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«Neustädtli» Luzern: Heftig deftig, das aber nur in bar

  • Bewertung★★★★★★★★★★
  • Preiskategorie●●●●●●
  • Küche Schweizerisch
  • Ambiente Rustikal
Das «Neustädtli» an der – passend – Neustadtstrasse in Luzern. (Bild: hch)

Mehr als ein Vierteljahrhundert wirtet Roland Odoni schon im Luzerner «Neustadt». Höchste Zeit für einen Restaurant-Test. «Wir nehmen dann nur Bares», heisst es bereits bei der Reservation. Bald darauf wird es mit dem Menü 1 heftig deftig.

Bürgerlich sei hier höchstens die Küche, nicht aber die Gäste, heisst es immer wieder über das Luzerner Restaurant Neustadt. Oder der Charakter des Lokals, ist man geneigt zu ergänzen. Mit seinem Beizenambiente würde man das «Neustädtli» jedenfalls eher ins Luzerner Hinterland verorten, wo sich Mitte und SVP am Stammtisch treffen. Doch genug der Klischees. Denn wie die Besucher in der Luzerner Beiz politisch ticken, ist uns an diesem Mittag herzlich egal. Schliesslich wir sind nicht zur Gesinnungsprüfung angetreten, sondern zum Restaurant-Test.

Bei der Reservation – telefonisch, anders geht nicht – wurden wir darauf hingewiesen, dass nur Bargeld akzeptiert werde. Freundlich, aber bestimmt, so wie der Umgangston hier eben ist. Und auch anderes ist für die Gastronomie nicht alltäglich. Eine Website kennt das «Neustädtli» nicht. Wer wissen will, was ihn neben den auf der Schiefertafel verewigten Klassikern sonst noch erwartet, kommt vorbei. Die Mittagsmenüs werden individuell von Hand geschrieben und hängen auf weissen Zetteln an den Wänden und im Schaukasten draussen vor der Beiz.

Klassiker aus Grosis Zeiten

An diesem Tag steht da unter Menü 3 beispielsweise Blut- und Leberwurst, Salzkartoffeln und Apfelmus für 20 Franken. Die Leberwurst ist durchgestrichen, wie man hört, gab es diese schon am Vortag. Vegis werden mit Pilzragout, Polenta und Gemüse bedient, und beim Menü 1 wird es wieder deftig. Bei allen Tagesmenüs gibt es für die Zwanzigernote eine Suppe dazu.

Die als «Gemüsesuppe» angekündigte Vorspeise ist passiert, cremig und vor allem ziemlich tomatig. Viel mehr lässt sich geschmacklich nicht identifizieren, doch wir sind mit der Suppe auch so ganz zufrieden. Dass Tomaten aus botanischer Sicht streng genommen zum Obst zählen würden, interessiert aus kulinarischer Sicht sowieso niemand. Dazu wird eine Scheibe frisches Schwarzbrot gereicht, das nach einem Versucherlein jedoch liegen bleibt.

Eigentlich schade um das gute Stück, doch in der Zwischenzeit wurden am Nebentisch die stadtbekannten Cordon bleus aufgefahren. Da gilt es, die Prioritäten neu zu justieren. Denn wer das über den Tellerrand balancierende Fleisch betrachtet, möchte im knurrenden Magen noch ausreichend Platz für das eigene Hauptgericht übrig lassen.

Geballte Ladung Energie

Diese Voraussicht wird mit einem reich befrachteten Teller belohnt. Ein Klassiker aus Grosis Zeiten wäre eigentlich Rippli mit Dörrbohnen und Kartoffeln. Das «Neustädtli» setzt hier noch einen drauf und packt Speck dazu, als Stärkebeilage dienen überraschenderweise ziemlich kross gebratene Spätzli. In Deutschland nennt sich das Gericht vermutlich «herzhaft», ich sollte den deftigen Energieschub nachmittags noch büssen.

Sehr gut gefielen dabei die Dörrbohnen. Zusammen mit Zwiebeln, Petersilie und Butter standen diese einem Frischeprodukt in keinster Art nach. Das Fleisch versteckt sich unter einer dünnen Butter- oder Rahmsauce – wennschon, dennschon. Der Körper sollte an diesem Tag jedenfalls ausreichend mit Energie versorgt werden. Mit dazu beigetragen haben auch die doch recht ausgeprägten Fettstreifen im schmackhaften Speck. Das viel zu magere Rippli hingegen ging zum Teil zurück in die Küche. Nicht wegen fehlenden Fettes, sondern aufgrund der Überdosis Salz.

Nach diesem Mittagessen sollte man sich eigentlich ein Nickerchen gönnen dürfen, für viel mehr als die Verdauung reicht es dem Körper sowieso nicht mehr.

Wolken, Tiergesichter und Seepferchen auf dem Teller

Ganz so deftig wurde es bei meiner Begleitung nicht. Wobei auch die mit Salaten servierten Fischknusperli den Mittagshunger entschieden bekämpften. Dass sie nicht aus der Fabrik stammen dürften, erkannte der Kenner sofort an den kreativen Formen. Kindliche Fantasie würde darin wohl Wolken, Tiergesichter oder Seepferchen erkennen, wir konzentrierten uns stattdessen auf den Geschmack. Und der gefiel uns bei den frittierten Teilchen gut, zumal das Verhältnis zwischen Panade und Fisch ebenso wie die hausgemachte Tatarsauce dazu stimmte.

Der Salat bestand aus Mais, Rucola, Rettich, Randen, Radieschen und Sprossen. Die ebenfalls servierten Blattsalate waren zu unserer späten Mittagsstunde schon etwas schlaff und teilweise verfärbt, das Dressing hätte mehr Pfiff vertragen. Aber zumindest letzteres ist nicht zuletzt Geschmackssache.

Der Kaffee zum Schluss schmeckte so, wie man es sich von einer Beiz gewohnt ist. Und wie ihn Wirt Roland Odoni, der hier seit über 26 Jahren tätig ist, wohl auch schon vor der Übernahme des Gebäudes durch Stammgast Renzo Testorelli vor einem Jahr zubereitet hatte (zentralplus berichtete). Sonst aber bleibt das Luzerner «Neustädtli» wohl noch einige Zeit ein dörfliches Refugium in einem hippen Stadtquartier.

Bewertung

Preis-/Leistung
**** von *****
Kulinarische Höchstleistungen darf man in Dorfbeizen nicht erwarten, dafür aber eine währschafte, gehaltvolle Küche. Auch im «Neustadt» mussten die Preise im Jahresvergleich um einige Prozent angehoben werden, mit 20 Franken für das Tagesmenü, 25 für die garnierten Fischknusperli oder 30 Franken für das Cordon bleu sind sie für die Stadt Luzern aber weiterhin im unteren Segment. Das bestellte Leitungswasser wurde uns nicht verrechnet. Die Gerichte sind sehr grosszügig bemessen, es können auch halbe Portionen bestellt werden. Sowohl mittags wie abends sind auch Pizzas erhältlich (17 bis 23 Franken).

Ambiente
**** von *****
Alles ist so, wie es in einem einfachen Lokal sein soll. Die Holztische sind sehr sauber, der offene Gastraum mit der Bar ist hell und eher funktional gehalten. Auf den Tischen wartet ein weisses Papierset, die Teller sind ebenso in schlichtem Weiss gehalten. Das Publikum ist durchmischt, vom Lehrer bis zum Handwerker fühlen sich hier offensichtlich alle Schichten und Alterskategorien wohl.

Service
**** von *****
Der Service ist speditiv und freundlich, neugierige Fragen werden nach Möglichkeit beantwortet. Der Hinweis zum gar salzigen Rippli wird aufgenommen, dabei bleibt es dann aber auch. Für das Mittagessen benötigten wir inklusive Kaffee etwa eine Stunde.

Auch wenn ein Spruch besagt, dass nur Bares Wahres sei: Im Jahr 2024 ist die Beschränkung auf diese eine Zahlungsmöglichkeit nur noch bedingt nachvollziehbar. Gut, wird man bei der Reservation darauf hingewiesen.

Onlinefaktor
von *****
Wer braucht schon eine Website oder Social Media, wenn das handgeschriebene Menü vor Ort angeschaut werden kann …

Auch im Restaurant Neustadt gibt es die Rechnung ganz zum Schluss.

Neustadt

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4 Kommentare
  • Profilfoto von Pascal O
    Pascal O, 22.04.2024, 23:19 Uhr

    Wann ich in der Stadt bin, kehre ich im Neustädtli ein. Jedes Mal mit kulinarischem Gewinn und Freude an der einmaligen Atmosphäre. Komme halt aus der Agglo … Vielleicht mag ich also etwas voreingenommen sein.
    Doch die Kritik ist ungeniessbar. Dies liegt primär am Modus jovialer Eigentlichkeit, in welchem sie serviert wird. Sie ist nicht für den Verzehr geeignet.
    Das Amuse-Bouche, ein Raunen, die politische Gesinnung des Neustädtli & seine Gäste betreffend, wird sogleich als unwesentlich wieder abgeräumt. Als Vorspeise wird eine Ahnenlehre über Tomaten gereicht.
    Zur Hauptspeise lernen wir, dass das Rippli im heftig deftigen Essen «viel zu mager» ist. Stattdessen sorgt ein Zuviel an Salz für eine Retoure.
    Zum Dessert wird die «kindliche Fantasie» des Autors kredenzt; auch sie weicht sogleich der Professionalität des Kritikers, der sich pflichtschuldig vornahm, sich ganz auf den Geschmack zu konzentrieren.
    Hier tischt jemand gross auf, nur um es gleich wieder abzuräumen.
    Obwohl hier jemand mit der grossen Kelle angerührt hat, bleibt man inhaltlich hungrig zurück. Zu viele Köche halt … und man ertappt sich beim Gedanken: Von Rolands Menu 1 habe ich mehr. Onlinefaktor hin oder her. Grüsse gehen raus!

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  • Profilfoto von Roland Odoni
    Roland Odoni, 28.03.2024, 13:30 Uhr

    Wahres ist Rares.
    Komisch, die Gastronomie erinnert mich immer mehr an Fussball: Jeder glaubt ein Experte zu sein.
    Danke für den Besuch, wie wir Hinterwäldler zu sagen pflegen und viele Grüsse vom Landgasthof "Früener isch alles besser gsi".
    R. Odoni, Rest. Neustadt äähh Neustädtli

    Ps: Der Vergleich mit einer SVP-Landbeiz ist abenteuerlich

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  • Profilfoto von MARIO P. HERMANN
    MARIO P. HERMANN, 23.03.2024, 14:34 Uhr

    Gluschtige Bilder vom Essen! War das letzte Mal vor über 30 Jahren im "Neustadt"; aufgrund dieses Artikels werde ich aber bestimmt nächstens dort aufkreuzen… Mit Bargeld… denn ich habe noch NIE in einer Beiz mit der Karte bezahlt.
    (Nur Bares ist Wahres)…

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  • Profilfoto von Rolf Angeler
    Rolf Angeler, 23.03.2024, 13:35 Uhr

    Erst vor Kurzem war ich mit einer kleinen Gruppe im Neustädtli. Wir haben uns natürlich auch dieses herzhafte Cordon Bleu gegönnt.
    Anders als beim Verfasser dieses Artikels wurden wir jedoch nicht bei der Reservierung auf die fehlende Kartenzahlungsmöglichkeit hingewiesen. Roland zeigte sich sehr überrascht, dass wir dies nicht wussten und hat uns einen Einzahlungschein gereicht, mit dem wir noch im Restaurant eine Banküberweisung tätigen konnten. Sehr sympathisch und jederzeit gerne wieder!

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