Verletzte Fans rund um Fussballspiele

Gummischrot: Die Luzerner Polizei schweigt, die Politik spricht

Die Luzerner Polizei am Paulusplatz im Einsatz beim FCL-Heimspiel gegen Hibernian FC. (Bild: jdi)

Nachdem ein FCL-Fan wegen seiner Verletzungen durch Gummischrot einseitig erblindet ist, zeigt sich die Luzerner Polizei gegenüber zentralplus wortkarg. Mehr Auskunft gibt die Luzerner Politik.

Sie ist zäh und wenig ergiebig, die schriftliche Kommunikation zwischen der Luzerner Polizei und zentralplus zum Thema Gummischrot. Letzte Woche setzte zentralplus der Luzerner Polizei eine zweitägige Frist zur Beantwortung einer Handvoll Fragen zu den mindestens sechs seit 2022 durch Gummischrot verletzten Fussballfans (zentralplus berichtete). Eine gängige Frist im Alltag von Journalistinnen und Pressesprechern.

Inzwischen hat die Luzerner Polizei die Hälfte dieser Fragen beantwortet, nachdem sie auf Freigabe durch das Justiz- und Sicherheitsdepartement von Ylfete Fanaj warten musste (zentralplus berichtete). Doch die andere Hälfte und weitere Fragen von zentralplus will die Luzerner Polizei nicht beantworten. Eine Begründung dafür bleibt aus.

Keine Antworten zu Schwerverletzten

Anlass für die Fragen von zentralplus waren die mindestens sechs Fussballfans, die innerhalb von eineinhalb Jahren rund um FCL-Heimspiele durch Gummischrot teilweise schwer verletzt wurden. Zu ihnen gehört auch der 34-jährige Luzerner David Z.*, der am 3. August 2023 am Auge getroffen wurde und infolgedessen mehrfach operiert werden musste (zentralplus berichtete). Letzte Woche hätten ihm die Ärzte mitgeteilt, nichts mehr für ihn tun zu können. David Z. verlor sein linkes Auge (zentralplus berichtete).

«Jede hätts chönne träffe»: FCL-Fans fordern als Reaktion auf die schweren Verletzungen von David Z. ein Gummischrotverbot. (Bild: fcl.fan-fotos.ch)

Fragen zum FCB-Fan, der sich im Januar 2022 gemäss «Basler Zeitung» und Fanarbeit Basel beim Gummischrot-Einsatz der Luzerner Polizei bleibende Augenschäden zuzog (zentralplus berichtete), wollte die Luzerner Polizei ebensowenig beantworten wie Fragen zu den mindestens vier St. Galler Fans, die im Mai 2023 Verletzungen im Gesicht – auch an den Augen – erlitten (zentralplus berichtete) sowie Fragen zum Polizeieinsatz von Anfang August 2023, als sich David Z. die schwerwiegenden Augenverletzungen zuzog (zentralplus berichtete).

«Die Situation hätte wohl anders bewältigt werden können»

Pressesprecher Christian Bertschi teilt im Namen der Luzerner Polizei einzig mit: «Im besagten Zeitraum sind keine Anzeigen aufgrund von Augenverletzungen nach Gummischrot-Einsätzen eingegangen.» Und: «Eine Statistik zu Gummischrot-Einsätzen führt die Luzerner Polizei nicht.»

«Unschuldig ist bei den FCL-Fans niemand. Mitgegangen, mitgefangen.»

SVP-Kantonsrat Mario Bucher

Zudem äussert er sich zum umstrittenen Gummischrot-Einsatz im Vorfeld des FCL-Heimspiels gegen den schottischen Verein Hibernian FC (zentralplus berichtete). «Die angekündigte, interne Untersuchung zum Gummischrot-Einsatz hat ergeben, dass unter Berücksichtigung der Einsatzbedingungen taktisch und rechtlich kein Fehlverhalten festzustellen ist», lässt sich Bertschi zitieren. «In einer Nachbetrachtung hätte die Situation wohl aber anders bewältigt werden können.» Was genau die Luzerner Polizei «anders hätte bewältigen können», wollte sie nicht verraten.

«Es wäre absolut falsch, mit dieser Diskussion vom Hauptproblem, nämlich von den Übeltätern, abzuweichen»

Mitte-Kantonsrätin Inge Lichtsteiner

Auch nicht, ob sie aufgrund der vielen Verletzten den Gebrauch von Gummischrot zu überprüfen gedenke. Oder ob sie künftig eine entsprechende Gummischrot-Statistik führen werde. Darum hat zentralplus stattdessen Luzerner Kantonsrätinnen aus der Justiz- und Sicherheitskommission (JSK) ebendiese zwei Fragen gestellt.

SVP und Mitte legen Augenmerk auf Fans

Kurz und knapp fällt das Statement der SVP aus. «Die Sicherheit der Luzerner Polizei hat Vorrang», erklärt Mario Bucher, «und wir werden mit Sicherheit die Polizei nicht zu Tätern degradieren.» Für ihn und seine Parteikollegen in der JSK ist klar: «Unschuldig ist bei den FCL-Fans niemand. Mitgegangen, mitgefangen.»

«Tränengas und Gummischrot sind rechtlich zugelassene Mittel und die Polizei hat den Auftrag, diese verhältnismässig anzuwenden.»

FDP-Kantonsrätin Eva Forster

Das sehen die Mitte-Vertreter in der JSK ähnlich. Inge Lichtsteiner betont: «Es wäre absolut falsch, mit dieser Diskussion vom Hauptproblem, nämlich von den Übeltätern, insbesondere bei der Fangewalt, genereller Gewalt und Vandalismus abzuweichen.» Grundsätzlich obliege der Einsatz von Gummischrot dem Kommando der Luzerner Polizei. Und diese solle und werde die Gefahren vorsichtig abwägen und Gummischrot adäquat einsetzen.

FDP mit verhältnismässigem Gummischrot-Einsatz einverstanden

Für die FDP-Vertreter in der JSK nimmt Eva Forster Stellung. Mit einer Änderung des Verhaltens «einiger Akteure» – gemeint sein dürften gewalttätige Fussballfans – wäre der Einsatz von und die Diskussion um Gummischrot nicht notwendig. Forster appelliert an die Eigenverantwortung.

«Wir gehen davon aus, dass die Polizei ihre Einsätze sehr wohl vollständig dokumentiert und die Übersicht hat über den Einsatz von Gummischrot.»

GLP-Kantonsrätin Ursula Berset

«Tränengas und Gummischrott sind rechtlich zugelassene Mittel und die Polizei hat den Auftrag, diese verhältnismässig anzuwenden», fährt die FDP-Politikerin fort. Mit permanenter Aus- und Weiterbildung werde dem Einsatz dieser Mittel Rechnung getragen. Sie und ihre Kollegen fänden aber grundsätzlich, dass die Erfassung weiterer statistischer Grössen rund um den Einsatz von Gummischrot sinnvoll sein könnte. Es stehe der Polizei frei, diese zu erheben.

GLP vermutet, dass Polizei Statistik führt

Das sei wohl bereits der Fall, meint Ursula Berset von den Grünliberalen, wenn sie sagt: «Wir gehen davon aus, dass die Polizei ihre Einsätze sehr wohl vollständig dokumentiert und die Übersicht hat über den Einsatz von Gummischrot.» Doch eine für die Öffentlichkeit aufbereitete Statistik sei aus Sicht der Grünliberalen nur dann sinnvoll, wenn sie einer faktenbasierten Diskussion förderlich sei. «Dies ist», so Berset weiter, «in der aktuellen Situation nicht der Fall.»

«Ich erwarte eine kritische Aufarbeitung, verbindliche Richtlinien sowie Massnahmen, um sicherzustellen, dass sich solche tragischen Ereignisse künftig nicht mehr wiederholen.»

SP-Kantonsrätin Anja Meier

Dass die Luzerner Polizei Gummischrot mit grosser Zurückhaltung und gestützt auf klare interne Regelungen einsetze, habe diese im Nachgang zu den erwähnten Vorfällen ausgeführt. Berset verweist auf Aussagen des Polizeisprechers: «Christian Bertschi hat erklärt, dass die Luzerner Polizei – wie üblich – Ablauf und Handlungen der Einsatzkräfte im Nachgang kritisch prüfe und Lehren daraus ziehen wolle.» Aus Sicht der GLP sei vor diesem Hintergrund kein Verbot von Gummischrot notwendig.

SP sieht Gummischrot kritisch

Ganz anders klingt es bei den linken Parteien. «Die jüngsten Vorkommnisse unterstreichen einmal mehr die Problematik von Gummischrot», sagt Anja Meier, SP-Kantonsrätin und Mitglied der JSK. Sie erwarte, dass die Polizei stets die verhältnismässigsten Methoden einsetze und fordert «eine kritische Aufarbeitung, verbindliche Richtlinien sowie Massnahmen, um sicherzustellen, dass sich solche tragischen Ereignisse künftig nicht mehr wiederholen.»

«Langfristig sollte die Polizei kein Gummischrot mehr verwenden.»

Grüne-Kantonsrätin Rahel Estermann

Darum unterstütze sie ein verstärktes Monitoring der Anzahl durch Gummigeschosse verletzter Personen. Mit zielsicheren Zahlen statt Behauptungen liessen sich die Verhältnismässigkeit von Gummischrot-Einsätzen objektiver einschätzen und bessere Entscheide treffen. Und: «Eine faktenbasierte öffentliche Debatte ist nicht zuletzt auch im Interesse der Sicherheitsbehörden.»

Grüne wollen Gummischrot langfristig ersetzen

Rahel Estermann, die in der JSK die Grünen vertritt, würde Daten zu Gummischrot-Einsätzen ebenfalls begrüssen. «Heute bleibt vieles im Verborgenen», erklärt Estermann. «Das erschwert es einzuschätzen, wie gefährlich Gummischrot wirklich ist.» Dabei wäre eine Fallerhebung auch unter Wahrung des Datenschutzes möglich. Optimal wäre eine schweizweite Datenerhebung.

Doch bei dieser soll es nicht bleiben, wenn es nach Rahel Estermann geht: «Langfristig sollte die Polizei kein Gummischrot mehr verwenden, sondern alternative Einsatzmittel finden» – wie dies in anderen Ländern bereits der Fall sei. Denn die schwer kontrollierbare Streuung von Gummischrot und dadurch entstehenden Verletzungen würden das Einsatzmittel unverhältnismässig machen.

Kurzfristig müsse die Polizei die Leitlinien, die sie sich selbst für den Einsatz von Gummischrot gebe, auch wirklich durchsetzen. Die Polizei habe ein Gewaltmonopol und das gehe mit besonderer Verantwortung einher. Gummischrot solle erst eingesetzt werden, wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft worden seien. Was beispielsweise gegen die schottischen Fans nicht der Fall gewesen sei, wie die Luzerner Polizei bestätigt habe. Für Estermann ist klar: «Dass in der Schweiz so viele Menschen ihr Augenlicht wegen Gummischrot verlieren, ist nicht tolerierbar.»

*Name der Redaktion bekannt

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Mitgliedern des Kantonsrat der Luzerner Justiz- und Sicherheitskommission (JSK)
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