Weil er im Wohnwagen lebt

Zuger darf nicht wählen und abstimmen

Auf Rädern zu wohnen, ist im Kanton Zug nicht leicht. Die Regeln sind diffus. (Bild: Adobe Stock)

Wer im Kanton Zug in einem «Haus» auf vier Rädern leben will, sieht sich mit verschiedenen Problemen konfrontiert. Dies hat kürzlich ein Zuger erfahren. Seit Monaten bemüht er sich um einen Wohnsitz. Erfolglos. Somit kann der Mann derzeit nicht abstimmen und wählen.

«Hey, stimmst du für oder gegen den Zuger Stadttunnel? Und wie hast dus mit der 13. AHV?» Die vergangene Abstimmung war für viele Zugerinnen seit Anfang des Jahres das Thema Nummer eins. Auch Sandro R. (Name der Redaktion bekannt) hätte gern seine Stimme abgegeben. Sandro ist erwachsen und mündig, gern nimmt er seine politischen Rechte in Anspruch. Wenn er denn darf.

Der 43-Jährige lebte mit Ausnahme von wenigen Jahren sein ganzes Leben lang im Kanton Zug. Er wuchs in Baar auf, zog vor zwölf Jahren nach Steinhausen, wo er bis vergangenen Dezember in einer Wohnung lebte. Sandro arbeitet in der Buchhaltung eines Zuger Unternehmers, er ist ein unbescholtener Bürger. Trotzdem ist es ihm derzeit nicht möglich, am politischen Prozess teilzunehmen. Und das kam so:

Abmeldung nach «unbekannt»

«Im Dezember meldete ich mich in der Gemeinde Steinhausen ab. Dies mit dem Ziel, fortan in einem Wohnwagen und einem VW-Bus zu leben.» Und weiter: «Bei meiner Abmeldung habe ich mir wenig überlegt. Ich wusste, dass ich nicht mehr in der Gemeinde wohnen würde und wollte alles rechtmässig machen», erklärt er bei einem Gespräch mit zentralplus. «Doch konnte ich keinen fixen neuen Wohnort angeben, da ich nicht wusste, wo ich mit meinem Wohnwagen letztlich leben würde. Entsprechend wurde ich nach ‹unbekannt› abgemeldet.»

Er ergänzt: «Damals hatte ich noch keine Ahnung von den betreffenden Gesetzen und davon, wie kompliziert alles werden kann.» Das sollte sich bald ändern.

Wohnsitz auf Campingplätzen ist oft nicht möglich

«Zunächst wollte ich mich bei meiner Mutter anmelden, die in Baar lebt. Ich merkte jedoch, dass das nicht legal wäre, da ich dafür mindestens drei Monate im Jahr an der angegebenen Adresse wohnen müsste. Es hätte sich also um einen fiktiven Wohnsitz gehandelt», sagt Sandro.

Wäre Sandro R. nun in eine eigene Wohnung ohne Räder gezogen, wäre die Sache längst erledigt. Doch weil er fortan im Wohnwagen leben will und nicht die Absicht hat, langfristig sesshaft zu werden, gestaltet sich die Anmeldung schwierig. Der Zuger verbrachte die vergangenen Monate auf dem ganzjährigen Campingplatz in Sarnen. «Im Kanton Obwalden ist es gemäss Gesetz jedoch nicht möglich, den eigenen Wohnsitz auf einem Campingplatz anzumelden.»

«Immerhin von der Hundesteuer wurde ich befreit.»

Sandro R.

Seit Kurzem lebt er auf einem Campingplatz in einer Luzerner Gemeinde, doch auch dort ist Anmelden nicht möglich. Kommt dazu: Der gebürtige Zuger würde gerne in seinem Heimatkanton bleiben. «Zwar gibt es in Unterägeri einen ganzjährigen Campingplatz. Doch auf Nachfrage bei der dortigen Einwohnerkontrolle hiess es, dass der Campingplatz Wilbrunnen in einer Nichtbauzone liege und das ganzjährige Wohnen dort als nicht zonenkonform zu beurteilen sei.» Dort zu leben, komme für den Hundehalter jedoch sowieso nicht infrage, da auf dem Platz keine Vierbeiner erlaubt seien.

Steuern zahlt der Zuger weiterhin in seiner ehemaligen Wohngemeinde

Durch den fehlenden Wohnsitz fehlt es Sandro zwar an einer Möglichkeit, an politischen Prozessen teilzunehmen. Doch politischer Wohnsitz ist nicht gleich steuerrechtlicher Wohnsitz. «Steuern zahle ich jedoch vorläufig weiterhin in der Gemeinde Steinhausen.» Er sagt schmunzelnd: «Immerhin von der Hundesteuer wurde ich befreit.» Die Steuerverwaltung des Kantons Zug schreibt dem Betroffenen auf Anfrage Folgendes: «Im Steuerregister werden Sie weiterhin unter der Gemeinde Steinhausen geführt, da keine Neuanmeldung erfolgt ist. Sobald Sie sich jedoch in einer anderen Gemeinde melderechtlich anmelden, bitten wir Sie, uns dies mitzuteilen, damit wir die Steuerpflicht entsprechend beenden können.» Die Korrespondenz für Steuersachen läuft über die Adresse von Sandros Mutter.

Zum Problem geworden ist durch den fehlenden Wohnsitz auch die Einlösung seiner Autonummer. «Wäre ich dort nicht vorstellig geworden, wäre meine Autonummer bald abgemeldet worden. Nun konnte ich immerhin eine Bewilligung bis Ende 2025 erwirken.»

Warum greift das Bundesrecht nicht?

Sandro R. gibt zu bedenken: «Im Artikel 24 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches heisst es: ‹Der einmal begründete Wohnsitz einer Person bleibt bestehen bis zum Erwerbe eines neuen Wohnsitzes›.» Warum dieses Gesetz im vorliegenden Fall nicht zum Tragen komme, verstehe der Zuger nicht. Tatsächlich lautet der Grundsatz: Bundesrecht bricht kantonales Recht. Man spricht hierbei von der derogatorischen Kraft des Bundesrechts.

Die Gemeinde Steinhausen antwortet auf die entsprechende Anfrage wie folgt: «Gemäss § 57a des Gemeindegesetzes des Kantons Zug wird in der Einwohnergemeinde angemeldet, wer sich in der Gemeinde niederlassen oder länger als drei Monate aufhalten will. Eine Niederlassung begründet, wer in der Gemeinde mit der Absicht des dauernden Verbleibs Wohnsitz nimmt.»

Wohnsitz in einer Gemeinde könne nur begründen, wer in der Gemeinde über eine Wohngelegenheit verfüge, in der er nachweislich wohne und seinen Lebensmittelpunkt habe. «Im Falle der Begründung eines Aufenthalts muss sich der Betreffende nachweislich mehr als drei Monate im Jahr in dieser Wohnung aufhalten.» Wer sich in der Gemeinde zur Niederlassung oder zum Aufenthalt anmelden wolle, müsse damit über eine Wohnung in der Gemeinde verfügen, die er alleine oder gemeinsam mit anderen Personen bewohne. Und abschliessend: «Wir handeln nach dem Zuger Gesetzesartikel.»

In Goldau wäre eine Anmeldung möglich

Weiter erkundigte sich Sandro R. bei seiner Heimatgemeinde Reute im Kanton Appenzell Ausserrhoden, ob er dort neuerdings seinen rechtmässigen Wohnort habe. Die besagte Gemeindeverwaltung verwies indes auf oben genannten ZGB-Artikel und wies darauf hin, dass Fahrende in ihrer Heimatgemeinde abstimmen würden. Diese Definition trifft auf den Zuger jedoch nicht zu.

«Als ich mich in der Gemeinde Steinhausen erkundigte, was ich ihrer Meinung nach unternehmen solle, befand diese, ich könne auf einen Campingplatz ziehen, wo ein Wohnsitz möglich sei. Konkret nannte man mir jenen in Goldau. Doch ich möchte nicht nach Goldau ziehen. In der Schweiz herrscht die Niederlassungsfreiheit», erzählt Sandro.

Das sagt der Rechtsexperte dazu

Andreas Glaser, Rechtswissenschafter und Direktionsmitglied des Zentrum für Demokratie Aarau, kann zwar zum steuerrechtlichen Bereich des Themas nichts sagen. Wohl aber zum politischen. «Aus Sicht der politischen Rechte ist es tatsächlich schwierig für ihn. Ich meine aber, dass die Gemeinde Steinhausen recht hat.» Gemäss Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (BPR) habe man ebendiese Rechte dort, wo man tatsächlich wohne. «Dies ist in Steinhausen nicht mehr der Fall, der Herr hat sich deswegen ja auch korrekt abgemeldet.»

Auch wenn es sich nicht um einen «Fahrenden» im engeren Sinn handle, müsste aus Sicht Glasers die Regelung von Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BPR auf ihn angewendet werden. «Das heisst, er wäre als Fahrender in seiner Heimatgemeinde stimmberechtigt. Dort müsste er sich ins Stimmregister eintragen lassen.»

Eine kantonale Aufsichtsbeschwerde kostet vorab 1200 Franken

Gegen die Verfügung der Gemeinde Steinhausen über Sandros Abmeldung wehrte sich dieser. Sandro R. nahm Kontakt mit der kantonalen Ombudsstelle sowie einer Onlinerechtsberatungsseite auf und reichte auf kantonaler Ebene eine Stimmrechtsbeschwerde ein. «Diese zog ich jedoch zurück, als mir gesagt wurde, dass ich einen Vorschuss von 1200 Franken zahlen müsse. Das ist viel Geld, welches ich allenfalls verliere. Und dies allein, weil ich auf meinem demokratischen Recht beharre, abstimmen und wählen zu können.»

«Ich glaube nicht, dass ich der einzige Mensch in Zug bin, der von diesem Problem betroffen ist.»

Sandro R.

Weiter hat Sandro eine Aufsichtsbeschwerde eingereicht. Diese ist derzeit noch hängig. Das ist auch der Grund, weshalb sich die kantonalen Zuger Behörden aktuell nicht zum besagten Fall äussern. Auch der Gemeinderat Steinhausen will den Fall demnächst beraten.

«Ich glaube nicht, dass ich der einzige Mensch in Zug bin, der von diesem Problem betroffen ist. Nur zeigt mein Beispiel, wie nervenaufreibend es ist, sich dagegen zu wehren», sagt Sandro. Und weiter: «Ich nehme an, dass es Menschen, die sich in der Gemeinde abmelden, um auf Reisen zu gehen, ähnlich ergeht wie mir.»

Tatsächlich ist Sandro R. nicht nur bei unterschiedlichen Behörden vorstellig geworden. Auch an die Politik hat sich der Zuger gewandt. Mit Erfolg: Die Zuger Grünliberalen wollen das Thema im Rahmen einer Kleinen Anfrage ins Kantonsparlament bringen. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die GLP für alternative Wohnformen starkmacht (zentralplus berichtete).

Verwendete Quellen
  • Persönlicher Austausch mit Betroffenem
  • Diverse Unterlagen des Betroffenen: Mailverkehr etc.
  • Anfrage beim Kanton Zug
  • Anfrage bei der Gemeinde Steinhausen
  • Anfragen bei diversen Experten für politische Prozesse, Antwort von Andreas Glaser
  • Schweizer Zivilgesetzbuch
  • Glossar zu Fahrenden
  • Artikel «Swissinfo» über die Schwierigkeiten der Dauercamper
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3 Kommentare
  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 18.03.2024, 10:44 Uhr

    Der Amtsschimmel wiehert, wieder, dass es weh tu müsste so zu handeln. Aber eben die Gesetze sind allergisch gegen Lebensarten, die dem Büenzli nicht genehm sind, Es muss alles Mainstream sein. Abweichungen sind suspekt, genau so wie, wenn man dem Saat widerspricht

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  • Profilfoto von Cotopaxi
    Cotopaxi, 18.03.2024, 07:41 Uhr

    Es ist schon ein Hohn: Nicht zuletzt dank der Politik herrscht in weiten Teilen der Schweiz eine akute Wohnungsnot (was zwar von ebendieser immer verharmlost wird). Und genau diese Politik ist es dann auch wieder, die alternative Wohnformen verunmöglicht. Wofür wählen wir eigentlich noch sogenannte "Volksvertreter"? Das eigene Volk wird je länger je mehr veräppelt und vernachlässigt. Hauptsache ist, dass man in der nächsten Legislaturperiode wieder gewählt wird und weiter der Verwirklichung seiner Eigeninteressen nachgehen kann.

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  • Profilfoto von Quasimodo
    Quasimodo, 17.03.2024, 08:44 Uhr

    Als Firma bin ich im Kanton Zug sehr willkommen.
    Da genügt selbst ein Briefkasten als Geschäfts- und Steuersitz.

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