Gummischrot ins Gesicht: FCL-Fan kämpft um sein Auge
Der FC Luzern wirft Djurgårdens IF am vergangenen Donnerstag aus der Conference-League-Qualifikation. Doch nach der Feier im Stadion werden FCL-Unterstützer von den Stockholmern angegriffen. Die Polizei setzt Gummischrot ein. Mit verheerenden Folgen.
Es hätte aus Luzerner Sicht ein Fussballabend wie aus dem Bilderbuch sein können: ein lauwarmer Sommerabend, Flutlichtspiel gegen Djurgårdens IF. Kitschig-schön gibt sich das Abendrot am Donnerstag hinter der Fankurve im Sektor B. Dort, wo die FCL-Fans zu Spielbeginn eine hübsche Choreo präsentieren, den Lautstärkepegel grenzwertig hochhalten und schliesslich nach einem umkämpften Spiel und einer 45-minütigen Abwehrschlacht das Weiterkommen frenetisch bejubeln.
So erlebt hat dies auch FCL-Fan David Z*. «Wir haben nach dem Spiel die Mannschaft gefeiert. Ungefähr 20 Minuten nach Abpfiff begab ich mich nach draussen», sagt er gegenüber zentralplus. «Dort herrschte Unruhe, ein Tohuwabohu.» Von der Schlägerei habe er nichts mehr mitgekriegt. «Die Schweden waren schon weg», erklärt der 34-Jährige. Relativ rasch habe sich die Lage denn auch beruhigt. Darum sei er wie üblich zum Treffpunkt zwischen Stadionausgang und Messe gegangen, um dort seine Freunde zu treffen. Doch dann eskalierte die Situation abermals.
Polizei schiesst FCL-Fan mit Gummischrot ins Gesicht
Die Polizei habe er zu diesem Zeitpunkt gar noch nicht wahrgenommen. Doch plötzlich sei, wie aus dem Nichts, mit Gummischrot geschossen worden. Ohne Vorwarnung der Polizei. Nachdem die Schweden längst weg waren. «Der Mitteleinsatz war völlig unnötig», findet David Z. denn auch. Seit 20 Jahren verfolgt er die Spiele des FCL, versteht sich aber nicht als Teil der aktiven Fanszene.
«Es wird schwierig, meinten die Ärzte.»
FCL-Fan David Z.
«Ein Projektil der ersten Salve Gummischrot traf mich direkt auf dem linken Auge», erinnert sich David Z. Infolgedessen hätten ihn seine Freunde zur Sanität begleitet. Er sei nach der Notfallversorgung vor Ort mit der Ambulanz ins Kantonsspital gefahren.
David Z. wirkt gefasst, als er die Ereignisse der vergangenen Tage schildert. Was in Anbetracht der Sorgen, die ihn plagen, bemerkenswert ist.
Ärzte sind skeptisch
In der Nacht auf Freitag wurde David Z. untersucht, am Freitagmorgen dann mehr als fünf Stunden lang notfallmässig operiert. Am Montag sei er von den leitenden Ärztinnen abermals untersucht worden. «Das Auge hat keinen Druck mehr. Wir müssen daher eine zweite Operation vornehmen», sei deren Fazit gewesen. Weitere Eingriffe könnten folgen, sollte die Operation Erfolg haben. «Aber es wird schwierig, meinten die Ärzte.» Die Aussichten: düster. David Z. resümiert: «Sollte die zweite Operation nicht zum gewünschten Erfolg führen, heisst das für mich: Ich werde künftig nur noch auf einem Auge sehen.»
Dafür, dass er nun um sein linkes Auge bangen muss, macht der Fussballfan den seines Erachtens unnötigen und regelwidrigen Einsatz von Gummischrot verantwortlich. «Mit Gummischrot auf Kopfhöhe zu schiessen – das wird immer wieder gemacht. Ist aber verboten», sagt der 34-Jährige. «Um uns herum standen auch kleine Kinder und Familien. Ich hoffe, von ihnen wurde niemand getroffen», fährt er fort. Abgesehen davon ist für ihn unverständlich, wie die Schweden überhaupt zum Haupteingang des Stadions gelangen konnten. Auch, warum der Durchgang der Messe offen war, erschliesst sich ihm nicht.
«Die genannte Passage nutzen auch Schülerinnen, die zum Sport gehen.»
Silvan Auf der Maur, Messe Luzern
Denn rund 30 Fans aus Stockholm sind der Luzerner Polizei nach dem Spiel entwischt. Sie stürmten zwischen zwei Messegebäuden hindurch – um sich mitten unter FCL-Fans wiederzufinden. Dort prügelten sie offenbar wahllos auf diese ein.
Darum war der Durchgang der Messe offen
Vom FCL und der Luzerner Polizei will zentralplus wissen, wieso dieser Durchgang offen gewesen ist. Sie verweisen auf die Messe Luzern, deren Geschäftsleitungsmitglied Silvan Auf der Maur Auskunft gibt: «Die Hallen sind bei Nichtbetrieb und in der Nacht geschlossen.» Das gelte aber nicht zwingend für die Freiräume zwischen den Hallen, erklärt er. Diese würden von der Bevölkerung genutzt, was die Messe Luzern in der Regel nicht störe, obwohl es sich um Privatgelände handle. «Die genannte Passage nutzen beispielsweise auch Schülerinnen, die zum Sport gehen.»
Bei Veranstaltungen lasse sich das Gelände hermetisch abriegeln und personell überwachen. Dies geschehe bei Fussballspielen ohne Veranstaltungsbetrieb der Messe Luzern jedoch nicht. Wenn es aber parallel Veranstaltungen und ein Fussballspiel gebe, spreche sich die Messe Luzern mit dem FCL ab, so Auf der Maur.
Dass am vergangenen Donnerstag Gästefans über diese Passage zu den FCL-Fans durchgedrungen seien, sei der erste derartige Fall gewesen, fährt Auf der Maur fort. «Sollte dies zum Normalfall werden, würden wir selbstverständlich zusammen mit dem FCL und der Luzerner Polizei Massnahmen prüfen.»
Älterer Mann lief blutend und weinend davon
Doch das ist Zukunftsmusik. Zurück zum vergangenen Donnerstag, wo nicht nur David Z. vor dem Stadion in den Strudel der Gewalt geraten ist. Gemäss mehreren Augenzeugen, die auf Social Media ihre Eindrücke schildern, sollen schwedische Fans mit Baseballschlägern auf Kinder und Frauen losgegangen sein. Ein älterer Mann soll blutend und weinend davongelaufen sein.
«Gummischrot wurde mitten in die wild durchmischte Menge gefeuert – auf Augenhöhe.»
zentralplus-Leser
Derweil ärgert sich ein Fan im FCL-Forum darüber, dass das Spiel gegen Djurgårdens IF für viele der vorerst letzte Besuch auf der Luzerner Allmend gewesen sein dürfte. Die Schweden hätten wahllos Bierflaschen in die Menge geworfen und seien auf alles losgegangen, was einen blau-weissen Schal umgebunden hatte. Familien mit Kindern seien panisch ins Stadion zurück geflüchtet. Er habe Buben vor Angst weinen sehen. «Und wo war die Polizei?», fragt der Nutzer rhetorisch. Und beantwortet die Frage gleich selbst: «Nirgends.»
Weitere Unbeteiligte von Gummischrot getroffen
Ein anderer FCL-Unterstützer, der das Spiel von der Gegentribüne aus verfolgt hatte, sei laut eigenen Aussagen ebenfalls ungewollt ins Kreuzfeuer geraten, wie er gegenüber zentralplus sagt. Als er das Stadion verlassen habe, sei er als komplett Unbeteiligter von Gummischrot getroffen worden – ohne sich dabei schwerer zu verletzen. Ein Leser, der sich als Sitzplatzfan bezeichnet, schreibt in einem Kommentar: «Gummischrot wurde mitten in die wild durchmischte Menge gefeuert – auf Augenhöhe. Das erkennt man daran, dass die Läufe der Gewehre teilweise klar Richtung Oberkörper gerichtet waren.» Der Leser fragt: «Wann wird die Polizei für ihre unfähige und absolut skandalös gefährliche Taktik zur Rechenschaft gezogen?»
«Es wäre nicht verhältnismässig, wenn wir sämtliche private Grundstücke zwischen Stadion und Innenstadt schliessen lassen würden.»
Urs Wigger, Luzerner Polizei
Schliesslich erzählt eine etwas ältere Augenzeugin, die im Family Corner sass: «Ich bin mitten in die Auseinandersetzungen vor dem Stadion geraten – plötzlich hatte ich Vermummte um mich herum.» Sie wünscht sich, in Zukunft ohne Angst vom Match heimkehren zu können. Und ärgert sich über den mangelnden Schutz durch die Polizei: «Wofür zahlen wir die ganzen Steuern?»
Aufeinandertreffen im Vögeligärtli verhindert
Während aufgebrachte Fans von einem Versagen der Luzerner Polizei sprechen, stellte sich diese nach den Ausschreitungen vom Donnerstagabend ein gutes Zeugnis aus. Auch, weil sie ein weiteres Aufeinandertreffen der Fanlager rund um das Vögeligärtli verhindern konnte (zentralplus berichtete).
Mediensprecher Urs Wigger nimmt Stellung zu den Vorwürfen, die verschiedenste FCL-Fans inzwischen erhoben haben. Die Luzerner Polizei stufte die Partie bereits im Vorfeld als Hochrisikospiel ein (zentralplus berichtete). Ob man von einer Attacke der Schweden ausgegangen sei? «Die Polizei prüft jeweils vor den Spielen verschiedene Szenarien und bereitet sich bestmöglich darauf vor», so Wiggers Antwort. Die viel drängendere Frage lautet ohnehin: Wie konnten schwedische Fussballfans der Polizei entwischen und direkt zum Haupteingang des Stadions zu den FCL-Fans gelangen?
So sind die Schweden der Luzerner Polizei entwischt
Wigger führt aus: «Nach dem Spiel liefen die Gästefans auf dem Zihlmattweg via Hubelmatt los in Richtung Stadt. Ihren Marsch stoppten sie nach kurzer Zeit. Plötzlich rannten circa 20 vermummte Fans aus dieser Gruppe in Richtung Messe, wo es zu Auseinandersetzungen mit den FCL-Fans kam.» Gemäss Videoaufnahmen des «Blick» dürfte es sich eher um 30 Personen gehandelt haben – darunter aber auch zögernde Mitläufer. In jedem Fall scheint es ein Szenario gewesen zu sein, auf das die Luzerner Polizei nicht vorbereitet gewesen war.
«Beim Eintreffen der Polizei waren die Streitigkeiten schon im Gange, daher konnte die Polizei sich nicht zwischen die Fronten stellen.»
Urs Wigger, Luzerner Polizei
Doch Massnahmen wie die künftige Schliessung der Passage auf dem Gelände der Messe Luzern möchte die Polizei trotz der Kooperationsbereitschaft seitens Messe Luzern nicht veranlassen. «Es wäre nicht verhältnismässig, wenn wir sämtliche private Grundstücke zwischen Stadion und Innenstadt schliessen lassen würden, um ein mögliches Ausbrechen aus einem Fanmarsch zu verhindern – von Chaoten, welche aktiv die Konfrontation suchen», führt Mediensprecher Wigger aus.
Luzerner Polizei: «Abgabe von Gummischrot war kontrolliert»
«Oberste Priorität hat bei unseren Einsätzen die Sicherheit der Menschen», fährt Wigger fort. Ziel sei es, Ruhe und Ordnung zu wahren oder diese, falls sie, wie im vorliegenden Fall, gestört werde, wiederherzustellen. «Beim Eintreffen der Polizei waren die Streitigkeiten schon im Gange», so Wigger weiter. «Daher konnte die Polizei sich nicht zwischen die Fronten stellen.»
Dass Unbeteiligte vor dem Stadion in Mitleidenschaft gezogen worden seien, sei auch darauf zurückzuführen, dass viele kleinere Gruppierungen beider Lager sich immer wieder aus dem Pulk gelöst und gegenseitig aktiv die Konfrontation gesucht hätten.
Mittels Gummischroteinsatz der Polizei seien die Fanlager getrennt und die Sicherheit der Menschen wiederhergestellt worden. Dabei sei die Abgabe von Gummischrot, anders als unter anderem von David Z. behauptet, nicht erst nach dem Verschwinden der Stockholmer Fans und ausserdem kontrolliert erfolgt. Wigger meint zudem: «Vor jedem Mitteleinsatz gibt es in der Regel eine Abmahnung.» Ob dies auch am Donnerstag der Fall war, bleibt offen.
Keine Kenntnis von Schwerverletztem
Von FCL-Fans, die sich infolge des Gummischroteinsatzes verletzt haben sollen, weiss Urs Wigger nichts. Wohl auch, weil David Z., wie er sagt, momentan andere Prioritäten hat, als sich mit allfälligen rechtlichen Schritten gegen die Luzerner Polizei zu befassen.
*Name der Redaktion bekannt
- Telefonat mit David Z., FCL-Fan
- Schriftlicher Austausch mit Urs Wigger, Mediensprecher der Luzerner Polizei
- Telefonat mit Silvan Auf der Maur, Geschäftsleitungsmitglied der Messe Luzern
- Persönliche Gespräche und schriftlicher Austausch mit diversen Augenzeugen
- Kommentare auf «zentralplus», Social Media und im FCL-Forum