Biologin zeigt Rotkreuzer Biberrevier

Exilschweizer: Die Biber nagen sich zurück nach Zug

Marianne Rutishauser führte in Zug durch die Biberexkursion. (Bild: Liane Wittwer)

Er ist Vegetarier, nachtaktiv, nah am Wasser gebaut und eine Art Exilschweizer: Der Biber feiert hierzulande als Einwanderer ein glorreiches Comeback. zentralplus begibt sich beim Binzmühleweiher in der Zuger Gemeinde Rotkreuz in ein Biberrevier und fühlt dem Nager auf den Zahn.

Da das putzige Fellknäuel mit den je zwei scharfen Schneidezähnen im Ober- und Unterkiefer scheu ist und den Menschen meidet, erlauben wir, ihn kurz vorzustellen: den «Castor fiber» oder mit bürgerlichem Namen Biber. Er ist etwa 1 bis 1,3 Meter lang, hat einen 30 Zentimeter langen, abgeflachten Schwanz und ist etwa 18 bis 25 Kilogramm schwer.

Er wird zwischen 10 und 15 Jahre alt und ist nach spätestens drei Jahren geschlechtsreif. Der Biber paart sich im Januar bäuchlings im Wasser. Er lebt in Erdhöhlen in der Uferböschung und geht den Berufen Holzfäller, Taucher, Förster, Landschaftsgestalter und Ökosystemingenieur nach – soweit die Kurzversion.

Biberrevier am Binzmühleweiher in Rotkreuz

Um ihn besser verstehen zu können, müssen wir uns dem Biber über das Fressen nähern. Während er sich im Sommer gerne von Gräsern und Kräutern ernährt, steht im Winter Rinde – insbesondere von Weichhölzern, wie etwa Weiden oder Pappeln – auf seinem Menüplan. Da er nicht klettern kann, fällt er kleinere und grössere Weiden oder andere Baumarten, um an die Rinde zu kommen. Anhand der Spuren solcher Aktivitäten können Biberreviere festgestellt werden.

Eines davon befindet sich am Binzmühleweiher am Rande von Rotkreuz. Hier schliesst sich zentralplus eine Gruppe interessierter Menschen an, die eine von der Naturschutzorganisation Pro Natura durchgeführte «Biberfrühling»-Exkursion besucht. Die Biologin und Projektleiterin der «Aktion Biber & Co.», Marianne Rutishauser, führt den etwa zwanzigköpfigen Tross an.

150 Jahre war der Biber ausgerottet

Bevor es auf Spurensuche geht, stellt sie eine Frage: «Was denkt ihr, wie viele Biber es vor 200 Jahren in der Schweiz gab?» Das Rätselraten ist eröffnet, doch die Antworten, die sich irgendwo zwischen 5000 und 20’000 Tieren einpendeln, sind alle falsch: «Es waren genau null!» Prähistorische Knochenfunde, Ortsnamen wie Biberist oder Bäche wie den Biber oder die Bibera lassen zwar auf eine frühere weite Verbreitung der Biber im Schweizer Flachland schliessen, doch der emsige Nager war fast 150 Jahre ausgerottet, bevor er zwischen 1958 und 1977 ausgesetzt wurde.

Eierlegende Wollmilchsau

Die Gründe für die Ausrottung seien mannigfaltig gewesen, wie Marianne Rutishauser schildert. «Der Biber ist ein Tier, das sowohl an Land als auch im Wasser unterwegs ist. Die Kirche und andere Entscheidungsträger verlauteten deshalb in einem offiziellen Dekret, dass es sich beim Biber um einen Fisch handle. So konnte das Fleisch des Bibers auch in der Fastenzeit gegessen werden.»

Ein weiterer Grund war die Verarbeitung des Fells. «Daraus wurden Mäntel und vor allem die beliebten Castor-Hüte, die Vorläufer des Zylinders, gefertigt. Sie galten als Statussymbol, und je höher der Anteil Biber im Fell war, desto höher das Ansehen.» Tatsächlich ist das Fell des Bibers sehr dicht. Auf der Bauchseite kommen auf einen Quadratzentimeter Haut etwa 23’000 Haare zusammen. Zum Vergleich: Beim Menschen sind es etwa 200 bis 300 Haare.

Bibergeil gegen Fallsucht

Die Tiere wurden aber auch wegen des sogenannten Bibergeils getötet. Das ist ein Drüsensekret zur Fellpflege und zur Markierung des Reviers. Ihm wurde allerhand Heilkräfte zugeschrieben – zum Teil auch befremdlich anmutende. Gepulvert und unter die Zunge gelegt, sollte es gegen die Zungenlähmung wirken.

Mit Wein und Rautensaft gekocht, wurde es gegen die Fallsucht eingesetzt. Mit Polei-Minze getrunken, erwartete man Hilfe gegen Lungenkrankheiten und «Feuchtigkeit des kalten Gehirns». Und mit Pfeffer und Honigwasser eingenommen, «brachte es Frauenzeit und trieb tote Geburt aus».

«In Zug hat es noch viel Potenzial für die Ausbreitung des Bibers.»

Marianne Rutishauser, Biologin Pro Natura

Heute wird das Bibergeil nur noch künstlich für die Parfümindustrie eingesetzt. So kann die Biberpopulation in der Schweiz immer weiter wachsen. Waren es bei der ersten gesamtschweizerischen Bestandsschätzung 1985 noch 132 Biber, so wurde der Bestand 2022 auf knapp 5000 Tiere geschätzt. Im Kanton Luzern leben derzeit etwa 130 Biber, und im Kanton Zug sind es deren 62.

Ein Nager mit Biss

Im Winter benötigen Biber etwa drei Kilogramm Rinde pro Tag. Wenn der Bedarf nicht mit kleinen Ästen gedeckt werden kann, fällt er Bäume. Dabei hülfen ihm seine scharfen Nagezähne, sagt Marianne Rutishauser. «Die Zähne bei Bibern hören nie auf zu wachsen. Der rostfarbene Zahnschmelz auf der Vorderseite ist eisenoxidhaltig und daher sehr hart.» 

Seine Zähne braucht der Nager aber auch, um sein Revier vor Eindringlingen zu schützen. Da der Biber keine natürlichen Feinde hat, sind das vor allem Artgenossen. Junge, flügge gewordene Biber, die nach dem «Rauswurf» bei den Eltern ein eigenes Revier suchen müssen. Wenn viele Reviere besetzt sind, muss der Biber weite Strecken zurücklegen, die zum Teil über Strassen führen und daher gefährlich sind. Das ist beispielsweise teilweise im Kanton Aargau der Fall.

Luzern und Zug: Viel Raum für Besiedelung – doch der Nager sorgt auch für Probleme

Anders sieht es im Zugerland aus. «Da hat es noch viel Potenzial für die Ausbreitung des Bibers», sagt Marianne Rutishauser. «Vor allem beim Zugersee, denn da existiert bisher nur ein Biberrevier.» 

Gerade Seen seien ideal, da die Biber dort kein Wasser stauen müssten. «Das machen sie nämlich nur, wenn das Wasser abläuft oder der Wasserstand nicht hoch genug ist, um an Nahrungsgebiete zu kommen.» Ein weiterer Grund sind die Biberbauten, die in Mitteleuropa vor allem aus Erdhöhlen in Uferböschungen bestehen. Zum Schutz befinden sich die Eingänge in solche Höhlen immer unter Wasser. 

Doch der Biber richtet auch Schäden an. Er breitet sich aus, verändert Gewässerläufe durch Dammbauten, gräbt Erdbaue in Uferböschungen und fällt Bäume – vermehrt käme es zu Konflikten. Das schreibt auch die Schweizer Biberfachstelle. Die Probleme treten hauptsächlich in der Landwirtschaftszone auf, wenn etwa durch gestaute Bäche Kulturland vernässt wird. Weiter können Biberbauten die Hochwassersicherheit gefährden.

Im Kanton Zug existiert ein Biberkonzept, welches das Amt für Wald und Wild erarbeitet hat. In diesem heisst es, dass sich Konflikte und Schäden vermeiden lassen würden beziehungsweise auf ein geringes Ausmass reduziert werden könnten. Dies indem etwa Gewässerräume gesichert oder Lebensraumansprüche des Bibers bei Bauprojekten berücksichtigt würden.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 09.04.2024, 18:30 Uhr

    Er nagt sich zurück ist eine gute Beschreibung! Diese putzigen Tiere sind zum Glück damals rechtseitig im Kanal der Perlen Papierfabrik entdeckt worden, es hätte durch die gefällten Bäume die Maschine 4 überschwemmt. Jedenfall mussten einige angenagte Bäume gefällt werden. Ich hoffe sie finden in der Reuss Renaturierung Buchrain ihren Platz! Aber sicher nicht bei der Spreuerbrücke. Sie haben Bäume zum Fressen gern, aber nicht Touristen Take Away Frass!

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