Die Folgen der neuen Regel in Luzern

Jeder kann jetzt 9,9 Gramm Cannabis rumtragen – und behalten

Das Bundesgericht hat einen neuen Entscheid zu Cannabis veröffentlicht. (Bild: Symbolbild (David Cardinez, Pixabay))

Seit rund sechs Jahren ist der Besitz von Cannabis zum Eigenkonsum straffrei. Doch bisher nahm die Polizei auch Kleinmengen ab. Das ist jetzt vorbei, und die Frage kommt auf: Was bedeutet das für Luzern?

Wer künftig mit 9,9 Gramm Cannabis am Luzerner Alpenquai spaziert und von der Polizei kontrolliert wird, darf das Gras behalten. Das ist die Folge eines Entscheids des Bundesgerichts von Ende Juli. Erstritten wurde das von einem Mann, dem Grenzbeamte am St. Galler Bahnhof St. Margrethen einige Gramm Haschisch und Marihuana weggenommen hatten. Der Mann zog das Urteil bis nach Lausanne – und erhielt Recht.

Die neue Regelung basiert auf einem Entscheid aus dem Jahr 2017. Damals beschloss das Bundesgericht, dass der Besitz von bis zu 10 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum straffrei bleibt. «Das aktuelle Urteil des Bundesgerichts ergänzt, dass die Polizei diese Kleinmengen nicht einziehen und vernichten darf», erklärt Facia Marta Gamez, Projektleiterin beim Fachverband Sucht auf Anfrage.

Luzern setzt den Entscheid um

Auch der Kanton Luzern wird sich danach richten. «Die Vorgaben vom Bundesgericht werden nun von der Staatsanwaltschaft und der Polizei umgesetzt», bestätigt Daniel Graf von der Kommunikation des Justiz- und Sicherheitsdepartements Luzern. Auf Anfrage erklärt die Luzerner Polizei, wie der Besitz von Cannabis bisher gehandhabt wurde.

«Wenn kein Konsum festgestellt werden konnte, wurde das Cannabis abgenommen und entsprechend vernichtet», schreibt Polizei-Mediensprecher Urs Wigger. «Es wurde eine Verzichtserklärung entgegengenommen oder das Cannabis im Rahmen eines Einziehungsverfahrens sichergestellt.» Eine Busse erhielt die Besitzerin nicht.

Anders sieht es beim Konsum aus. Wenn die Polizei jemanden beim Konsum, also beim Kiffen, erwischt, nimmt sie das Cannabis ab und verhängt eine Ordnungsbusse von 100 Franken. Bei Jugendlichen erfolgt eine Anzeige zuhanden der Jugendanwaltschaft. Da Konsum, Handel und Anbau der Droge weiterhin strafbar sind, ändert daran auch der neuste Entscheid des Bundesgerichts nichts.

Mögliche Folgen der neuen Regelung

Was sind also die Folgen des neuen Entscheids aus Lausanne? Würde die Polizei in den meisten Fällen Kleinmengen sicherstellen, sollte die neue Regelung mit einer Entlastung der Polizeiarbeit einhergehen. Denn jede sichergestellte Menge von wenigen Gramm verursacht für die Polizistinnen einen bürokratischen Aufwand. Ist die Polizei jedoch mehr mit grösseren Funden beschäftigt, dürfte sich an der Polizeiarbeit weniger ändern.

«Diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt zu beantworten, wäre reine Spekulation.»

Urs Wigger, Mediensprecher der Luzerner Polizei

Gleichzeitig ist denkbar, dass der Handel von Cannabis an gewissen Orten wegen der neuen Regelung zunehmen wird. Denn wenn sich ein Verkäufer beim Verkauf oder Konsum nicht erwischen lässt, kann er nun bis zu 10 Gramm ohne finanzielles Risiko mit sich führen. Bisher musste er damit rechnen, dass ihm die Polizei diese Menge abnimmt – was jedes Mal mit einem finanziellen Verlust einhergeht.

Unklar, wie viel Kleinmengen die Luzerner Polizei sicherstellte

Im vergangenen Jahr stellte die Luzerner Polizei in 325 Fällen insgesamt rund 135 Kilogramm Cannabis sicher. Dabei handelte es sich in 269 Fällen um Marihuana (79,2 Kilogramm) und in 56 Fällen um Haschisch (56,5 Kilogramm). Teilt man die Gesamtmenge an sichergestelltem Cannabis durch die Gesamtanzahl Fälle, ergibt sich ein durchschnittlicher Fund von 415 Gramm pro Fall.

Die Baselstrasse ist stadtbekannt als Drogen-Umschlagort. (Bild: Archivbild: Filmstill Hugofilm)

Als Durchschnittswert sagt diese Zahl aber nichts darüber aus, wie oft die Polizei wegen kleiner Funde Cannabis aktiv wird. Auf die Frage, ob die Luzerner Polizei im Jahr 2022 mehr Klein- oder Grossmengen sichergestellt hat, verweist der Mediensprecher auf die polizeiliche Statistik – welche diese Information aber nicht enthält.

Entsprechend ist auch unklar, ob die neue Regelung zu einer Entlastung der Polizeiarbeit führen wird. Auch über andere mögliche Folgen des Entscheids möchte die Polizei noch nicht sprechen. «Diese Frage zum jetzigen Zeitpunkt zu beantworten, wäre reine Spekulation», schreibt Urs Wigger. Auch beim Kanton lässt sich über potenzielle Konsequenzen nichts erfahren. Ein Sprecher verweist auf «Ferienabwesenheiten».

Legalisierung von Cannabis gefordert

Beim Verein Kirchliche Gassenarbeit in Luzern ist man dagegen über den Entscheid erfreut. «Allgemein begrüssen wir alles, was in Richtung Entkriminalisierung geht, wenn der Jugendschutz gewährleistet ist», sagt die Geschäftsführerin Franziska Reist. Von negativen Auswirkungen sei nicht auszugehen.

«Was bisher geschieht, ist nur Pflästerlipolitik.»

Facia Marta Gamez, Fachverband Sucht

So sieht es auch der Fachverband Sucht, eine Vereinigung von mehr als 300 Fachorganisationen der Suchtprävention und Suchthilfe mit Sitz in Zürich. Den Entscheid aus Lausanne bezeichnet die Projektleiterin Facia Marta Gamez als «Mini-Schritt in die richtige Richtung».

Der Fachverband fordert schon länger, dass der Konsum, der Anbau und der Handel von Cannabis für Erwachsene legalisiert werden. In einem streng regulierten Markt könne man die Gesundheit der Konsumentinnen besser schützen, schreibt die Projektleiterin Marta Gamez. «Was bisher geschieht, ist nur Pflästerlipolitik. Es braucht eine umfassende Neuregulierung.»

Dass eine solche immer wahrscheinlicher wird, zeigen mehrere Beispiele. Vor rund zwei Jahren sprach sich die Gesundheitskommission des Nationalrats für eine Legalisierung von Cannabis aus. Seit August 2022 ist der Zugang zu Cannabisarzneimitteln für kranke Menschen erleichtert. Ausserdem gibt es erste Pilotversuche, Cannabis unter wissenschaftlicher Begleitung an Erwachsene abzugeben, auch in Luzern (zentralplus berichtete).

Verwendete Quellen
  • Artikel von «SRF»
  • Artikel von «Nau»
  • Eintrag auf Infodrog
  • Schriftlicher Austausch mit dem Verein Kirchliche Gassenarbeit Luzern
  • Schriftlicher Austausch mit Urs Wigger, Mediensprecher Luzerner Polizei
  • Schriftlicher Austausch mit Facia Marta Gamez vom Fachverband Sucht
  • Schriftlicher Austausch mit Daniel Graf, Leiter Kommunikation und Information beim Justiz- und Sicherheitsdepartement
  • Entscheid des Schweizer Bundesgerichts
  • Polizeistatistik Kanton Luzern 2022
  • Website des Fachverbands Sucht
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4 Kommentare
  • Profilfoto von M.Meier
    M.Meier, 05.08.2023, 13:53 Uhr

    Frage: Wird jetzt Jemand für den jahrelangen Diebstahl, eigentlich sogar Raub, belangt? Bei uns Bürgern heißt es doch immer: Nicht wissen schützt vor Strafe nicht. Oder gilt Das nicht für Staatsangestellte und Politiker?

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  • Profilfoto von Marc
    Marc, 03.08.2023, 09:41 Uhr

    Aber nur anschauen, nicht rauchen! Diese Gesetzgebung ist einfach nur noch bescheuert. Gebt es endlich frei.

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    • Profilfoto von MARIO P. HERMANN
      MARIO P. HERMANN, 03.08.2023, 12:24 Uhr

      Obwohl ich weder kiffe, noch rauche oder sonst welche «Drogen» nehme, wäre ich dafür, dass man das «Gras» hierzulande legalisieren sollte!
      Zum Beispiel Holland kann dies seit Jahren, wieso denn die Schweiz nicht?!?
      Und: Wer kiffen will, beschafft sich auch sonst, illegal, den Stoff.
      Also: Politiker umdenken — wir schreiben das Jahr 2023!

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      • Profilfoto von Marie-Françoise Arouet
        Marie-Françoise Arouet, 03.08.2023, 13:32 Uhr

        Wo Sie recht haben, haben Sie recht. Wir schreiben eines der dümmsten Jahre der europäischen Geschichte.

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