Rebellin, die eigentlich Prinzessin werden wollte

Maria Greco: Wie die Baarerin zur Hexen-Spezialistin wurde

Maria Greco vor ihrem Haus an der Albisstrasse in Baar. (Bild: wia)

Eigentlich findet Maria Greco, sie hätte Prinzessin werden sollen. Daraus wurde nichts. Die 58-Jährige machte sich in Zug jedoch mit dem Geschichtenerzählen einen Namen. Und nicht nur das. Seit einigen Jahren befasst sich die Baarerin mit der Hexenverfolgung in Zug.

«Gone sailing», heisst es auf dem Schild neben der Haustüre von Maria Greco. Bei unserem Besuch haben wir jedoch Glück. Die Baarerin ist zuhause, begrüsst uns herzlich, nachdem sie die schwere Holztüre aufgezogen hat und uns einlässt. Sie streckt der Journalistin zwei grüne Filzpantoffeln hin. «Die brauchst du.» Tatsächlich sind die knarzigen Böden des 120-jährigen Hauses kalt. Dies nehmen Greco und ihr Mann gerne in Kauf, um in diesem charmanten Bau zu leben.

«Ich bin genau drei Mal umgezogen in meinem Leben. Von der Ägeristrasse, wo ich aufwuchs, an die Schützenstrasse, von dort an die Albisstrasse 2 und vor bald zwölf Jahren an die Albisstrasse 1», erzählt sie, während sie vom Treppenhaus in den Wohnraum tritt.

Wo man nur hinblickt: Alle Dinge scheinen eine eigene Geschichte zu erzählen. Die filigranen Dreimaster auf dem Bücherregal, die witzigen Postkarten an der Wand, die tönerne Amphore, die auf dem Holzboden steht.

Geschichten erzählen nicht nur die Gegenstände und das Haus selber. Auch Maria Greco tut es, und zwar von Berufes wegen. Die Baarerin hat sich in den letzten Jahrzehnten einen Namen als Sagen- und Geschichtenerzählerin gemacht. 2009 veröffentlichte sie das Buch «Zuger Sage – Sage, Legände und Gschichte us em Kanton Zug». Darin schrieb sie über Erdmanndli und böse Geister, aber auch über Hexen.

Auf dem Esstisch: heisser Kaffee und der «Hexenhammer»

Erst in den letzten Jahren begann sie sich genauer mit den tatsächlichen Begebenheiten rund ums Thema Hexen zu befassen. Respektive damit, welch finsteres Kapitel der Zuger Geschichte sich hinter der Hexenverfolgung verbirgt. «Kaum als ich mich einzulesen begann, hatte mich das Thema gepackt. Gepackt, und gleichzeitig abgestossen.»

Auf dem Esstisch wartet bereits eine Kanne heissen Kaffees auf uns. Daneben: Mehrere Schriften und Bücher zum Thema Hexenverfolgung, darunter auch der «Hexenhammer» aus dem 15. Jahrhundert. Also jenes Buch, das die Hexenverfolgung nicht nur legitimierte, sondern auch wesentlich vorantrieb. Schwer verdauliche Kost.

Im Video liest Greco aus dem «Hexenhammer» vor.

Kaum hat sich Greco gesetzt, taucht sie in die Materie ein. «Man muss sich das vorstellen: Noch bis ins 18. Jahrhundert wurden in Zug sogenannte Hexen hingerichtet. Dies meist am Dienstag, dem allgemeinen Markttag, der auch Menschen aus anderen Regionen anzog. Dadurch konnten sich die Obrigkeiten sicher sein, viel Publikum zu haben.»

Greco erzählt davon, wie die als Hexen angeklagten Zugerinnen gefangen gehalten und gefoltert wurden. «So brutal und so lange, bis sie vor Schmerzen gar nicht anders konnten, als alles zu gestehen: dass sie Sex gehabt hätten mit dem Teufel, durch Schlüssellöcher gegangen seien und sich unsichtbar machen könnten.» Greco zeigt auf eine Illustration, welche den Zuger Cheibenturm zeigt, in dem diese Grausamkeiten passierten. Die quirlige Frau wird plötzlich still, schüttelt den Kopf. Sie mag gar nicht genauer ins Detail gehen.

Ein schwer auszuhaltendes Thema

Überhaupt falle es ihr nicht immer leicht, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und doch tut sie es immer wieder aufs Neue, weil sie darin eine grosse Wichtigkeit sieht. «Bei der Hexenverfolgung ging es letztlich um Macht. Es ging darum, zu zeigen, wer am längeren Hebel sitzt. Menschen wurden gefoltert, mundtot gemacht, überwacht. Ziemlich ähnlich dem also, was im Moment in Afghanistan, in Russland und im Iran passiert.»

Für sie ist klar: Die Zuger Hexenprozesse müssen stärker ins geschichtliche Bewusstsein der Bevölkerung treten. Aus diesem Grund organisierte Greco im vergangenen Herbst mehrere Theatertouren. «Unschuldig Schuldig» widmete sich dem letzten grossen Hexenprozess in Zug, der 1737 vonstatten ging.

«Die Führungen stiessen auf ein viel grösseres Interesse, als ich je gedacht hätte. Aus diesem Grund werden wir im Frühling und Sommer fünf Zusatzführungen anhängen.» Der Entschluss, sich dem Thema Hexenverfolgung in Zug anzunehmen, fiel übrigens nicht in Zug. Sondern in Berlin, wo Greco 2020 im Rahmen eines Atelierstipendiums weilte.

Ein zufälliger Ausflug ins Blaue führte sie zum Hexen-Mahnmal

«Zusammen mit einem Freund wollte ich unbekannte Ecken der Stadt erkunden. Ich tippte blindlings auf die Karte, der Finger landete in Bernau bei Berlin.» Die beiden fuhren also hin, spazierten umher, und landeten vor einem Mahnmal, welches zum Gedenken an die Hexenverfolgung vor Ort aufgestellt worden war. «Da wusste ich, dass ich dieses Thema in Angriff nehmen muss.»

Während sie erzählt, steht Maria Greco mehrmals auf, holt Bücher hervor, welche ihre Schilderungen untermalen. Mittlerweile sind es sehr viele, eine fast wissenschaftliche Büchersammlung ist über die letzten Jahre herangewachsen. Als Maria Greco nach ihrem beruflichen Hintergrund gefragt wird, schmunzelt sie verlegen.

Unschuldig/Schuldig

Die szenische Tour Unschuldig/Schuldig wird im kommenden Quartal erneut aufgeführt. Dies am Dienstag, dem 4. April, Montag, 24. April, Mittwoch, 3. Mai, Mittwoch, 24. Mai, jeweils um 18 Uhr. Zudem am Sonntag, dem 4. Juni, um 13 Uhr. Mitbeteiligt am Projekt sind die Regisseurin Alice Hauschild, der Schauspieler Rémy Frick und der Historiker Philippe Bart. Anmeldung erforderlich.

Greco mäanderte sich zur Geschichtenerzählerin

Beruflich habe sie ganz andere Wurzeln. Nach einer Detailhandelslehre und mehreren Jahren im Büro landete Greco beim Radio, wo sie unter anderem als Sprecherin für Werbespots arbeitete. Später absolvierte die mittlerweile zweifache Mutter eine Atem-Stimm- und Sprechausbildung am Konservatorium Zürich, wurde Erwachsenenbildnerin, absolvierte ein Studium in Kulturmanagement, unterrichtete Rhetorik an der Frauenzentrale und begann, als Stadtführerin Menschen durch Zug und Luzern zu geleiten. Etwa an der «Fairführung», bei welcher Greco das Thema Konsum unter die Lupe nahm.

«Wenn ich in Süditalien aufgewachsen wäre, wäre ich wohl plattgemacht worden wie eine Briefmarke.»

«Was bemerkenswert ist: Die Fairführung funktionierte in Luzern wunderbar, in Zug jedoch überhaupt nicht.» Die Zugerinnen scheinen viel lieber den hiesigen Sagen zu lauschen, als sich mit dem eigenen Konsumverhalten auseinanderzusetzen. Greco merkt schmunzelnd an: «Ich glaube ja sowieso, dass ich eigentlich Prinzessin hätte werden sollen.»

Eine Rebellin mit tief katholischen Eltern

Grecos Kindheit war alles andere als auf Samt gebettet. Ihre Eltern wanderten Anfang der 60er-Jahre aus Süditalien in die Schweiz ein. Greco wurde 1964 im Bürgerspital in Zug geboren. «Mein Vater hat sein Leben lang auf dem Bau gekrüppelt, meine Mutter hat geputzt und als Fabrikarbeiterin gearbeitet. Ich weiss, was es heisst, wenig zu haben.»

Leicht hatten es Vater und Mutter Greco nicht immer mit ihrer Tochter: «Meine Eltern waren tief katholisch, und ich eine Rebellin. Was wäre wohl passiert, wenn ich in Süditalien aufgewachsen wäre? Ich wäre wohl plattgemacht worden wie eine Briefmarke.»

Noch heute ist eine unbändige Energie zu spüren, wenn die 58-Jährige erzählt. Unzählige Projekte, die sie ausheckt, unterstreichen diesen Eindruck. Veranstaltungen, Führungen, Lesungen stehen an. Mitunter im winzigen Baarer Kunstkiosk, bei dem sie involviert ist. Auch die Fasnacht rückt näher, für Greco einer der wichtigsten Anlässe im Jahr.

«Irgendwo im Garten hält sich aktuell wohl Thaddäus Tiberius der I. versteckt.»

Daneben stehen Familienpflichten an und die Pflege des grossen Gartens, der das Haus umgibt. «Irgendwo dort drin hält sich aktuell wohl Thaddäus Tiberius der I. versteckt. Unsere 55-jährige Schildkröte hat sich vermutlich eingegraben.» Greco ist etwas beunruhigt. «Bisher hat er jeweils in einer Kiste im Keller überwintert. Doch wir konnten ihn vergangenen Herbst schlicht nicht mehr finden.» Sie ergänzt bestimmt: «Im Frühling wird er wieder auftauchen.»

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Maria Greco
  • Website Maria Greco
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 11.02.2023, 13:44 Uhr

    „Die Zuger Hexenprozesse müssen“ überhaupt nicht „stärker ins geschichtliche Bewusstsein der Bevölkerung treten“. Sie sind dokumentiert und somit erforschbar für jeden, der es genauer wissen will. Es war schrecklich, die Zeiten sind vorbei, niemand hat Freude an den Details, und es ist seltsam, die Menschen zwingen zu wollen, sich damit auseinanderzusetzen. Interessant wären gegebenenfalls zeitgenössische Formen des Hexenwahns, und der aktuelle Schuldkult, der alles und jedes aus der Vergangenheit im Lichte gerade angesagter Wertvorstellungen hervorzerren, denunzieren und zur nachträglichen Selbstbezichtigung nötigen will, gehört sicherlich dazu.

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