80 Jahre seit der Notlandung im Zugersee

US-Soldat des Bombers: «Dann brach die Hölle los»

Die Besatzung des B-17-Bombers, der im März 1944 im Zugersee notlanden musste. (Bild: zvg)

Vor genau 80 Jahren landete ein US-Bomber auf dem Zugersee. zentralplus hat sich der nachträglichen Aufzeichnungen des MG-Schützen Louis Bernard Liening angenommen und die dramatischen Geschehnisse des 16. März 1944 aus seiner Sicht rekonstruiert.

16.3.1944, ca. 12.45 Uhr: Ich springe, ohne zu zögern. Das grosse Feld unter mir ist viel näher, als es mir lieb ist. Sofort öffne ich meinen Fallschirm, der sich gerade noch rechtzeitig über mir öffnet und zum Glück gleich zu Tragen beginnt. Was mit dem B-17G-Flugzeug passiert, aus dem ich mich gestürzt habe, und das, mit nur noch zwei funktionierenden Motoren immer tiefer sinkend, davonfliegt, sollte ich erst später erfahren. Nur soviel weiss ich: Der 22-jährige Pilot, Robert William Meyer, der sich noch immer an Bord der Maschine befindet, hat keinen Fallschirm. Er hat seinen unserem verletzten Navigator Robert Williams übergeben, dessen eigener Schirm ihm beim Angriff von seiner Brust weggeschossen wurde.

Dass sich in der Distanz weitere Fallschirme dem Boden nähern, nehme ich in den wenigen Sekunden, in denen ich über der Erde schwebe, kaum wahr. Ebenso wenig, dass sich einer dieser Schirme nicht richtig öffnet.

Die Wiese kommt näher, ich lande zwischen Obstbäumen, in der Nähe stehen Häuser, berühre zum ersten Mal Schweizer Boden. Dass ich mich im Dorf Baar befinde, sollte ich erst später erfahren. Ich weiss nur soviel: Ich bin unverletzt und in Sicherheit. Die Motorengeräusche der angeschlagenen Maschine werden immer leiser.

An diesen Stellen landeten die Besatzungsmitglieder der «Lonesome Polecat». (Bild: zvg)

Spiegeleier vor dem Kampfeinsatz

Zehn Stunden vorher: Tagwache. Bereits um 2.30 Uhr werden wir geweckt. Frühstück, wie immer vor Kampfeinsätzen: Haferbrei, Spiegeleier, Kaffee und Fruchtsaft. Noch glauben wir, dass es heute ein weiteres Mal nach «Big B», nach Berlin geht, um die Stadt zu bombardieren. Bei der Lagebesprechung werden wir überrascht. Denn wir sollen in Richtung Augsburg fliegen. Unser Ziel: die Messerschmitt-Flugzeugfabrik, die es zu zerstören gilt. Eine lange Strecke steht uns bevor. Neun Stunden in der Luft, davon sieben mit Sauerstoff. Fünf Stunden werden wir über Feindesland fliegen.

Nachdem wir den B-17-Bomber aufgerüstet und die Maschinengewehre und alles andere kontrolliert haben, gehts los. Um 6.30 Uhr starten wir vom Flugplatz Great Ashfield, wie üblich im Nebel. Bis sich alle 36 Flieger unserer Formation in der Luft versammelt haben, vergeht eine Stunde. Alles läuft gut bis zur französischen Küste. Die Nebeldecke ist bis auf ein paar Risse dicht, nur selten ist der Boden zu sehen. Unterstützt werden wir durch P47 Thunderbolts, P51 Mustangs und P38 Lightnings, allesamt Jagdflugzeuge, die ihren Begleitflug rechtzeitig aufnehmen. Unsere «Lonesome Polecat» war der Pfadfinder, also der vorderste Bomber in der Formation.

Bild einer B-17G im Einsatz. (Bild: zvg)

Die Hölle bricht los

In der Ferne sichten wir ein paar feindliche Kampfflugzeuge. Sie bleiben auf Distanz. Nach einer Stunde taucht plötzlich eine grosse Zahl feindlicher Flugzeuge auf. Dann bricht die Hölle los. Bereits beim ersten Angriff treffen sie uns. 25 bis 40 Maschinen sind es, die frontal auf unsere Formation treffen. Ich registriere, dass der Flieger zu unserer Rechten abstürzt. Unsere «Lonesome Polecat» wird frontal getroffen, die Plexiglasnase weggeschossen, auch unser Bombenschütze Carl John Larson wird verletzt.

Beim Angriff wird auch unser zweiter Haupttank getroffen und der vierte Motor. Fast sofort wird er ausser Gefecht gesetzt. Ebenso der Kugelturm, in dem unser Schütze Charles Pages sitzt, wird getroffen. Die Wunde an seinem Oberschenkel ist schlimm. Auch sein Schienbein wird von Munitionsfragmenten getroffen. Wir bringen die verletzten Männer in den Funkraum. Die Flugkarte und das Bordbuch gingen zwischenzeitlich durch den Bug des Bombers verloren, was die Navigation erschwert. Auf der Höhe, auf der wir fliegen, ist es geschätzt minus 30 Grad kalt, der Luftstrom, der durchs Loch in den Flugzeugbug zieht, ist gewaltig. Der Navigator kann nicht länger dort bleiben und zieht sich in den Funkraum zurück.

Zwei von vier Motoren setzen aus

Es gelingt uns nur knapp, mit nur drei von vier Motoren die Formation zu halten. Wir tauchen ab zur Gruppe, die sich unter uns befindet, hoffen, dort mithalten zu können. Das gelingt uns ungefähr 15 Minuten. Der Luftwiderstand aufgrund des weggeschossenen Bugs und des defekten Motors ist jedoch zu gross. Wir fliegen nur noch mit einer Höchstgeschwindigkeit von 120 Meilen pro Stunde. Mittlerweile machen uns auch die Kompressoren Schwierigkeiten, sie lassen sich nicht mehr synchronisieren.

Nun macht ebenfalls der erste Motor Probleme. Nicht nur das. Er steht quer im Wind und lässt sich nicht umstellen, sodass weniger Luftwiderstand verursacht würde. Uns bleibt nichts anders übrig, als die anderen Bomber zu verlassen. Unser Ziel: Spanien.

Unser Ingenieur und oberer Kugelturmschütze schiesst Leuchtsignale ab, und wir beginnen, Ballast abzuwerfen, darunter auch alle Bomben und Maschinengewehre. Die Bombenschächte sind beschädigt, wir müssen sie von Hand aufkurbeln. Auch das defekte Funkgerät werfen wir ab. Wir befinden uns derzeit auf knapp 4000 Metern Höhe. Eine Wolkendecke liegt unter uns, doch sehen wir in der Entfernung die Alpen. Die Schweiz!

Nun beginnt der vierte Motor gefährlich zu vibrieren. Wir nehmen Kurs auf die Schweiz, die wir auf dem Weg nach Spanien queren wollen, doch die Vibrationen des Motors werden so stark, dass das ganze Flugzeug wie ein Blatt im Wind zu zittern beginnt. Dann löst sich der Motor ganz, verschwindet in der Tiefe.

Zwei Messerschmitt-Flugzeuge tauchen auf

Mittlerweile leert sich unser zweiter beschädigter Tank. John Miller, unser Ingenieur, beginnt, Flugbenzin aus dem anderen Tank umzupumpen. Plötzlich tauchen zwei Kampfflieger neben uns auf. Sie sehen aus wie deutsche Messerschmitts. Doch dann feuern sie Leuchtsignale ab. Wir antworten mit ebensolchen, und sie nähern sich. Erst dann sehen wir das weisse Kreuz auf rotem Hintergrund. Wir haben die Schweiz erreicht. Sie signalisieren uns, ihnen zu folgen, sie möchten, dass wir in Dübendorf landen.

Pilot Meyer hält jedoch weiter Kurs auf die Alpen, auf Spanien. Auf dem ganzen Weg begleiten uns Morane-Jagdflugzeuge. Wir verlieren an Höhe. Die 4000er, die vor uns liegen, werden unüberwindbar, weshalb wir umdrehen. Auf dem Flugplatz Dübendorf will Meyer landen. (Der Bomber dreht im Gebiet Brünig um, fliegt dann in Richtung Urner- und Lauerzersee und von dort in Richtung Zug und Baar.) Als wir jedoch die Albiskette vor uns sehen, dreht unser Pilot erneut um. Wir fliegen zu tief, um die Bergkette zu überqueren, nur noch 500 Fuss (152 Meter) trennen uns vom Boden. Kurz darauf gibt Meyer den Absprungbefehl: raus! Ich sehe ein Tal, sehe Dörfer und einen grossen See. Wir Schützen sowie der Navigator verlassen den Bomber über die Hauptfluchttüre.

Ein Todesfall und ein neuer Held

Kurz nach unserer Landung: Schweizer Soldaten nehmen uns auf den Ortskommandoposten beim Lindenhof in Baar mit. Die verletzten Crew-Mitglieder werden ins Spital gebracht, doch bereits ist klar, dass unser Navigator Lt. Robert Williams seinen Verletzungen erlegen ist. Sein Fallschirm hatte sich nicht richtig geöffnet, und er prallte hart auf dem Boden auf.

Wir warten. Die Schweizer sind freundlich zu uns, versorgen uns mit Essen, Getränken und Zigaretten. Doch die Ungewissheit über den Verbleib des Piloten wiegt schwer. Dann jedoch kommt ein Taxi an. Daraus steigt ein Stadtpolizist und … unser Pilot Robert Meyer! Er ist unverletzt. (Jedenfalls bis auf eine fehlende Zahnkrone.) Es war ihm gelungen, den B-17-Bomber im Zugersee notzulanden.

Wie er uns erzählt, sei er daraufhin ins Wasser gesprungen und von einem Ruderboot aufgenommen worden. Die Gebrüder Henggeler brachten ihn in der Unter Altstadt neben dem Restaurant Taube an Land. Wäre der Flieger über bewohntem Gebiet abgestürzt, wäre es zur Katastrophe gekommen.

Kurz nach der Notlandung des Bombers strömten Hunderte Schaulustige an den Zugersee. (Bild: zvg)

Die Schweizer behandeln uns gut. Sie tun alles, damit wir uns wohlfühlen. Trotzdem will ich nichts dringender, als nach Hause zu reisen. Doch müssen wir von Gesetzes wegen hier interniert bleiben.

Eine amerikanische Militärbestattung in Baar

20. März 1944: In den letzten Tagen besuchten wir unsere Kameraden im Spital. Ebenfalls besichtigten wir den Leichnam unseres Navigators Robert L. Williams, der beim Fallschirmsprung tödlich verletzt wurde. Heute findet die Beerdigung auf dem protestantischen Friedhof in Baar statt. Wir gesunden Besatzungsmitglieder tragen Williams’ Sarg bis zu seiner letzten Ruhestätte, die amerikanische Flagge über dem Leichnam liegend.

An der Beerdigung des Navigators trugen die unverletzten Soldaten den Sarg. (Bild: zvg)

Sgt. Louis Bernard Liening, der Maschinengewehrschütze der «Lonesome Polecat», wurde später gemäss Haager Abkommen im Internierungslager Camp Maloney in Adelboden festgehalten. Wie zwei weiteren Besatzungsmitglieder gelang es auch ihm, im November 1944 aus dem Camp auszubrechen und über den Genfersee zunächst nach Frankreich und später nach England zu fliehen. Schilderungen der Soldaten zufolge waren sie während der Zeit ihrer Internierung von grosser Langeweile geplagt.

Liening flüchtete im November 1944 aus dem Internierungslager in Adelboden. (Bild: zvg/ Oskar Rickenbacher)
Verwendete Quellen
  • Aufzeichnungen von Louis Liening
  • Gespräche mit Bomberexperte Oskar Rickenbacher
  • Informationen aus Rickenbachers Archiv
  • Website zum Zugersee-Bomber
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