Luzerner Gynäkologin über Vor- und Nachteile der Antibabypille

«Viele Frauen sind pillenmüde»

Antibabypille, Femidom, Kondom, Kupferspirale – oder doch lieber etwas ganz anderes? (Bild: Reproductive Health Supplies Coalition/Unsplash)

Viele junge Frauen finden es unnötig, die Pille einzunehmen und täglich Hormone in sich hineinzuschütten. Eine Luzerner Gynäkologin sagt, weshalb die Pille nach 60 Jahren trotzdem noch nicht ausgedient hat.

Die Antibabypille scheint bei jungen Frauen immer unbeliebter zu werden. Das zeigte sich auch bei einem Gespräch mit drei Luzernerinnen (zentralplus berichtete). Gerade auf die Millenials trifft das zu – greifen doch heute etwas über 15 Prozent weniger Frauen in ihren Zwanzigern auf die Pille zurück als noch vor 15 Jahren. 

Viele Frauen sind pillenmüde – diesen Eindruck hat auch Stephanie Felder. Sie ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe beim Gyn-Zentrum in Luzern. Dennoch ist sie der Meinung, dass die Pille – die kürzlich ihr 60-Jahr-Jubiläum feierte – nach wie vor ein gutes Verhütungsmittel ist. Weshalb, verrät sie im Interview.

zentralplus: Immer mehr Frauen haben von der Pille genug – und verzichten lieber darauf. Hat sie nach ihrem 60-Jahr-Jubiläum ausgedient?

«Viele Frauen sind pillenmüde.»

Stephanie Felder: Bei uns in der Praxis spüren wir Ärztinnen: Viele Frauen sind pillenmüde. Ganz junge Frauen – sagen wir im Alter ab 16 Jahren, die vor dem ersten Geschlechtsverkehr stehen – nehmen gerne die Pille. Frauen in den Endzwanzigern setzen sich vermehrt mit dem Thema auseinander, inwiefern die Pille ihren Körper, ihre Psyche und ihren Zyklus beeinflusst. Und sie sind heute – nach Jahren der Pilleneinnahme – ernüchtert. Die Pille ist vielleicht ein wenig in Verruf geraten. Allerdings finde ich nicht, dass sie ausgedient hat. Die Antibabypille ist ein sehr sicheres und einfaches Verhütungsmittel und bietet für viele Frauen Vorteile – wie etwa bei Menstruationsbeschwerden oder bei Akne. Zudem ist sie einfach zugänglich.

zentralplus: Wissenschaftler der Universität Kopenhagen haben zwischen 1996 und 2013 das Suizidrisiko von rund 500'000 jungen Frauen untersucht. Das Ergebnis: Bei Frauen, die hormonell verhüten, sind Suizide und Suizidversuche fast doppelt so häufig als bei Frauen, die nie hormonell verhütet haben. Knapp 7'000 Frauen versuchten, sich umzubringen, 71 vollendeten den Versuch. Besonders hoch sei das Suizidrisiko in den ersten zwei Monaten der Pilleneinnahme. Haben Sie kein schlechtes Gefühl, einer jungen Frau die Pille zu verschreiben?

Felder: Nein, ich kläre sie über die Stimmungsschwankungen auf. Die Frauen beschreiben aber weniger Stimmungsschwankungen, sondern vielmehr ein Dämpfen der Schwankungen, die sie davor eventuell zyklisch gespürt haben. Ich sage den Frauen, dass die Nebenwirkungen häufig nach drei Monaten verschwinden. Dass sie aber die Pille absetzen sollen, wenn die Beschwerden zu stark sind.

zentralplus: Viele Frauen sind sich nicht bewusst, dass die Pille ein Medikament ist, das Nebenwirkungen haben kann. Oder, wie es die deutsche Ernährungs- und Gesundheitsberaterin Isabel Morelli in ihrem Buch sagt: Die Pille ist zu einer Lifestyledroge verkommen – sie verspricht einen tollen Busen und reine Haut. Wie sehen Sie das?

Felder: Droge würde ich nicht sagen, es handelt sich ja nicht um «rauscherzeugende Substanzen». In erster Linie ist die Pille ein Medikament, das es Frauen ermöglicht, Sex zu haben, ohne unerwünscht schwanger zu werden. Die Pille hat – wie jedes andere Medikament auch – mögliche Nebenwirkungen. Diese können auch die beschriebenen erwünschten positiven Wirkungen haben. Hat eine Frau den Wunsch nach sicherer Verhütung und leidet sie unter Akne, wird eine Pille mit antiandrogenen Eigenschaften gewählt. Negative Nebenwirkungen nimmt man bei einer Pille aber zu Recht weniger gerne in Kauf als zum Beispiel bei einem Medikament gegen Bluthochdruck – bei dem man weiss, dass man damit sein Risiko für einen Herzinfarkt senkt.

«Frauen klagen bei uns auf der Praxis über jenste Nebenwirkungen, wie ein ‹Beissen› an den Füssen oder ein Jucken an den Ohren.»

zentralplus: Das heisst, wer die Pille nimmt, muss auch mit den unschönen Nebenwirkungen leben können.

Felder: Die Frau muss in jedem Fall für sich abwägen, ob die Vorteile überwiegen und sie sich mit möglichen Nebenwirkungen anfreunden kann. Oder ob es – im Gespräch mit einer Fachärztin – Alternativen gibt, die für die Frau besser geeignet sind, wie etwa eine Spirale. Es ist wichtig, in den ersten drei Monaten den eigenen Körper zu beobachten. Häufig pendeln sich diese Nebenwirkungen ein oder sie fallen plötzlich weg. Etwa das Gefühl der Antriebslosigkeit, wenn sich sonst etwas im Leben der Frau verändert hat. Beispielsweise ein neuer Job. Manchmal gibt es auch Dinge, die wir Fachärztinnen uns nicht erklären können. Beispielsweise klagen Frauen bei uns auf der Praxis über jenste Nebenwirkungen, wie ein «Beissen» an den Füssen oder ein Jucken an den Ohren.

zentralplus: Auf sozialen Medien erzählen viele Influencerinnen, dass sie die Pille abgesetzt haben und es ihnen seither viel besser gehe. Wie stehen Sie diesem Trend gegenüber, insbesondere, dass sich jede als Expertin sieht?

Felder: Grundsätzlich finde ich es natürlich sehr gut, wenn sich eine Frau genau mit der Pille und ihren möglichen Nebenwirkungen auseinandersetzt. Sie muss sich aber auch bewusst sein, dass jeder Frauenkörper anders ist. Was für die Influencerin stimmt, muss nicht für jede Frau passen. Man sollte sich bewusst sein, dass natürliche Verhütungsmethoden nicht gleich sicher sind wie die Pille oder andere hormonelle Verhütungsmethoden. Eine Pille danach ist selbstverständlich auch ein Hormon, das starke Auswirkungen auf den Körper hat. Und eine Abtreibung ist sicher das Letzte, was eine Frau durchmachen möchte.

zentralplus: Warum verschreiben viele Gynäkologinnen schnell einmal die Antibabypille, wenn eine junge Frau über Regelschmerzen und Akne klagt?

Felder: Die Pille ist eine sehr gute Methode für die Empfängnisverhütung. Sie ist einfach in der Handhabung, nicht wahnsinnig teuer und eine sehr sichere Verhütungsmethode. Leider gibt es beispielsweise bei starken Regelschmerzen kaum Alternativen. Die andere Möglichkeit wäre, jeweils über eine Woche Schmerzmittel einzunehmen, die wieder andere Nebenwirkungen haben. Diese beiden Möglichkeiten müssen gegeneinander abgewogen werden. Auch Aknemedikamente können sehr starke Nebenwirkungen haben. Da macht es vielleicht Sinn, erst eine antiandrogene Pille zu versuchen. Insbesondere, wenn auch der Wunsch nach sicherer Verhütung besteht. Ausserdem haben sehr junge Frauen oft noch einen unregelmässigen Zyklus, so dass natürliche Verhütungsmethoden oder Zyklus-Apps sehr unzuverlässig sind. Gerade für solche Frauen wäre eine Schwangerschaft eine Katastrophe.

«Einer 16-Jährigen, die noch keinen Geschlechtsverkehr hatte, würde ich nicht zur Spirale raten.»

zentralplus: Ich habe auch schon gehört, dass Gynäkologinnen schlicht die Zeit fehlt für ein umfassendes Beratungsgespräch, um über alternative Methoden wie Kupferspirale & Co. aufzuklären.

Felder: Ich kann nicht für alle meine Kolleginnen sprechen. Wenn eine Patientin im Rahmen einer Jahreskontrolle ein Gespräch über Verhütung wünscht, versuche ich mir immer, mir die Zeit zu nehmen. Auch sehen wir alle Frauen mit hormoneller Verhütung einmal jährlich zur Reevaluation, wo wir jeweils fragen, wie es ihr damit geht. Oft melden sich die Frauen aber nicht mehr und holen sich die Pille in wechselnden Apotheken. Wichtig ist es weiterhin, dass Frauen von sich aus mit dem Wunsch auf eine Fachärztin zugehen und das Thema ansprechen.

zentralplus: Welche vernünftigen Alternativen zur Pille gibt es denn?

Felder: Gerade die Spirale hat in den letzten Jahren extrem an Aufschwung gewonnen und bietet eine gute Alternative. Die Hormonspirale gibt deutlich weniger Hormone ab als die Pille und das auch nur lokal. Es dringt deutlich weniger Wirkstoff in den Blutkreislauf. Die Kupferspirale gibt gar keine Hormone ab, ist aber bei Frauen mit starken Schmerzen oder starker Periodenblutung nicht zu empfehlen. Früher waren Gynäkologinnen eher zurückhaltend, einer jungen Frau, die noch nie ein Kind geboren hat, die Spirale einzusetzen. Von dem ist man heute weggekommen. Einer 16-Jährigen, die noch keinen Geschlechtsverkehr hatte, würde ich aber dennoch nicht zur Spirale raten.

zentralplus: Weswegen nicht?

Felder: Um die Spirale einzusetzen, muss die Gynäkologin mit dem Spektulum in die Vagina und durch den Muttermund in die Gebärmutter. Das ist für eine Frau, die noch nie Geschlechtsverkehr hatte, sehr unangenehm. Auch für Frauen, die bereits Geschlechtsverkehr hatten, ist es teilweise sehr schmerzhaft – anders, als wenn jemand eine Pille schluckt.

Mehr zum Thema, weswegen viele junge Frauen auf die Antibabypille verzichten, liest du übrigens hier:

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon