Heimatschutz sorgt sich

Luzerns Denkmäler der Betonjahrzehnte schweben in Gefahr

Der Stadthof in Sursee mit seinem viergeschossigen Säulengang ist ein Hingucker. (Bild: Janic Scheidegger, Schweizer Heimatschutz)

Zwischen den Jahren 1975 und 2000 sind mehr als graue Klötze entstanden. Architektonische Perlen würden darauf warten, entdeckt zu werden, meint der Schweizer Heimatschutz. Auch in Luzern.

So manches Schweizer Gebäude aus den 70er-, 80er- und 90er-Jahren ist eine Attraktion – etwa die Kirchen von Mario Botta im Tessin oder die Therme in Vals von Peter Zumthor. Die meisten Gebäude aber fristen ihr Dasein als graue Versicherungen und Wohnblöcke, wenig geschätzt, als Kinder der geächteten Betonjahrzehnte.

Das sorgt den Schweizer Heimatschutz. «Eine ganze Generation von hochwertigen Baudenkmälern droht abgebrochen oder schlecht umgebaut zu werden.» Also versucht sich der Verein an einer Ehrenrettung. Nachdem er im vergangenen Sommer eine Plattform zur Baukultur der Jahre 1975–2000 veröffentlicht hat (zentralplus berichtete), folgte jüngst ein Buch.

Auf 120 Seiten listet der Schweizer Heimatschutz darin 50 Objekte aus den Bereichen Architektur, Landschaftsarchitektur und Ingenieurwesen auf, die wegen ihrer architektonischen Qualität erhalten bleiben sollten. Auch vier Luzerner Gebäude haben es in die Auswahl geschafft.

Jahrzehnte des Umbruchs wirkten auf die Architektur

Die 70er-, 80er- und 90er-Jahre waren Jahrzehnte des Umbruchs. Zu Anfang entbrannte die Umweltbewegung, die Angst vor dem Terrorismus und das Wettrüsten während des Kalten Kriegs. Mit dem Zusammenbruch der UDSSR endete dann ein Kapitel der Weltgeschichte – und die 90er wurden zum Jahrzehnt des Aufbruchs.

In den 80er-Jahren demonstrierten Frauen auf dem Schwanenplatz gegen den Autoverkehr. (Bild: Stadtarchiv Luzern)

Die Zeitgeschichte schlug sich auch in der kreativen Arbeit nieder. «Durch den Modernisierungsschub irritierte Zeitgenossen versuchten, die bahnbrechenden Einflüsse zu verarbeiten», zitiert Swissinfo eine Museumskuratorin. Auch Schweizer Architekten hätten in ihren Projekten versucht, starre Vorgaben und Traditionen abzulegen.

Ein «Hauch Finnland» in Horw

Ein Zeugnis dieser Zeit befindet sich in der Gemeinde Horw. Zwischen 1977 und 1979 entstand am heutigen Gemeindehausplatz das neue politische Zentrum des wachsenden Ortes. Im Jahr 2016 wurde das Gemeindehaus achtsam saniert.

Das Gemeindehaus in Horw wurde 2007 saniert. (Bild: Noah Santer, Schweizer Heimatschutz)

Roter Backstein, Kupferelemente an der Fassade und ein treppenförmiger Baukörper, dazu ein mit Bäumen bepflanzter Aussenraum, als Teil des skulpturalen Komplexes. Das Horwer Gemeindehaus im Stil der skandinavischen Nachkriegsmoderne hat den Schweizer Heimatschutz überzeugt. Sein Resümee: Die Architektengemeinschaft ORIGO habe «einen Hauch Finnland» in die Zentralschweiz gebracht.

Die Konstruktion im Inneren ist teils offen gelegt. (Bild: Noah Santer, Schweizer Heimatschutz)

Weniger exotisch, dafür an prominenter Lage in der Pilatusstrasse befindet sich das zweite Gebäude auf der Liste. In dem rotbraunen Gebäude mit der Hausnummer 39 war einst die Volksbank Willisau zu Hause, heute wickelt die Valiant Bank hinter der schachbrettartigen Fassade ihre Geschäfte ab.

Ehemalige Volksbank Willisau: «Plastisch und expressiv»

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die Gründerzeitbauten an der Pilatusstrasse zunehmend durch moderne Bürobauten ersetzt. Die ehemalige Volksbank Willisau, gebaut zwischen 1978 und 1980, hebt sich von ihren Nachbarn aus den 1950er- und 2000er-Jahren deutlich ab.

Die Fassade aus Sandstein setzt einen eigenen Akzent im Strassenbild. (Bild: Noah Santer, Schweizer Heimatschutz)
Wohl jeder Luzerner ist an der Bank bereits vorbeigekommen. (Bild: Noah Santer, Schweizer Heimatschutz)

Ihre Gestaltung sei «plastisch und expressiv», urteilt der Schweizer Heimatschutz. «Mit seiner differenzierten Fassadengliederung, dem markanten Dachabschluss und dem roten Sandstein erweist er den reichverzierten Gründerzeitbauten seine Reverenz.» Geplant wurde das Haus von dem Luzerner Architekten Walter Rüssli, dessen Büro bis heute baut.

Viergeschossiger Säulengang in Sursee

Deutlich bekannter ist das nächste Gebäude, dass es in die Liste der schönsten Bauten 1975–2000 geschafft hat. Am Übergang zwischen der Altstadt und der Neustadt in Sursee liegt ein mächtiger weisser Kubus auf einer Fläche von 53 mal 53 Metern: der Stadthof mit seinem viergeschossigen Säulengang.

Im Jahr 2003 wurde der Stadthof fertiggestellt. (Bild: Janic Scheidegger, Schweizer Heimatschutz)

Der Grundentwurf stammt von dem Tessiner Architekten Luigi Snozzi. Er hatte sich im Jahr 1990 bei einem städtischen Wettbewerb durchgesetzt. Weil das Volk den Kredit abschoss, übernahm ein Investor. Er setzte das Projekt als Geschäftshaus mit Wohngeschoss und Ladenzeile um. Snozzis Entwurf änderte er dafür – mit dessen Segen – leicht ab. Fertig wurde das Stadthaus im Jahr 2003.

Das KKL in der Stadt Luzern

Das letzte Gebäude auf der Liste ist – wenig überraschend – das Kultur- und Kongresszentrum KKL. Entstanden in den Skizzenbüchern des französischen Stararchitekten Jean Nouvel, hat das Gebäude einen bewegten Planungsprozess hinter sich. Den Architekturwettbewerb 1989 gewann Jean Nouvel zwar, geriet dann aber in Kritik, zu viel Seegrund genutzt zu haben. Letztlich änderte er seinen Entwurf.

Das Spiel von Wasser, Fassadenstruktur und Dach zeichnet das KKL aus. (Bild: Noah Santer, Schweizer Heimatschutz)
Das KKL ist zum Wahrzeichen der Stadt Luzern geworden. (Bild: zvg)

Im Jahr 1998 wurde das Gebäude eingeweiht. Touristen aus aller Welt bestaunen bis heute die künstlichen Wasserflächen, die gläserne Fassade und das bis zu 45 Meter auskragende Dach. Der «Weisse Saal» im Inneren gehört mit seinen akustischen Eigenschaften zu den besten Konzertsälen der Welt.

Keines der Gebäude ist vom Kanton geschützt

Damit endet die Liste der Luzerner Gebäude aus den Jahren 1975–2000, die zu den schönsten des Landes gehören sollen. Keines der vier Objekte befindet sich im kantonalen Denkmalverzeichnis. Somit ist auch keines rechtlich vom Abbruch oder Umbau geschützt.

Ein Grund für die fehlende Unterschutzstellung könnte das Alter der Gebäude sein. «Um das Gebaute objektiv beurteilen zu können, brauchen wir immer einen gewissen Abstand. Die Denkmalpflege geht von circa 30 bis 40 Jahren aus», erklärt Regula Steinmann, Leiterin Baukultur beim Schweizer Heimatschutz gegenüber zentralplus.

Weil die «Erneuerungszyklen» der Immobilienwirtschaft aber kürzer werden, steigt die Gefahr, dass Gebäude abgerissen werden, bevor sie geschützt werden. Doch die Architektin hat Hoffnung: Unter jungen Architektinnen setze eine neue Wertschätzung ein für die Bauten der vermeintlichen Betonjahrzehnte.

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Regula Steinmann, Leiterin Baukultur beim Schweizer Heimatschutz
  • Karte des Schweizer Heimatschutzes zu den schönsten Bauten aus den Jahren 1975–2000
  • Eintrag in der Architekturbibliothek zum Gemeindehaus Horw
  • Artikel auf «Swissinfo» zur Schweizer Architektur der 70er- und 80er-Jahre
  • Eintrag im «Historischen Lexikon der Schweiz» zur Architektur des 20. Jahrhunderts
  • Medienmitteilung des Schweizer Heimatschutzes zur neuen Publikation
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