Frühere Delikatesse zur Fastenzeit

Fischotter und Luzern: Eine harzige Liebesgeschichte

Sind nach Jahren der Ausrottung wieder in der Schweiz: Fischotter. Aber finden sie auch den Weg nach Luzern? (Bild: Ryan Hyde / Unsplash)

Ihr niedliches Äusseres täuscht. Fischotter sind begabte Jäger, die in der Schweiz bis zur Ausrottung gejagt wurden. Seit einigen Jahren sind sie jedoch zurück. zentralplus klärt die Frage, ob die Fischgourmets auch den Raum Luzern im Visier haben.

Der Karfreitag ist einer der bedeutendsten Tage im christlichen Glauben. An diesem Tag gedenken praktizierende Christen des Leidens und Sterbens Jesu und verzichten symbolisch auf den Verzehr von Fleisch. Gewisse Christen wenden diesen Verzicht gar auf jeden Freitag im Jahr an. Als Alternativprogramm zum Fleisch stand deswegen schon sehr früh Fisch auf der Menüplan.

Oder Otter.

Moment, Otter? Was haben Otter damit zu tun? Simpel: In früheren Jahrhunderten war der Verzehr von warmblütigen Tieren in der Fastenzeit strengstens untersagt. Die Lust danach aber blieb. Also dehnte man die Regel etwas aus. Nach dem Konstanzer Konzil im 15. Jahrhundert stand fest: Was unter Wasser lebt, wird als Fisch gezählt. Also wurde kurzerhand alles Tierische, das sich im Wasser aufhielt, gejagt und gegessen. Und weil der Fischotter sich nun mal aufgrund seiner Hauptnahrungsquelle Fisch oft im Wasser tummelt, war sein Schicksal besiegelt. Getreu dem Sprichwort «Du bist, was du isst».

Die Schweiz jagt den Otter

Gejagt wurden die Fischotter jedoch nicht nur aus kulinarischen Gründen. Ihr wasserfestes Fell – pro Quadratzentimeter Haut hat ein Fischotter an die 70'000 Haare, beim Mensch sind es auf gleicher Fläche nur etwa 200 Haare auf dem Kopf – galt als sehr wertvoll. Ein weiterer Grund: Obwohl der Fischotter auch Krebse und Amphibien frisst, ist die Hauptnahrung – der Name verrät es – Fisch. Und da ein Fischotter im Schnitt 15 Prozent seines eigenen Körpergewichts mampft, ging das ganz schön an die Fischbestände. Damit machten die Tiere den Berufsfischern die Beute streitig.

Richtig düster wurde es für den der Marderart zugehörigen Jäger in der Schweiz ab 1888. Dann nämlich setzten sich verschiedene Politiker aus volkswirtschaftlichen Gründen für eine Änderung des Fischereigesetzes ein. Um die Fischereierträge anzuheben, wurde im Artikel 22 beschlossen, dass «fischereischädliche Tiere» in der Schweiz ausgerottet werden sollen.

Weil der Fischotter ordentlich viel Fisch verputzt, wurde er vom Menschen verbissen gejagt. (Bild: Daniel Olaleye / Unsplash)

Der Staat gab sich dabei alle Mühe, die Otter so schnell wie möglich aus dem hiesigen Ökosystem zu schaffen. Sei es durch Prämien für erlegte Tiere, das Aufstellen von Fallen oder durch staatliche Fischotterjäger. Die Bestände nahmen in der Folge kontinuierlich ab. Naturschützer setzten sich zwar jahrelang dafür ein, dass man die Jagd auf Otter einstellte. Es dauerte aber bis 1952, bis die Tiere schliesslich unter Schutz gestellt wurden. Der irreparable Schaden war jedoch bereits angerichtet. Zu diesem Zeitpunkt schätzten Experten den Bestand in der Schweiz noch auf knapp 150 Tiere.

Von da an dauerte es nicht mehr lange bis zum Exitus. Die fiepsenden Gesellen galten Ende der 1980er-Jahre in der Schweiz offiziell als ausgestorben. Nebst der Jagd vermuteten die eidgenössischen Forscher, dass die Belastung der Gewässer durch das Umweltgift PCB ein zusätzlicher Grund für das Aussterben der Tiere gewesen sein könnte. Ebenso die Veränderungen der Lebensräume durch Baumassnahmen oder Kraftwerke.

Kehrt der Otter nach Luzern zurück?

Umso grösser war die Sensation, als 2009 im Rhein bei Reichenau wieder Fischotter in der Schweiz gesichtet wurden. Und das ohne, dass der Mensch nachgeholfen hätte. Die Tiere finden auf natürlichem Weg aus Frankreich, vermehrt aber über die österreichischen Alpen zurück in die Schweiz.

«Der Kanton Luzern ist mit seinen vielen Gewässern ein für Fischotter geeignetes Gebiet.»

Irene Weinberger, Stiftung Pro Lutra

Bis 2017 wurden mehrere Tiere in den Kantonen Bern, Tessin und im Engadin gesichtet. Und von Bern nach Luzern ist es bekanntlich nicht weit. Es ist also gut möglich, dass die Fischotter bald wieder im Kanton Luzern heimisch werden.

Nach aktuellem Stand haben sie es aber noch nicht über die Grenze nach Luzern geschafft. Dabei ist «der Kanton Luzern mit seinen vielen Gewässern ein für Fischotter geeignetes Gebiet», wie Irene Weinberger von der Stiftung Pro Lutra auf Anfrage schreibt. Die Stiftung setzt sich unter anderem für die natürliche Ausbreitung der Fischotter in der Schweiz ein.

In früheren Jahrzehnten waren Fischotter im Kanton Luzern weitverbreitet. Der letzte Nachweis stammt aus dem Jahr 1952 – das Jahr, in dem sie in der Schweiz unter Schutz gestellt wurden. Damals wurden die Tiere in Perlen bei Root gesichtet. Zudem gab es Sichtungen in der Wigger, in der Kleinen Emme und im Sempachersee. «Der Fischotter war sicherlich weiter verbreitet, denn diese Beobachtungen sind nur jene, die gemeldet oder notiert wurden», erklärt Weinberger.

Die Zahl der Rückkehrer hält sich in Grenzen

Irene Weinberger schätzt, dass derzeit etwa 15 Fischotter in der Schweiz leben – mittlerweile vor allem im Bündnerland. «Während entlang der Aare rund um Bern mehr wilde Fischotter lebten als in anderen Regionen der Schweiz, hat sich das heute gekehrt. Heute ist der Kanton Graubünden derzeit quasi die Kapitale der Fischotter.»

Die Zahl der hier ansässigen Otter hält sich gemäss Weinberger seit ein paar Jahren stabil. Denn die Otter haben keine Eile. Als territorialer Jäger scheint er sich erst flächendeckend an einem Ort auszubreiten, bevor er sich in neue Gebiete aufmacht. Da es entlang des Inns in Österreich und dessen Seitenflüssen noch freie Territorien gibt, verspürt der Fischotter bisher wenig Druck, in die Schweiz abzuwandern.

«Der Einfluss des Fischotters auf die Fischbestände wird an Fischern nicht unbemerkt bleiben.»

Auszuschliessen ist es nicht, dass die Fischotter in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten dennoch ihren Weg nach Luzern – oder die Zentralschweiz generell – finden. Irene Weinberger: «Wir stehen am Anfang der Wiederbesiedlung.»

Wegen ihres niedlichen Äusseren werden verschiedene Otterarten illegal als Haustiere gehalten. Vor allem im asiatischen Raum. (Bild: Third Idea / Unsplash)

Voraussetzungen für die Otter sind nicht ideal

«Wir freuen uns sehr über die natürlich stattfindende Rückkehr des Fischotters. Wo er sich jedoch überall etablieren kann, das wird sich erst zeigen.» Denn der Fischotter ist auch auf gute Fischbestände angewiesen. Und genau hier liegt ein grosses Problem. «Den Fischbeständen geht es nicht gut. Allein zwei Drittel aller Fischarten in der Schweiz stehen auf der Roten Liste», schreibt Weinberger. In Luzern beispielsweise hat das Fischsterben in den vergangenen Jahren stark zugenommen (zentralplus berichtete). Schuld daran sind unter anderem Klimaerwärmung, verbaute Gewässer, Pestizide und Mikroplastik. «Das sind nicht ideale Voraussetzungen für den Fischotter, der auf intakte Systeme angewiesen ist.»

Würde eine vermehrte Rückkehr der Fischotter die alte Vendetta zwischen ihnen und den Fischern wieder aufleben lassen? «Der Einfluss des Fischotters auf die Fischbestände wird an Fischern nicht unbemerkt bleiben», schreibt Irene Weinberger. Wie sich die Situation zwischen den beiden Fischliebhabern entwickeln wird, muss die Zukunft erst noch zeigen.

Über die Stiftung Pro Lutra

Die Stiftung mit Sitz in Bern setzt sich für die Fischotter in der Schweiz ein. Zu ihren Zielen gehört die Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung und die wissenschaftliche Dokumentation der Tiere. Sichtungen der Tiere können beispielsweise direkt der Stiftung gemeldet werden. Zudem setzt sich Pro Lutra dafür ein, dass Fischotter auf natürlichem Weg in die Schweiz einwandern, sich fortpflanzen und sich landesweit ausbreiten können – bis hin zu einer überlebensfähigen Population.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Irene Weinberger, Pro Lutra
  • Website Stiftung Pro Lutra
  • Fakten über Otter von WWF
  • Artikel im National Geographic
Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


2 Kommentare
  • Profilfoto von Hanswurst
    Hanswurst, 08.04.2023, 11:11 Uhr

    Toller Artikel, danke. Dann hoffen wir auf eine weitere Erholung unseres beängstigend lädierten Ökosystems. Auch der Biber ist selbst in der Agglomeration Luzern angekommen, wie man am Verbiss der Ufergehölze gewisser Gewässerabschnitte leicht feststellen kann.

    👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
  • Profilfoto von Franz
    Franz, 07.04.2023, 15:23 Uhr

    Im Wildnispark Sihlwald ZH hat es eine schöne, grosse Anlage mit Fischottern. Im Gegensatz zu Bibern sind Fischotter tagaktiv und somit für Besucher gut zu beobachten.

    👍2Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon