Luzerner Passagiere brauchen Geduld

Kritik am ÖV-Bericht: Regierung muss über die Bücher

SP-Kantonsrat Hasan Candan spart nicht mit Kritik am jüngsten ÖV-Bericht der Regierung. (Bild: ewi / bic)

Der Kantonsrat stimmt dem neusten ÖV-Bericht des Kantons Luzern zu. Doch die Debatte hat gezeigt, dass die Unzufriedenheit mit dem ÖV gross ist. Passagiere warten auf verspätete Busse – und bis jetzt vergeblich auf neue Angebote.

Hasan Candan sitzt seit zwölf Jahren für die SP im Luzerner Kantonsrat. In dieser Zeit hat er vier ÖV-Berichte der Luzerner Regierung besprochen, in denen die Stossrichtungen und Ziele im öffentlichen Verkehr im Kanton Luzern festgelegt werden. Den neusten hat das Parlament an der März-Session besprochen und abgesegnet. Und Candan sagt zur Debatte: «Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es je so viele Bemerkungen zu einem ÖV-Bericht gab.»

Über einen halben Tag nahm die Diskussion des 134-seitigen Papiers in Anspruch. Es dauerte allein rund eine Stunde, bis alle Parteien im Rahmen der Eröffnungsdebatte ihre grundsätzliche Meinung zum Bericht deponiert hatten. Darauf folgte die Detailberatung, in der das Parlament die rekordverdächtigen 25 Bemerkungen der Kantonsrätinnen und der Verkehrs- und Baukommission diskutierte.

Regierung wird wegen ÖV-Strategie mit Kritik eingedeckt

Dass es so viele Bemerkungen gab, hat aus Sicht Candans Gründe: «Das ist ein klares Zeichen für die Unzufriedenheit mit der aktuellen ÖV-Situation.» Auf der Landschaft hat der Kanton in den letzten Jahren Haltestellen und Linien eingestellt. In der Agglomeration verfehlt der Kanton seine ÖV-Ziele zum zweiten Mal in Folge deutlich. Und weil der öffentliche Verkehr insbesondere während der Stosszeiten nur unzuverlässig funktioniert, sank die Zufriedenheit der Kundinnen zwischen 2018 und 2021.

«Die Regierung wird erkannt haben, dass ein weiterer Leistungsabbau nicht infrage kommt.»

Hasan Candan, Kantonsrat SP

Die Unzufriedenheit über diese Entwicklungen bekam der Regierungsrat vom Parlament zu spüren. Für GLP-Kantonsrat András Özvegyi ist es eine «Kapitulation», dass der Kanton bei den ÖV-Zielen in der Agglomeration nun zurückkrebst, nachdem er sie wiederholt verfehlt hat (zentralplus berichtete). Der Grüne Gian Waldvogel bezeichnete dies gar als «absolut katastrophales Zeichen». Und auch seine Parteikollegin Korintha Bärtsch sparte nicht mit Kritik. «Wir müssen uns schämen, dass wir jährlich so viel Geld in den ÖV investieren und trotzdem ein unattraktives Produkt haben.»

Auf Anfrage relativiert sie diese Aussage zwar teilweise: «Das ist etwas zugespitzt, der Kanton Luzern hat ein gutes Grundangebot.» Doch findet auch sie: «Aber bezüglich der Kapazitäten und insbesondere bezüglich der Zuverlässigkeit gibt es grossen Nachholbedarf.» Diese Schlüsse zieht sie aus dem ÖV-Bericht. Denn dieser hält fest: «Die Nachfrage im motorisierten Individualverkehr wächst stärker als jene im ÖV.» Und weiter: «Der ÖV hat mit verschiedenen Herausforderungen wie Kapazitätsengpässen und Zuverlässigkeitsproblemen zu kämpfen.»

Bemerkungen sind mehr als nur Kosmetik

Die Debatte im Kantonsrat hat auch gezeigt, dass der Unmut über den Luzerner ÖV nicht nur bei den linken und ökologisch gesinnten Parteien besteht. Denn eine Vielzahl der 25 Bemerkungen wurde gegen den Willen der Regierung überwiesen. Und dazu brauchte es auch Stimmen aus dem bürgerlichen Lager. Auch die Mitte politisierte in diesem Fall auf derselben Linie wie links-grün. So wurde beispielsweise eine Bemerkung überwiesen, die mehr Investitionen in den ÖV forderte, was aus Sicht von SP-Kantonsrat Hasan Candan «sehr überraschend» war.

Doch was bringen diese Bemerkungen? Handelt es sich um reine Symbolpolitik, oder haben diese wirklich einen Einfluss auf das ÖV-Angebot? Zumal die Regierung in der Debatte wiederholt auf den Verkehrsverbund verwies, welcher das Angebot plant und bei den Transportunternehmen bestellt.

Candan ist zuversichtlich. «Diese Bemerkungen können das Angebot attraktiver machen.» So hat der Kantonsrat der Regierung beispielsweise den Auftrag gegeben, neue Kurse im Raum Entlebuch und am Seetalplatz zu prüfen. «Die Regierung wird erkannt haben, dass ein weiterer Leistungsabbau nicht infrage kommt», fährt Candan fort. Zudem hofft er, dass der Kanton seinen Einfluss beim Verkehrsverbund (VVL) als dessen Auftraggeber künftig besser geltend macht.

Streit zwischen VVL und VBL blockiert Weiterentwicklung

Denn der VVL spielt beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs in Luzern eine entscheidende Rolle. Er ist letztlich für die Planung und Ausführung der im ÖV-Bericht festgelegten Ziele zuständig, gemeinsam mit den Transportunternehmen wie den VBL oder Postauto. Doch in den letzten Jahren ist Sand in dieses Getriebe gekommen.

Offenkundig ist dieses Problem vor allem in der Stadt Luzern, wo der Verkehrsverbund und die VBL seit dem Subventionsstreit ein sehr angespanntes Verhältnis zueinander haben (zentralplus berichtete). Wie verschiedene Quellen aus dem ÖV-Umfeld gegenüber zentralplus bestätigen, führt das dazu, dass die Weiterentwicklung des ÖV in der Stadt und Agglomeration stockt. So hat der VVL im Januar die Ausschreibung der VBL zur Beschaffung neuer Batterie-Trolleybusse sistiert (zentralplus berichtete). Mit dem vorübergehenden Abbruch der Ausschreibung verschiebt sich auch die Einführung neuer Linien und Kurse, die den ÖV in der Agglomeration attraktiver gemacht hätten. Also ausgerechnet dort, wo der öffentliche Verkehr heute nicht vorankommt.

Quellen, die dem Verbund und den VBL nahestehen, berichten von «Steinen, die der VBL in den Weg gelegt werden». So drohte sich zum Beispiel die Inbetriebnahme der ersten Elektrobusse der VBL auf der Linie 10 aufgrund interner Probleme zu verzögern. Die VBL warfen dem Verbund vor, die Bewilligung für die Ladestationen der neuen Busse absichtlich hinauszuzögern.

Passagiere leiden unter ÖV-Blockade

Die durchzogene ÖV-Bilanz in Luzern geht aber über den Streit zwischen VBL und VVL hinaus. Auf innovative ÖV-Angebote warteten Luzerner Passagiere in den letzten Jahren vergeblich. Schweizweit testen ÖV-Unternehmen neue Projekte und Tarifmodelle aus. Vor allem On-Demand-Angebote und Rufbusse stehen im Zentrum dieser Versuche. Sie sollen die ÖV-Erschliessung effizienter machen, weil diese Angebote gezielter unterwegs sind als Busse auf starren Kursen zu fixen Fahrplanzeiten. In Luzern geht einzig der Fahrgemeinschafts-Dienst Taxito in diese Richtung – bis jetzt mit durchwachsenem Erfolg.

Dass der Kanton Luzern 2022 auch noch die Projektierung der Durchmesserperrons am Bahnhof Luzern sistierte, war ein weiterer Rückschlag für den öffentlichen Verkehr. Das Projekt, das die Kapazität des Busverkehrs in Luzern wesentlich vergrössern würde, wurde wegen Sicherheitsbedenken abgebrochen (zentralplus berichtete).

Diese Aufzählung von Baustellen im öffentlichen Verkehr liesse sich weiterführen. Der Kantonsrat hat nun ein Zeichen gesetzt, dass sich die Regierung vehementer für ein attraktives ÖV-Angebot einsetzen muss. Denn am Schluss leiden unter der Blockade im ÖV vor allem die Passagiere.

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4 Kommentare
  • Profilfoto von MartinMartin
    MartinMartin, 04.05.2023, 11:09 Uhr

    Die Ausgaben werden beim ÖV steigen und steigen es wird aber nicht attraktiver. Ticketautomaten werden nach Anfrage bei VBL abgebaut obwohl diese noch lange nicht ausgedient haben. Die ÖV Branche braucht E Busse und und und und kein Ende in Sicht.

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  • Profilfoto von Helmut-Mario Reiter
    Helmut-Mario Reiter, 29.03.2023, 08:29 Uhr

    Die Diskussionen um den ÖV-Bericht sind ein Paradebeispiel, wie öffentlich hoch subventionierte öffentliche «Dienst»leister öffentliches Geld zum Pflegen und Durchsetzen eigener Positionen missbrauchen statt ihren Kernjob als Service publique zu erledigen: Rasch mehr bequemer nutzbare Bahn- und Busangebote zu schaffen.

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    Marco, 29.03.2023, 06:42 Uhr

    Ein wichtiges Thema wird im Artikel nicht erwähnt: Busbevorzugungsmassnahmen bzw. Busspuren. Dies ist eine wesentliche Massnahme für einen zuverlässigen ÖV. Die Projekte und Planungen liegen vor, bei der Unsetzung stockt es beim Kanton ebenfalls!

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    • Profilfoto von Philipp
      Philipp, 30.03.2023, 11:13 Uhr

      Durch viele dieser Massnahmen wird der restliche Verkehr massiv beeinträchtig was sich wiederum nachteilig auf den ÖV auswirkt. Bestes Beispiel sind Busstationen wo die Einbuchtung aufgehoben wird und dann auf die Strasse verlegt werden. Hinter den Bussen stauen sich folglich Autos und hinter den Autos steht dann bereits der nächste Bus der nicht vorwärts kommt.

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