«Eklatante Sicherheitsmängel»

Bald Überwachungskameras rund um Luzerner Strassenstrich?

Immer wieder kommt es auf dem Strassenstrich Ibach zu gefährlichen Situationen. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Für Sexarbeiterinnen ist der Strassenstrich Ibach in Luzern ein gefährliches Pflaster. Der Stadtrat will handeln und denkt über Kameras nach.

Dezember 2015: Ein 29-Jähriger spricht eine Sexarbeiterin auf dem Luzerner Strassenstrich Ibach an. Sie einigen sich auf geschützten Sex, mit ihm und seinem Kollegen, auf der Rückbank seines Autos. Die Sexarbeiterin steigt ein, die Männer fahren davon, bis zu einem verlassenen Waldrand in Buchrain. Dort vergewaltigen die beiden Männer sie und setzen sie später in der Nähe des Strassenstrichs wieder ab (zentralplus berichtete).

Sommer 2017: Eine fünfköpfige Bande kreuzt mit Pfeffersprays und Pistole beim Ibach auf. Eine Frau aus der Bande schreit die Sexarbeiterinnen an: «Geld, oder ich schiesse!» (zentralplus berichtete).

April 2023: Ein Mann mit Maske taucht an der Reusseggstrasse auf, in seiner Hand hält er eine Axt. Mit dieser schwingt er herum und bedroht eine Sexarbeiterin. Andere eilen herbei und verhindern Schlimmeres (zentralplus berichtete).

Strassenstrich Ibach: abgelegen und keine soziale Kontrolle

Grüne-Grossstadträtin Selina Frey forderte deswegen sichere Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen. «Am Standort Ibach fehlt jegliche soziale Kontrolle und die Sicherheit der Sexarbeitenden ist nach wie vor nicht gewährleistet», hielt sie in einem Vorstoss fest. Deswegen bat sie den Stadtrat, die Standortfrage wieder aufzunehmen. Sei kein anderer Ort möglich, solle der jetzige zumindest sicherer werden. Etwa durch Verrichtungsboxen oder Arbeitszimmer.

Nun liegt die Antwort des Stadtrates vor. Auch dieser betont die «eklatanten und grundsätzlichen Sicherheitsmängel». Diese seien bekannt, seit der Strassenstrich vom Tribschenquartier in den Ibach verlagert wurde. Immer wieder kommt es auf dem Strassenstrich, einer abgelegenen Sackgasse am Stadtrand, zu gefährlichen Übergriffen auf Sexarbeiterinnen. Zu den geschilderten Ereignissen sagt Stadtrat Martin Merki auf Anfrage: «Das sind alles schreckliche Vorfälle.» Und auch er betont: «Der Standort Ibach ist kein sicherer Ort.» 

Gemäss Merki sei die Stadt seit Jahren in engem Austausch mit dem Verein Lisa sowie der Polizei und dem städtischen Sicherheitsmanager, «um auch an einem ungenügenden Standort unseren Beitrag für mehr Sicherheit zu leisten».

Seit Sommer gibts im Container vor Ort eine Notrufanlage

Die Stadt hat einiges getan, um die Sicherheit vor Ort für Sexarbeiterinnen zu erhöhen. Der Verein Lisa, der sich für die Interessen der Sexarbeiterinnen in Luzern einsetzt, eröffnete 2013 einen Beratungscontainer vor Ort. Hier können sich Sexarbeiterinnen im Winter aufwärmen, zur Ruhe kommen, Kondome holen und etwas essen und trinken. Der Container ist an rund vier Abenden die Woche offen, für jeweils drei Stunden. Die bis zu 15 Sexarbeiterinnen vor Ort sind jedoch rund zehn Stunden im Ibach, führt der Stadtrat aus. Das heisst, die meiste Zeit sind sie alleine.

«Die Kameras und der Hinweis auf die Kameras könnten vor kriminellen Handlungen schützen.»

Luzerner Stadtrat in seiner Stellungnahme

Zusätzlich markiere die Polizei regelmässig Präsenz. Nach dem Vorfall im Frühling – der maskierte Mann, der mit einer Axt eine Sexarbeiterin bedrohte – wurde ein Sicherheitsdienst befristet beauftragt, mehrmals täglich das Areal zu kontrollieren. Im Sommer wurde beim Lisa-Container eine Notrufanlage angebracht, die direkt mit der Polizei verbunden ist. Auch sollte bald ein zusätzlicher Container aufgestellt werden, den Sexarbeiterinnen als Aufenthaltsraum nutzen oder aufsuchen können, wenn Gefahr droht.

Stadt will Videoüberwachung rund um den Strassenstrich prüfen

Doch das reicht nicht. So ist auch die Stadtregierung der Meinung, dass man noch mehr für die Sicherheit tun muss. Sie will deswegen neue Massnahmen prüfen. Zum einen eine Videoüberwachung «rund um den Strassenstrich». Der Stadtrat schreibt, dass er zwar zurückhaltend sei, was Kameras im öffentlichen Raum betreffe. Doch er erhofft sich: «Die Kameras und der Hinweis auf die Kameras könnten vor kriminellen Handlungen schützen.»

Auch der Verein Lisa steht hinter dieser Massnahme, war er es doch, der die Idee ins Gespräch gebracht hatte. Allerdings weist der Verein auch darauf hin, dass Kameras dazu führen könnten, dass Freier den Ort nicht mehr aufsuchen könnten.

«Fast jedes Bordell hat im Eingangsbereich Kameras, sodass die Personen im Innern sehen, wer vor der Tür steht.»

Eliane Burkart, Geschäftsleiterin Verein Lisa

Eliane Burkart, die Geschäftsleiterin des Vereins Lisa, erklärt auf Anfrage, dass man bei der Indoor-Sexarbeit bereits auf Videokameras setze. «Fast jedes Bordell hat im Eingangsbereich Kameras, sodass die Personen im Innern sehen, wer vor der Tür steht.» Das hält sogar das Gesetz fest: So steht in der Luzerner Gewerbepolizeiverordnung, dass Bordelle ab einer Grösse von fünf zur selben Zeit anwesenden Sexarbeitenden unter anderem Überwachungskameras bei den Eingängen benötigen.

Es werde sich zeigen, wie die Kameras wirken. «Der Strassenstrich hat einen Touch von Anonymität, was durch die Abgelegenheit des Standorts Ibach verstärkt wird. Gewisse Kunden reizt dies auch.» Kameras würden dem natürlich entgegenwirken. «Die Überwachungskameras würden aber nicht auf den Serviceplatz gerichtet sein, sondern auf die Strasse», sagt Burkart. Das helfe zum einen, Kriminelle abzuschrecken – und bei Vorfällen erleichtere es die Arbeit für die Polizei.

Erfahrungen mit Kameras auf dem Strassenstrich hat unter anderem die Stadt Olten vor Jahren gemacht. Diese brachte 2001 drei Videokameras auf dem Strassenstrich an, der damals noch an der Industriestrasse war. Hintergrund waren Überfälle, Entführungen und der Mord an einer Prostituierten. Die «NZZ» schrieb 2009, dass die Erfolge anfänglich «spektakulär» gewesen seien: Weniger Freier, weniger Prostituierte, weniger Autos, kaum noch Übergriffe. Als die Kameras aus den Zeitungen jedoch verschwunden seien, sei auch die Wirkung der Kameras ausgeblieben.

Arbeitszimmer: Von der Strasse ins Zimmer

Weiter will die Stadt prüfen, wie der Serviceplatz optimiert werden kann. An diesem können drei bis vier Autos halten, damit Sexarbeiterinnen da arbeiten können. Diese böten wenig Privatsphäre und seien zu wenig sicher. Dies könne man ändern, in dem die Belichtung verbessert und Alarmknöpfe angebracht werden.

Auch den Vorschlag von Arbeitszimmern verwirft der Stadtrat nicht. Die Idee dahinter: Sexarbeiter bieten ihre Dienste weiterhin auf dem Strassenstrich an, gehen dann mit ihren Kunden in nahe Zimmer. Die Stadt will prüfen, inwiefern diese die Sicherheit von Sexarbeiterinnen erhöhen und ob es solche Räume im Ibach bereits gibt. Es gibt jedoch viele offene Fragen. Etwa, ob diese Arbeitszimmer vermietet würden oder gratis seien. Und welche rechtlichen Auflagen es dafür gibt.

Burkart erklärt, dass manche Kunden die Dienstleistungen im Auto bei den eingerichteten Serviceplätzen beanspruchen wollen, andere aber keinen Sex im Auto wollten und sich etwas «Bett-ähnliches» wünschten. «Manche Sexarbeitende fahren deswegen mit ihren Kunden in ein externes Arbeitszimmer oder in ein Hotelzimmer. Es ist leider nicht immer ganz ungefährlich, in das Auto eines fremden Kunden zu steigen und irgendwohin zu fahren.» Komme hinzu, dass nicht alle Kunden die Sexarbeiterinnen nach dem Sex zum Ibach zurückfahren würden und diese deswegen ein Taxi bezahlen müssten.

Eliane Burkart ist Geschäftsleiterin des Vereins Lisa. (Bild: zvg)

Entwicklungsprojekt Ibach wird sich auf Strassenstrich auswirken

Der Stadtrat verweist auch auf das Entwicklungsprojekt Ibach. Die Stadt plant, im Ibach Bauland für Gewerbe im Baurecht abzugeben. Sowohl Gewerbe- als auch Büroflächen könnten auf einer Fläche von rund 10’000 Quadratmetern entstehen. Dass das Areal umgenutzt wird, könnte sich auf den Strassenstrich auswirken, hält der Stadtrat fest.

«Andererseits wird zu beachten sein, wie das Nebeneinander von Büros und dem Strassenstrich funktionieren wird.»

Luzerner Stadtrat in seiner Stellungnahme

«Einerseits könnte die soziale Sicherheit durch die Ansiedlung von zusätzlichen Arbeitsplätzen im Ibach zu einer Belebung des Areals führen und sich positiv auf die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl auswirken.» Auch ein öV-Anschluss zum Seetalplatz ist geplant. «Andererseits wird zu beachten sein, wie das Nebeneinander von Büros und dem Strassenstrich funktionieren wird.»

Alternativen sollen her

Per Vorschrift darf der Strassenstrich nicht in einer Wohnzone sein. 2011 hat sich der Grosse Stadtrat für ein neues Reglement der Strassenprostitution ausgesprochen. Einzig die Grünen stimmten damals dagegen. Das Reglement sieht gewisse Sperrzonen vor, wo das Anschaffen auf der Strasse verboten ist. Verboten ist es unter anderen an Strassenabschnitten und Plätzen, wo vorwiegend Wohnhäuser stehen. Oder bei öffentlichen Anlagen, in der Nähe von Kirchen sowie Schulen, Heimen und Alterssiedlungen.

Nun will der Stadtrat die Diskussionen zu einem alternativen Standort erneut lancieren. «Sofern notwendig können dabei die Kriterien der Sperrzonen neu diskutiert werden», hält der Stadtrat in seiner Stellungnahme fest. Man sei bereit, eine breite Auslegeordnung zu schaffen, so Martin Merki. «Wir sind sehr offen für alle möglichen Standorte und offen dafür, das Reglement zu verändern.»

Nachdem mittlerweile zehn Jahre vergangen sind, sei es angemessen, dass das Thema wieder aufgenommen werde und Abklärungen über mögliche andere Standorte auf Stadtboden und in den umliegenden Agglogemeinden abgeklärt würden.

Gemäss Burkart stehe der Verein Lisa voll und ganz dahinter, die Standortfrage erneut aufzunehmen. «Wir wünschen uns sicherlich, dass der Strassenstrich nicht mehr in einer Sackgasse ist, wo es keinen Durchgangsverkehr und somit keine soziale Kontrolle gibt.» Sie betont, dass man sehr froh sei, dass die Stadt, mit der man einen guten und konstruktiven Austausch pflege, am Thema dranbleibe und verschiedene Massnahmen prüfe.

Das letzte Wort wird der Grosse Stadtrat haben. Dieser wird voraussichtlich an der Sitzung vom 21. Dezember über die Forderungen diskutieren.

Hinweis: Der Text wurde nach Publikation mit Passagen von Eliane Burkart ergänzt.

Verwendete Quellen
  • Stellungnahme des Stadtrates zum Postulat 265
  • Postulat 265 von Selina Frey namens der Grüne/Junge Grüne-Fraktion
  • Gewerbepolizeiverordnung
  • Telefonat mit Martin Merki, Luzerner Stadtrat
  • Telefonat mit Eliane Burkart, Geschäftsleiterin Verein Lisa
  • Artikel in der «NZZ» vom 15.01.2001
  • Artikel in der «NZZ» vom 6.07.2009
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