Eintauchen in eine andere Welt

«Früehschoppe» und Ländler zum Zmorge – mitten in Luzern

Im «Absacker-Stübli» an der Baselstrasse wird schon am Morgen das Tanzbein geschwungen. (Bild: ewi) (Bild: ewi)

Im «Absacker-Stübli» an der Baselstrasse findet jeden Sonntag ein heiteres Treffen von Ländler-Freunden statt. zentralplus ist in eine einzigartige Welt eingetaucht, die es sonst in Luzern nicht mehr gibt.

Die Baselstrasse ist bekannt für ihren multikulturellen Charakter. Und wenn wir das Wort «Multikulti» in den Mund nehmen, meinen wir damit eigentlich «international». Auf die Baselstrasse trifft das auch zu, an keinem Ort in der Stadt Luzern leben so viele Nationen zusammen. Und entlang keiner anderen Strasse reiht sich ein afrikanischer Haarsalon neben ein eritreisches Lebensmittelgeschäft und einen kurdischen Imbiss.

Doch was vermeintlich nicht in diese internationale Strasse passt, ist das «Absacker-Stübli» (zentralplus berichtete). Und vor allem die Musik, die am Sonntagmorgen von der Beiz hinaus auf die Strasse tönt. Es ist kein Techno, kein Fado und auch nicht Bollywood-Musik. Es ist waschechter Ländler. Live gespielt vom Duo Fridolin & Ueli.

«Früehschoppe» ist wie Brunch – einfach anders

«Jeden Sonntagmorgen gibt es hier Früehschoppe und ein Konzert», erzählt mir die Wirtin Karin Hilty. Ich bin schon ein erstes Mal überfordert. «Früehschoppe», was soll das sein? «Das ist wie ein Apéro, einfach bereits am Morgen. Früher war das ein geläufiges Wort, doch heute ist es fast verschwunden.» Damit will sie die Baselstrasse wieder beleben. «Am Sonntagmorgen ist es hier tot. Wir wollen, dass auch am Sonntag an der Baselstrasse etwas läuft.»

Viele der Anwesenden sind Stammgäste. Karin begrüsst jeden einzelnen von ihnen persönlich und mit Namen. «Ja, ich kenne alle unsere Gäste», bestätigt sie. Eine Wirtin, wie sie im Buche steht.

Rund 35 Gäste kommen am Sonntagmorgen im «Absacker-Stübli» zum Früehschoppe zusammen. (Bild: ewi)

Zwar ist es nicht so, dass es am Sonntagmorgen keine gastronomischen Angebote mehr gibt. Gerade der Sonntagsbrunch ist ja mittlerweile zum Hobby vieler Städterinnen geworden. Das «Mill'Feuille» am Mühlenplatz beispielsweise ist stadtbekannt für das üppige Brunchangebot.

Das Restaurant ist nur wenige hundert Meter entfernt vom «Absacker-Stübli». Doch die beiden Beizen trennen Welten. Am Mühlenplatz gönnen sich Yuppies einen fancy Avocado-Lachs-Bagel und eine Matcha Latte. Hier im Stübli gibt es Kaffee Crème, einen Humpen Bier und ein «Fuschtbrot». Als Tagesspezial steht heute zudem ein Wurst-Käse-Salat auf der Karte. Die meisten Gäste rauchen eine Zigarette nach der anderen, manche Männer haben eine «Krumme» im Mundwinkel. Es ist ziemlich genau so, wie man sich einen Ländlermorgen im «Absacker-Stübli» vorstellen würde.

Die Stimmung ist ausgelassen

Ich selbst bin am Anfang noch etwas zurückhaltend und bestelle mir eine Cola. Ich mag Bier ja wirklich sehr gerne. Aber um elf Uhr an einem Sonntagmorgen, das finde ich jetzt schon etwas heftig.

Servieren «Füschtu» und Kafi: Amira, Daniel und Karin Hilty (von links).
Karin Hilty (rechts) mit ihrem Mann Daniel und Mitarbeiterin Amira. (Bild: cbu)

Doch meine Zurückhaltung hält nicht lange an. Fridolin spielt seit rund einer halben Stunde virtuos auf seinem Schwiizerörgeli, Ueli begleitet ihn auf dem Keyboard. Mit jedem Stück wird die Stimmung bei den mittlerweile rund 35 Gästen im «Stübli» gelöster. Schon bald mal singt der Stammtisch laut mit, schunkelt und jauchzt diesen typischen Ländler-Jauchzer. Nach jedem Stück nimmt Fridolin ein paar grosse Schlucke von seinem Bier, zieht zwei-, dreimal an seiner Zigarette und deponiert ein paar Sprüche in Richtung Stammtisch. Die Stimmung ist wahrlich ausgelassen.

«Manchmal frage ich mich, ob die Männer heutzutage Honig am Füdli haben.»

Lisbeth, Gästin im «Absacker-Stübli»

Neben dem Stammtisch sitzen Maya und Beni. Sie sind langjährige Freundinnen von Karin und sind daher Stammgäste hier. «Wir kommen wegen der Musik und der Gesellschaft», sagt Beni. Und Maya ergänzt lachend: «Und auch zum Trinken.» Ich blicke sie verdutzt an, zumal beide hinter einem grossen Glas Schnitzwasser sitzen. «Wir gehen die Sache vorsichtig an, aber jetzt geht es los.» In diesem Moment stellt Mit-Wirt Martin zwei Gläser Weisswein vor sie hin.

Nun werde ich doch schwach und bestelle eine Stange. Martin bringt sie – und obendrauf zwei Shots. Den Shot abzulehnen steht ausser Frage, also kippe ich kurz vor Sonntagmittag einen «Röteli»-Schnaps und anschliessend ein kleines Bier runter.

Plötzlich wird zum Ländler auch getanzt

In der Zwischenzeit hat sich der kleine Raum in eine Tanzfläche verwandelt. Röbi ist extra wegen der Musik aus dem Entlebuch angereist und schwingt nun gemeinsam mit seiner Frau das Tanzbein. Wobei das nicht ganz einfach ist, weil ein paar Gäste am Tisch nebenan die Übertragung des Innerschweizer Schwingfests auf dem Handy schauen. Auch Röbi interessiert sich offensichtlich dafür. So schielt er wiederholt über die Schulter seiner Frau auf das Handydisplay. Als ich ihn danach frage, hält er aber ohne zu zögern fest: «Die Musik ist mir wichtiger als das Schwingen.»

Neben Röbi tanzt Lisbeth. Auch sie wurde von Karin auf den Anlass hingewiesen. «Ich tanze so gerne. Aber wo gibt es heute noch so eine Stubete wie hier?», fragt die 79-Jährige und deutet in den Raum. Und selbst wenn die Musik stimmt, bleibt da immer noch das Problem des Tanzpartners.

«Wir sind wie eine grosse Familie hier.»

Karin Hilty, Wirtin und Geschäftsinhaberin «Absacker-Stübli»

«Manchmal frage ich mich, ob die Männer heutzutage Honig am Füdli haben.» Darum hat sie sich heute spontan einen anderen Gast gepackt und ihn zum Tanz aufgefordert. Nach kurzem Zögern lenkt er ein. «Letzte Woche habe ich mit einem jungen Mann bis spät in den Nachmittag getanzt», berichtet sie nicht ganz ohne Stolz. Auch, weil eben dieser Mann zu Beginn noch skeptisch war und meinte, er könne nicht tanzen.

Karin erzählt mir zu einem späteren Zeitpunkt, dass die Gäste vergangene Woche gar draussen auf dem Trottoir getanzt haben, weil es drinnen keinen Platz mehr gab.

Wie eine grosse Familie

Und, apropos junger Mann: Als solcher bin ich hier ein totaler Exot. Dennoch fühle ich mich sehr geborgen – vielleicht auch, aber sicher nicht nur wegen des Alkohols. Ich spreche die Wirtin Karin auf dieses Gefühl an. Sie weiss, wovon ich spreche. «Wir sind wie eine grosse Familie hier. Auch, wenn du alleine hierher kommst. Du kannst dich einfach an einen Tisch dazusetzen und gehörst dazu.» Tatsächlich fühlt es sich so an, als würden sich alle im Lokal schon ewig kennen. Das trifft auf manche auch zu – andere hingegen, zum Beispiel Röbi, sind wie ich zum ersten Mal hier.

Circa um 12 Uhr habe ich genug gesehen. Als Nichtraucher setzt mir der Qualm dann doch langsam zu. Als ich hinausgehe, verabschiedet sich das ganze Lokal überschwänglich von mir. Leicht benebelt trete ich auf die Strasse, blicke zur Dönerbude auf der anderen Strassenseite – und freue mich, dass es in der Baselstrasse auch für einen Früehschoppe und Ländler Platz hat.

Verwendete Quellen
  • Besuch vor Ort
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1 Kommentar
  • Profilfoto von M. Schmidig
    M. Schmidig, 04.07.2022, 10:40 Uhr

    Sehr schöner Einblick in eine mir unbekannte Welt- danke dafür!

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