den Klassenlehrern fassen. Diese nähmen diese Funktion auch gern wahr und berieten die Schüler nach bestem Wissen und Gewissen. «Es wäre aber sehr hilfreich und entlastend, wenn die Klassenlehrpersonen auf ein niederschwelliges Angebot von Schulsozialarbeit zurückgreifen könnten. Und vor allem die Schülerinnen und Schüler!», meint Scheuber. So könnten Probleme der Jugendlichen bereits in einem früheren Stadium angegangen werden, bevor sich diese zu scheinbar unbewältigbaren Problemen entwickelten.

Zürich macht bereits gute Erfahrungen mit Schulsozialarbeit am Gymi

Wesentlich sei gemäss Roland Scheuber auch die Erreichbarkeit von Ansprechpersonen. «Aus Sicht der jungen Menschen sind alle Probleme sehr dringend, eine Person fürs Besprechen müsste also rasch verfügbar sein.» Für ihn sei noch unklar, wie dies mit der psychologischen Beratung funktionieren und wie diese konkret die Klassenlehrerinnen entlasten würde. «Wenn Sie als Klassenlehrperson mit diffusen Suizidabsichten einer Schülerin konfrontiert werden, gehen Sie am Freitagabend nicht einfach aus dem Schulhaus und freuen sich auf ein freies Wochenende und kommen dann am Montagmorgen wieder …»

Deshalb würde der VLM die Einführung von Schulsozialarbeit an den Gymnasien sehr begrüssen. Scheuber verweist dabei auf den Kanton Zürich: Dieser hat im Sommer 2022 ein Pilotprojekt gestartet und die Schulsozialarbeit an den Gymnasien eingeführt. Dort habe man offenbar gute Erfahrungen gemacht: «Die Schülerinnen und Schüler schätzen es, dass sie ihre Themen in einem geschützten, neutralen Bereich deponieren können», so Scheuber. Dies bestätigt auch eine der neuen Zürcher Schulsozialarbeiterinnen gegenüber dem «SRF». Und auch die Zürcher Bildungsdirektion schreibt auf Anfrage von «positiven Rückmeldungen seitens der Mittelschulen».

Mitte-Kantonsrätin freut sich über Antwort der Regierung

Mitte-Kantonsrätin Gerda Jung ist mit den Ausführungen der Regierung sehr zufrieden. Nach der Abwahl Häfligers hat sie als Zweitunterzeichnerin quasi das Postulat «geerbt». Sie könne zwar nicht für die Postulantin Priska Häfliger sprechen. «Aber ich finde die Lösung, die die Regierung vorschlägt, sehr plausibel, klar und zielgerecht.» Für Jung greife der alternative Vorschlag der Regierung bereits weiter und nehme auch den Aspekt der Finanzierung mit rein. «Das Gymnasium dauert sechs Jahre, eine gute Lösung muss nicht nur die ersten drei Jahre abdecken, sondern fortlaufend zur Verfügung stehen.»

Mitte-Kantonsrätin Gerda Jung freut sich, dass die Regierung den Unterstützungsbedarf bei Gymnasien erkennt. (Bild: zvg)

Mit dem Ausbau der psychologischen Beratungen der Dienststelle Berufs- und Weiterbildung würden die Schüler gezielt unterstützt. Wichtig findet sie auch den Ausbau der Lektionen mit der Klassenlehrerin, denn auch diese müssten gestärkt werden. Zwar räumt sie ein, dass vielleicht nicht jeder Schüler den gleichen Zugang zum Klassenlehrer habe. «Deshalb ist es auch wichtig, dass der Kanton gleichzeitig die anderen Angebote stärkt.» Wie eben die in der Antwort angesprochene psychologische Beratung der DBW.

Dem Postulat räumt sie im Kantonsrat gute Chancen ein: «So kann eine Lücke geschlossen werden, die im neuen Gesetz über Volksschulbildung vergessen ging.»

Hier findest du Hilfe

Es gibt verschiedene Stellen, an die sich Menschen in Krisensituationen wenden können. Rund um die Uhr, vertraulich und kostenlos.

  • Die Dargebotene Hand: Telefon: 143 oder www.143.ch
  • Für Kinder und Jugendliche: «Beratung + Hilfe 147»: Telefon: 147 oder www.147.ch
  • Unterstützung für Jugendliche und Eltern bei der Beratungsstelle Punkto – Eltern, Kinder & Jugendliche in Baar, Anfragen werden unter 041'728’34’40 entgegengenommen
  • Die psychologische Beratung der kantonalen Dienststelle Beruf und Weiterbildung für Jugendliche der Sekundarstufe II und der Gymnasien
  • Reden kann retten: www.reden-kann-retten.ch
  • Plattform für psychische Gesundheit: dureschnufe.ch
Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Gerda Jung, Mitte-Kantonsrätin
  • Postulat von Priska Häfliger
  • Antwort der Regierung auf Postulat von Priska Häfliger
  • Medienmitteilung der Zürcher Bildungsdirektion
  • Schriftlicher Austausch mit Roland Scheuber, Präsident Verband Luzerner Mittelschullehrerinnen und Mittelschullehrer
  • Schriftlicher Austausch mit der Zürcher Bildungsdirektion
  • Artikel von «SRF» zum Zürcher Pilotprojekt
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6 Kommentare
  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 02.05.2023, 12:08 Uhr

    Und für was gibts den pädagogischen Unterricht?

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  • Profilfoto von LD
    LD, 01.05.2023, 10:43 Uhr

    Wie ist die richtige Schreibweise gemäss dem schrecklichen Neudeutsch?
    Klassenlehrpersonen sind weder Sozialarbeiterinnen noch Psychologen
    oder
    Klassenlehrpersonen sind weder Sozialarbeiterpersonen noch Psychologenpersonen
    oder
    Klassenlehrer:Innen sind weder Sozialarbeiter:Innen noch Psychologen:innen.
    Eventuell Sozialarbeiterinnen:er und Psychologinnen:en
    oder wie genau?
    Möglicherweise Klassenlehrpersonen, Sozialpersonen und Psychopersonen.
    Wie gendert man/frau Mitglieder? Mitglieder und Ohneglieder? Oder Mitglieder und Mitgliederinnen? Oder Mitgliederpersonen? Oder einfach Gliederpersonen? Oder einfach Personen, die dabei sind?
    Meine lieben Leute, beendet diesen Genderschwachsinn und die Verhunzung der korrekten offiziellen Sprache.

    Diese Gender-Religion ist nicht an das Credo der Trennung von Staat und Religion gebunden und verankert sich deshalb reibungslos im Zentrum von staatlichen und überstaatlichen Strukturen unter dem Deckmantel progressiver Wissenschaftlichkeit.

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      Markus Rotzbeutel, 01.05.2023, 11:34 Uhr

      So viele Worte. Sie könnten aber auch kürzer schreiben: mir sind die Gefühle anderer egal, alles sollte sich um mich drehen, Rücksicht nehmen ist mir zu Viel.

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    • Profilfoto von Andreas Brunner
      Andreas Brunner, 01.05.2023, 15:01 Uhr

      Wow, da haben sie aber ganz wunderbar gezielt am Thema des Artikels vorbei kommentiert. Bravo!

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      Kommentarschreiber, 01.05.2023, 16:17 Uhr

      @LD
      Häää???🤔🙄

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      Manuel, 01.05.2023, 16:55 Uhr

      Die dargebotene Hand hilft auch Ihnen – nur zu.

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