«Wir sind keine Aussteiger»

Zuger Wohnwagengemeinschaft sucht eine neue Bleibe

Peter, Mägi und Yvonne in der guten Stube des Wohnwagens. (Bild: wia)

Sie arbeiten in «normalen» Jobs, leben jedoch statt in Wohnungen in Tiny Houses und Wohnmobilen. Und dies mit grosser Überzeugung. Die Zuger Gemeinschaft, die derzeit auf dem Enikerhof in Cham lebt, ist glücklich. Eigentlich. Denn ihre Lebensweise ist akut gefährdet.

«Hier wohnt das Glück.» Der geschwungene, ausgesägte Schriftzug, den Yvonne in ihrem Wohnwagen aufgestellt hat, steht symbolisch für das, was sie und ihre Nachbarn Peter und Mägi empfinden. Das Glück braucht für sie keine 100 Quadratmeter Wohnraum, keine drei Meter breiten Kleiderschränke und erst recht keine Abwaschmaschine. Seit Jahren leben die drei Zuger in Wohnmobilen respektive Wohnwagen. Ein anderes Leben können sie sich nur noch schwer vorstellen.

Bis vor Kurzem lebten Yvonne und Mägi auf dem Campingplatz Brüggli in Zug. Bekanntlich ging dort Mitte Oktober 2023 die letzte Saison zu Ende. Seither wohnen die beiden Frauen auf dem Stellplatz beim Enikerhof in Cham. Der Platz liegt idyllisch zwischen Obstbäumen, an schönen Tagen sieht man nicht nur den See, sondern auch die Berner Alpen. Neben einer Handvoll Wohnmobile stehen hier auch einige Tiny Houses.

Eine Überschaubarkeit, die guttut

An diesem trüben Samstagnachmittag haben sich die drei Enikerhof-Bewohner in Yvonnes gemütlicher Stube versammelt. Auf dem Tisch steht eine Packung Rooibostee, die Kissen, welche die Sitzbank zieren, tragen Zebramuster und Proteas-Blumen. Überall in ihrem Wohnwagen finden sich Hinweise darauf, dass Yvonne Gefallen an Südafrika hat. «Ich war bis zur Pandemie während den Wintermonaten im Western Cape als Reiseleiterin tätig.» Heute arbeitet sie ganzjährig in einer leitenden Position einer sozialen Zuger Institution.

«Diese Art zu wohnen gibt mir einen fundierten Ausgleich und erdet mich.»

Yvonne, lebt seit Jahren im Wohnwagen

«Vor zehn Jahren bin ich in diese Lebensform hineingerutscht.» Dies, obwohl sie eine schöne, preiswerte Wohnung in Zug hatte. Yvonne arbeitet beruflich mit psychisch beeinträchtigten Menschen zusammen. «Diese Art zu wohnen gibt mir einen fundierten Ausgleich dazu und erdet mich. Ich lebe viel näher an der Natur», sagt Yvonne. «Auch die Überschaubarkeit meines Wohnraums gibt mir ein gutes Gefühl. Mein Konsumverhalten hat sich stark verändert, seit ich so lebe. Ich habe realisiert, dass es mir umso besser geht, je mehr ich das Materielle loslassen kann.» Dadurch, dass sie im Wohnwagen kein fliessendes Wasser habe, gehe sie ausserdem anders mit den Ressourcen um.

Die Tiny Houses lassen sich sowohl von aussen wie auch innen sehen. (Bild: wia)

Informatiker, Pöstlerinnen, Dozentinnen

Peter lebt bereits seit 15 Jahren im Wohnwagen. Der 71-Jährige sagt: «Beruflich war ich im Bereich Informatik tätig. Heute würde man mich als Informatiknomade bezeichnen.» Nun plane er mobile Häuser «aus gesunden Materialien», wie er erklärt. «Gesundheitsbedingt musste ich kürzlich eine Zeit lang in einer Wohnung leben. Die Lebensqualität in einer mobilen Kleinwohnform ist ungemein besser und lehrt mich, mit den Ressourcen haushälterisch umzugehen.» Auch sind Peter Themen wie Nachhaltigkeit, Naturnähe und soziale Kontakte zu Gleichgesinnten sehr wichtig.

Für Mägi, die seit rund 25 Jahren im Wohnmobil lebt, ist besonders der Zusammenhalt wertvoll, welcher durch diese lockere Gemeinschaft entstehe. «Man kommuniziert oft miteinander, trifft sich ab und zu abends draussen am Feuer, sorgt sich umeinander, wenn jemand krank ist. Gleichzeitig respektiert man die Freiheit jedes Einzelnen», erklärt die Pöstlerin.

Blick aus einem Tiny House und in den grenzenlosen Garten. (Bild: wia)

Der Stellplatz existiert nicht mehr lange

Aktuell wirkt alles sehr idyllisch auf dem Enikerhof. Doch der heutige Stellplatz existiert nicht mehr lange. Das Baugesuch, das die Grundeigentümer zum Zweck eines ganzjährigen Campingplatzes eingereicht hatten, wurde von den Behörden abgelehnt, da das Gelände nicht zonenkonform sei. Bis Ende März müssen die Bewohner weg sein.

«Wir sind keine Aussteiger, sondern haben uns dazu entschieden, ohne den schweren Klotz des Materiellen zu leben.»

Yvonne

Nun suchen die Betroffenen nach Nachfolgelösungen. Dies etwa mit Inseraten in Zeitungen, Flyern oder auf den sozialen Medien. Bis jetzt jedoch ohne Erfolg. Und das, obwohl die Wohnmobilgemeinschaft ebenso mit Land glücklich wäre, das nur während einer gewissen Zeitspanne bewohnbar ist. Das Problem: Auch Zwischennutzungen auf noch unbebauten Grundstücken müssen zonenkonform sein. Auf Landwirtschaftsland darf zurzeit nicht gewohnt werden.

Eine äusserst flexible Wohnform

«Das ist bedauerlich, denn wir hinterlassen keine Spuren. Spätestens einen Monat, nachdem mein Wohnwagen weg ist, kann das Land besät werden», sagt Peter. «Ausserdem brauchen wir wenig. Wir brauchen Land, Strom und Wasser, im Idealfall eine Toilette. Doch auch das liesse sich anders lösen.» Yvonne ergänzt, dass dem Leben im Wohnwagen leider ein Stigma anhafte. Dabei hätten die meisten hier «ganz normale Jobs». «Wir sind keine Aussteiger, sondern haben uns dazu entschieden, ohne den schweren Klotz des Materiellen zu leben.» Abschliessend betont sie: «Natürlich zahlen auch wir Miete und Steuern.»

Gemäss Yvonne haben sich zwar schon Leute telefonisch bei ihr auf die Inserate gemeldet. Die Angebote sind jedoch jeweils zurückgezogen worden, da man fürchtete, Schwierigkeiten mit den Behörden zu bekommen. Wie ihre Notlösung aussieht, wenn es zeitnah nicht klappen sollte mit dem neuen Stellplatz? «Ich habe neben dem Wohnwagen auch noch einen kleinen Campingbus. Für diesen hätte ich vorübergehend einen Platz. Im schlimmsten Fall würde ich eine Weile dort drin wohnen.»

Wieder in eine Wohnung? Die Idee behagt niemandem

Niemand der Enikerhof-Bewohner ist von der Idee begeistert, wieder in eine Wohnung oder ein WG-Zimmer zu ziehen. Peter sagt: «Ich würde diese Gemeinschaft sehr vermissen. Man wählt diese Wohnform nicht, um als Einsiedler zu leben. Zwar habe ich selbst viele Jahre tatsächlich so gelebt. Seit ich nun aber hier bin, möchte ich diesen sozialen Aspekt nicht mehr missen.»

Yvonne sagt, dass alternative Wohnformen im Trend sind. Sie fände es schön, wenn auch ihre Lebensform stärker berücksichtigt würde. Wünschen würde sie sich einen offeneren Dialog mit der Gesellschaft. «Denn uns geht es nicht darum, möglichst günstig zu wohnen. Diese Wohnform tut mir schlicht und einfach richtig gut.»

Peter hofft, dass in Anbetracht der akuten Wohnungsnot möglichst rasch eine politische Lösung für Kleinwohnformen gefunden wird.

Verwendete Quellen
  • Besuch und Interviews vor Ort
  • Artikel der «Zuger Zeitung»
  • Inserat auf der «Facebook»-Gruppe «Zuger helfen Zugern»
  • Website zu Kleinwohnformen
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6 Kommentare
  • Profilfoto von Dominic
    Dominic, 21.02.2024, 18:03 Uhr

    Ich lebe jetzt seit bald 5 Jahren im Wohnwagen und bei meinem Zeltplatz möchte der Kanton das Dauercampen auch verbieten. Wieso? Ich habe einen 100% Job und zahle Steuern, ich kann mir nicht vorstellen, in eine Wohnung zu gehen. Ich bin 27 Jahre alt und es gibt immer weniger Plätze zum campen, wir tun nimandem was böses. Da muss schleunigst was gehen, wir sind ja schliesslich ein freies Land, oder?

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  • Profilfoto von Skyline
    Skyline, 21.02.2024, 17:40 Uhr

    Hallo mir gehört das wunderbare Tinyhouse.
    Vielleicht gibt es ja bald für mich und das House einen neuen Platz! Ich freue sehr über Ideen und Hinweise.

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  • Profilfoto von Esli
    Esli, 20.02.2024, 19:34 Uhr

    Ich interessierte mich für ein Tiny Houses. Leider gibt es keine Stellflächen. Es braucht bauliche Anschlüsse (Wasser, Strom, Kanalisation etc). Brachliegende Flächen zb. bei Bauvorhaben, die eine Planung über mehrere Jahre braucht, oder auf einem Grundstück mit bereits bestehendem Haus zb. eine Parzelle verkaufen – würde Geld dem Hausbesitzer geben – aber es ist halt zu kompliziert. Auch hätte ich selbst als Besitzer eines Grundstücks, welches nur für paar Jahre zu haben wäre (bis er selber baut) zu risikobehaftet, dass die Tiny Houses auch wieder weggehen zu gross. Auch als Besitzer eines Tiny Houses möchte ich nicht diese Unsicherheit haben, wohin ich danach mit meinem Tiny Houses hingehen werde. Ist leider noch nicht ausgereift das Ganze. Schade.

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  • Profilfoto von Lea
    Lea, 20.02.2024, 18:05 Uhr

    Sehr schade dass in diesem Artikel in keinster Weise auf die Jenischen eingegangen wurde. Obwohl sie vom Bundesrat als nationale Minderheit anerkannt wurden – nachdem sie mithilfe seiner Finanzen fast ausgerottet wurden- kann aufgrund der wenigen Standplätze nur noch ein verschwindend kleiner Teil von ihnen die fahrende Lebensweise fortführen…

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    • Profilfoto von Anwalt
      Anwalt, 20.02.2024, 21:55 Uhr

      Warum auch? Hier geht es doch nicht um Fahrende, sondern um Personen, die das Nomadendasein vor einiger Zeit entdeckt haben. Jenische haben kein Privileg auf Wohmwagen und müssen auch nicht in jedem Beitrag darüber erwähnt werden.

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    • Profilfoto von Roli Greter
      Roli Greter, 20.02.2024, 23:38 Uhr

      Im Artikel wird auch nicht auf Wrestlerinnen und karierte Sofas eingegangen. Der Grund dafür; es geht um Tiny House Bewohner.

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