Haus zwischen Denkmalschutz und Abbruch

Langgasse 43 in Baar: Das hat es mit der «Lotterbude» auf sich

Das Haus an der Langgasse 43 in Baar fällt auf. Es wirkt verlebt, widerspenstig und nicht so zugerisch «comme il faut». Das macht wohl auch seinen Reiz aus. (Bild: wia)

Das Haus an der Langgasse 43 in Baar ist stark baufällig. Trotzdem darf die Grundeigentümerin, die Brauerei Baar, das Gebäude nicht einfach abreissen lassen. Vorerst jedenfalls. Was für die eine Partei lästig ist, freut wiederum andere.

Auf der Achse zwischen dem Bahnhof Baar und der Spinnerei kommt man vor allem an neueren, architektonisch wenig spektakulären Bauten vorbei. Ein Kubus hier, mehrere 90er-Backsteinblöcke dort. Hat man die Brauerei passiert, fällt vor dem nächsten charakterlosen Neubau, im Schatten des grauen Brauerei-Gärkellers, ein für Zug ungewöhnliches Haus auf.

Widerspenstig, aber auch sympathisch

Die Fassade ist geprägt vom jahrzehntelangen Hauptstrassen-Verkehr, die Läden wirken klapprig, das Dach ist drauf und dran, den Kampf gegen die Schwerkraft zu verlieren. Ein in der Eile gezimmertes Holzkonstrukt soll den Rand des Daches offenbar davor bewahren, endgültig abzustürzen.

Noch herrscht jedoch Leben in diesem widerspenstig anmutenden Bau. Im Erdgeschoss, im Hundesalon Bijou, werden Tierfrisuren zurechtgestutzt, auf dem Balkon in der ersten Etage prangt ein Spanien-Schal und eine alte Bushaltestellentafel, daneben tschilpen bei wärmeren Temperaturen exotische Vögel.

Hier wohnte dereinst der Spinni-Direktor

Das Grundbuchregister verrät einiges über das eigenartige, gleichwohl sympathische Haus. Gemäss Inventarblatt des Amts für Denkmalpflege wurde das Gebäude im Jahr 1863 gebaut und diente zeitweise als Direktorenhaus der Spinnerei. Als Architekt zeichnete Carl Josef Hotz. Seit 1952 befindet sich das Haus im Besitz der Brauerei Baar.

«Es stellt ein stattliches Beispiel der Baumeisterarchitektur in historisierenden Formen dar, die auf klassizistischen Traditionen fusst, aber in der Fenstergestaltung Neorenaissance-Formen verwendet», heisst es im Inventarblatt. Über den Begriff «stattlich» lässt sich wohl streiten.

«Das Bauwerk ist von erheblicher typologischer, orts- und wirtschaftsgeschichtlicher Bedeutung.»

Amt für Denkmalpflege zum Haus an der Langgasse 43

Warum dem Gebäude im Rahmen der Denkmalpflege grosse Bedeutung zukommt? «Da es sich um das letzte Direktorenhaus der Spinnerei handelt, ist das Bauwerk von erheblicher typologischer, orts- und wirtschaftsgeschichtlicher Bedeutung und in hohem Masse ortsbildprägend», so das zuständige Amt.

Abwarten und Bier brauen

Wir fragen bei Martin Uster, dem Geschäftsführer der Brauerei Baar, nach, was es mit den behelfsmässigen baulichen Anpassungen respektive mit dem baufälligen Dach auf sich hat. Er sagt: «Dieses Gebäude befindet sich auf der Liste der schützenswerten Denkmäler und somit besteht aufgrund dieser Liste eine Schutzvermutung.»

Damit werde sichergestellt, dass im Falle geplanter baulicher Veränderungen frühzeitig abgeklärt werden könne, ob und, wenn ja, wie weit denkmalpflegerische Interessen zu berücksichtigen seien.

Konkret habe die Brauerei Baar AG im Juli 2020 einen Antrag zur Einleitung des Unterschutzstellungsverfahrens gemacht. Damit sollen alle Bauten des Ensembles, welche im Besitz der Brauerei sind, hinsichtlich deren Schutzwürdigkeit geprüft werden. Mittlerweile seien das Restaurant Brauerei, das Silogebäude sowie das Brunnenhaus unter Schutz gestellt worden.

«Im Gegenzug wurden der Flaschenkeller und das Kühlhaus mit Gär- und Lagerkeller aus dem Inventar der schützenswerten Denkmäler des Kantons Zug entlassen», so Uster.

Umgeben von einem Neubau, einem Brauerei-Silo und einer Hauptstrasse: Das Gebäude an der Langgasse 43. (Bild: wia)

Noch ist unklar, ob das Haus abgerissen werden darf

Als letzter Schritt wurde das Unterschutzstellungsverfahren für besagtes Wohnhaus an der Langgasse 43 eingeleitet. Am 20. Januar in diesem Jahr fand ein weiterer Augenschein mit der Denkmalpflege und Archäologie, dem Regierungsrat des Kantons Zug und dem Vertreter der Gemeinde Baar statt, wie Uster weiter erklärt.

«Dieses Gebäude wird aufgrund der denkmalpflegerischen Prozesse vorerst nur notsaniert und hinterlässt bedauerlicherweise einen eher zweifelhaften Eindruck.»

Martin Uster, Geschäftsführer der Brauerei Baar AG

Weil das Wohnhaus in hohem Masse baufällig sei, respektive Teile des Daches eine erhebliche Abbruchgefahr vorweisen würden, wünschen sich die Eigentümer, dass das Haus abgebrochen wird. Doch diese denkmalpflegerischen Prozesse dauern bekanntlich.

«Daher wird dieses Gebäude vorerst nur notsaniert und hinterlässt bedauerlicherweise einen eher zweifelhaften Eindruck, bis sämtliche Abklärungen getroffen und Entscheidungen gefällt sind. Solche Prozesse können leider länger andauern.»

Mietparteien sind froh über die günstigen Konditionen

Für Uster ist das ein Nachteil. Andere profitieren davon, dass der Kanton etwas länger braucht für seinen Entscheidungsprozess. Zwei Parteien wohnen zur Miete im Haus an der Langgasse 43, dazu kommt der Hundesalon im Erdgeschoss. Die Betreiberin ist froh, vorläufig dort bleiben zu können.

Nicht nur, weil die Miete tief sei. Sondern auch, weil das Geschäft ideal gelegen sei, egal ob man mit dem Auto, zu Fuss oder mit dem Bus anreise. Tatsächlich befindet sich gleich auf der gegenüberliegenden Strassenseite eine Bushaltestelle. Dafür nimmt sie die nicht mehr taufrische Infrastruktur gerne in Kauf.

An der Langgasse 43 existieren schriftliche Verträge nicht

Die Frage, ob die Eigentümerschaft den Mietern aufgrund der Baufälligkeit des Hauses eine Mietzinsreduktion angeboten habe, beantwortet Martin Uster wie folgt: «Die Mieter wohnen seit mehreren Jahrzehnten, also über dreissig Jahre, in diesem Haus zu sehr attraktiven Mietkonditionen. Dies ist kein Renditeobjekt für die Brauerei Baar.»

Und weiter: «Uns ist es wichtig, dass das Haus bewohnt bleibt. Wir haben zu den Mietern ein sehr gutes Verhältnis.» Man begegne sich schliesslich fast täglich.

«Es existiert nicht mal ein Mietvertrag zwischen der Brauerei Baar und den Mietern.»

Martin Uster von der Brauerei Baar AG

Wenn etwas notsaniert werden müsse, werde dies unbürokratisch erledigt, ein «Handschlag genügt». Uster abschliessend: «Es existiert nicht mal ein Mietvertrag zwischen der Brauerei Baar und den Mietern. Eine mündliche Vereinbarung genügte noch vor vielen Jahren. Dies wollen wir auch mit den bestehenden Mietern nicht ändern.»

Auch viele Baarerinnen freuen sich darüber, dass ein solch eigenwilliges Stück Geschichte (noch) bestehen darf. Als die hiesige Geschichtenerzählerin Maria Greco auf ihrem Profil ein Foto des Hauses teilt, erntet sie Dutzende lobende Worte.

Verwendete Quellen
  • Augenschein und Gespräche vor Ort
  • Schriftlicher Austausch mit Martin Uster
  • Facebook-Post von Maria Greco
  • Inventarblatt Amt für Denkmalpflege
  • Zugmap.ch
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Kasimir Pfyffer
    Kasimir Pfyffer, 30.01.2023, 14:33 Uhr

    Ein charmantes Objekt, das mit einer Sanierung schnell wieder stattlich würde. Ein vergleichbares Objekt wäre das Häuschen direkt neben der heutigen Genossenschaft Kalkbreite in Zürich – vermeintlich abbruchreif, nach der Sanierung ein echtes Bijou. Doch im Kanton Zug ist nichts wichtiger als Geld, Geld, Geld, Geld, Geld, Geld und Geld. Deshalb liegen die Chancen auf eine Abbruchbewilligung etwa bei 100:1.

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