Nikotinsüchtige Kinder auf Luzerns Pausenplätzen
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Vapes heissen die dampfenden, meist nikotinhaltigen Varianten zur Zigarette. Sie sollen Raucherinnen beim Aufhören helfen, sind aber längst zum Trendobjekt geworden. Eine Fachperson des Schulwesens schlägt nun Alarm: Kinder konsumieren Vapes – und bleiben dabei oft unbemerkt.
Pfirsich mit Mango, Pfefferminze oder doch lieber Erdbeerglace? Vapes sind knallig bunt und in jeder erdenklichen Geschmacksrichtung erhältlich. Anders als Zigaretten hinterlassen sie kaum bleibende Gerüche, das Kratzen im Hals beim Inhalieren bleibt aus. Und weil Vapes unter das Lebensmittelgesetz fallen, können sie selbst von Kindern am Kiosk legal erworben werden. Erst 2024 wird diese Gesetzeslücke geschlossen, schreibt die Luzerner Fachstelle für Suchtprävention «Akzent» in einem an Lehrer gerichteten Factsheet.
Vapes sind alles andere als harmlos. Sie enthalten in den meisten Fällen Nikotin. Von diesem Nervengift werden Kinder und Jugendliche besonders schnell abhängig. Ein Drittel aller 15-Jährigen hat im letzten Monat mindestens ein nikotinhaltiges Produkt konsumiert, so eine Studie von Sucht Schweiz. Nebst der Suchtproblematik kommen beim Nikotin negative Auswirkungen auf die Entwicklung des Gehirns hinzu. Zudem werden beim Konsum der elektronischen Zigaretten abgesehen vom Nikotin weitere Giftstoffe inhaliert, deren Langzeitfolgen noch nicht bekannt sind.
Mitarbeiter des Schulwesens schlägt Alarm
Dass Vapes momentan in aller Munde sind, ist kein Geheimnis. Doch im Gespräch mit Valentin Peter*, einer Fachperson des Luzerner Schulwesens, wird klar: Der Trend macht auch bei den Jüngsten unserer Gesellschaft nicht halt.
«Vapes haben eine Art Spielzeugcharakter erlangt, was den Tabu-Charakter bricht.»
Valentin Peter, Fachperson des Schulwesens
«Ich weiss von einer Schülerin, die mit zwölf zu vapen begonnen hat», sagt Peter. In der Freizeit nehme das Vapen viel Raum ein. Gedampft werde vor und nach, aber auch während der Schule. «Vapes sind subtil in den Alltag integrierbar. Der Dampf riecht viel weniger stark als herkömmlicher Zigarettenrauch.» Für Peter ist klar: Auf Luzerns Pausenplätzen wird gevaped.
«Ich hoffe, nie mit dem Rauchen anzufangen»
Denn auf Kinder scheinen Vapes komplett harmlos zu wirken. Peter erklärt: «Für die Kinder hat Vapen nichts mit Rauchen zu tun. Ein Schüler, der mit seiner Vapes-Sucht zu kämpfen hat, sagte mir: ‹Ich hoffe, dass ich nie mit dem Rauchen anfange›.» Die Devise laute: Rauchen ist schlecht, Vapen ist ok. Grund dafür sei in vielen Fällen schlicht Unwissenheit. Bei den meisten Drogen seien die Folgeschäden bekannt – beim Vapen nicht. Und: «Dass viele Vapes Nikotin enthalten, ist den Kindern schlicht nicht bewusst. Darum erschrecken sie, wenn sie merken, dass ein Suchteffekt eingesetzt hat.»
Das Perfide beim Vapen sei, dass Kinder und Jugendliche dies oft unbemerkt täten. Man könne fast überall rauchen, erklärt Peter. «Ein Schüler hat mir erzählt, dass er im Kinderzimmer vape. Es gibt keine Grenzen.» Die Vapes erhöhten die Möglichkeiten, zu konsumieren. Hinzu käme, dass das Vapen «in» sei, man die bunten E-Zigaretten überall sehe. Peter sagt: «Vapes haben eine Art Spielzeugcharakter erlangt, was den Tabu-Charakter bricht.»
Vapes als Statussymbol
Beweggrund Nummer eins sei das Umfeld, fährt Peter fort. Manchmal seien es ältere Geschwister, die vapen oder rauchen. Meist dampfen Kinder aber im Freundeskreis. Dabei spielten auch Gruppendynamiken eine Rolle. Jugendliche befänden sich in einem Prozess der Identitätsfindung.
«Das Schulwesen hinkt den gesellschaftlichen Entwicklungen oft hinterher.»
Valentin Peter
Er führt aus: «Man kommt in die Pubertät, findet heraus, wer man ist und wer nicht. Und fragt sich: ‹Was ist meine Rolle in der Gruppe?›» Das Vapen entscheide über cool oder uncool. «Vapen ist zum Statussymbol geworden.»
Prävention hinkt der Zeit hinterher
Von Valentin Peter möchte zentralplus wissen, ob Schulen das Problem proaktiv angingen. Er winkt ab. «Dort, wo ich arbeite, gibt es keine Programme zur Aufklärung und Sensibilisierung zum Thema Vapes.» Das sei nicht weiter erstaunlich. Generell hinke das Schulwesen den gesellschaftlichen Entwicklungen oft hinterher. «In Sachen Prävention ist man erst beim Thema Internet und Cybermobbing angelangt», so Peter. Es gebe kaum Tools, Kampagnen oder Materialien, um an Schulen zu sensibilisieren.
«Erst, wenn die Gesellschaft ein Problem als solches anerkennt, ist ein vernünftiger Umgang damit möglich.»
Valentin Peter
Der Fachkräftemangel spiele hierbei sicherlich eine Rolle. «Lehrer und Schulsozialarbeiterinnen sind chronisch überlastet», sagt Peter. Es bestünden oft kaum Ressourcen, um wichtige Grundthemen über das schulische Alltagsgeschäft hinaus anzugehen. Das führe dazu, dass man hochaktuelle Themen wie den Hype um das Vapen erst in Angriff nehmen könne, wenn es längst zu spät ist.
Wer soll Problem lösen?
Valentin Peter ist überzeugt, dass die Schulen das Problem der Vapes nicht wirklich auf dem Radar haben. Denn: «Im Rahmen meiner Beratungsfunktion hat mich oder meine Kollegen noch nie eine Lehrperson zu diesem Thema befragt. Anders sieht es aus, wenn es ums Rauchen oder Kiffen geht.»
Doch Valentin Peter möchte sich nicht zu sehr auf die Schulen einschiessen. «Die Schule kann höchstens eine Sensibilisierungsrolle einnehmen und Aufklärungsarbeit leisten.» In der Pflicht sieht er vielmehr die Gesundheitsbehörden des Staats. Diese müssten den Konsum von Vapes in der Öffentlichkeit thematisieren. «Denn erst, wenn die Gesellschaft ein Problem als solches anerkennt, ist ein vernünftiger Umgang damit möglich.»
Kanton Luzern entkräftet Vorwürfe
In einer kurzen Stellungnahme verweist Regula Huber, Leiterin Kommunikation im Bildungs- und Kulturdepartement des Kantons Luzern, auf eine Online-Infoveranstaltung zum Thema Vapes. Sie dauert 45 Minuten und richtet sich an Fachpersonen aus dem Schulumfeld. Diese sollen unter anderem erfahren, was Vapes sind und sich deren Bedeutung für die Lebenswelt von Schülerinnen bewusst werden. Huber betont: «Selbstverständlich sind Vapes ein Thema an den Schulen.»
* Hinweis: Der Name der Person wurde auf dessen Wunsch abgeändert.
Update: In einer früheren Version des Artikels war das Statement des Kantons Luzern noch nicht enthalten.