Zuger Traditionsbeiz behauptet sich im Fastfood-Zeitalter
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Den Zuger «Rathauskeller» assoziierte man lange mit elitärer Edelgastronomie. Das ist vorbei. Stefan Meier und Kuno Trevisan sind stolz aufs Kompliment, nun eine «Beiz für alle» zu sein. zentralplus unterhielt sich mit den Gastronomen über die Beizenlandschaft und die Unart, überall zu essen – ausser im Restaurant.
Stefan Meier (60) bezeichnet sich im Gespräch mit zentralplus als eine «aussterbende Rasse». «Wir kochen noch traditionell», sagt Meier. Und der Spitzenkoch gibt ein Beispiel: «Ein gutes Ghackets braucht viel mehr Sorgfalt und Know-how, als einen Hummer zuzubereiten.» Das richtige Fleisch nehmen, es anziehen, ablöschen und vor allem gut abschmecken sei eine Kunst.
Seit 33 Jahren steht der «Grandseigneur» der Zuger Gastronomie hinter dem Herd. Mit einer 12-köpfigen Kochbrigade sorgt er fürs leibliche Wohl seiner Gäste, verwendet frische und saisonale Naturprodukte.
Vor zwei Jahren haben Meier und sein Geschäftsführer und Mitinhaber Kuno Trevisan (44) ihr Konzept ziemlich auf den Kopf gestellt. Und bekamen dafür Lob von vielen Zugern. «Wir haben uns der Zeit angepasst», sagt Meier.
«Ein gutes Ghackets braucht viel mehr Sorgfalt und Know-how, als einen Hummer zuzubereiten.»
Stefan Meier, Küchenchef und Inhaber «Rathauskeller»
Gourmetlokal aufgehoben und Punkte verloren
Seit 2016 gibt es im ganzen Haus dieselben Speisen. Das Gourmetlokal in der Zunftstube im ersten Stock mit eigener Karte existiert in dieser Form nicht mehr. «Die Zeit der steifen Gourmetgastronomie, wo der Koch sagt, was der Gast zu essen hat, ist vorbei», findet Meier. Und Trevisan fügt hinzu: «Ja. Vorher war es etwas elitär, viele Gäste fanden, das sei eine andere Welt da oben, und sie trauten sich erst gar nicht in unser Lokal.»
Drei Geschäftszweige waren zu viel
Die Änderung hat aber auch betriebswirtschaftliche Gründe. Der Rathauskeller sei das erste Lokal Zugs gewesen, das ein Gourmetrestaurant und ein traditionelles Restaurant unter dem selben Dach betrieben. Sehr früh habe man auch mit professionellem Catering angefangen, das mittlerweile einen Drittel des Umsatzes einbringe. Alle drei Geschäftsbereiche parallel zu betreiben, wurde zu viel, die Edelgastronomie rentierte nicht mehr.
Weniger Ehr, weniger Druck
Der Nachteil der Konzeptänderung war der Verlust der Auszeichnungen: Die Gastrokritiker von Ringier machen seither einen Bogen ums Lokal und erwähnen es gar nicht mehr. Meier ist das egal. «Ich fühle mich dadurch ohne Druck.» Sein Ziel sei der zufriedene Gast. Kuno Trevisan fügt hinzu, das schönste Kompliment, das ihnen die Gäste seither machten, sei, dass sie nun «eine Beiz für alle» geworden seien.
Dafür ist der Rathauskeller im Guide Michelin weiterhin unter der Rubrik «Bib Gourmand» aufgeführt. Die einzige Auszeichnung, die das Restaurant behalten hat. Das sind Lokale, wo man «sehr gute Küche zu einem günstigen Preis» bekommt.
Die Konzeptänderung hat aber auch mit veränderten Bedürfnissen und Ansprüchen der Gäste zu tun. Speziell in Zug mit seinem Bevölkerungsmix aus Einheimischen und Expats.
«Der Manager isst die ganze Woche in gehobenen Lokalen und hat dann mal Lust auf etwas anderes, Bodenständiges.»
Stefan Meier
Traditionelle Gerichte gefragt
Stefan Meier: «Der Manager ist unter der Woche viel auf Reisen, isst immer in gehobenen Lokalen. Am Wochenende hat er oft Lust auf etwas anderes, Bodenständiges, will bei uns einen Hafechabis oder ein Geschnetzeltes essen, und die Gattin den Hummer.»
Kuno Trevisan pflichtet ihm bei. «Eine Bratwurst mit Rösti wird heute mit einer guten Flasche Wein kombiniert. Einmal will der Gast nur 10 Franken für eine Suppe ausgeben, das andere Mal 100 Franken, je nach Lust und Laune. Das ist völlig in Ordnung.»
Vielseitigkeit sei angesagt. Einmal koche man für Vegetarier oder Veganer, dann wieder gutbürgerlich mit Fleisch. Einfach immer das, was der Gast sich wünsche.
«Einmal will der Gast nur 10 Franken für eine Suppe ausgeben, das andere Mal 100 Franken.»
Kuno Trevisan, Geschäftsführer und Mitinhaber
Zehn Mal so viele Snackangebote
zentralplus sprach mit den Gastronomen auch über die Veränderung der Restaurantlandschaft in Zug. Das Beizensterben führen die beiden Gastronomen auf verschiedene Faktoren zurück. Einerseits hätten sich die Ernährungsgewohnheiten geändert, früher sei das Leben vom Rhythmus der drei Mahlzeiten bestimmt gewesen: Frühstück, Mittag- und Abendessen. Heute sei eher «Ernährung» angesagt als eine vollständige Mahlzeit.
«Ich habe einmal nachgezählt, an wie vielen Orten man zwischen dem Rathauskeller und dem Bahnhof überall Snacks kaufen kann», erklärt Stefan Meier. 1983 seien es fünf Orte gewesen: die Bäckerei Speck, die Bäckerei Zum Wilden Mann, das Café Keiser und zwei Angebote in der Neustadtpassage. «Heute sind es sage und schreibe 46 bis 48 Angebote. An jeder Ecke bekommt man etwas zu essen.» Grossverteiler, Bäcker und Metzger, Sushi-Take-aways: Alle machen den traditionellen Esslokalen die Kundschaft streitig.
(Bild: mbe.)
Zuger Altstadt hat sich entleert
Dazu komme, dass viele Geschäfte aus der Altstadt von Zug weggezogen seien. Und damit auch die Kunden. Ausserdem hätten viele Restaurants die Devise: So wenig Aufwand wie möglich, damit die Marge stimmt. Mit Pizza funktioniert das besser als mit traditioneller Küche. «Der Warenaufwand für eine Pizza beträgt höchstens 5 bis 6 Franken», rechnet Kuno Trevisan vor.
Doch die «Rathauskeller»-Betreiber wollen nicht klagen. Sie stellen auch fest, dass die Leute, vor allem die jüngere Generation, wieder zurückkehrt zu den Wurzeln. Die «anständige Ernährung» sei ja ein omnipräsentes Thema. Gut gekochtes Essen mit frischen Zutaten wird in Zukunft wieder geschätzt, glauben sie. «Was rar ist, wird wieder interessant», bringt es Trevisan auf den Punkt.
(Bild: mbe.)
Authentischen Geschmack wieder entdecken
In der Küche des «Rathauskellers» wird übrigens nur mit Salz und Pfeffer gewürzt. Meier: «Wir verwenden kein Aromat, keine vorgefertigte Bouillonpaste und E-Nummern werden Sie in unseren Zutaten ebenfalls nicht finden.» Der Koch weiss jedoch zu erzählen, dass das nicht von allen geschätzt wird. «Manche jüngere Gäste finden dann, gewisse Gerichte hätten zu wenig Geschmack.» Offenbar hat die Lebensmittelindustrie den Geschmack vieler Menschen bereits so verändert, dass sie «das Original» nicht mehr erkennen. Zum Beispiel eine mit einer echten Vanilleschote aromatisierte Creme statt dem übersüssten industriellen Pendent.
Stefan Meier, der 25 Jahre lang 17 Punkte im Gastroführer Gault-Millau hatte («bestmögliche Zubereitung und höchste Kreativität»), tut aber auch viel, was er nicht müsste, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Er kocht zum Beispiel während der Wettkämpfe für die Mitglieder des Ruder-Clubs Zug. Ehrenamtlich. Der Club habe nur ein kleines Budget fürs Essen. «Man darf sich nicht zu schade sein», sagt Meier, «das Echo ist immer sehr positiv.»
Der Küchenchef engagiert sich ebenso an anderen Orten, zum Beispiel hat er das Genuss-Filmfestival Zug mit gegründet (zentralplus berichtete). Und er publiziert Rezepte und ganze Kochbücher mit einer bekannten Firma zusammen.
«Der Meier kocht immer das Gleiche»
Meier hat viele Anekdoten zu erzählen aus seiner Jahrzehnte dauernden Gastronomiekarriere. Eine Zeitschrift habe einmal über ihn geschrieben, der «Meier kocht immer das Gleiche». Ein Gast habe ihm das Zitat dann genüsslich unter die Nase gerieben. «Er bestellte aber ebenfalls immer dasselbe.»
Eines Tages, als dieser Gast wieder seine Leibspeise wünschte, ging der Küchenchef zu ihm und erklärte ihm, dass er dieses Gericht nun von der Karte genommen habe. Grosse Verwunderung. Welches Gericht es war, daran kann sich Meier heute nicht mehr erinnern.
Der aufgehängte Spiegel im Bistro, auf dem man das Angebot lesen kann, hat ebenfalls damit zu tun. «Wer hineinschaut, sieht sich selbst – und unser Angebot.»
Klassiker seit 30 Jahren
Dennoch behält Meier seit Jahren ein paar Klassiker auf der Karte, welche die Gäste immer wieder wünschen. Das meistverkaufte Gericht – rund 1000 Mal im Jahr wird es bestellt – sind die Nudeln mit Hummerrahmsauce und sautierten Riesencrevetten. Und das seit 1987. Wenn das keine Erfolgsgeschichte ist.
Ans Aufhören denkt der renommierte Koch im Übrigen keine Sekunde. «Dafür koche ich viel zu gerne.»
Liegenschaft mit bewegter Geschichte
Der Zuger «Rathauskeller» hat übrigens eine lange Geschichte. Bevor er ab 1902 ein Gasthaus war, hiess die Liegenschaft der Bürgergemeinde Zug nämlich Stadthaus. Der ehemalige Stadtarchivar Christian Raschle hat den Werdegang in einem geschichtlichen Beitrag einmal zusammengefasst.